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Angebotsdarstellung

Good Practice

Veröffentlichung: 2012

Baby-Führerschein, Hamburg

Kurzbeschreibung mit Zielen und Maßnahmen

Der „Baby-Führerschein“ bietet sozial benachteiligten Familien aus der Lenzsiedlung, einem Quartier in Hamburg-Lokstedt, Unterstützung in Fragen rund um Elternschaft und die Bedürfnisse von Säuglingen und Kleinkindern. An zwölf Kursterminen erhalten Eltern mit Kindern bis zum Alter von zwei Jahren Informationen zur Gesundheitsförderung, Ernährung und Suchtprävention, aber auch Hinweise, wie sie die Bedürfnisse ihres Kindes erkennen, die Eltern-Kind-Bindung stärken und wo sie, falls nötig, weitere Unterstützung erfahren können. Durch den Baby-Führerschein bekommen die Eltern mehr Sicherheit dabei, Grenzen zu setzen, Regeln und Rituale einzuführen oder Wut und Schuldgefühle zu erkennen und lernen, damit umzugehen.

Das Projekt entstand 2006 innerhalb des Präventionsprogramms des Gesundheitsamtes Hamburg-Eimsbüttel „Lenzgesund – Frühe Hilfen rund um Schwangerschaft, Geburt und erste Lebensjahre“ und beruht auf einer Kooperation zwischen der Stiftung Das Rauhe Haus, dem Verein Lenzsiedlung und dem Gesundheitsamt Eimsbüttel. Das Rauhe Haus ist der Träger des Projektes Baby-Führerschein.

Das Angebot ist in einen Theorie- und einen anschließenden Praxisteil untergliedert, in dem die Babys direkt einbezogen werden. ReferentInnen sind zwei SozialpädagogInnen und eine Familienhebamme. Wesentlich für das Programm ist die Zusammenarbeit mit Stadtteilzentren, Bürgerhäusern und Elternschulen.

Im Jahr 2007 hat die BürgerStiftung Hamburg dem Projekt den zweiten Preis für herausragendes zivilgesellschaftliches Engagement verliehen.

Dokumente zur Darstellung des Angebotes


Kontakt

Frau Christina Cornels
Das Rauhe Haus
Julius-Vosseler-Strasse 193
22527 Hamburg (Hamburg)

Telefon: 040 / 23648230

E-Mail: ccornels(at)rauheshaus.de

Website: http://www.rauheshaus.de


Weitere Ansprechperson

Frau Bettina Freyer
Julius-Vosseler-Str. 193
22527 Hamburg (Hamburg)

Telefon: 040/2364823-0

E-Mail: bfreyer(at)rauheshaus.de


Projektträger

Stiftung Das Rauhe Haus
Beim Rauhen Hause 21
22111 Hamburg


Hintergrund

Die Lenzsiedlung ist in den 1970er- und 1980er-Jahren im Hamburger Bezirk Eimsbüttel erbaut worden. Sie entstand auf einer etwa 7,6 Hektar großen Fläche fast ausschließlich im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus. Die Großsiedlung liegt im Süden des Stadtteils Lokstedt und grenzt unmittelbar an den Altbaubestand von Eimsbüttel und dem Stadtteil Stellingen. Sie bietet in rund 1.100 Wohnungen ca. 3.100 Menschen Lebensraum. Die Bevölkerungsdichte liegt bei ca. 400 Personen pro Hektar und ist damit die höchste in Hamburg.

Im Vergleich zu anderen Stadtgebieten zeichnet sich die Sozialstruktur der Lenzsiedlung durch einen sehr hohen Anteil an Kindern und Jugendlichen aus. Über 30 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner sind unter 18 Jahre (Hamburg: ca. 16 Prozent), 11 Prozent sind über 65 Jahre alt (Hamburg: ca. 19 Prozent). Die Sozialstruktur der Lenzsiedlung ist gegenüber anderen Stadtgebieten mit ca. 60 Prozent auch durch einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Migrantinnen und Migranten gekennzeichnet. Die Bewohner kommen aus mehr als 60 Ländern. Darüber hinaus weist die Lenzsiedlung einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Sozialhilfe-/Hartz IV-Empfängerinnen und -Empfängern auf. Der Anteil der Erwerbslosen liegt mit ca. 15 Prozent weit über der durchschnittlichen Quote im Bund (7 Prozent) und im Bundesland Hamburg (ca. 9 Prozent). In der Lenzsiedlung lebt also ein Drittel der Menschen von den Transferleistungen Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe (Statistisches Landesamt, 2008).

Von 2000 bis Februar 2007 war die Lenzsiedlung Programmgebiet des Senatsprogramms „Soziale (bzw. seit 2005) Aktive Stadtteilentwicklung“, für das die Lawaetz-Stiftung als freier Träger im Auftrag des Bezirksamtes Eimsbüttel das Quartiersmanagement übernommen hat. In diesem Rahmen hat das Gesundheitsamt Eimsbüttel mit ersten Aktivitäten der Gesundheitsförderung in Zusammenarbeit mit dem Quartiersmanagement und dem Verein Lenzsiedlung e. V., einem Träger der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, begonnen. 2003 wurde auf Initiative des Gesundheitsamtes der „Runde Tisch Lenzgesund“ ins Leben gerufen. In regelmäßigen Abständen treffen sich hier Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Einrichtungen und Organisationen sowie Einzelpersonen aus dem Gesundheits- und Sozialwesen, um Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention zu diskutieren und für die Quartiersentwicklung auf den Weg zu bringen. Daran beteiligt sind – außer dem Gesundheitsamt – die Lenzsiedlung e.V., Schulen, Kindertagesstätten, das Jugendamt, das Mütterzentrum, das Netzwerk Kindergesundheit, die AG Familienförderung, Familienhebammen, Schulärzte und andere. Im Jahr 2005 hat das Gesundheitsamt Hamburg-Eimsbüttel dann in der Lenzsiedlung das Präventionsprogramm „Lenzgesund – Vernetzte Frühe Hilfen rund um die Schwangerschaft, Geburt und erste Lebensjahre“ initiiert, das mit dem „Runden Tisch Lenzgesund” und weiteren Kooperationspartnern aus den Bereichen Prävention und Gesundheitsförderung umgesetzt und weiterentwickelt wird. Die wissenschaftliche Begleitung des Präventionsprogramms übernahm das Institut für Medizin-Soziologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Der Fokus des Handlungskonzeptes liegt auf der Zielgruppe der Eltern und ihrer Kinder im Alter bis zwei Jahren mit besonders hohem Unterstützungsbedarf.

Für diese Zielgruppe hat das Rauhe Haus, eine Einrichtung der Diakonie in Hamburg, auch den Baby-Führerschein entwickelt. Zuvor wurde in der Lenzsiedlung bereits ein „Erziehungsführerschein“ für Eltern mit Kindern im Alter von drei bis zwölf Jahren erfolgreich eingeführt. Der „Erziehungsführerschein“ war stark an das Projekt „Starke Eltern - Starke Kinder“ angelehnt (http://www.starkeeltern-starkekinder.de). Die Idee zum Baby-Führerschein entstand am Runden Tisch „Lenzgesund“. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rauhen Hauses arbeiteten die Idee aus und leiteten im Herbst 2006 einen ersten Kurs. Wegen der großen Nachfrage wurde der Kurs bereits im Frühjahr 2007 wiederholt und seither immer wieder angeboten. Je nach Finanzierungslage konnte der Baby-Führerschein in der Lenzsiedlung bis zu zweimal im Jahr stattfinden.

Für jeden Baby-Führerschein-Kurs wird ein Sachbericht geschrieben. Dieser informiert über die Entwicklungen (z.B. Teilnehmerzahlen, aufgebaute Kooperationen) und Perspektiven. Der aktuelle Stand, die Ressourcen und Herausforderungen werden von einem Teammitglied des Baby-Führerscheins im Rahmen des Runden Tisches „Lenzgesund“ vorgestellt und gemeinsam besprochen.

Der Baby-Führerschein gehört zum Familienhebammenprojekt Lenzsiedlung. Das Familienhebammenprojekt ist zentraler Teil des Netzwerks Frühe Hilfen. Es richtet sich an jene Schwangere und Mütter, die das Gesundheitsvorsorgesystem nicht oder nicht ausreichend für sich und ihre Kinder zu nutzen wissen. Familienhebammen unterstützen dabei, die Schwangeren und Mütter an die präventive Regelversorgung anzubinden und sie in das medizinische und soziale Hilfssystem überzuleiten (vgl. Jack-Rodney, 2012). Die hier arbeitenden Familienhebammen sind eingebunden in ein interdisziplinäres Netzwerk der „Frühen Hilfen“.

Die Umsetzung des Baby-Führerscheins haben verschiedene Partner finanziell und ideell unterstützt. Zu den finanziellen Förderern gehören z.B. die Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung (HAG), das Gesundheitsamt Hamburg-Eimsbüttel und im Rahmen eines Forschungsprojekts das Institut für Medizin-Soziologie (IMS) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Das Rauhe Haus stellt die Referentinnen und Referenten für den Baby-Führerschein. Die BürgerStiftung Hamburg und der Verein Lenzsiedlung organisieren die Kinderbetreuung für die Eltern und die Räumlichkeiten für den Kurs.


Ziele und Zielgruppen

Das Projekt Baby-Führerschein wendet sich vorwiegend an sozial Benachteiligte wie Familien, die „Hilfe zur Erziehung“ (HzE) beziehen, psychisch kranke Mütter und psychosozial schwer belastete Eltern mit ihren Babys im Alter von bis zu zwei Jahren aus der Lenzsiedlung, einem sozial benachteiligten Quartier im Hamburger Stadtteil Lokstedt. Auch Eltern mit ihren Babys aus den benachbarten Quartieren, in denen der Anteil sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen ebenfalls sehr hoch ist, steht das Angebot offen.

Der Baby-Führerschein ist ein niedrigschwelliges Elternbildungsangebot, das alle wichtigen Themen und Fragen rund um Schwangerschaft, Geburt und frühkindliche Erziehung bearbeitet. Das Angebot vermittelt relevantes Wissen zum Thema Elternschaft, Gefühle und Bedürfnisse des Babys und den Umgang mit Krisensituationen. Das Projekt fördert eine sichere Bindung zwischen Elternteil und Kind, um eine gesunde Entwicklung des Kindes zu ermöglichen und das Bewusstsein der Eltern für die Verantwortung gegenüber ihrem Baby weiter zu stärken.

Ein weiteres wichtiges Ziel des Baby-Führerscheins ist die Integration der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in andere Angebote der Hilfsstruktur vor Ort, um eine weiterführende und nachhaltige Unterstützung zu gewährleisten. Das Angebot fördert zudem die Bildung nachbarschaftlicher Netze und den Aufbau von sozialen Kontakten.


Vorgehen

Der Baby-Führerschein-Kurs läuft über zwölf Wochen mit je zweistündigen Terminen. Jede Veranstaltung behandelt ein in sich abgeschlossenes Thema. Die durchschnittlich acht Teilnehmerinnen und Teilnehmer pro Kursdurchlauf werden überwiegend von der Familienhebamme aus der Lenzsiedlung zu dem Kurs vermittelt. Diese hat Kontakt zu fast allen jungen Müttern und kann ihnen bei Bedarf den Baby-Führerschein vorschlagen. Außerdem informieren Flyer und die Stadtteilzeitung über das Projekt. Seit 2006 haben in der Lenzsiedlung nahezu 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Baby-Führerschein absolviert.

Eine Kurseinheit im Rahmen des Baby-Führerscheins ist in einen theoretischen und in einen praktischen Teil gegliedert. Eltern können sich dabei ein grundlegendes Wissen über die Entwicklung ihrer Kinder aneignen und erhalten viele Tipps und Anleitungen für den sicheren Umgang mit ihren Kindern. Dies kann dazu beitragen, dass Familien ihren Alltag besser organisieren und sich zugleich entlasten.

Veranstaltungsorte für den Kurs sind bisher Stadtteilzentren, Eltern-Kind-Zentren, Bürgerhäuser und Elternschulen. Zu Beginn jedes Treffens können die Eltern nochmals über das Thema der Vorwoche sprechen oder Fragen etwa im Zusammenhang mit persönlichen Krisen oder mit Ereignissen rund um ihr Baby einbringen. Es schließt sich ein theoretischer Teil von etwa 45 Minuten an, der ein Referat der Leiterinnen und einen Erfahrungsaustausch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmer umfasst. Pro Treffen wird eines der folgenden Themen behandelt:
1. Ankommen in der Welt: Hier geht es um das Erinnern an die ersten „Lebenszeichen“ des Babys, an Schwangerschaftstest, Ultraschallaufnahmen, Kindsbewegungen bis hin zur Geburt. Es wird gezeigt, welche Anpassungsleistung ein Baby nach der Geburt leisten muss. Zudem wird das gegenseitige Kennenlernen von Eltern und Kind beschrieben und das Angewiesensein des Säuglings auf die nächsten Bezugspersonen hervorgehoben.
2. Bindung: Die Wichtigkeit einer sicheren emotionalen Bindung für die Entwicklung einer gesunden psychischen Entwicklung wird verständlich und anhand von Beispielen dargestellt. Dazu gehören auch Hinweise auf die große Bedeutung bindungsfördernder Schritte wie Körperkontakt und promptes Eingehen auf die Bedürfnisse und Wünsche des Kindes.
3. Gefühle –„Manchmal könnte ich…“: Das Zusammenleben mit einem Baby löst nicht nur positive Gefühle aus. In dieser Kursstunde wird der Umgang mit ambivalenten Gefühlen bearbeitet. Die Eltern erhalten Techniken zur Aggressionsableitung beispielsweise mithilfe der „Wuttreppe“ aufgezeigt. Wie sich die entscheidende Bezugsperson eines Babys entlasten kann, wird ebenfalls thematisiert.
4. „Was will mir mein Kind sagen, obwohl es noch nicht sprechen kann?“: Das Baby kommuniziert vom ersten Tag an mit Gesten, Lauten und Blicken. In dieser Kurseinheit lernen Eltern, die Signale ihres Kindes richtig zu deuten.
5. Gesundheit I: Zu den Schwerpunkten dieses Themenblocks gehören die Definition von Gesundheit und Krankheit, eine Einführung in Alternative Heilmethoden und Überlegungen zum Zusammenwirken mit der Schulmedizin. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten nützliche Tipps, wie sie kleine Beschwerden mit einfachen Hausmitteln versorgen können, aber auch wann sie dringend einen Arzt aufsuchen müssen. Zudem werden anhand der mitgebrachten Impfpässe, des Impfkalenders und der U-Hefte die notwendigen Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen erklärt.
6. Gesundheit II: Im zweiten Teil des Themas geht es um Kinderkrankheiten, besonders im ersten Lebensjahr wie Neurodermitis, Fieberkrämpfe, Koliken, Durchfall, Pseudokrupp, Allergien und Asthma. Zudem wird veranschaulicht, wie schädlich das Rauchen für Kinder und Erwachsene ist und wie Kinder davor zu schützen sind. Zum Schluss gibt es eine Checkliste für die (homöopathische) Haus- und Reiseapotheke. Hier ist auch Raum für Fragen zu den Themen „guter“ Kinderarzt, Immunsystem, Hygiene, Psyche, Behinderungen, Vorsorge, Unfälle und Eltern-Kind-Kuren. Die Module Gesundheit I und II wurden bisher immer von einer Sozialpädagogin angeboten, die zugleich Kinderkrankenschwester ist.
7. Schlafen: In dieser Kurseinheit wird über Schlafrhythmen und das sog. Durchschlafen gesprochen. Ein Einschlafritual ist von Anfang an sinnvoll. Hierbei wird die Bedeutung einer gesunden und sicheren Schlafumgebung betont. Zur Vermeidung des plötzlichen Kindstods sollten Kinder im elterlichen Schlafzimmer möglichst in einem Schlafsack auf dem Rücken schlafen.
8. Ernährung: Hier werden die Vorteile des ausschließlichen Stillens in den ersten Monaten erläutert, aber auch worauf bei Flaschennahrung geachtet werden sollte und ab wann und wie Beikost verabreicht werden kann. Beim Thema Ernährung kommt es meist zum regen Erfahrungsaustausch zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
9. Erziehung/Förderung: Die Erziehung beginnt am ersten Lebenstag und ist durch den Kontakt zu den nächsten Bezugspersonen geprägt. Babys benötigen vor allem Hinwendung, promptes Reagieren auf Signale, Ansprache und Körperkontakt. Zudem erhalten die Eltern konkrete Anregungen am Beispiel ihrer anwesenden Babys, wie sie sie durch richtiges Handling fördern können.
10. Entwicklung des Kindes: In diesem Modul wird anhand von Tabellen über die Stufen der Entwicklung gesprochen. Dabei zeigt sich, dass jedes Kind sein eigenes Entwicklungstempo hat. Zur Orientierung gibt es sogenannte Meilensteine. Wann Förderung notwendig ist, kann ein Kinderarzt bei Vorsorgeuntersuchungen feststellen.
11. Rituale und Regeln: Regeln und Rituale strukturieren den Alltag und geben Kindern und Eltern Sicherheit durch verlässliches Wiederkehren von Handlungsweisen. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer können von Regeln und Ritualen aus ihrer Kindheit berichten.
12. Loslassen, Ablösung: Die erste Ablösung vom Kind findet mit der Entbindung statt. Zunächst sind Babys komplett von ihren Bezugspersonen abhängig. In diesem frühen Stadium fällt es einigen Müttern auch schwer, ihr Kind abzugeben. Der Kurs ermutigt die Mütter, bei zu starker Anspannung Entlastung anzunehmen, um einem Aggressionskreislauf vorzubeugen. Bereits mit einem Dreivierteljahr bewegen sich die meisten Kinder eigenständig fort, um die „Welt zu entdecken“. Jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer kann von seinen eigenen Ablösungsprozessen berichten.

Nach einer Kaffee- und Fütter-Pause, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer meist für Einzelgespräche und Ad-hoc-Beratungen durch die Kursleitung nutzen, wird in dem nun folgenden praktischen Teil gemeinsam mit den Babys gearbeitet. Unter anderem vermittelt die Familienhebamme Techniken einer beruhigenden Babymassage und gibt nützliche Tipps zum alltäglichen „Handling“ des Babys. In diesem Teil werden auch verschiedene Spiele ausprobiert und Lieder gesungen, um die Bindung zwischen Elternteil und Kind zu stärken. Im Mittelpunkt stehen dabei der Spaß und die Freude am Umgang mit dem eigenen Kind.

In einer Abschlussrunde haben alle die Möglichkeit, zu reflektieren und ein Feedback zu geben, was sie an Eindrücken und Inhalten mitnehmen und welche Erwartungen sie an das Team des Baby-Führerscheins für den nächsten Termin haben. Nach der letzten Veranstaltung des Kurses werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer um eine Beurteilung des Angebotes auf Fragebögen gebeten. Diese Rückmeldungen fließen in projekteigene Berichte ein. Zudem erhalten die Eltern ein Zertifikat für die erfolgreiche Teilnahme. Das Programm zum Baby-Führerschein leiten zwei Sozialpädagoginnen und möglichst eine (Familien-)Hebamme. Dabei steht auch eine Kinderbetreuung für die Babys und bei Bedarf auch für Geschwisterkinder zur Verfügung. Zusätzlich werden zu bestimmten Themen Expertinnen und Experten von außen eingeladen. Themen rund um die Pflege des Babys bringt die Familienhebamme aus der Lenzsiedlung den Eltern nahe.

Das Team des Baby-Führerscheins unterstützt die jungen Familien auch über den Kurs hinaus und bietet verbindliche Einzelfallhilfe an. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden über andere kind- und familienspezifisch unterstützende Angebote, wie Elternschulen, Mehrgenerationenhaus, Eltern-Kind-Zentren, informiert und bei Bedarf an kompetente Ansprechpartner vermittelt und ggf. dorthin begleitet (z.B. Arzt, Jugendamt). So lernen die Eltern die umfassenden Beratungs- und Hilfsangebote im Stadtteil und Sozialraum kennen. Der Baby-Führerschein trägt damit zur Integration in bestehende Nachbarschaften im Quartier bei.

Der Baby-Führerschein wird mittlerweile auch in anderen Stadtgebieten Hamburgs angeboten, so in Eimsbüttel (Niendorf, Lenzsiedlung/Lokstedt, Eidelstedt/Stellingen), Altona, Hamburg-Mitte (Horn, Billstedt) und Hamburg-Nord (Dulsberg). Einige Kooperationen (z.B. in Niendorf: Elter Kind-Zentrum; in der Lenzsiedlung: Verein Lenzsiedlung, Bürgerhaus, Hebamme) sind, je nach finanzieller Förderung, regelhaft und fester Programmpunkt im Angebotssortiment. Das Team des Baby-Führerscheins kontaktiert insbesondere Kitas, Eltern-Kind-Zentrum und Elternschulen in Quartieren, die einen großen Bedarf an Aufklärung zu Themen wie Erziehung, Bindung, Ernährung, Gesundheit und Zahngesundheit zeigen. Durch die Kooperationen ergaben sich weitere Kontakte zu interessierten Einrichtungen oder Institutionen (z.B. Mutter-Kind-Einrichtungen, Kitas, Abenteuerspielplätze).


Good Practice in

Empowerment

Das Team des Baby-Führerscheins arbeitet nach dem Grundsatz, auf die Bedürfnisse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer einzugehen, sie ernst zu nehmen und dabei die Ressourcen der Eltern im Sinne eines Empowerment-Prozesses zu stärken.

Bei jungen Müttern, die das Angebot wahrnehmen, lässt sich häufig beobachten, dass ihr Umfeld sie im Umgang mit ihrem Kind stark verunsichert. Beispielsweise äußern die Eltern oder Großeltern, dass die junge Mutter das Kind nicht zu sehr verwöhnen und auch einfach einmal weinen lassen solle, da es das aushalten müsse. In dem Kurs Baby-Führerschein werden die jungen Mütter darin bestärkt, dass promptes Reagieren, welches in der Regel ohnehin ihrer eigenen Intuition entspricht, das richtige Verhalten gegenüber dem eigenen Kind ist. In diesem Sinne werden die jungen Mütter dazu ermutigt, sich auf die eigene Intuition zu verlassen und nicht gegen den eigenen Wunsch anzukämpfen, das weinende Kind zu trösten. Die Mütter erlangen darüber eine Sicherheit in der elterlichen Zuwendung und Grenzsetzung. Der hierfür entscheidende Ansatz liegt in der Stärkung des Selbstbewusstseins. Zum Beispiel lernen die Mütter, beim Kinderarzt nachzufragen, welche Untersuchung er gerade zu welchem Zweck am Kind vornimmt.

Weiter motiviert das Baby-Führerschein-Team die Mütter dazu, aktiv für ihr Kind zu handeln und regelmäßig die medizinischen Vorsorgeuntersuchungen („U-Untersuchungen“) des Kindes sowie bei Bedarf eine Mutter-Kind-Beratung in Anspruch zu nehmen. Die Mütter werden über alle sinnvollen und notwendigen Untersuchungen und Maßnahmen beraten und darin bestärkt, eigenverantwortlich über deren Art und Umfang zu entscheiden. Damit erhalten die Mütter Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten, werden handlungsfähiger und können auch weiterführende Hilfen nutzen.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil des aktiven Parts des Kurses besteht darin, die Mütter über eine gesunde Ernährung ihres Kindes zu informieren. Eine gesunde Ernährung in der Stillzeit ist für Mutter und Kind sehr wichtig. Hierbei spielen regelmäßige Zeiten für die Nahrungsaufnahme eine wichtige Rolle. Neben Informationen zum Stillen des Babys werden den Müttern auch Ernährungsempfehlungen gegeben. Die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer gewinnen an Selbstbewusstsein und werden gestärkt, für ihre Belange künftig selbstständiger einzutreten. Eine Evaluation belegte, dass der Baby-Führerschein die Eltern auch dazu anregt, Kontakte untereinander zu knüpfen. Es zeigten sich bei ihnen zudem ein Wissenszuwachs und ein besseres Verständnis für das Kind (Penzlien, 2009).

Niedrigschwellige Arbeitsweise

Der Baby-Führerschein basiert auf niedrigschwelliger Unterstützung und Begleitung von Eltern und ihren Babys. Der Zugang ist kostenfrei und freiwillig und der Kurs findet in der unmittelbaren Wohnumgebung der jungen Familien statt. Dafür werden Einrichtungen ausgewählt, deren Angebote vielen jungen Familien bereits bekannt sind. Zu Beginn des Kurses steht ein kostenloses Frühstück bereit, damit die Eltern die Räumlichkeiten falls nötig kennen lernen können.

Das Angebot kommt ohne komplizierte Anmeldeformalitäten aus. Meist hat sich nach etwa vier Terminen eine feste Kerngruppe gebildet. Interessenten können aber auch jederzeit in den Kurs einsteigen oder sich nur ausgewählte Themen anhören. Die Themen werden inhaltlich leicht verständlich und praxisnah aufbereitet und vermittelt.

Besonders im Rahmen der Gesundheitsseminare I und II haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer häufig sehr persönliche medizinische Fragen, die eine ausgebildete Kinderkrankenschwester beantwortet. Themen wie „Fußgesundheit“ und „Erste Hilfe am Kind“ werden als Ergänzungsangebote oder auf Wunsch nach Kursabschluss im Rahmen der fortlaufenden Mutter-Vater-Kind-Gruppe angeboten. Sind die fachlichen Beratungsmöglichkeiten des Baby-Führerschein-Teams erschöpft, werden die Ratsuchenden an kompetente Ansprechpartner weitervermittelt.

Kurssprache ist Deutsch. Für Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Migrationshintergrund wurde jedoch bisher immer eine muttersprachliche Übersetzungshilfe aus dem Umfeld gewonnen. Zudem helfen auch andere Eltern aus dem Kurs spontan bei Verständnisproblemen.


Gesammelte Erfahrungen (Lessons Learned)

Das Projekt Baby-Führerschein ist ein Beitrag im Rahmen der Frühen Hilfen zur Stärkung junger Familien. Er unterstützt die Bildung nachbarschaftlicher Netze. Evaluationen bestätigen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Wissen, Selbstbewusstsein und Verständnis für das Baby gewinnen (Penzlien, 2009).

Die Auswertung anonym ausgefüllter Fragebögen zeigt, dass der Großteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Kurs als positiv und lohnenswert bewertet.

Das Angebot des Baby-Führerscheins wird überwiegend von Frauen aus prekären sozialen Verhältnissen und/oder psychische labiler Gesundheit genutzt. Die Teilnehmerzahl der Väter ist fast unverändert gering und sporadisch. Wenn Väter teilnehmen, zeigen sie jedoch starkes Interesse. Auch Arbeitslose erscheinen nicht regelmäßig, weil die Versorgung von Babys unter einem Jahr überwiegend die Mütter leisten. Abendangebote nur für Väter können bei Bedarf organisiert werden.

Für den Kurs ist die Nutzung zweier Räume von Vorteil. Ein Raum kann als Unterrichtsraum und der andere Raum als „Kuschelraum“ für die Kinder dienen.

Eine langfristige Finanzierung des Baby-Führerscheins war bis jetzt noch nicht möglich. Bisher haben verschiedene Kooperationspartner die Kurse finanziert, was für den Träger einen hohen Verwaltungsaufwand bei der Beantragung der Gelder bedeutete. Mit Unterstützung der Bezirksversammlung ist es 2010 zunächst gelungen, weitere Mittel zu akquirieren. Durch die Umstrukturierungen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe in Hamburg zum Jahr 2012, eröffnen sich zukünftig zuverlässigere Finanzierungsmöglichkeiten für das Angebot in der Lenzsiedlung.


Literatur

Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e.V. (HAG) (Hrsg.) (2009). Gesundheitsförderung in der integrierten Stadtteilentwicklung. Hamburger Expertenforum am 12.02.2009.

Institut für Medizin-Soziologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) (2009). Evaluation des Baby-Führerscheins in der Lenzsiedlung/Eimsbüttel und im EKiZ Wagrierweg/Niendorf. September bis Dezember 2008. URL: www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/docext1.php (Stand: 17.01.2012).



Jack-Rodney, J. (Hrsg.): Familienhebammen. Familienhebammenprojekt Lenzsiedlung. URL: familienhebamme.de/lenzsiedlung.php (Stand: 17.01.2012).



Kohler, S.; Mossakowski, K.; Süß, W.; Nickel, S.; Trojan, A. (Hrsg.) (2007). Beiträge zur Quartiersdiagnose. Kindergesundheit in der Lenzsiedlung. Einschätzungen von Fachleuten – Vorschläge für das Präventionsprogramm „Lenzgesund“. 1. Auflage. URL: www.uke.de/institute/medizin-soziologie/downloads/institut-medizin-soziologie/QD_Kindergesundheit_2007.pdf (Stand: 17.01.2012).



Lenzsiedlung e.V. Presseinformation. URL: www.lenzsiedlungev.de/presseinfo.html (Stand: 17.01.2012).



Penzlien, L. (2009). Unterstützung für junge Familien aus einem benachteiligten Quartier. Evaluation des Gesundheitsförderungsprojektes Babyführerschein in der Lenzsiedlung in Hamburg-Lokstedt. Bachelorarbeit. Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Fachbereich Life Sciences/Department Gesundheitswissenschaften im Studiengang Health Sciences. URL: opus.haw-hamburg.de/volltexte/2010/1005/pdf/LS_Ges_BA9.pdf (Stand: 17.01.2012).



Statistisches Landesamt (2008). Ein Hoch auf die Siedlung. URL: www.lenzsiedlung.de/cmslenz/ (Stand: 17.01.2012).


Laufzeit des Angebotes

Beginn: 2006

Abschluss: kein Ende geplant


Welche Personengruppe(n) in schwieriger sozialer Lage wollen Sie mit Ihrem Angebot erreichen?

Menschen in schwieriger sozialer Lage stellen keine besondere Zielgruppe des Angebotes dar.


Das Angebot richtet sich insbesondere an folgende Altersgruppen

  • Unter 1 Jahr
  • 1 bis 3 Jahre
  • 18 bis 29 Jahre

Das Angebot umfasst geschlechtsspezifische Angebote für

  • Keine geschlechtsspezifischen Angebote

Multiplikatorinnen und Multiplikatoren

Als MultiplikatorInnen fungieren u.a. NetzwerkerInnen des Jugendamts, die Frühen Hilfen /Familienteams und Kooperationspartner in den sozialräumlichen Angeboten.

Die ReferentInnen sind SozialpädagogInnen und themenweise FachreferentInnen aus bspw. Bereichen der Gesundheit, Pflege, Medizin.


Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartner

KollegInnen am jeweiligen Standort, also die Familienhebammen, das Familienteam, MitarbeiterInnen von Elternkindzentren, Kitas, Elternschulen oder Bürgerhäusern sind überwiegend unsere Kooperationspartner. Zudem sind die jeweiligen finanziellen Unterstützer wie Gesundheitsamt und Jugendamt Kooperationspartner.


Schwerpunkte des Angebotes

  • Elternschaft / Schwangerschaft
  • Stressbewältigung
  • Stärkung der individuellen Bewältigungsressourcen (z.B. Life skills, Resilienz)
  • Stärkung sozialer Kompetenzen
  • Stadtteil-/ Gemeinwesenarbeit, Nachbarschaftsnetzwerke

Das Angebot wird hauptsächlich in folgenden Lebenswelten umgesetzt

  • Kindertageseinrichtung / Kindertagespflege
  • Stadt / Stadtteil / Quartier / Kommune
  • Nachbarschaftshaus / Stadtteilzentrum

Qualitätsentwicklung

Was machen Sie, um die Qualität Ihres Angebotes weiterzuentwickeln?

Jede Einheit wird dokumentiert und evaluiert. Ein persönliches Feedback der TeilnehmerInnen innerhalb der Termine und ein anonymer Evaluationsbogen am Ende des Kurses dienen der Qualitätsentwicklung und Reflexion. Gemeinsam mit den KooperationspartnerInnen wurde regelmäßig über den Verlauf reflektiert, sodass ggf. Veränderungen angepasst wurden.

Welche Erfahrungen haben Sie bei der Qualitätsentwicklung Ihres Angebotes gemacht?
Welche Stolpersteine haben Sie festgestellt?

Aufgrund knapper Zeitressourcen fielen Dokumentationsbögen oft knapp aus.
Der Rücklauf der Evaluationsbögen gestaltete sich manchmal schwierig.

Wie dokumentieren Sie Ihre Arbeit? (z.B. Konzepte, Handreichung)

Neben den Dokumentationsbögen wird nach jedem Baby-Führerschein ein Sachbericht verfasst. Ein ständig aktuelles und ausführliches Konzept liegt vor.

Es ist bereits ein Ergebnisbericht vorhanden.

Titel des Berichts bzw. Kurzbeschreibung: Unterstützung für junge Familien aus einem benachteiligten Quartier: Evaluation des Gesundheitsförderungsprojektes Babyführerschein in der Lenzsiedlung

Quelle der Veröffentlichung/URL: HAW Hamburg

Das Vorgehen der Qualitätsentwicklung kann ganz unterschiedlich sein. Einiges haben Sie bereits genannt. Welches der folgenden Verfahren wenden Sie zusätzlich an?

Zertifizierung

Die Zertifizierung ist durch die BzgA im Jahre 2012 erfolgt.

Die Qualitätsentwicklung und Ergebnissicherung sind nicht in ein Qualitätsmanagementsystem eingebunden.


Stand

12.06.2024

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