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25.02.2013

Armut macht krank, Krankheit macht arm?!

Gemeinsame Fachtagung des Regionalen Knotens Bayern und des Bayerischen Landes-Caritasverbandes

Iris Grimm, Zentrum für Prävention und Gesundheitsförderung (ZPG) im Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL)

Schlagwörter:Armut, Dokumentation, Fachtagung, Regionaler Knoten, Teilhabe, Veranstaltungsbericht

NEU: Dokumentation erschienen!

Ar­mut bringt Menschen an den Rand der Ge­sell­schaft. Ar­mut und soziale Aus­gren­zung sind aber auch ein wesentlicher Fak­tor für die Ent­ste­hung gesundheitlicher Ein­schrän­kung­en. Wie ist die Si­tu­a­ti­on in Bay­ern? Aktuelle Ana­ly­sen lieferte die Ta­gung „Ar­mut macht krank - Krank­heit macht arm?!“ des Re­gio­na­len Knotens Bay­ern, seit De­zem­ber 2012 Koordinierungsstelle „Ge­sund­heit­liche Chan­cen­gleich­heit“, und des Landes-Caritasverbandes.

Im Mit­tel­punkt standen Fra­gen nach so­zi­aler Un­gleich­heit und Ge­sund­heit, ausgehend von den Er­geb­nis­sen der bayerischen Ge­sund­heitsberichterstattung, so­wie die Caritas-Kampagne „Ar­mut macht krank“, die Verständnis und So­li­da­ri­tät für Be­trof­fe­ne einfordert. Zwar profitiert Bay­ern in landesweiten Vergleich ge­sund­heit­lich von einer im Durch­schnitt guten so­zi­alen La­ge der Be­völ­ke­rung, aber auch hier sind ge­sund­heit­liche Risikofaktoren so­zi­al un­gleich verteilt.

Vorgestellt wurden Projekte der Ca­ri­tas, die sich diesem The­ma in Bay­ern wid­men. Die Ko­or­di­nie­rungs­stel­le „Ge­sund­heit­liche Chan­cen­gleich­heit“ in Bay­ern informierte über ih­re Ar­beit als Fo­rum für In­for­ma­tions­trans­fer und Vernetzung.

Die Do­ku­men­ta­ti­on der Fachtagung Ar­mut macht krank - Krank­heit macht arm?!  (PDF-Dokument, 4,1 MB) des Regionalen Knotens Bay­ern kön­nen Sie hier herunterladen.

Der Regionale Knoten Bayern arbeitet im Rahmen seines Schwerpunktes „Gesundheitliche Chancengleichheit für alle Kinder“ seit mehreren Jahren mit den Wohlfahrtsverbänden in Bayern zusammen. Gemeinsam mit dem Bayerischen Landes-Caritasverband hat er das Caritas-Jahresmotto 2012 zum Thema einer Fachtagung gemacht. Unter dem Titel „Armut macht krank, Krankheit macht arm?!“ kamen am 3. Dezember 2012 in München Vertreter der Caritas und weiterer Wohlfahrtsverbände sowie der bayerischen Gesundheitsämter, Kooperationspartner des Regionalen Knotens Bayern und auch zahlreiche Studierende der Sozialen Arbeit der Hochschule München zusammen. Im Mittelpunkt der Tagung stand die Diskussion über Fragen der sozialen Ungleichheit und Gesundheit in Bayern, deren große Bedeutung der LZG-Vorsitzende Prof. Dr. Johannes Gostomzyk und Landes-Caritasdirektor Bernhard Piendl in ihren Grußworten betonten.

Armut bringt Menschen an den Rand der Gesellschaft

Armut und soziale Ausgrenzung sind aber auch ein wesentlicher Faktor für die Entstehung von psychischen Erkrankungen und gesundheitlichen Einschränkungen. Unzureichende Teilhabemöglichkeiten durch den Verlust des Arbeitsplatzes sowie der finanziellen Sicherheit, ein prekäres Wohnumfeld und ungesunde Ernährung können Ausdruck einer Lebensweise am Rande der Gesellschaft sein. Allzu oft ziehen sie langwierige gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich.

Dr. Andreas Mielck vom Helmholtz-Zentrum München stellte entsprechende Daten aus München vor (Expertise zum Münchner Armutsbericht 2011/2012) und regte die nachfolgend zitierte Diskussion an: „Was sind die zentralen Anforderungen an erfolgversprechende Maßnahmen zur Verringerung der gesundheitlichen Ungleichheit? [...Es] lassen sich hier vor allem die folgenden Punkte hervorheben:

  • Zentrales Leit­mo­tiv sollte die Chan­cen­gleich­heit sein. Auch und vor al­lem für die Personen mit niedrigem sozialen Sta­tus gilt: Das größ­te Potential zur Verbesserung des Gesundheitszustandes lässt sich mit 'Stär­kung der Teilhabe- und Verwirklichungs-Chancen' um­schrei­ben. Um die­ses Potential aus­schöp­fen zu kön­nen, müs­sen al­le Maß­nah­men auf ei­ne Stär­kung von Par­ti­zi­pa­ti­on und 'Empowerment' ausgerichtet sein.
  • Die Teil­nah­me an diesen Maß­nah­men darf durch kei­ne finanzielle, soziale, kulturelle oder regionale 'Barriere' verhindert wer­den (siehe Stich­wort: Niedrigschwelligkeit).
  • Die Maß­nah­men müs­sen auch und vor al­lem bei den Lebensverhältnissen an­set­zen. Eine einseitige Be­to­nung des Gesundheitsverhaltens ist eher kontra-produktiv. Epidemiologische Stu­di­en verdeutlichen, wie stark Gesundheitsverhalten und -zustand durch die gegenwärtigen (und auch durch die früheren) Lebensverhältnisse geprägt wer­den. Die bisherigen Er­fah­rung­en zei­gen zu­dem: Wenn sich Maß­nah­men auf das Gesundheitsverhalten kon­zen­trie­ren, füh­ren sie eher zu ei­ner Vergrößerung als zu ei­ner Verringerung der gesundheitlichen Un­gleich­heit.
  • Die Maß­nah­men müs­sen län­ger­fris­tig und breit vernetzt angelegt sein (siehe Stich­worte: Multiplikatoren, integriertes Handlungskonzept, Qualitätsmanagement, Eva­lu­a­ti­on).

Im Zen­trum der gegenwärtigen Dis­kus­si­on steht da­her die Fra­ge, wie die gesundheitlichen Un­gleich­heiten er­klärt und wie sie verringert wer­den kön­nen. Die For­de­rung nach verstärkten An­stren­gung­en zur Verringerung der gesundheitlichen Un­gleich­heit richtet sich an viele Ak­teure, zum Bei­spiel an die Kom­mu­nen, die Landes- und die Bun­des­re­gie­rung, die Kran­ken­kas­sen und die Ärzte. Allgemein lässt sich sa­gen: Jeder (!) Ak­teur sollte sich die Fra­ge stel­len, was er (noch mehr als bis­her!) zur Verbesserung des Gesundheitszustandes von Personen mit niedrigem Einkommen bei­tra­gen kann. Wir wis­sen sehr viel über Ge­sund­heits­för­de­rung, Prä­ven­ti­on, Kuration und Re­ha­bi­li­ta­ti­on. Jetzt geht es da­rum, die­ses Wissen auf die Personengruppen zu kon­zen­trie­ren, bei de­nen der Be­darf be­son­ders groß ist, al­so zum Bei­spiel auf die Personen mit geringem Einkommen und auf die Personen, die in den so­zi­al be­nach­tei­lig­ten Stadtgebieten woh­nen.“

Befunde der Gesundheitsberichterstattung

Über die Befunde der bayerischen Gesundheitsberichterstattung zum Thema soziale Ungleichheit und Gesundheit berichtete Dr. Joseph Kuhn aus dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL): „Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass die bayerische Gesundheitsberichterstattung immer wieder auf soziale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung aufmerksam gemacht hat und sozial differenzielle Daten zu vielen Aspekten der Gesundheit vorliegen. Die Gesundheitsberichterstattung kann somit die sozialepidemiologisch gut belegten Zusammenhänge zwischen sozialer Lage und Gesundheit in vielen Bereichen in ihren Auswirkungen für die Bevölkerung Bayerns konkretisieren und Orientierungsdaten für die gesundheitspolitische Diskussion liefern. Die Konsequenzen daraus, wie eng soziale Lage und Gesundheit zusammenhängen, betreffen sowohl die kurative als auch die präventive Ebene:

  1. Zum einen geht es darum, für alle Menschen, die krank sind, einen guten und finanziell tragbaren Zugang zur Gesundheitsversorgung zu sichern. Dies leistet das Gesundheitssystem in Deutschland auf vergleichsweise hohem Niveau. Allerdings gibt es auch hier mit Blick auf bestimmte Gruppen Handlungsbedarf, u.a. bei den Migrantinnen und Migranten, bei denen oft sprachliche und kulturelle Hürden beim Zugang zur Routineversorgung bestehen (vgl. LGL 2011). Verschiedene Projekte, z.B. das vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit unterstützte Programm MIMI - Mit Migranten für Migranten - versuchen hier Hilfestellungen zu geben. Die medizinische Versorgung von Obdachlosen ist ein anderes Beispiel.
  2. Zum anderen geht es darum, sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit möglichst gut vorzubeugen. Hier bietet das Gesundheitsverhalten zwar Ansatzpunkte für die individuelle Prävention, aber das Gesundheitsverhalten lässt sich in der Breite nicht völlig von der sozialen Lage entkoppeln. Das Verhalten der Menschen bleibt - in welcher Form auch immer - auf ihre Lebensumstände bezogen. Letztlich sind daher die sozioökonomischen Rahmenbedingungen selbst die entscheidenden Einflussfaktoren für die Gesundheit der Bevölkerung. Einfache „Lösungen“ gibt es hier nicht, nur mehr oder weniger kluge Formen des Umgangs mit der wohl dauerhaften Herausforderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen. „Health in all policies“ ist eine Public Health-Strategie der Europäischen Union, die als Konsequenz aus dieser Einsicht in der internationalen Diskussion entwickelt wurde und die es auch in Bayern in den einzelnen Politikfeldern weiterzudenken gilt. [… ] Diese strukturpolitische Ebene ist vermutlich auch die wirksamste Interventionsebene, um sozioökonomisch bedingte regionale Gesundheitsunterschiede nachhaltig zu beeinflussen, zusammen mit regionalen Kooperationsverbünden, etwa kommunalen Gesundheitsförderkonferenzen, wie sie auch vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit unterstützt werden. Andere, teilweise bereits etablierte Ansatzpunkte für die Einflussnahme auf die sozioökonomischen Rahmenbedingungen der Gesundheit sind z.B. der Arbeitsschutz, die Umweltpolitik, die Wohnungspolitik oder die Bildungspolitik.
    Letztlich sind hier auch Fragen der gesellschaftlichen Verfassung insgesamt berührt. Driften Gesellschaften sozial zu sehr auseinander, so betrifft das nicht nur die ethische Basis des gesellschaftlichen Miteinanders, es betrifft auch die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt. Zu starke soziale Ungleichheit scheint, wie internationale Studien zeigen, gesundheitlich für alle abträglich zu sein, auch für die wohlhabenderen Gruppen (Wilkinson/Pickett 2010). Von einer erfolgreichen Umsetzung des „Health in all Policies“-Ansatzes würde also die Gesellschaft insgesamt profitieren.“

Im Anschluss an die wissenschaftlichen Fachvorträge folgte die Darstellung des Regionalen Knotens Bayern mit den Schwerpunkthemen „Gesundheitliche Chancengleichheit für alle Kinder“ sowie „Gesund aufwachsen für alle!“ - dem bundesweiten Partnerprozess zur Stärkung der Gesundheitschancen sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher. Welche Handlungsempfehlungen sich aus den theoretischen Informationen des Vormittags für die Praxis ableiten lassen, diskutierten anschließend Teilnehmer und Referenten unter der Moderation von Martin Heyn vom Bayerischen Zentrum für Prävention und Gesundheitsförderung (ZPG) des LGL.

Kampagne „Armut macht krank“

Der Deutsche Caritasverband will mit der Kampagne „Armut macht krank“ über die Zusammenhänge von Armut und Krankheit aufklären, Verständnis wecken für arme und kranke Menschen, die Solidarität zwischen den Menschen stärken und strukturelle Verbesserungen vorantreiben. Dazu war auch ein interner Wettbewerb ausgeschrieben, dessen Preisverleihung der Landes-Caritasdirektor Prälat Bernhard Piendl gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden der LIGA Bank, Jörg-Peter Nitschmann, vornahm. Ausgezeichnet wurden:


  1. Preis: Projekt „Bildungspartnerschaft Rhön-Grabfeld“ des Caritasverbandes Rhön-Grabfeld. Ziel ist es Kindern in Familien mit begrenzten finanziellen Mitteln Angebote zu finanzieren, die die Bildungschancen der Kinder erweitern. Die Potenziale und besonderen Talente aller Kinder sollen unterstützt werden. Zurzeit sind vier konkrete Projekte an Grundschulen des gesamten Landkreises geplant. Ziel ist es diese Projekte flächendeckend an allen Schulen des Landkreises zu unterstützen.
  2. Preis: Caritas Straßenambulanz Franz von Assisi des Caritasverbandes Nürnberg. Dies ist eine Einrichtung zur aufsuchenden ambulanten Pflege von wohnungslosen Frauen und Männern. Die Angebote sind eine medizinische und hygienische Basisversorgung, Sprechstunden, die Substitutionsbehandlung von Opiatabhängigen, Streetwork (aufsuchende Hilfe), der Besuch in stationären Einrichtungen und ein Tagestreff.
  3. Preis: Projekt „Pfandflaschen sammeln im Qualifizierungs- und Beschäftigungsbetrieb Rentabel“ des Caritas-Zentrums Freising. Bei dem Projekt sammeln psychisch kranke und langzeitarbeitslose Menschen Pfandflaschen am Flughafen München. Das ist ein aktiver Beitrag zum Umweltschutz und zugleich für die Betroffenen eine sinnvolle Beschäftigung, die ihnen eine Struktur des Tages gibt, Anerkennung bringt und so ihr Selbstwertgefühl stärken kann.

Diese praktischen Beispiele zeigen sehr gut auf, welche Möglichkeiten es gibt, Betroffene zur stärken und sich für das Thema „Gesundheitliche Chancengleichheit“ einzusetzen. Der Regionale Knoten fungiert als Koordinierungs- und Vernetzungsstelle für Gesundheitliche Chancengleichheit in Bayern und möchte weiter für das Thema sensibilisieren.

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