Glossar zur Gesundheitsförderung mit Geflüchteten
Abgrenzung und Empfehlungen zur Verwendung von Begriffen und Konzepten
1. Migrantinnen und Migranten
Migration gewinnt im Zuge der globalen Veränderungen im Bereich Global Health zunehmend an Bedeutung [1] und geht insbesondere im Bereich der Gesundheitsförderung mit besonderen Anforderungen einher [2].
Definition Migrationshintergrund
In der Umgangssprache finden sich häufig die Begriffe Ausländerinnen und Ausländer, Migrantinnen und Migranten oder Menschen mit Migrationshintergrund bzw. Migrations-/Zuwanderungsgeschichte. Obwohl oft synonym verwendet, ist damit nicht immer das Gleiche gemeint. Das Statistische Bundesamt hält fest, dass eine Person mit Migrationshintergrund als solche definiert wird, „[…] wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren ist." [3] Dazu zählen laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) folgende Personengruppen:
- Zugewanderte und nicht zugewanderte Ausländer;
- Zugewanderte und nicht zugewanderte Eingebürgerte;
- (Spät-)Aussiedler;
- mit deutscher Staatsangehörigkeit geborene Nachkommen der drei zuvor genannten Gruppen [3].
Da geflüchtete Personen häufig im Fokus stehen, gilt es zu beachten, dass diese lediglich eine Teilgruppe der Gruppe von Menschen mit Migrationshintergrund bilden.
2. Flüchtlinge oder Geflüchtete
Rund um das Themengebiet Flucht sind verschiedene Begrifflichkeiten verbreitet. Einige Begriffe, wie beispielsweise Geflüchtete, Flüchtling oder Asylbewerberin und Asylbewerber, werden synonym verwendet, umschreiben jedoch unterschiedliche rechtliche Status.
2.1 Flüchtling
„Auf Basis der Genfer Flüchtlingskonvention gelten Menschen als Flüchtlinge, die sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren aufgrund ihrer
- Rasse (der Begriff "Rasse" wird in Anlehnung an den Vertragstext der Genfer Flüchtlingskonvention verwendet),
- Nationalität,
- politischen Überzeugung,
- religiösen Grundentscheidung oder
- Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (als bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet)
außerhalb ihres Herkunftslands befinden und die den Schutz ihres Herkunftslands nicht in Anspruch nehmen können oder aufgrund der begründeten Furcht nicht in Anspruch nehmen wollen.
Beispiele für Handlungen, die als Verfolgung gelten können, sind:
- Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
- gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
- unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
- Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
- Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.“ [4]
Das Suffix „-ling“ wird teils als kleinmachend oder abwertend empfunden. Dies beruht auch auf seiner häufigen Funktion der Verkleinerung (Diminutiv). Die Wertung des Suffixes ist jedoch eher abhängig von der Sprachsensibilität des Einzelnen [5]. So gibt es sowohl negativ konnotierte Wörter mit der Endung „-ling“ (z.B. „Schreiberling“, „Wüstling“ etc.) als auch neutrale bis positiv besetzte Wörter („Liebling“).
Ein weiterer Kritikpunkt an der Bezeichnung „Flüchtling“ ist, dass diese sich nicht gendern lässt. Bei der Verwendung von „Geflüchtete“ wird außerdem durch die Ableitung vom Partizip „geflüchtet“ ein potenzielles Ende der Flucht angedeutet. Der Status „Flüchtling“ hingegen scheint aus sprachlicher Sicht auf unbegrenzte Zeit angelegt bzw. nicht endlich [6].
Darüber hinaus gibt es weitere sprachliche Alternativen wie „Menschen mit Fluchthintergrund“, „Menschen mit Fluchtgeschichte oder Fluchterfahrung“. Vorteil an dieser Wortwahl ist, dass die Menschen an sich im Vordergrund stehen und nicht die oft stigmatisierende Eigenschaft des Geflüchtetseins.
Ähnliche Diskussionen gab es beispielsweise rund um die Themenfelder Behinderung oder Migration. Hier wurden Alternativen wie „Menschen mit Behinderung“/„Menschen mit Beeinträchtigungen“ (alternativ zu „behinderte Menschen“) und „Menschen mit Migrationsgeschichte“ (alternativ zu „Migrantinnen und Migranten“) gewählt, welche sich größtenteils etabliert haben.
Ein Nachteil bei der Wahl solcher sprachlichen Alternativen bildet bei der Anwendung die Länge der Konstruktion. Auch besteht nicht immer Konsens darüber, welche Formulierung (Adjektiv oder Nominalisierung) am wenigsten stigmatisierend wirkt.
2.2 Geflüchtete
Der Begriff „Geflüchtete“ wird als Alternativbegriff für „Flüchtlinge“ verwendet. Da es kein juristischer Begriff ist, fallen unter „Geflüchtete“ auch Menschen, die keinen offiziellen Flüchtlingsstatus haben. Häufig wird der Begriff „Geflüchtete“ als Alternative für sprachliche Problematiken des Worts „Flüchtling“ verwendet (s.o.).
!! Grundsätzlich kann das Wort „Geflüchtete“ im alltäglichen Gebrauch verwendet werden. Um jedoch bestimmte rechtliche Status zu betonen, können die spezifischeren Begriffe wie zum Beispiel „Asylbewerberinnen und Asylbewerber“ oder „Menschen mit einer Duldung“ eingesetzt werden.
2.3 Asylbewerberinnen und Asylbewerber, Asylsuchende
Begrifflichkeiten wie „Asylbewerberinnen und Asylbewerber“ oder „Asylsuchende“ werden häufig synonym zum Wort „Flüchtling“ verwendet. Hier handelt es sich jedoch um rechtliche Begriffe, die ausdrücken, dass Geflüchtete sich im Asylverfahren befinden, also einen Antrag auf Anerkennung als politisch Verfolgte gestellt haben. Dementsprechend sagen die Begriffe etwas über den rechtlichen Status der Person und ihre damit einhergehenden möglichen Ansprüche z.B. hinsichtlich gesundheitlicher Leistungen aus [7].
2.4 Asylberechtigung
„Asylberechtigt und demnach politisch verfolgt sind Menschen, die im Falle der Rückkehr in ihr Herkunftsland einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung ausgesetzt sein werden, aufgrund ihrer
- Rasse (der Begriff "Rasse" wird in Anlehnung an den Vertragstext der Genfer Flüchtlingskonvention verwendet),
- Nationalität,
- politischen Überzeugung,
- religiösen Grundentscheidung oder
- Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (als bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet),
ohne eine Fluchtalternative innerhalb des Herkunftslandes oder anderweitigen Schutz vor Verfolgung zu haben.
Nicht jede negative staatliche Maßnahme - selbst, wenn sie an eines der genannten persönlichen Merkmale anknüpft - stellt eine asylrelevante Verfolgung dar. Es muss sich vielmehr einerseits um eine gezielte Rechtsgutverletzung handeln, andererseits muss sie in ihrer Intensität darauf gerichtet sein, die Betroffenen aus der Gemeinschaft auszugrenzen. Schließlich muss es sich um eine Maßnahme handeln, die so schwerwiegend ist, dass sie die Menschenwürde verletzt und über das hinausgeht, was die Bewohnerinnen und Bewohner des jeweiligen Staates ansonsten allgemein hinzunehmen haben.
Berücksichtigt wird grundsätzlich nur staatliche Verfolgung, also Verfolgung, die vom Staat ausgeht. Ausnahmen gelten, wenn die nichtstaatliche Verfolgung dem Staat zuzurechnen ist oder die nichtstaatliche Verfolgung selbst an die Stelle des Staates getreten ist (quasistaatliche Verfolgung).
Notsituationen wie Armut, Bürgerkriege, Naturkatastrophen oder Perspektivlosigkeit sind damit als Gründe für eine Asylgewährung gemäß Artikel 16a GG grundsätzlich ausgeschlossen.“ [8]
2.5 Subsidiärer Schutz
„Der subsidiäre Schutz greift ein, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht.
Subsidiär schutzberechtigt sind Menschen, die stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht und sie den Schutz ihres Herkunftslands nicht in Anspruch nehmen können oder wegen der Bedrohung nicht in Anspruch nehmen wollen. Ein ernsthafter Schaden kann sowohl von staatlichen als auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen.
Als ernsthafter Schaden gilt:
- die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
- Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
- eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.“ [9]
2.6 Menschen ohne Papiere, Menschen ohne Aufenthaltsstatus, irreguläre oder illegalisierte Migrantinnen und Migranten
Diese Wortgruppe beschreibt Menschen, die sich aus aufenthaltsrechtlicher Sicht illegal in einem Land aufhalten. Irreguläre Migrantinnen und Migranten sind Personen, die ohne eine Erlaubnis, z.B. Visum, in ein Land eingereist sind oder länger in einem Land bleiben, als ihre ursprüngliche Erlaubnis es vorsieht. Dies betrifft im Rahmen der Europäischen Union sogenannte Drittstatten. „In Deutschland und in der Begriffswahl der Europäischen Union bezeichnet man sie auch oftmals als ‚illegale Einwanderer‘, im Französischen spricht man von den ‚Sans Papiers‘ (‚ohne Papiere‘).“ [10] Die Zuschreibung „illegal“ wird häufig problematisiert, da sie Assoziationen zu „kriminell“ weckt [11].
Der Status „irregulär“ enthält hingegen einen zeitlichen Faktor. So können sich z.B. durch die Änderungen von Gesetzen oder durch Erlässe Änderungen ergeben, die dazu führen, dass eine Person einen regulären Aufenthaltsstatus erhält oder ihn verliert.
Hiervon sind auch abgelehnte Asylbewerberinnen und -bewerber betroffen. Aufgrund ihres rechtlichen Status haben sie eingeschränkte Ansprüche auf die Gewährung sozialer Leistungen und gesundheitlicher Versorgung [11, 12, 13].
2.7 Besonders schutzbedürftige Gruppen
Im Diskurs zum Thema Geflüchtete wird häufig von sogenannten „besonders schutzbedürftigen Gruppen“ gesprochen. Laut der EU-Aufnahmerichtlinie von 2013 besteht insbesondere für diese Personengruppen ein erhöhter Schutzbedarf:
- (unbegleitete) minderjährige Flüchtlinge
- Menschen mit Behinderungen
- Menschen mit schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen
- Schwangere und Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern
- Überlebende von Menschenhandel, Folter, Vergewaltigung und allen anderen Formen physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt
Die EU-Mitgliedstaaten sind durch die o.g. Richtlinie verpflichtet, die speziellen Bedürfnisse dieser vulnerablen Gruppen im Asylverfahren, in der Unterbringung etc. zu berücksichtigen. Dazu gehört zunächst auch die Feststellung, ob besondere Bedürfnisse vorliegen [14]. Die EU-Aufnahmerichtlinie trat im Juli 2013 in Kraft, den Mitgliedsstaaten wurde eine Umsetzungsfrist von zwei Jahren gewährt. Diese ist im Juli 2015 abgelaufen und aus Sicht der Europäischen Kommission in Deutschland jedoch nicht angemessen erfüllt worden. Die Kommission leitete ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Die EU-Richtlinie ist weiterhin nicht explizit ins Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) aufgenommen worden.
Allerdings werden laut AsylbLG § 6, Abs. 2: „Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes besitzen und die besondere Bedürfnisse haben, wie beispielsweise unbegleitete Minderjährige oder Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, (…) die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe gewährt.“
Eine systematische bundesweite Erfassung von besonders Schutzbedürftigen findet in Deutschland derzeit nicht statt und wird durch die Bundesregierung nicht als notwendig betrachtet. Sie verweist hier auf die Zuständigkeit der Bundesländer. Bezogen auf die gestellten Asylanträge lag bspw. der Anteil von minderjährigen Flüchtlingen 2016 bei 36,2 Prozent [15, 16].
!! Die Bedürfnisse von besonders schutzbedürftigen Geflüchteten sollten gerade in Bezug auf Angebote der Gesundheitsförderung und Prävention verstärkt berücksichtigt werden.
3. Kultursensibilität, Interkulturalität und Transkulturalität
3.1 Kultur und Kultursensibilität
„Kultursensibel“ ist eine Begrifflichkeit, die bisher besonders in Arbeitsfeldern wie der Patientenversorgung (vor allem der Pflege und Altenhilfe), der Psychologie oder der sozialen Arbeit verwendet wird.
Genauere, auch wissenschaftliche Begriffsdefinitionen sind dabei schwer zu finden. So müsste zunächst definiert werden, was genau unter dem Begriff „Kultur“ verstanden wird, auf die bezogen man sich sensibel verhalten sollte. Grundsätzlich gibt es eine Vielzahl an unterschiedlichen Definitionen und Verständnissen von Kultur.
Diese reichen von normativen bis zu bedeutungs- und wissensorientierten Ansätzen. Häufig wird „Kultur“ als Oberbegriff genutzt, der Aspekte wie Herkunft, Muttersprache und Religion umfasst [17]. Beiträge zur Kultursensibilität in Prävention und Gesundheitsförderung finden sich bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) [18], eine ausführlichere Herleitung in Betsch et al. [19].
Im Zusammenhang einer im Jahr 2017 durchgeführten Literatur- und Datenbankrecherche zu Gesundheitsförderungs- und Präventionsansätzen bei Menschen mit Migrationshintergrund und Auswertung der vorliegenden Evidenz fand auch eine Befragung von neun Expertinnen und Experten mit und ohne Migrationshintergrund aus Wissenschaft und Praxis statt [20]. Dabei wurden u.a. die Begriffe „Kultursensibilität“, „Migrationssensibilität“ und „soziokulturelle Sensibilität“ exploriert. „Kultursensibilität“ wurde kritisch betrachtet, weil dieser Begriff ein starres und vereinheitlichendes Verständnis der Kultur einer Bevölkerungsgruppe nahelege. Die Begriffe migrations- und soziokulturell sensibel werden hier bevorzugt. „Migrationssensibilität“ berücksichtigt Migrationsfaktoren wie Sprachkompetenzen, Herkunftsregion, Migrationsmotive und -umstände oder Aufenthaltsdauer und -status.
3.2 Soziokulturelle Sensibilität
„Soziokulturelle Sensibilität“ wird als noch weiter gehend verstanden. Dieser Begriff umfasst auch die Unterschiede zwischen sozialen Schichten, das Geschlechterverhältnis und die sozialen Netzwerke [20]. Hierbei kann es bedeutsam sein, neben der aktuellen Situation auch die Ausgangslage im Herkunftsland in den Blick zu nehmen.
„Die Berücksichtigung der Heterogenität innerhalb der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist eines der zentralen Themen in den Interviews. Den Expertinnen und Experten war es wichtig, darauf hinzuweisen, dass eine genaue Definition und Differenzierung der Zielgruppe sowohl nach Migrationsaspekten als auch sozialen Aspekten für die Planung notwendig sei. Je nach genauer Zielgruppendefinition kann ein gezieltes Angebot, beispielsweise für kürzlich angekommene Flüchtlinge, sinnvoll sein. In anderen Fällen ist eine interkulturelle Öffnung von etablierten Angeboten zu bevorzugen. Soziale Aspekte wie die Einbindung in soziale Netzwerke sind ebenfalls zu berücksichtigen. Während der Zugang zu sozial eingebundenen Personen zu Gruppenveranstaltungen, wie beispielsweise Kochkurse, gelingen kann, so ist der Zugang zu weitgehend isolierten Personen eher indirekt über Vertrauenspersonen zu erreichen.
In praktischer Hinsicht wird die soziokulturelle Sensibilität häufig durch mehrsprachige Informationsmaterialen, den Einsatz von Dolmetschern, den Einsatz von Gesundheitsmediatoren, den Einbezug von Übungsleiterinnen und Übungsleitern mit ähnlichem Migrationshintergrund und der Partizipation der Zielgruppe in der Entwicklung der Maßnahmen erreicht.“ [20]
Eine reine Fokussierung auf ethnische und kulturelle Zuschreibungen ist zu vermeiden. Sie würde eine unzulässige Reduktion komplexer sozialer Situationen und Probleme darstellen („Ethnisierung“, „Kulturalisierung“). Vielmehr sollten stets auch die sozialen Determinanten der Gesundheit wie z.B. die Armutsquoten und ungleichen Bildungschancen [21, 22] und die sozialen Rahmenbedingungen der Zielgruppe in der Konzeption, Projektplanung und täglichen Arbeit berücksichtigt werden.
!! In Anlehnung an die oben aufgeführten Definitionen kann „kultursensibel“ verstanden werden als Haltung, die auf Verständnis von Kulturen und Religionen beruht. Die Sensibilität liegt in der Aufmerksamkeit für die kulturellen und migrationsspezifischen Prägungen und Erfahrungen.
Die soziokulturelle Sensibilität liegt in der Aufmerksamkeit für die kulturellen und migrationsspezifischen Prägungen und Erfahrungen sowie für die soziale Lage und mögliche geschlechtsspezifische Bedürfnisse.
3.3 Interkulturalität und Transkulturalität
„Interkulturell“ bezieht sich im allgemeinen Sprachgebrauch auf die Interaktion zwischen Menschen verschiedener Kulturen. Eine kurze Definition von „Interkultureller Öffnung“ besagt: „Interkulturelle Öffnung ist ein Steuerungsinstrument der Organisationsentwicklung mit dem Ziel, der kulturellen Vielfalt der Gesellschaft gerecht zu werden.“ [23]
Der Prozess der interkulturellen Öffnung schließt auch eine bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur ein. Dabei geht es darum, die „Orientierung an der Mehrheitskultur als alleiniger Maßstab für das eigene Wahrnehmen und Handeln in Frage zu stellen und sich zu öffnen für die Begegnung mit Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung. Öffnung beschreibt dabei einen dauerhaften Prozess, der auch offen ist für eine Veränderung und Weiterentwicklung der eigenen Kultur.“ [24]
Das Konzept der Transkulturalität ist als ein Gegenentwurf zu Interkulturalität zu betrachten, da ihm ein weiteres, zeitgemäßes Kulturverständnis zugrunde liegt. Kulturen werden hier verstanden als heterogen, wandelbar und nicht klar voneinander zu trennen.
Dem Philosophen Wolfgang Welsch zufolge „[…] sind heutige Kulturen vor dem Hintergrund der Globalisierungsprozesse durch interne Differenziertheit und durch externe Austauschprozesse sowie Überlagerungen geformt. Die Vorsilbe „trans“ schließt dabei zwei Bedeutungen ein: „[einerseits], dass die heutige Verfassung der Kulturen jenseits der alten (der vermeintlich kugelhaften) Verfassung liegt und [andererseits] dass dies eben insofern der Fall ist, als die kulturellen Determinanten heute quer durch die Kulturen hindurchgehen, so dass diese nicht mehr durch klare Abgrenzung, sondern durch Verflechtungen und Gemeinsamkeiten gekennzeichnet sind.“ Dieser Ansatz basiert auf einem offenen, dynamischen und deterritorialisierten Kulturbegriff, wie er auch in den Kulturwissenschaften verstanden wird. Das Konzept der Transkulturalität trägt in der theoretischen Perspektive zu einer Auflösung bzw. „Entschärfung“ von kulturellen Differenzen bei, indem diese als temporäre, durchlässige und heterogene Phänomene betrachtet werden [25].
„Der transkulturelle Ansatz geht davon aus, dass sich kulturelle Systeme ständig wandeln und keine in sich geschlossenen Kulturkreise existieren. Stattdessen wird der kulturelle Referenzrahmen einer Gesellschaft von allen ihren Mitgliedern gestaltet.
Transkulturalität fokussiert nicht auf die Unterschiede, sondern auf die Gemeinsamkeiten von Personen aus verschiedenen Hintergründen. […] Die transkulturelle Gesundheitsförderung und Prävention […] will nicht ein spezifisches Modell der Prävention und Gesundheitsförderung für Personen mit Migrationshintergrund konstruieren. Vielmehr soll die professionelle Arbeit auf diesem Gebiet so weiterentwickelt werden, dass sie jederzeit auch auf die Bedürfnisse von Personen mit Migrationshintergrund angepasst und situationsgerecht ist.“ [26]
3.4 Interkulturelle und transkulturelle Kompetenz
„Transkulturelle Kompetenz ist dementsprechend die Fähigkeit, individuelle Lebenswelten in der besonderen Situation und in unterschiedlichen Kontexten zu erfassen, zu verstehen und angepasste Handlungsweisen daraus abzuleiten.“ [26] Die aus den Begriffen Inter- und Transkulturalität „abgeleiteten Ziele und Hauptaspekte der inter- und transkulturellen Kompetenz widersprechen sich allerdings nicht, sondern haben große Schnittmengen und können sich gegenseitig ergänzen“ [27]. Daher wurde die Verwendung des Begriffs „Kulturelle Kompetenz“ empfohlen.
In den USA wird in den „Standards“ der Begriff „Culturally and Linguistically Appropriate Services“ [28] geprägt und die WHO verwendet den Begriff der „cultural competency of services and policies“ [29]. Im Rahmen der Entwicklung der Health Promoting Hospitals wurde der Begriff “Task Force on Migrant Friendly & Culturally Competent Health Care“ (das Nachfolgeprojekt zu den vielzitierten “Migrant friendly Hospitals”) zu “Task Force Migration, Equity & Diversity (TF MED)” weiterentwickelt [30]. Diese Weiterentwicklung zu "Migration, Chancengleichheit und Diversität" verknüpft vertikale und horizontale Aspekte der sozialen Ungleichheit mit Diversität und verdeutlicht die Notwendigkeit der Kombination der Ziele Chancengleichheit und Diversitätssensibilität im Bereich der Migration.
!! Interkulturalität kann als eine bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen und eine Offenheit und Akzeptanz gegenüber anderen Kulturen verstanden werden.
Transkulturalität hingegen wird als übergreifend, offen und dynamisch verstanden und beschreibt eine Verflochtenheit der Kulturen, die auch durch Gemeinsamkeiten geprägt und nicht mehr klar voneinander abzugrenzen sind.
Die Herausforderung der kulturellen Kompetenz liegt darin, die besonderen Lebenswelten, Situationen und Kontexte zu erfassen und in den eigenen Handlungen zu berücksichtigen.
Dieses Glossar wurde von den folgenden derzeitigen und ehemaligen Mitgliedern der Arbeitsgruppe „Gesundheitsförderung mit Geflüchteten“ des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit zusammengestellt:
Svenja Budde, Prof. Lotte Kaba-Schönstein, Dorothee Michalscheck, Carola Pöhlmann, PD Dr. Erika Sievers, Dr. Anke Spura, Dr. Gabriele Trost-Brinkhues, Marcus Wächter-Raquet, Stefan Bräunling, Jennifer Hartl, Lea Winnig
Literaturverzeichnis
[1] Borde, Theda/Blümel, Stephan (2020): Gesundheitsförderung und Migrationshintergrund. In: BZgA (Hrsg.): Leitbegriffe der Gesundheitsförderung. Hier online abrufbar.
[2] Gräser, Silke (2018): Globale Gesundheit / Global Health. In: BZgA (Hrsg.): Leitbegriffe der Gesundheitsförderung. Hier online abrufbar.
[3] Statistisches Bundesamt (2017): Fachserie 1, Reihe 2.2 Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ergebnisse des Mikrozensus: Wiesbaden.
[4] Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2019): Flüchtlingsschutz. Hier online abrufbar.
[5] Stefanowitsch, Anatol (2012): Flüchtlinge und Geflüchtete. Hier online abrufbar.
[6] Kothen, Andrea (2016): Sagt man jetzt Flüchtlinge oder Geflüchtete? In: Pro Asyl (Hrsg.): Tag des Flüchtlings 2016: S. 24. Hier online abrufbar.
[7] Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit Brandenburg (2016): Zugang zum medizinischen Versorgungssystem und zu Angeboten der Gesundheitsförderung/Prävention für geflüchtete Kinder und Jugendliche in Brandenburg. Hier online downloadbar.
[8] Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2019): Asylberechtigung. Hier online abrufbar.
[9] Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2019): Subsidiärer Schutz. Hier online abrufbar.
[10] Bundeszentrale für politische Bildung (2007): Irreguläre Migration. Hier online abrufbar.
[11] Angenendt, Steffen (2008): Online-Handbuch Demografie: Irreguläre Migration: Begriffe, Konzepte und Entwicklungstrends. Diese Quelle ist online leider nicht mehr abrufbar (8.1.2021).
[12] Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. (2018): Leitfaden für Flüchtlinge in Niedersachen. Kapitel 12.5: Medizinische Versorgung. Hier online abrufbar.
[13] Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität (2017): Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papier. Aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze. Hier online abrufbar.
[14] European Asylum Support Office (2013): Richtlinie 2013/32/EU des europäischen Parlaments und des Rates zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes. Hier online abrufbar.
[15] Deutscher Bundestag (2017): Zur Lage von geflüchteten Menschen mit Behinderungen. Drucksache18/11603. Hier online abrufbar.
[16] Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. (BumF).
[17] Geiger, Ingrid Katharina/Razum, Oliver (2016): Migration und Gesundheit. In: Hurrelmann, Klaus/Razum, Oliver (Hrsg.): Handbuch Gesundheitswissenschaften. Weinheim und Basel: Beltz Juventa: 609-637.
[18] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (2017): Kultursensibilität in der gesundheitlichen Aufklärung. Kulturelle Unterschiede in der Kommunikation: Barrieren, Chancen, Lösungswege. In: BZgA (Hrsg.): Gesundheitsförderung Konkret Band 21. Hier online downloadbar.
[19] Betsch, Cornelia/Böhm, Robert/Airhihenbuwa, Collins O./Butler, Robb/Chapman, Gretchen B./Haase, Niels/Herrmann, Benedikt/Igarashi, Tasuku/Kitayama, Shinobu/Korn, Lars/Nurm, Ülla-Karin/Rohrmann, Bernd/Rothman, Alexander J./Shayitt, Sharon/Updegraff, John A./Uskul, Ayse K. (2016): Improving Medical Decision Making and Health Promotion through Culture-Sensitive Health Communication. Hier online abrufbar.
[20] GKV-Spitzenverband (2017): Literatur- und Datenbankrecherche zu Gesundheitsförderungs- und Präventionsansätzen bei Menschen mit Migrationshintergrund und Auswertung der vorliegenden Evidenz. Berlin. Hier online abrufbar.
[21] Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) (2015): WSI Verteilungsmonitor. Special Feature: Kinderarmut in Deutschland 2015. Hier online abrufbar.
[22] Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) GmbH (2019): Ungleiche Bildungschancen Fakten zur Benachteiligung von jungen Menschen mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem. Hier online abrufbar.
[23] Der Paritätische Wohlfahrtsverband Hamburg e.V. (2015): Kultursensible Selbsthilfe. Wege zur Interkulturellen Öffnung der Selbsthilfe am Beispiel des Hamburger Praxisprojektes. S.13.
[24] Niedersächsisches Ministerium für Inneres, Sport und Integration (2009): Interkulturelle Öffnung im Gesundheitswesen.
[25] Sinner, Kathrin (2011): Transkulturalität versus Multi- und Interkulturalität. Hier online abrufbar.
[26] Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention AT (2009): Transkulturelle Prävention und Gesundheitsförderung in der Schweiz. Grundlagen und Empfehlungen. Hier online abrufbar.
[27] Mews, Claudia/Schuster, Sylvie/Vajda, Christian/Lindtner-Rudolph, Heide/Schmidt, Luise E./Bösner, Stefan/Güzelsoy, Leyla/Kressing, Frank/Hallal, Houda/Peters, Tim/Gestmann, Margarita/Hempel, Linn/Grützmann, Tatjana/Sievers, Erika/Knipper, Michael (2018): Kulturelle Kompetenz und Global Health: Perspektiven für die medizinische Ausbildung - Positionspapier des GMA-Ausschusses Kulturelle Kompetenz und Global Health. In: GMS Journal for Medical Education: Vol. 35 (3): 9-17. Hier online abrufbar.
[28] Office of Minority Health - U.S. Department of Health and Human Services (2013): National Standards for Culturally and Linguistically Appropriate Services in Health and Health Care: A Blueprint for Advancing and Sustaining CLAS Policy and Practice. Hier online abrufbar.
[29] WHO (2017): Cultural Contexts of Health and Well-being. Culture matters: using a cultural contexts of health approach to enhance policy-making. Hier online abrufbar.
[30] Clinical Health Promotion Centre: Task Forces. Hier online abrufbar.
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