Handlungsempfehlungen des Kooperationsverbundes zur Stärkung von Kindern in belasteten Lebenslagen
In den vergangenen Jahren hat der Kooperationsverbund Kenntnisse und Erfahrungen dazu gesammelt, wie Kinder und Jugendliche in schwieriger sozialer Lage gesünder aufwachsen können. Er hat dieses Handlungswissen ausgewertet und die Umsetzung unterstützt. Diese Erfahrungen haben wir nun gebündelt. Die vorliegenden Handlungsempfehlungen richten sich an politische Entscheidungsträger, insbesondere in den Kommunen, und an alle, die gesundes Aufwachsen unterstützen können. Alle Kinder und Jugendlichen brauchen für ihre Entwicklung gute Gesundheitschancen.
Die Erfahrungen des Kooperationsverbunds zeigen, wie Jungen und Mädchen in ihren Lebenswelten erfolgreich Anregungen und Chancen für die Entwicklung ihrer Potentiale bekommen können - ob in der Familie, im sozialen Umfeld, in der Kindertagesstätte oder der Schule. Der Kooperationsverbund hat anhand von zwölf Qualitätskriterien Good Practice-Angebote identifiziert, denen es gelungen ist, besonders belastete Kinder und Familien in ihren Ressourcen zu stärken. Jungen und Mädchen können dadurch einen gesunden Lebensstil entwickeln. Ihnen eröffnen sich bessere Zukunftschancen. Diese Erfahrungen werden hier zusammengeführt. Dabei ist uns bewusst, dass es für eine entsprechende Umsetzung dieser Empfehlungen oft zusätzlicher Mittel bedarf, die den handelnden Akteuren und Institutionen derzeit keinesfalls durchweg zur Verfügung stehen. Daher ist die Etablierung stimmiger Rahmenbedingungen durch den Bund und die Länder, zu denen auch eine adäquate finanzielle Ausstattung zählt, Voraussetzung für ein umfassendes Tätigwerden der in diesen Handlungsempfehlungen genannten Akteure und Institutionen.
Verschiedene Partner haben sich 2003 auf Initiative der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA im Kooperationsverbund „Gesundheitliche Chancengleichheit“ zusammengeschlossen. Das Ziel: eine bessere und wirksamere Prävention für Menschen, die wegen ihrer sozialen Lage am stärksten auf Gesundheitsförderung angewiesen sind.
Die Partner des Kooperationsverbundes sind...
Gesundheit sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher nachhaltig verbessern!
Die meisten Jungen und Mädchen in Deutschland wachsen gesund auf. 15 bis 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben jedoch einen schlechteren Gesundheitszustand oder zumindest größere Risiken, krank zu werden (Bundesministerium für Gesundheit 2010: 7). Diese Kinder und Jugendlichen leben besonders häufig unter schwierigen sozialen Bedingungen. In ihrem Umfeld fehlen oft Anregungen und Unterstützung für ihre Entwicklung. Das kann sich von Geburt an negativ auf die aktuelle und künftige Gesundheit auswirken. Gesundheitliche Probleme wegen Armut können sich im Lauf des Lebens anhäufen. Besonders schwer wiegen Schädigungen schon im Mutterleib und im frühen Kindesalter (Dragano 2007: 19ff).
Was bedeutet es, schlechte Gesundheitschancen zu haben?
- Kinder und Jugendliche sind bereits gesundheitlich beeinträchtigt (Lampert et al 2010: 24ff).
- Sie haben geringere Chancen, sich erfolgreich zu entwickeln.
- Sie können weniger als andere Kinder Lebensstile und Schutzfaktoren ausbilden, die sie langfristig stärken.
- Sie erwerben mit geringerer Wahrscheinlichkeit die nötigen Lebenskompetenzen und einen guten Bildungsabschluss. Damit schwinden auch die Chancen auf eine gute Lebensperspektive, auf ein langes Leben in guter Gesundheit.
Je früher Prävention ansetzt, desto eher hilft sie auch gegen gesundheitliche Ungleichheit (Commission on Social Determinants of Health 2008: 51). Wissenschaftliche Belege zeigen, dass sich selbst Schädigungen in frühen Entwicklungsphasen noch ausgleichen lassen. So kann zum Beispiel eine spätere hohe Schulbildung frühkindliche Benachteiligung abschwächen (Dragano 2007: 24). Gesundheitsförderung und Prävention können also in jedem Lebensalter wirken. Sie tragen wesentlich dazu bei, dass Jungen und Mädchen all ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln können (RKI und BZgA 2008: 169ff).
Wenn Kinder und Jugendliche gesund aufwachsen sollen, müssen sie in jeder Phase gefördert werden (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen 2009). Sie brauchen Bewegung, Entspannung und gesunde Ernährung, aber auch die umfassende Förderung von Lebenskompetenzen (Bundesministerium für Gesundheit 2010: 11). Die Gesundheitsziele müssen in verschiedenen Lebenswelten oder „Settings“ wirken: Familie/Umfeld, Kindertagesstätte und Schule nennt das Nationale Gesundheitsziel „Gesund aufwachsen“.
Damit Kinder und Jugendliche gesund aufwachsen können, müssen unterschiedliche Akteure gemeinsam die Voraussetzungen dafür schaffen. Es gibt Angebote zur Gesundheitsförderung für jede kindliche Entwicklungsphase. Erfolgreich sind sie nur, wenn folgende Qualitätskriterien erfüllt sind:
Die Handlungsempfehlungen sind über einen Klick zu erreichen:
Die Erfahrungen im Kooperationsverbund sprechen zusammengefasst für die Realisierung von kommunalen Präventionsketten.
Damit Kinder gesund aufwachsen, dürfen neue Präventionsansätze nicht auf eine Altersphase beschränkt bleiben. Gerade sozial benachteiligte Jungen und Mädchen brauchen in ihrer Entwicklung eine Verzahnung gesundheitsfördernder Ansätze längs des Altersverlaufs. Good Practice-Beispiele zeigen, dass solche „Präventionsketten“ besonders effektiv sind. Das Projekt Mo.Ki - Monheim für Kinder etwa begleitet Schwangere, unterstützt junge Familien, fördert den Kindertagesstätten-Besuch sozial benachteiligter Kinder und hilft beim Übergang in Schule bzw. Ausbildung. Das minimiert Risiken und eröffnet neue Perspektiven. Denn für Kinder und Jugendliche ist es besonders belastend, wenn Übergänge scheitern, z.B. zwischen Schwangerschaft und junger Familie, Kindergarten und Schule, Schule und Ausbildung. Gesundheitsförderung braucht einen verlässlichen zeitlichen und fachlichen Rahmen, den Kommunen mit ihren Entscheidungen setzen können. Das sichert Synergien und Zusammenarbeit auch über Altersphasen hinaus. Diesen Rahmen bieten kommunale Präventionsketten. Sie verbessern nachhaltig Gesundheit und Entwicklungschancen und bündeln Ressourcen.
Der Kooperationsverbund kann kompensatorisch Gesundheit dort stärken, wo der Bedarf am größten ist. Er kann nicht die erforderlichen politischen Bedingungen schaffen. Zwischen Gesundheit und Armut besteht ein enger Zusammenhang: Wenn zum Beispiel Sozial- und Bildungspolitik die soziale Lage der Menschen verbessern, wirkt das unmittelbar gesundheitsförderlich (Bundesministerium für Gesundheit 2010: 8). Politischer Handlungsbedarf sollte auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zielgerichtet angegangen und die Wirkung ergriffener Maßnahmen überprüft werden. Mittel des Bundes, der Länder, Kommunen und Krankenkassen müssen in Zukunft stärker konzentriert werden, um Kinder, Jugendliche und Familien mit den größten Risiken und sozialen Belastungen wirksam zu fördern (RKI und BZgA 2008: 155f).
Der Kooperationsverbund leistet mit den Handlungsempfehlungen fachliche und konkrete Beiträge zu folgenden Programmen:
- Er trägt bei zur „Strategie der Bundesregierung zur Förderung der Kindergesundheit“ (Bundesministerium für Gesundheit 2008).
- Er präzisiert Mittel und Methoden gegen gesundheitliche Ungleichheit, die das nationale Gesundheitsziel „Gesund aufwachsen: Lebenskompetenz, Bewegung, Ernährung“ bekämpfen will (Bundesministerium für Gesundheit 2010).
- Er stärkt die Gesundheitsförderung im Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“.
Die Good-Practice-Erfahrungen zeigen: Es gibt schon viele positive Beispiele. Doch sie müssen sich weiter verbreiten. Die Partner des Kooperationsverbundes sind sich darüber einig, dass das Niveau und die Qualität der Gesundheitsförderung in den Einrichtungen insgesamt erhöht werden sollte.
- Professionelle in den Einrichtungen sind gefordert, Eltern und Kindern stets respektvoll zu begegnen und sie an der Gestaltung des Alltags mehr zu beteiligen.
- Institutionen und Träger von Einrichtungen können dazu beitragen, die Einrichtung und ihre Arbeit gesundheitsförderlich zu gestalten. Dazu braucht es Leitbilder, Qualifizierungsangebote (z.B. die Good Practice-Werkstatt Kita), Beteiligungsmöglichkeiten und ausreichende Ressourcen.
- Wichtig ist auch die Perspektive: Gesundheitsförderung sollte nicht als ein zu ergänzendes Thema betrachtet werden. Sie ist Bestandteil und Qualitätsmerkmal individueller Förderung und sollte in der jeweiligen fachspezifischen Ausprägung als solche erkannt und benannt werden.
- Gesundheitsförderung sollte fest zur Aus-, Fort- und Weiterbildung der Professionellen gehören und Bestandteil der relevanten Fachgesetze und -programme sein.
Von einer solchen Verbesserung profitieren alle - Jungen und Mädchen, Eltern und letztlich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen.