Gesundheit sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher
Stand: September 2019
Soziale Benachteiligung und schlechte Gesundheitschancen bei Kindern und Jugendlichen bedeuten:
Auswirkungen auf die Frühkindliche Entwicklung
- Gesundheitsprobleme sowie psychische und soziale Auffälligkeiten treten bereits im frühen Kindesalter auf (RKI, 2018).
Entwicklung von Ressourcen
- Eingeschränkte Möglichkeiten, personale Ressourcen (wie z.B. eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung oder Gesundheitskompetenz) zu entwickeln sowie auf soziale und familiäre Ressourcen zurückzugreifen (RKI, 2010).
- Einschränkungen der sozialen Teilhabe (Bertelsmann Stiftung, 2017)
Auswirkungen auf die psychische Gesundheit
- Höheres Risiko, psychische und Verhaltensauffälligkeiten zu entwickeln: Beispielsweise wird ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Störung) deutlich häufiger bei Kindern mit niedrigem sozialem Status als bei Kindern mit hohem sozialem Status diagnostiziert (6,0 zu 2,9%). Unter Betrachtung der geschlechtlichen Unterschiede wird deutlich, dass Jungen mit 19,1 % häufiger Anzeichen für psychische Auffälligkeiten zeigen als Mädchen (14,5%) (RKI, 2018).
Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen
- Seltenere Inanspruchnahme von Früherkennungsuntersuchungen und zahnärztlichen Kontrolluntersuchungen (RKI, 2015)
Risiko, an Übergewicht und Adipositas zu leiden
- Höheres Risiko, an Übergewicht und Adipositas (starkes Übergewicht) zu leiden: Jungen aus sozial benachteiligten Familien weisen eine 4,1-fach höhere Adipositas-Häufigkeit auf und Mädchen eine 4,4-fach höhere Wahrscheinlichkeit an Adipositas zu leiden, als die Jungen und Mädchen aus Familien mit sozioökonomisch höherem Status (RKI, 2018).
Wohn- und Umweltbedingungen
- Höhere Wahrscheinlichkeit, unter umweltbezogenen Belastungen aufzuwachsen: Beispielsweise sind Kinder und Jugendliche mit niedrigem sozioökonomischem Status viermal so häufig einer häuslichen Rauchbelastung durch Passivrauchen ausgesetzt wie Kinder und Jugendliche mit hohem sozioökonomischen Status (26,4 % zu 8,2 %) (GBE, 2015). Hinzu kommt, dass besonders Familien mit niedrigem sozialem Status an stark befahrenen Haupt- und Durchgangsstraßen wohnen und damit erheblichen Lärmbelastungen ausgesetzt sind. Krankheiten wie Bronchitis, Lungenentzündung und Nasennebenhöhlenentzündung bei Kindern stehen nachweislich mit einem erhöhten Autoverkehr in benachteiligten Wohnlagen in Zusammenhang (Gottschalk et al., 2011).
Unfälle im Straßenverkehr
- Höheres Risiko, im Straßenverkehr einen Unfall zu haben: Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die einen Straßenverkehrsunfall hatten, beläuft sich bei Heranwachsenden mit niedrigem Sozialstatus auf 11% und bei Heranwachsenden mit hohem Status auf 5% (RKI, 2010).
Bildungsabschluss
- Geringere Chancen, einen guten Bildungsabschluss zu erwerben (DKHW, 2018; BMAS, 2017)
- Freizeitverhalten von Kindern vor dem Schuleintritt: Seltenere Teilnahme an außerhäuslichen Aktivitäten (BMAS, 2017).
Handlungsansätze: Was ist zu tun?
Um der gesundheitlichen Ungleichheit bei Kindern und Jugendlichen zu begegnen, stellen Maßnahmen der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung eine entscheidende Strategie dar.
Es gibt bereits zahlreiche Ansätze, den Folgen sozialer Ungleichheit entgegen zu treten, z.B. im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe, Jugendsozialarbeit und in den letzten Jahren verstärkt durch Unterstützungsangebote im Rahmen der Frühen Hilfen. Aber auch der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab dem 3. Lebensjahr, Entwicklungen in den Bildungsprogrammen der Länder und Schulreformen sowie Programme wie z.B. Soziale Stadt bieten die Möglichkeit, die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen in schwieriger sozialer Lage zu verbessern.
Aufgabe der gesundheitsförderung ist es, sich stärker mit den bereits bestehenden Ansätzen und Anbietern zu vernetzen und dazu zu motivieren, das Thema „Gesundheit“ in die Aktivitäten zu integrieren. Die zentralen Herangehensweisen, um nachhaltige Wirksamkeit von Angeboten sicherzustellen, sind die Ressourcenorientierung und die Partizipation sowie die Verankerung in Lebenswelten („Settings“). Eine große Anzahl von Beispielen guter Praxis (» „Good Practice“, www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/good-practice) zeigt in vielfältiger Weise, wie dies gelingen kann. Gesundheitsförderung sollte als eine Querschnittsaufgabe gemeinsames Ziel fachlichen Handelns sein.
Handlungsansätze zur Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen sollten im Sinne integrierter kommunaler Strategien („Präventionskette“) Angebote entlang des Lebenslaufs miteinander verzahnen und so ein tragfähiges Netz unterstützender Maßnahmen in Kommunen weben. Je früher die Angebote einsetzen, desto eher sind sie in der Lage, Ressourcen zu stärken, Risiken zu minimieren und neue Perspektiven aufzuzeigen. Dabei ist es wichtig, für jede Lebensphase und deren spezielle Herausforderungen spezifische Angebote zu entwickeln und die Übergänge zwischen den Lebensphasen in den Blick zu nehmen.
Mit Hilfe der Erfahrungen aus den Good Practice-Projekten hat der Kooperationsverbund allgemeine, aber auch auf die jeweiligen Lebensphasen und Übergänge abgestimmte Handlungsempfehlungen und Umsetzungsstrategien zur Verbesserung der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in schwieriger sozialer Lage gebündelt. Die vom Beratenden Arbeitskreis des Kooperationsverbundes entwickelten zwölf Good Practice-Kriterien dienen dabei als Qualitätswegweiser, um Angebote auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abzustimmen. Die Handlungsempfehlungen werden im Rahmen des kommunalen Partnerprozesses "Gesundheit für alle" umgesetzt.
Literatur
- Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2012). Folgen unzureichender Bildung für die Gesundheit. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. Verfügbar hier.
- Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2017). Armutsmuster in Kindheit und Jugend, Längsschnittbetrachtungen von Kinderarmut, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. Verfügbar hier.
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) (2013). Lebenslagen in Deutschland. Der Vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Bonn. Verfügbar hier.
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) (2017). Lebenslagen in Deutschland. Der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Bonn. Verfügbar hier.
- Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMSFJ) (Hrsg.) (2009). 13. Kinder- und Jugendbericht, Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen - Gesundheitsbezogene Prävention und Gesundheitsförderung in der Kinder- und Jugendhilfe. Verfügbar hier.
- Bundesministerium für Gesundheit (BMG) (Hrsg.) (2010). Nationales Gesundheitsziel. Gesund aufwachsen: Lebenskompetenz, Bewegung, Ernährung. Berlin: BMG. Verfügbar hier.
- Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.) (2008). Strategie der Bundesregierung zur Förderung der Kindergesundheit. Berlin: BMG. Verfügbar hier.
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.) (2011). Kriterien guter Praxis in der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten [5. Auflage]. Köln: BZgA. Verfügbar hier.
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.) (2011). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention: Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden. Werbach-Gamburg: Verlag für Gesundheitsförderung. Verfügbar hier.
- Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) (2017). Lenze, Anne: Kinder und Armut: Was macht Familien arm? Verfügbar hier.
- Deutsches Kinderhilfswerk (DHKW) (Hrsg.) (2018). Kinderreport 2018, Rechte von Kindern in Deutschland. Verfügbar hier.
- Gottschalk, C., Fleischer, J., Gräfe, L., Sobottka, A., Oppermann, H., Benkwitz, F. (2012) Belastung einzuschulender Kinder mit Umweltschadstoffen. Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Robert Koch-Institut (RKI), Umweltbundesamt (UBA) (Hrsg.). Berlin. Verfügbar hier.
- Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) (Hrsg.) (2011). Materialien zu Frühen Hilfen - Kosten und Nutzen Früher Hilfen. Köln: NZFH.
- Richter, M., Hurrelmann, K., Klocke, A., Melzer, W. & Ravens-Sieberer U. (Hrsg.) (2008). Gesundheit, Ungleichheit und jugendliche Lebenswelten. Ergebnisse der zweiten internationalen Vergleichsstudie im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation. Weinheim und München: Juventa-Verlag.
- Robert-Koch-Institut (Hrsg.) (2010). Gesundheitliche Ungleichheit bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Berlin: RKI. Verfügbar hier.
- Robert-Koch-Institut (RKI) (2015). Gesund aufwachsen - Welche Bedeutung kommt dem sozialen Status zu? GBE kompakt 01/2015, Berlin. Verfügbar hier.
- Robert Koch-Institut (Hrsg.) (2018). Journal of Health Monitoring · KiGGS Welle 2 - Gesundheitliche Lage von Kindern und Jugendlichen, September 2018, Ausgabe 3, Robert KochInstitut, Berlin. Verfügbar hier.
- Weltgesundheitsorganisation (Hrsg.) (2004). Soziale Determinanten von Gesundheit: Die Fakten [2. Auflage]. Verfügbar hier.
- Weltgesundheitsorganisation (Hrsg.) (2012). Social determinants of health and well-being among young people, health behaviour in school-aged children (HBSC) study: International report from the 2009/2010 survey. Verfügbar hier.