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Angebotsdarstellung

Good Practice

Veröffentlichung: 2011

Eigenwillig

Kurzbeschreibung mit Zielen und Maßnahmen


© FPZ_RGB

Dank der guten Ergebnisse des Projektes „Eigenwillig“ des Hamburger Familienplanungszentrums (FPZ) wurde das Angebotsspektrum des FPZ gezielt für Menschen mit Lernschwierigkeiten erweitert. Sie werden in ihrer Sexualentwicklung unterstützend begleitet und zu einer verantwortungsbewussten und selbstbestimmten Haltung ermutigt. Auch Akteure der Behindertenhilfe, können sich zum Umgang mit diesen Themen beraten und weiterbilden lassen.

In der Region Hamburg gab es bis zum Projektstart kein spezifisches Beratungsangebot, das Menschen mit Behinderungen hinreichend berücksichtigt. Kooperationspartner sind verschiedene Träger aus der Behindertenhilfe und anderen Beratungsstellen. Das Projekt lief von Oktober 2008 bis September 2010. Finanziert haben es die Aktion Mensch, das Hamburger Spendenparlament und die Andrea-Brudermüller-Stiftung. Nach Ende der Laufzeit wurde das Angebot in das Regelangebot des Familienplanungszentrums integriert. Das multiprofessionelle Team bietet jetzt auch Fachberatungen rund um Sexualität, Gesundheit, Familienplanung zielgruppengerecht, in leichter Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten an. Dieses Vorgehen hat dazu beigetragen, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten eigenständiger und selbstbestimmter sich für ihre Sexualität und Gesundheit einsetzen und hat Fachkräfte und Angehöriger sensibilisiert und informiert.

Dokumente zur Darstellung des Angebotes


Kontakt

Frau Annica Petri
Bei der Johanniskirche 20
22767 Hamburg (Hamburg)

Telefon: 040 / 4392722

E-Mail: petri(at)familienplanungszentrum.de

Website: http://www.familienplanungszentrum.de


Projektträger

Familienplanungszentrum Hamburg e.V.
Bei der Johanniskirche 20
22767 Hamburg


Hintergrund

Bundesweit liegen seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention am 26. März 2009 neue Rahmenbedingungen vor, die auf eine gleichberechtigte, selbstbestimmte Teilhabe behinderter Menschen abzielen und nicht mehr auf Fürsorge oder Rehabilitation. Die soziale Teilhabe von Menschen mit Lernschwierigkeiten ist eingeschränkt: Sie haben erschwerten Zugang zum Hilfesystem und zur Gesundheitsversorgung, auch ihre Bildungschancen sind weiterhin geringer als die von Menschen ohne Lernschwierigkeiten. Eine systematische Berichterstattung zur sozialen Lage von Menschen mit Behinderung liegt weder auf Bundesebene noch in der Mehrzahl der Länder vor. Die zur Verfügung stehenden statistischen Angaben in Bezug auf die Anzahl der Menschen mit Behinderungen und Lernschwierigkeiten sind vage und stellen nur eine Annäherung dar. Es gibt keine Informationen über die Anzahl der Menschen mit geistiger Behinderung und Lernbeeinträchtigung, die in Hamburg leben.

Laut dem Familienratgeber der Aktion Mensch bestehen jedoch 162 Wohngruppen in Hamburg und allein der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für Behinderte Menschen e.V. gehören 63 Mitgliedsverbände an. Diese bieten Tagesstätten, Wohngruppen und Sozialdienste für die ambulante Betreuung und Unterstützung für Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen an. In vier Werkstätten für behinderte Menschen in Hamburg stehen insgesamt circa 3.500 Arbeitsplätze zur Verfügung. Ferner arbeiten Menschen mit Behinderungen in Tagesstätten verschiedener Träger. Entgelte zwischen 73 und 250 Euro im Monat beziehungsweise ein Stundenlohn von drei bis vier Euro erlauben Rückschlüsse auf die geringen finanziellen Mittel der meisten Betroffenen.

Mit zunehmender Tendenz, Menschen mit Lernschwierigkeiten ambulant zu betreuen, nehmen diese mehr und mehr ihr Recht auf selbstbestimmte Sexualität wahr und äußern einen deutlichen Aufklärungs- und Beratungsbedarf. Schon vor Projektantrag gab es im FPZ einen steigenden Wunsch nach entsprechenden Beratungen. Die Verbesserung des Zugangs zur gesundheitlichen Versorgung erfordert eine besondere Sensibilität, um bedarfsgerechte Angebote bereitzuhalten. Die Niedrigschwelligkeit der Zugänge spielt hier eine besondere Rolle.

Damit steigt auch der Fortbildungsbedarf von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Behindertenhilfe an. Diese Entwicklungen bemerkte das Team des FPZ in seiner praktischen Arbeit. Das Angebot „Eigenwillig“ wurde aus dem Praxisleitfaden „Liebe(r) selbstbestimmt“ der AWO entwickelt. Bei der Leitfadenerarbeitung wurde der Blick auf die Bedarfe von Menschen mit Behinderungen geschärft und die Nachhaltigkeit der begonnenen Initiative auf regionaler Ebene angesteuert. Das Familienplanungszentrum war an der Entwicklung aktiv beteiligt und passte das Konzept anschließend auf regionaler Ebene an und entwickelte es weiter.


Ziele und Zielgruppen

Die Zielgruppen des Projekts „Eigenwillig“ waren primär Jugendliche und Erwachsene mit Behinderungen, die laut Schwangerenkonfliktgesetz §§ 2, 5 und 6 Beratungsbedarf haben. Vor allem werden Menschen mit Lernbeeinträchtigungen und sogenannten geistigen Behinderungen, „Menschen mit Lernschwierigkeiten“, berücksichtigt (http://www.people1.de/was_mensch.html). Das Netzwerk People First lehnt die Formulierung „Menschen mit geistigen Behinderungen“ als diskriminierend ab und ruft dazu auf, stattdessen den Begriff „Menschen mit Lernschwierigkeiten“ zu benutzen. Dieser Wortwahl schließt sich das Familienplanungszentrum Hamburg an. Die meisten Ratsuchenden verfügen über wenig finanzielle Ressourcen, arbeiten in Behinderten-Werkstätten und erhalten ein sehr geringfügiges Einkommen.

Des Weiteren richtet sich das Projekt an Angehörige und Fachkräfte aus der Behindertenhilfe in Hamburg und Umgebung.

Ziel ist es, ein qualifiziertes, regionales Fachberatungsangebot zu installieren. Inhalte der Beratungsangebote sind Fragestellungen rund um die Gesundheit: Sexual- und Körperaufklärung, Verhütung und Familienplanung. Dadurch sollen Menschen mit Lernschwierigkeiten unterstützt werden, ihre Rechte auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und selbstbestimmte Sexualität zu verwirklichen und Zugang zu Beratung und Information zu erhalten.


Vorgehen

Das Projekt „Eigenwillig“ setzt sich aus den Bausteinen Konzeptentwicklung, Planung und Durchführung von regionalen Fachberatungen, Aufbau eines regionalen Kooperationsnetzwerkes und Entwicklung von Arbeitshilfen zusammen. Die Weiterbildung aller Mitarbeiterinnen des Familienplanungszentrum (FPZ) war zudem ein zentraler Schwerpunkt des Projektes zur Implementierung des Angebotes.

Das multiprofessionelle Team des FPZ bietet Einzel-, Paar- oder Gruppenberatungen, Fortbildungen und gynäkologische Untersuchungen für Menschen mit Lernschwierigkeiten und für deren Eltern an. Fortbildungen und Fachberatungen werden zudem für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren unter anderem aus der Behindertenhilfe und den Schulen durchgeführt.

Das Projektteam setzt sich aus einer Sexualpädagogin, einem Diplom- und Sexualpädagogen und einer Frauenärztin zusammen; zusätzlich war von Anfang an das gesamte Team des Familienplanungszentrums einbezogen, darunter Ärztinnen, Psychologinnen, Diplom- und Sozialpädagoginnen, Krankenschwestern und Mitarbeiterinnen für Organisation und Verwaltung. Finanziert wurde das Projekt aus verschiedenen Quellen, zum größten Teil über die Aktion Mensch. Der Eigenmittelanteil wurde über das Hamburger Spendenparlament und die Andrea-Brudermüller-Stiftung gesichert.

Häufig meldeten Fachkräfte der Behindertenhilfe die Betroffenen im FPZ an. Im Laufe des Projektes wandten sich diese aber auch zunehmend selbst mit ihren Fragen zu Sexualität und Familienplanung an das FPZ.

Bereits beim telefonischen und persönlichen Erstkontakt vereinfacht die Wahl der Leichten Sprache die Kommunikation. Der flexible Einsatz anschaulicher Arbeitshilfen in den Beratungen ermöglicht es beispielsweise, Körpervorgänge vorstellbarer zu machen.

Durch den geschlechtsspezifischen Ansatz werden besondere Bedarfe von weiblichen oder männlichen Personen in der Arbeit des FPZ sichergestellt. So können Ratsuchende entscheiden, ob sie durch eine Frau oder einen Mann beraten werden wollen. Das ist besonders für die Kommunikation über intime Themen wichtig. Seminare und Fortbildungen leiten immer ausschließlich weibliche oder männliche Mitarbeiter. Bei der Zusammenstellung von Materialien werden geschlechtsspezifische Aspekte berücksichtigt.

Die Menschen mit Lernschwierigkeiten wurden und werden auch weiterhin direkter durch neu entwickelte Flyer in leicht verständlicher Sprache angesprochen, die zielgruppengerecht gestaltet sind (mehr Informationen zu Leichter Sprache unter www.people1.de). Ferner kommen Klienten, die die Beratung schon einmal in Anspruch genommen haben, aus eigener Initiative wiederholt ins FPZ. Die Beratung soll Menschen mit Lernschwierigkeiten in ihrer Entwicklung zu einer verantwortungsvollen und selbstbestimmten Sexualität begleiten und in die Lage versetzen, Entscheidungen selbst zu treffen. Themen sind sexualpädagogische, medizinische und psychologische Beratungen, soziale Hilfen und Schwangerschaftskonflikte.

Im Projektzeitraum von Oktober 2008 bis September 2010 wurden 115 Einzel-, Paar- und Gruppenberatungen geführt. In 65 Prozent der Fälle kamen Menschen mit Lernschwierigkeiten, in 21 Prozent Unterstützerinnen und Unterstützer, in 17 Prozent Angehörige und in vier Prozent Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. In einzelnen Beratungen wurden sowohl Menschen mit Lernschwierigkeiten als auch Angehörige oder Unterstützerinnen bzw. Unterstützer mit eigenen Anliegen erreicht. Diese wurden innerhalb einer Beratung statistisch als zwei verschiedene Zielgruppen getrennt erfasst. Die Addition ergibt daher 107 Prozent.

Begleitet wurde das Projekt von 73 Fortbildungen, Vorträgen, Teamfachberatungen, einer Fachtagung sowie diversen Kurzveranstaltungen, an denen insgesamt 1009 Personen teilnahmen.

Die Dauer der Fachberatungen für Menschen mit Lernschwierigkeiten lag meistens zwischen 30 und 60 Minuten. Bei jeweils circa 20 Prozent dauerte die Beratung weniger als 30 oder mehr als 60 Minuten. Diese Zeiten weichen im Vergleich zu den restlichen Beratungsgesprächen im FPZ nur gering nach oben hin ab.

Die personenbezogenen Dokumentationen der Beratungsstelle sind streng vertraulich, Ergebnisdokumentationen der Beratungsgespräche existieren nicht. Viele Menschen mit Lernschwierigkeiten geben zum Ende der Beratungen zu verstehen, dass sie wichtige, anschauliche Informationen zu Körpervorgängen und Fragen der Familienplanung erhalten und verstanden haben, nicht wenige zum ersten Mal. Viele fühlen sich erstmalig mit ihren Fragen zu gesundheitsbezogenen Themen wie Kinderwunsch, Elternschaft und Empfängnisverhütung, aber auch zu Fragen der sexuellen Orientierung und Partnerschaft gesehen und ernst genommen.


Good Practice in

Nachhaltigkeit

Sein innovativer Charakter als auch die Beständigkeit seiner Arbeit zeichnet das Projekt „Eigenwillig“ und das daraus entwickelte Regelangebot besonders aus.

Auf Landesebene ist das Projekt „Eigenwillig“ innovativ, da das Familienplanungszentrum (FPZ) die erste Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle Hamburgs ist, die dadurch ihr Angebot systematisch mit Blick auf die Zielgruppe verändert hat, um Menschen mit Lernschwierigkeiten den Zugang zu allen Beratungsinhalten zu öffnen. In Hamburg waren die Träger der Behindertenhilfe bis zum Projektstart zu sexualitätsbezogenen Themen nicht systematisch miteinander vernetzt. Diese entstehende Vernetzung auf dem Feld der Schwangerschaftskonfliktberatung und Behindertenhilfe ist ein weiterer innovativer und zugleich nachhaltiger Charakter von „Eigenwillig“, da der „Runde Tisch“ und ein Online-Wegweiser über das Projektende hinaus Bestand haben (siehe Abschnitt „Vernetzung“).

Innovation zeigt sich zudem in der Entwicklung und Erprobung von für die Praxis geeigneten Medien und Materialien, die es bis dahin nicht gab. So wurden zum Beispiel Texte in Broschüren, Ansagen auf dem Anrufbeantworter und Texte der Internetseite in leicht verständlicher Sprache formuliert. Anschauliche Modelle – wie zum Beispiel Darstellungen der Geschlechtsorgane mithilfe von Plüschmodellen in Lebensgröße – wurden angeschafft oder selbst angefertigt. Diese innovativen Arbeitshilfen werden auch nach Beendigung des Projektes in der Beratungstätigkeit eingesetzt. Dies macht die Beratung für Menschen mit Lernschwierigkeiten deutlich anschaulicher und unterstützt den Zugang zu familienplanerischen Angeboten nachhaltig.

Bereits jetzt lässt sich feststellen, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten zunehmend auch selbstständig, das heißt ohne Begleitung durch Unterstützerinnen und Unterstützer das Beratungsangebot wahrnehmen.

Das FPZ hat dem Inklusionsgedanken folgend kein gesondertes Projekt für Menschen mit Lernschwierigkeiten bereitgestellt. Vielmehr wurde die gesamte Struktur der Beratungsstelle so verändert, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten zu allen Themen eine kompetente Beratung erwarten können. Alle Mitarbeiterinnen sind nachhaltig fortgebildet in den Bereichen: „Sozialisationsbedingungen von Menschen mit Lernschwierigkeiten“, „Leichte Sprache“, „Kommunikation und Umgang mit besonderen Zielgruppen“, „Zugang und Einsatz von Arbeitshilfen“. Das gesamte interdisziplinäre Beratungsteam hat zwei interne Fortbildungen, alle drei Monate einen thematischen Input, verschiedene Fallbesprechungen und eine regelmäßige Begleitung der einzelnen Fachbereiche durchlaufen. Daher kann die Fachberatung interdisziplinär auch nach dem Projektabschluss im September 2010 fortgeführt werden, wenn auch in kleinerem Rahmen.

Neben der sprachlichen und strukturellen Umgestaltung bestehen zusätzlich im Blick auf die räumlichen Angebotsstrukturen nachhaltige Veränderungen. Es wurden zum Beispiel eine Treppenraupe, eine rollstuhlgerechte Toilette und Hinweisschilder zur Orientierung im Haus des FPZ eingerichtet. Dies sichert eine längerfristige Fortführung des Angebots (BZgA, 2010).

Empowerment

Das wesentliche Ziel des Projektes ist es, Menschen mit Lernschwierigkeiten ihr Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu gewähren. Sie sollen ein selbstbestimmtes Leben mit Partnerschaft, Sexualität und Familienplanung führen können. Die Beratung vermittelt außer den Sachthemen auch Informationen zum Recht auf selbstbestimmte Sexualität und sexuelle Bildung. Je nach persönlichem Anliegen und der Problemlage der Ratsuchenden kann auch eine praktische Unterstützung bei der Umsetzung dieses Rechtsanspruches erfolgen. Die Klientinnen und Klienten werden darin bestärkt, die eigenen Wünsche zu erkennen und diese selbst zu vertreten.

Der Erstkontakt erfolgt häufig über Fachkräfte aus der Behindertenarbeit. In der Praxis zeigt es sich, dass deren Anliegen nicht immer denen der Ratsuchenden entsprechen. Beide Interessen werden berücksichtigt: In der Regel kommt es zu zwei getrennten Beratungen, einer für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren und einer für die Menschen mit Lernschwierigkeiten. Die Kommunikation mit Letzteren erfolgt bereits in der Anmeldesituation in Leichter Sprache und direkt, nicht über die Unterstützer.

Die Ratsuchenden erfahren im Gespräch direkt von der Schweigepflicht der Beraterin oder des Beraters, auch gegenüber möglichen gesetzlichen Betreuern. Für viele ist diese Erfahrung neu. Beratungsinhalt und -verlauf richten sich nach den Wünschen der Ratsuchenden. Diese werden darin bestärkt, ihre eigenen Interessen wahrzunehmen und eigene Bedürfnisse auch gegenüber Unterstützern zu vertreten, selbst wenn sie von deren Interessen abweichen sollten.

Beispiel: Eine junge Frau wird zur Verhütungsberatung angemeldet, mit dem Anliegen der Unterstützer, ein sicheres Verhütungsmittel zu erhalten. In der Beratung stellt sich heraus, dass die Frau gar kein Interesse an heterosexuellem Genitalsex zeigt. Im Verlauf des Beratungsgespräches erzählt die Frau von Dingen, die sie mag und nicht will. Die Beraterin unterstützt die Frau darin wahrzunehmen, welche Berührungen sie mit wem gerne austauscht und wie sie eigene Wünsche und eigene Grenzen äußern kann. Sie wird darin bestärkt, auf ihre Gefühle zu vertrauen und darin, selbst bestimmen zu dürfen, was sie sexuell tut und was nicht. Sie will den Unterstützern sagen, dass sie jetzt kein Verhütungsmittel braucht.

Die Erfahrung, mit den eigenen Anliegen ernst genommen zu werden, führt häufig dazu, dass sie die Beratung fortan selbstständig aufsuchen, ohne Umwege über Multiplikatorinnen oder Multiplikatoren.

Die Fachkräfte benötigen jedoch ebenfalls eine angemessene Weiterbildung, da sie häufig verunsichert sind, wenn sie im beruflichen Alltag sexuelles Verhalten von Menschen mit Lernschwierigkeiten erleben oder unterstützend begleiten sollen. Die Stärkung von Unterstützerinnen und Unterstützern ist entscheidend, da sie die meisten Kontakte zu den Menschen mit Lernschwierigkeiten pflegen.

Multiplikatorinnen und Multiplikatoren organisieren sich mitunter selbst und treffen sich zum Austausch von Praxiserfahrungen und Fallbesprechungen.


Gesammelte Erfahrungen (Lessons Learned)

Eine offene Grundhaltung aller Projektbeteiligten ist erste Voraussetzung für die Verwirklichung eines solchen Projektes. Hilfreich waren ein intensiver Vorlauf und Raum für aufkommende Fragen und Diskussionen, unter anderem zu möglichen Schwerpunktverlagerungen des Arbeitsfeldes oder Berührungsängsten des Teams mit der Zielgruppe. Erfahrungen zeigen, dass diese Berührungsängste bei zunehmendem direktem Kontakt mit den Ratsuchenden immer geringer werden. Auch der Praxis- und Selbstreflexion ist in diesem Zuge immer Raum zu geben, um aufkommende Unsicherheiten zu klären und Einstellungen zu hinterfragen.

Beim Erstkontakt am Telefon und in der persönlichen Anmeldesituation braucht es noch etwas mehr Zeit und eine andere Konzentration, um das Anliegen der Menschen mit Lernschwierigkeiten klar zu erfassen und in die Kategorien der Beratungsstelle zu übersetzen, d.h. etwa praktisch die Frage zu klären, welche Kollegin für das geäußerte Anliegen die beste Ansprechperson darstellt. Handelt es sich bei dem Anliegen, das um Paarfragen und Kinderwunsch kreist, beispielsweise eher um eine psychologische Paarberatung, stehen eher medizinische oder sexualpädagogische Aspekte im Vordergrund. Die Beratungsanliegen werden als fließender erlebt, als Beratungsanliegen von Menschen ohne Lernschwierigkeiten.

Eine weitere wichtige Erkenntnis ist die, das die Kommunikation mit Menschen mit Lernschwierigkeiten jetzt durch ein „weniger ist mehr“ bestimmt ist. Vor dem Projekt neigten die Beraterinnen dazu, in unsicheren Momenten im Kontakt mit Menschen mit Behinderungen eher mehr zu reden, bei dem Versuch, sich durch möglichst viele Beispiele, gesprochene Bilder oder Antwortmöglichkeiten verständlich zu machen. Gelernt wurde, dass die Kunst meist eher darin liegt, langsamer und konzentrierter zu sprechen, sich auf Wesentliches zu beschränken. Gesprächspausen, Rückfragen und andere Methoden werden häufiger eingesetzt, um sich rückzuversichern, damit die Verständigung zufrieden stellend verläuft.

Der Einsatz von wenigen, sehr einfachen, zielgruppenspezifischen Materialien wirkt als Türöffner und ermöglicht schnell einen intensiven, persönlichen Kontakt als wichtige Voraussetzung für eine Beratung oder Gruppenarbeit zu sexualitäts- und gesundheitsbezogenen Themen. Der Verlauf einer Beratung und Gruppenarbeit ist oft weniger planbar und prozessorientierter als bei anderen Zielgruppen, gewinnt dadurch an Lebendigkeit.

Eine weitere Erfahrung ist, dass mehr Arbeitszeit und personelle Kapazitäten für die gesamte Projektabwicklung und die Brückenbildung zwischen Projektteam und gesamten Team benötigt wurden, als bei Projektantrag geplant war. Dies sollte bei der Projektstellung in ausreichendem Maße beachtet werden.


Literatur

Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen (2008). alle inklusive! Die neue UN-Konvention Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. URL: www.behindertenbeauftragter.de/cln_108/nn_1040386/SharedDocs/Publikationen/Broschuere__UNKonvention__KK,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Broschuere_UNKonvention_KK.pdf (14.02.2011).



Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.) (2010). Kriterien guter Praxis in der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten. Ansatz – Beispiele – Weiterführende Informationen. 4. erweiterte und überarbeitete Auflage. Köln.

Das Rauhe Haus: Arbeit und Förderung. URL: www.rauheshaus.de/betreuung/behindertenhilfe/2/ (14.02.2011).



Elbe-Werkstätten: Daten, Zahlen, Fakten. URL: www.ew-gmbh.de/data/ueber_uns/folgeseiten.php (14.02.2011).



Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für Behinderte Menschen e.V. Vereinigung der Selbsthilfeverbände behinderter und chronisch kranker Menschen, ihrer Freunde und Angehörigen. URL: www.lagh-hamburg.de (14.02.2011).



Menschen zuerst – Netzwerk People First Deutschland e.V. Leichte Sprache. URL: www.people1.de/was_halt.html (14.02.2011).



Menschen zuerst – Netzwerk People First Deutschland e.V. Menschen mit Lernschwierigkeiten. URL: www.people1.de/was_mensch.html (14.02.2011).



Winkler, G. (2003). Vorstellung des Berichts zur sozialen Lage von Menschen mit Behinderungen in Deutschland - 2003 -. URL: www.volkssolidaritaet.de/cms/vs_media/-p-11496.pdf (14.02.2011).


Laufzeit des Angebotes

Beginn: Oktober 2008

Abschluss: kein Ende geplant


Welche Personengruppe(n) in schwieriger sozialer Lage wollen Sie mit Ihrem Angebot erreichen?

  • Alleinerziehende in schwieriger sozialer Lage
  • Geflüchtete
  • Migrant/-innen in schwieriger sozialer Lage
  • Menschen mit Behinderung in schwieriger sozialer Lage
  • Schwangere in schwieriger sozialer Lage

Das Angebot richtet sich insbesondere an folgende Altersgruppen

  • Altersgruppenübergreifend

Das Angebot umfasst geschlechtsspezifische Angebote für

  • Jungen / Männer
  • Mädchen / Frauen
  • Andere Geschlechter

Schwerpunkte des Angebotes

  • Elternschaft / Schwangerschaft
  • Sexualität (Sexualaufklärung und -pädagogik); sexuelle Identität (Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie trans- und intergeschlechtliche Menschen)
  • Steigerung der Selbstständigkeit / Selbstbestimmung
  • Soziale Teilhabe (Integration, Inklusion)
  • Kommunale Strategie / Netzwerkarbeit

Das Angebot wird hauptsächlich in folgenden Lebenswelten umgesetzt

  • Kindertageseinrichtung / Kindertagespflege
  • Beratungsstelle

Qualitätsentwicklung

Wie dokumentieren Sie Ihre Arbeit? (z.B. Konzepte, Handreichung)

Quelle der Veröffentlichung/URL: Dokumentation nach Abschluss des Projektes

Es ist bereits ein Ergebnisbericht vorhanden.

Titel des Berichts bzw. Kurzbeschreibung: Abschlussbericht zur Projektphase

Die Qualitätsentwicklung und Ergebnissicherung sind nicht in ein Qualitätsmanagementsystem eingebunden.


Stand

10.04.2024

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