Übergänge und Transitionen: Bedeutung, fachliche Konzepte und Beispiele
Was sind Transitionen / Übergänge?
Übergänge bedeuten Veränderung!
Jeder Mensch erfährt im Laufe seines Lebens eine Vielzahl von biographischen Übergängen, beispielsweise der Übergang in die Grundschule oder der Einstieg in den Beruf. Diese sind in der Regel mit einem Abschied von Vertrautem verbunden und erfordern ein sich Einlassen auf Neues - neue Personen, neue Einrichtung, neue Abläufe. Übergänge stellen längerfristige Prozesse dar (» vgl. Griebel & Niesel, 2011) und sind sowohl für den Einzelnen/ die Einzelne als auch für sein/ ihr (soziales) Umfeld mit Veränderungen verbunden. In Abhängigkeit der Bewältigung können sie sich positiv oder negativ auf die individuelle Entwicklung auswirken. Dementsprechend kommt der Gestaltung von Übergängen in Forschung und Praxis unterschiedlicher Disziplinen, u.a. in der Anthropologie, Soziologie, Pädagogik, Psychologie und auch zunehmend in den Gesundheitswissenschaften, eine große Bedeutung zu.
Transitionsmodell nach Griebel und Niesel
Am Staatsinstitut für Frühpädagogik München (IFP) haben Griebel und Niesel das IFP-Transitionsmodell entwickelt, das die Übergänge der Bildungslaufbahn in den Blick nimmt. In Abgrenzung zu einem alltagssprachlichen Begriff des Übergangs wird darin „Transition“ als Fachbegriff eingeführt und auf Grundlage entwicklungspsychologischer Modelle1 wie folgt definiert:
„Transitionen sind Lebensereignisse, die die Bewältigung von Diskontinuitäten auf mehreren Ebenen erfordern, Prozesse beschleunigen, intensiviertes Lernen anregen und als bedeutsame biografische Erfahrungen von Wandel in der Identitätsentwicklung wahrgenommen werden.“ (» Griebel & Niesel, 2011, S. 37- 38)
Abgrenzung der Begriffe Übergang und Transition
Diese Begriffsbestimmung macht die Komplexität und Vielschichtigkeit von Übergängen und ihrer Bewältigung deutlich und grenzt damit „Transition“ als Übergangserleben bzw. Übergangsbewältigung vom „Übergang“ als Lebenslaufereignis und damit Bündel (sozialer) Anforderungen und Erwartungen ab. Wie in der Definition angedeutet, werden entsprechend des IFP-Transitionsmodells die durch Übergänge hervorgerufenen Veränderungen auf unterschiedlichen Ebenen verarbeitet:
Ebenen der Übergangsbewältigung
- der individuellen (Ebene des Einzelnen),
- der interaktionellen (Ebene der Beziehungen) und
- der kontextuellen Ebene (Ebene der Lebensumwelten).
Kind und Eltern als aktive Bewältiger von Übergängen
Damit wird die Bewältigung von Übergängen Einzelner innerhalb seines bzw. ihres sozialen, aber auch materiellen und kulturellen Lebenskontextes in den Blick genommen und erklärt. Dementsprechend werden Kinder und Eltern als diejenigen angesehen, die die Übergänge der Bildungslaufbahn aktiv bewältigen müssen.
Fachkräfte als Moderatorinnen und Moderatoren von Übergängen
„Erstmaligkeit und Einmaligkeit des Prozesses“ bestimmen Griebel & Niesel (» 2011, S. 37) als ein weiteres Merkmal von Transitionen. Daher sind beispielsweise beim Übergang von der Kindertagesbetreuung in die Grundschule Fach- und Lehrkräfte diejenigen, die die Transitionen von Kindern und Eltern fachkundig begleiten und unterstützen. Transitionen in diesem Sinne sind ko-konstruktive Prozesse. Das bedeutet, die durch Übergänge angestoßenen Lern- und Entwicklungsprozesse „werden in der Interaktion des Individuums mit der sozialen Umgebung“ (» Griebel & Niesel, 2011, S. 37) gestaltet. Der Transitionsansatz von Griebel & Niesel zielt darauf ab, Übergänge mit positiven Impulsen für die Entwicklung zu stützen. Das ist grundsätzlich kein neues Anliegen, insbesondere in der Berufsorientierung ist dieser Ansatz bereits länger etabliert. Neu ist der Blick auf weitere biographische Übergänge, wie der in den Kindergarten und vom Kindergarten in die Schule.
Welche Übergänge gibt es?
Definition Biographische oder Entwicklungsübergänge
Im Fokus des vorliegenden Papiers stehen biographische oder Entwicklungsübergänge im Kindes- und Jugendalter. Darunter werden Wendepunkte im Lebenslauf zu typischen Alterszeitpunkten gefasst (» Kalicki & Hüsken, 2012 und Boeger, 2002). Diese „sind sozial anerkannt, sozial geschaffen und werden sozial aufrecht gehalten“ (» Boeger, 2002, S. 1).
Normative und nichtnormative Übergänge
Im Hinblick auf ein gesundes Aufwachsen und im Sinne einer integrierten kommunalen Strategie sind nicht automatisch alle biografischen Übergänge potentiell belastende Lebensereignisse und damit für ein lückenloses Unterstützungssystem relevant. Das trifft unter anderem auf die Konfirmation und (freiwillige) Heirat zu. Allerdings können die folgenden Übergänge in Hinblick auf das Ausmaß an Veränderungen und den damit verbundenen Herausforderungen insbesondere für Familien mit geringen Ressourcen kritische Lebensereignisse darstellen:
- Übergang zur Elternschaft: Schwangerschaft und Familiengründung
- Übergang in die Kindertagesbetreuung
- Übergang von der Kindertagesbetreuung in die Grundschule
- Übergang von Grundschule in die weiterführende Schule
- Übergang in die Berufswelt
Spezifische Ansätze der Förderung und Unterstützung für Familien zur positiven Gestaltung von Übergängen
Dabei handelt es sich um normative, biographische Übergänge, die überwiegend institutionell an Jugendhilfe- und Bildungseinrichtungen angebunden sind (Krippe, Kindertagesstätte, Schule, Berufsschule, Hochschule). Aber auch Einrichtungen des Gesundheitswesen (Krankenhäuser, Geburtsklinken, Praxen von Hebammen, Gesundheitsämter, Arbeitsmediziner, Ärzte, Therapeuten etc.) und Betriebe sind beteiligt.
Zur positiven Gestaltung der Übergänge ist es erforderlich, jeweils spezifische Ansätze der Förderung und Unterstützung der Familien zu entwickeln und umzusetzen, um zielgruppenspezifisch und bedarfsgerecht deren Bewältigung zu unterstützen. Hier kann insbesondere der Setting-Ansatz der Gesundheitsförderung eine wertvolle Ergänzung zu den pädagogischen Konzepten der Übergangsbegleitung leisten (Beispiel: Berliner Landesprogramm „Kitas bewegen - für eine gute gesunde Kita“).
Welche Herausforderungen ergeben sich hinsichtlich der gesundheitsgerechten Gestaltung von Übergängen insbesondere für Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien?
Ungleiche Gesundheitschancen
In Abhängigkeit der sozialen Lage sind in Deutschland die Chancen auf ein gesundes Aufwachsen ungleich verteilt (» vgl. RKI & BZgA, 2008). Während ein großer Teil der Kinder und Jugendlichen gesund aufwächst, haben 15 bis 20 % deutlich schlechtere Gesundheitschancen. Sie leben unter schwierigen sozialen Bedingungen, sind stärkeren gesundheitlichen Risikofaktoren ausgesetzt und verfügen über geringere Bewältigungsressourcen (» vgl. BMG, 2010; RKI & BZgA, 2008; BMG, 2008). Diese Ausgangsbedingungen wirken sich auch auf die Bewältigung von Übergängen aus. Das „Kumulationsmodell“ geht davon aus, dass sich gesundheitliche Belastungen innerhalb eines Lebens aufsummieren (» vgl. Dragano, 2007). Insbesondere Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien sind einer Reihe gesundheitlich ungünstiger Einflussfaktoren ausgesetzt (» vgl. Modell der „Determinanten für Gesundheit“), die die Anhäufung sozialer und gesundheitlicher Risiken begünstigen. Das wiederum kann Einfluss auf die Bewältigbarkeit von Übergängen haben.
Impulsgebende Interventionen zur positiven Unterstützung der Übergangsbewältigung
Deutlich stellt den Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Gesundheit eines Kindes einerseits und der Bewältigung von Übergängen andererseits das sogenannte „Pfadmodell“ oder „Modell der Risikoketten“ (» vgl. Dragano, 2007 & Geene, 2012) heraus. In diesem Modell werden Übergänge als kritische Lebensereignisse angesehen, welche in Anhängigkeit von der sozialen Lage und Unterstützung positive oder negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben können. Um die gesundheitliche Entwicklung positiv zu unterstützen, bilden Impulsinterventionen eine besondere Herausforderung (» vgl. Geene, 2012). Impulsinterventionen sind Maßnahmen, die Menschen auf unterschiedlichen Wegen zu Gesundheitskompetenz (Health Literacy) befähigen sollen. Hier finden sich in Maßnahmen der soziallagenbezogene Gesundheitsförderung bereits viele gute Umsetzungsbeispiele. Neben niedrigschwelliger Beratung und Angeboten der partizipativen Gestaltung der Lebenswelten für die Familien (Good Practice-Beispiel: Marburger Gesundheitsnetzwerk für Kinder „mittendrin“) können impulsgebende Maßnahmen zum Aufbau stabiler sozialer Netzwerke (Good Practice-Beispiel: Eltern-AG) und Fortbildungen zu einer wertschätzenden Haltung für die Steuerungsebene die Übergangsbewältigung unterstützen.
Übergänge/ Transitionen in der Gesundheitsförderung
Die Einbindung aller Beteiligten und die intersektorale sowie interdisziplinäre Zusammenarbeit sind wichtige Bausteine der Gesundheitsförderung, um gesundheitliche Chancengleichheit herzustellen und unabhängig von der sozialen Lage die Voraussetzungen für ein gesundes Leben zu ermöglichen. Entsprechende Kernstrategien (Befähigen, Vermitteln, Vertreten) und Handlungsfelder (Entwicklung einer gesundheitsfördernden Gesamtpolitik, Schaffung gesundheitsförderlicher Lebenswelten, Unterstützung gesundheitsbezogener Gemeinschaftsaktionen, Entwicklung persönlicher Kompetenzen, Neuorientierung der Gesundheitsdienste) wurden in der Ottawa-Charta (» 1986) festgehalten und insbesondere der Ansatz der gesundheitsförderlichen Gesamtpolitik im Helsinki Statement (» 2013) vertieft. Der kommunale Partnerprozesses „Gesund aufwachsen für alle!“, welcher die Umsetzung integrierter kommunaler Strategien für eine gesundes Aufwachsen in den Mittelpunkt stellt, verfolgt diese Strategien und Handlungsfelder. Eine Präventionskette ist biographisch und damit lebensphasenübergreifend angelegt, basiert auf interdisziplinären und fachbereichsübergreifenden Netzwerken und geht lebensweltorientiert sowie partizipativ vor (» vgl. BZgA, 2013).
Beiträge gesundheitsförderlicher Perspektiven und Strategien zur positiven Gestaltung von Übergängen
Im Hinblick auf die positive Gestaltung von biographischen Übergängen stellt die Gesundheitsförderung eine Interventionsform mit viel Potenzial dar. Ausgehend von einer ressourcenorientierten Perspektive geht es darum, über die Verbesserung der Lebensbedingungen insbesondere von Menschen in schwieriger sozialer Lage in Kombination mit deren individueller Befähigung, eine Stärkung ihrer „gesundheitlichen Entfaltungsmöglichkeiten“ zu erzielen (» vgl. Hurrelmann & Laaser, 2006). Maßnahmen der Gesundheitsförderung zielen damit immer auch auf die „Stärkung individueller Fähigkeiten der Lebensbewältigung“ ab (» Hurrelmann, Klotz & Haisch, 2010, S.14). Zur erfolgreichen Bewältigung von Übergängen wird die sogenannte Transitionskompetenz als essentiell angesehen. Diese zu stärken, kann eine wichtige Aufgabe von Gesundheitsförderung sein.
Durch die Umsetzung des Settingansatzes ergeben sich eine Reihe von Chancen für die positive Gestaltung von biographischen Übergängen. Zum einen können über die genannten Lebenswelten sowohl die Kinder als auch ihre Familien in den entsprechenden Lebensphasen gut erreicht werden. Zum anderen ist der Zugang zu Familien in belasteten Lebenslagen durch den Setting-Ansatz erleichtert, da die Gesundheitsförderung nicht nur den Einzelnen, sondern auch deren Lebenswelt gilt. Schließlich ist der Zugang über das Setting für den Einzelnen vergleichsweise diskriminierungsfrei und erleichtert daher die Akzeptanz des Angebots (» vgl. Geene & Rosenbrock, 2012).
Durch gesundheitsförderliche Maßnahmen und Programme, die bereits in der Familiengründungsphase ansetzen und die Familien auch darüber hinaus begleiten, können Interventionen der Kinder- und Jugendhilfe um gesundheitsbezogene Aspekte sinnvoll ergänzt werden und ein gemeinsamer Beitrag zur positiven Gestaltung von (frühen) Übergängen geleistet werden. Wie das gelingen kann, zeigt unter anderen die Stadt Dormagen. Diese legt im Rahmen einer aufgebauten Präventionskette einen besonderen Schwerpunkt auf die Gestaltung von Übergängen. Um die Eltern und Kinder bereits im Vorfeld eines Überganges zu stärken, werden in den jeweiligen Lebenswelten und -phasen spezifische unterstützende Impulse gesetzt. Familien, bei denen ein Übergang misslingt, werden durch entsprechende (Hilfe-) Netzwerke aufgefangen (» vgl. Geene, 2012).
Welche Rolle spielen Übergänge im Rahmen einer integrierten kommunalen Strategie?
Die Darstellung der Präventionskette baut auf dem Modell der Determinanten für Gesundheit (» Dahlgren/Whitehead 1991) auf. Sie lässt sich in zwei Richtungen betrachten:
Vertikale Betrachtung: Von unten nach oben gelesen sind verschiedene „Schichten“ von Einflussfaktoren auf die Gesundheit abgebildet. Ausgehend von den individuellen Merkmalen spielen auch die individuelle Lebensweise, soziale und kommunale Netzwerke, die Lebens-und Arbeitsbedingungen sowie allgemeine Umweltbedingungen eine Rolle. Alle diese Faktoren beeinflussen sich wechselseitig. Die Darstellung macht deutlich, dass gesundheitsfördernde Ansätze nur an einer Stelle der Determinanten viele andere Einflussfaktoren unberücksichtigt lassen bzw. diese nicht beeinflussen können. Sinnvoll ist deshalb, dass die verantwortlichen Akteure auf allen Ebenen sich auf gemeinsame Strategien für unterstützende, gesundheitsförderliche Aktivitäten verständigen.
Horizontale Betrachtung: Von links nach rechts gelesen ergänzt eine zeitliche - biografische - Perspektive die Darstellung. Denn was besonders günstige Bedingungen für Gesundheit sind, ist nicht in allen Lebensphasen gleich. Bei kleinen Kindern sind etwa die häusliche Umgebung und die Kindertagesstätte wichtige Lebenswelten, während für Jugendliche Schule, Ausbildungsbetrieb oder auch die Freizeitmöglichkeiten im Quartier zentrale Lebenswelten sind.
Zwischen den skizzierten Lebensphasen sind die Übergänge angedeutet, in denen sich die wichtigen Transitionsprozesse abspielen. Diese günstig zu gestalten, ist zum einen eine Herausforderung in jeder der „Determinanten-Schichten“, aber auch im „vertikalen“ Zusammenwirken der Akteure über die Schichten hinweg.
Eine Kurzfassung der Handreichung mit dem Übergang Familie - Kita finden Sie
hier (PDF-Datei, 3 MB).
Eine Langfassung mit dem zusätzlichen Übergang Schwangerschaft - Familie/Elternschaft und inklusive Literaturnachweise finden Sie
hier (PDF-Datei, 4,7 MB).
... eine Gesamtübersicht aller Handreichungen finden Sie hier.