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21.09.2011

Achtung Baustelle: Zusammenarbeit mit Eltern in der Kita

Zusammenarbeit mit Eltern als Arbeitsauftrag für Kindertagesstätten

Antje Richter-Kornweitz, ehem. Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e.V.

Schlagwörter:Eltern, Familie, Kindergarten, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)

Die Zusammenarbeit mit Eltern ist ein Arbeitsauftrag für Kindertagesstätten. Er beinhaltet die Aufforderung, die Eltern an Entscheidungen in wesentlichen Angelegenheiten zu beteiligen (vgl. § 22 Abs. 2 SGB VIII). Außerdem soll sich das Angebot pädagogisch und organisatorisch an den Bedürfnissen der Eltern orientieren (vgl. § 22 Abs. 3 SGB VIII). Ziel ist, dass der Kindergarten und die Eltern gemeinsam die Entwicklung des Kindes fördern.

Diese Regelung im Kinder- und Jugendhilfegesetz macht Sinn, doch über den gesetzlichen Auftrag hinaus gibt es viele weitere gute Argumente, sich für eine gelingende Zusammenarbeit mit Eltern einzusetzen. Elternhaus und Kindertagesstätte sind nun mal die wichtigsten Lebenswelten für Mädchen und Jungen in den frühen Lebensjahren.

Grundsätzliche Übereinstimmung in Zielen und Werten

Eine grundsätzliche Übereinstimmung von Eltern und Erziehern/-innen in Zielen und Werten fördert die kindliche Entwicklung und das positive Gefühl von Zugehörigkeit. (Unterschwellige) Spannungen und unterschiedliche Auffassungen können dagegen bei den Kindern Loyalitätskonflikte bewirken. Im Endeffekt können alle pädagogischen Bemühungen nicht erfolgreich sein, wenn sie gegen den elterlichen Willen gerichtet sind. Beide Seiten wissen zu wenig über die Kinder und können sie nicht genügend fördern, wenn sie deren Lebenswelt nur teilweise kennen.

Übereinstimmung, aber nicht Angleichung

Unter grundsätzlicher Übereinstimmung ist jedoch nicht die Forderung nach Angleichung in der gelebten Kultur, im Lebensstil und in den vertretenen Auffassungen, etc. verstehen, sondern das gegenseitige Bemühen um Akzeptanz und Dialog.
Diese Notwendigkeit wirft in der Realität viele Fragen auf. Erzieher/-innen erleben ihre Eltern sehr unterschiedlich. Sie kennen dankbare Eltern, die ihre Arbeit zu schätzen wissen, fordernde Eltern, die erhöhte Erwartungen stellen, desinteressierte Eltern, die ihr Kind lediglich gut aufgehoben wissen wollen, nörgelnde Eltern, die nur Unzufriedenheit und nie Anerkennung zeigen und viele andere. Solche Vorerfahrungen erzeugen Emotionen - Stolz auf die eigene Arbeit oder auch Verunsicherung - und wirken sich auf die künftige Zusammenarbeit mit Eltern aus.

Kita real

Für die Zu­sam­men­ar­beit mit Eltern wird in Kitas be­reits vieles getan. In­for­ma­ti­on, Be­ra­tung und Aus­tausch se­hen Er­zie­he­rin­nen und Er­zie­her eben­so als ih­re Auf­ga­be an wie gemeinsame Aktivitäten, Elternabende und Tür- & Angel-Gespräche. Qua­li­tät und Pro­fes­si­o­na­li­tät werden als wichtige Voraussetzungen für das Gelingen der Zu­sam­men­ar­beit gese­hen. Ebenso stel­len Of­fen­heit und Trans­pa­renz über Abläufe oder die Ent­schei­dung­en in der Kita wichtige Werte dar. Alles zu­sam­men genommen fördert die Beteiligung von Eltern und senkt eventuelle Berührungsängste.
Das Leit­mo­tiv für viele ist die Vorstellung, „zum Wohl der Kinder ge­mein­sam an ei­nem Strang zu zie­hen“. Entsprechend be­ste­hen auch viele positive Er­fah­rung­en in der Zu­sam­men­ar­beit mit Eltern, die gegenseitiges Vertrauen und Re­spekt be­zeu­gen kön­nen. Eltern gut zu be­ra­ten und ein offenes Ohr zu haben, entspricht ei­nem weit verbreiteten Wunsch der pädagogischen Fachkräfte, der im Arbeitsalltag aber nicht im­mer so umgesetzt wer­den kann.
Denn Über­las­tung und negative Er­fah­rung­en sind eben­falls Re­a­li­tät und es wird von Skep­sis auf beiden Sei­ten, hohen oder überhöhten Er­war­tung­en oder auch Des­in­te­res­se berichtet. Zum Teil wird dies auf  ungenügende Rah­men­be­din­gung­en oder unzureichende Aus­bil­dung der Er­zie­he­rin­nen und Er­zie­her für diese Auf­ga­be zu­rück geführt, zum Teil aber auch an den Eltern selbst festgemacht. Die For­de­rung nach verbesserten Rah­men­be­din­gung­en richtet sich dem An­schein nach vorrangig an die Träger. Gemeint ist da­mit aber auch, dass die Ge­sell­schaft zei­gen soll, was ihr die Kinder „wert“ sind.

Eltern bil­den
Eltern bil­den - das ist nicht nur ein Wunsch von Er­zie­he­rin­nen und Er­zie­hern in Kitas, son­dern auch von anderen Akteuren in diesem Feld. Dazu wer­den Informationen z.B. über Kindergesundheit oder -erziehung verbreitet oder Kur­se und Seminare angeboten, mit dem Ziel, Eltern in ihren Erziehungsaufgaben zu stär­ken und zu un­ter­stüt­zen, eigene Bedürfnisse und die des Kindes wahrzuneh­men und dem­ent­spre­chend zu handeln, auch, um ei­ne in­ne­re Si­cher­heit zu haben, "das Richtige“ zu tun.
Kur­se und Seminare wie FuN - der Name ist Pro­gramm, Starke Eltern - Starke Kinder, STEP - Das Elterntraining, oder die Eltern-AG wer­den häufig in Familienbildungsstätten oder Stadtteilzentren u.a. von zertifizierten Trai­ne­rin­nen und Trainern angeboten, aber sie fin­den auch in (Ko­o­pe­ra­ti­on mit) Kitas statt. Sie sind vorrangig auf die be­reits ge­nannten Ziele ausgerichtet. Manchmal wer­den weitere Ziele ge­nannt, wie z.B. die sozialen Vernetzung der Eltern unter­ei­nan­der wie auch mit sozialen Institutionen im Wohnumfeld.
Andere An­ge­bo­te set­zen auf Laien aus der Nach­bar­schaft als Multiplikatoren/-innen. Sie verwenden spezielle Pro­gramme, die auf die För­de­rung der kognitiven Fä­hig­keit­en und der Lernfähigkeit der Kinder ausgerichtet sind. Sie be­su­chen und be­glei­ten Kinder und Eltern zuhause und/oder neh­men eben­falls in der Kita den Kon­takt auf (wie Hippy, Opstapje, Griffbereit, Ruck­sack, etc.).
Den Versuch, Eltern und Kinder schon ganz früh zu er­rei­chen und ei­ne Entwicklungsbegleitung be­reits im ersten Le­bens­jahr anzubieten, ma­chen An­ge­bo­te wie Wellcome, FuN-Baby oder auch PEKiP-Gruppen.
Alle An­ge­bo­te rich­ten sich in unterschiedlichen Anteilen auf die Stär­kung von Erziehungskompetenzen in den Bereichen: Wissen, Handeln, Selbst­er­fah­rung, Nut­zung von Netzwerken. Sie grei­fen den hohen Be­darf an praktischen, alltagstauglichen Stra­te­gien auf, die der Ent­las­tung von Eltern im All­tag nüt­zen könnten.

Eltern kommen, wenn sie nicht mehr weiter wissen

Eine nähere Untersuchung dieser Angebote zeigt, dass Eltern eher nicht mit präventivem Interesse kommen, sondern verunsichert und entmutigt vom Erziehungsalltag sind und sich Rat, Information und Unterstützung durch Experten/-innen erhoffen. Das heißt, Eltern kommen häufig erst dann, wenn sie das Gefühl haben, allein nicht mehr weiter zu wissen. Und von allein kommen überwiegend nur Eltern in die genannten Angebote, die sich aufgrund einer privilegierten Stellung, eines höheren Bildungshintergrundes oder einer besseren finanziellen Situation selbst Zugang zu Informationen und Angeboten verschaffen können. Die anderen Eltern, die keine Kenntnis von diesen Möglichkeiten haben, werden durch diese Angebote meist nur erreicht, wenn es gelungen ist, sie niedrigschwellig zu konzipieren. Das heißt beispielsweise, es gibt vermittelnde Situationen oder vertraute Personen, die diese Informationen weiter geben oder Eltern zu Beginn begleiten, oder die Angebote werden direkt in Einrichtungen durchgeführt, die sie in ihrem Alltag regelmäßig besuchen.

Elternbildung für alle Eltern?!

Zentral für die Wirksamkeit sind also Fragen des Zugangs zu den Zielgruppen. Nach einer Untersuchung des BMFSFJ (2006) finden sich nur 15% sozial benachteiligte Familien in allen Angeboten der Familienbildung. Besonders schwer werden jene erreicht, die in einer schwierigen finanziellen Situation sind und einen niedrigen Bildungsstatus haben. Auch Familien mit Migrationshintergrund fühlen sich durch die beschriebenen Konzepte kaum angesprochen.
Für Kitas tun sich hier komplexe Aufgaben auf. Die Situation in Familien wird bestimmt durch die Vielfältigkeit von Herkunft, Lebensstil und Partnerschaftsformen und ihre soziale Lage. Kitas müssen sich an ihrer Zielgruppe, an ihrem Umfeld, ihren Bedürfnissen und Normen ausrichten. Erfolgreich sind sie mit ihren Angeboten, wenn sie Orientierung geben können, identitätsstiftend wirken und Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit vermitteln. Letztendlich entscheidet Wertschätzung und nicht nachlassendes Bemühen um Beteiligung der Eltern und Zusammenarbeit über ihren Erfolg und Nicht-Erfolg.

Was wollen Eltern?

Auch ein gut konzipiertes Angebot und ein hohes Engagement auf Seiten der Erzieherinnen und Erzieher kann scheitern, wenn Bedürfnisse von Müttern und Vätern nicht ausreichend erfragt wurden oder Zugangsbarrieren bestehen, die nicht genügend beachtet wurden oder nicht abgebaut werden konnten. Als Zugangsbarrieren nennen Eltern beispielsweise:

Zugangsbarrieren

  • Kostenaufwand
  • Kinderbetreuung/Babysitter
  • Angebot als zusätzliche Belastung
  • Probleme mit Alltagsorganisation und Terminen
  • „Ganz andere“ Lebenswelt („Habitus“)
  • Enttäuschende Vorerfahrungen, Resignation und Skepsis
  • Angst und Scham
  • Sprachbarrieren

Wichtig ist also, in Erfahrung zu bringen, was Eltern wünschen, was sie brauchen, wer sie sind. Was möchten sie mitteilen (und was nicht) und falls ja, welche Unterstützung möchten sie haben? Dies sind wichtige Fragen, die sich nicht ohne die Beteiligung von Eltern beantworten lassen.

Was wollen Erzieherinnen und Erzieher?

Es geht also darum, vor der Planung von Zusammenarbeit mit Eltern Wünsche, Vorstellungen und Bedürfnisse zu erkunden. Nicht weniger ist herauszufinden, welche eigenen Vorstellungen bestehen, was die Kolleginnen und Kollegen erwarten und auf welche Vorerfahrungen man zurück greifen kann. Dabei tun sich viele Fragen auf.

Fragen

  • Welche Vorerfahrungen haben Erzieherinnen und Erzieher gemacht?
  • Welche Vorstellungen haben Erzieherinnen und Erzieher von Eltern und Familie?
  • Welche pädagogischen Ziele sind ihnen wichtig?
  • Welche Normen und Werte sind ihnen wichtig?
  • Wollen sie diese Eltern?
  • Sind sie genügend darauf vorbereitet worden, mit Eltern zu arbeiten?
  • Haben sie ausreichend Zeit um sich auf  langwierige Prozesse einzulassen?
  • Haben sie ausreichend Mut, sich auf Unbekanntes einzulassen?

Wie steht es um die Bereitschaft, verschiedene Eltern-Persönlichkeiten und ihre Möglichkeiten zu akzeptieren? Wie steht es um ihre Fähigkeiten, mit den Verschiedenheiten, die daraus resultieren, konstruktiv umzugehen? Wie ist die Grundhaltung gegenüber Müttern und Vätern? Erforderlich ist auf Seiten der Erzieherinnen und Erzieher eine hohe Dialog- und Konfliktfähigkeit. Sie entsteht nicht von allein, sondern erfordert Aus- und Weiterbildung, hohe Leitungs- und Managementkompetenzen innerhalb der Einrichtung, Unterstützung von Seiten des Trägers u.v.m. Und leider wird sie viel zu oft durch ungenügende Rahmenbedingungen (Personal-, Zeit-, Geldmangel) zusätzlich strapaziert.

Sind Erzieherinnen und Erzieher für die Zusammenarbeit mit Eltern genügend ausgebildet worden? Ihre Ausbildung fokussiert bisher auf den Umgang mit Mädchen und Jungen und nicht auf die Elternberatung. Abgesehen davon hat sich der Familienalltag (veränderte Partnerschaftsformen, aber vor allem steigende Forderungen nach Flexibilität, Mobilität und andere Anforderungen aus der Arbeitswelt) so geändert, dass ganz andere Anforderungen an diesen Beruf entstehen. Neue Ausbildungskonzepte sind erforderlich, um auf diese Situation zu reagieren.

Ressource „Beziehung“

In der Zu­sam­men­ar­beit mit Eltern geht es ganz klar - wie ei­gent­lich im­mer in menschlichen Beziehungen - da­rum, ob und wie Beziehung hergestellt wird bzw. wer­den kann. Der Er­folg aller Maß­nah­men zur Zu­sam­men­ar­beit mit Eltern hängt maß­geb­lich von der Qua­li­tät der Beziehung ab und letzt­end­lich da­von, ob Vertrauen hergestellt wer­den kann. Dieses Vertrauen in ei­ne gegenseitige Zu­sam­men­ar­beit kann we­gen der oben beschriebenen Unterschiede zwi­schen Fa­mi­lien, Lebenswelt und den zum Teil konträren An­for­de­rung­en des individuellen Alltags nicht oh­ne Weiteres vorausgesetzt wer­den, son­dern muss ge­mein­sam erarbeitet wer­den. Vertrauen ist auch die Grund­la­ge für Wert­schät­zung, Of­fen­heit und Re­spekt, den Er­zie­he­r/-in­nen den Eltern und Eltern den Er­zie­he­r/-in­nen ent­ge­gen brin­gen, als ein Er­geb­nis ge­mein­samer Er­fah­rung­en.

Gegenseitiges Vertrauen kann, wenn es gut läuft - am Ende eines gemeinsamen Weges stehen. Doch das erfordert Transparenz und die ständige Vergewisserung, immer noch das Gleiche zu wollen und sich auch darüber verständigt zu haben, was der andere darunter versteht. Wesentlich gehört dazu die Bereitschaft voneinander und miteinander zu lernen, sich nicht auf Expertentum zurück zu ziehen. Qualitäten wie zuhören zu können, den anderen ernst zu nehmen und sich auf die Ressourcen zu konzentrieren und die Stärken des anderen zu fördern, sind Fähigkeiten, die in der Ausbildung vermittelt werden müssen. Man kann sie nicht als selbstverständlich voraussetzen.

Engagierte Erzieherinnen und Erzieher, die sich dieser Herausforderung stellen wollen, gibt es genügend. Mangel herrscht vor allem an Ressourcen, vor allem an genügend Personal, Zeit für begleitende und vorbereitende Arbeiten, an umfassender Weiterbildung und Beratung.

Am 8. September 2011 fand die Fachtagung "Hilfe, die Eltern kommen (nicht)!" in Hannover statt. Weitere Informationen zu der Veranstaltung finden Sie hier...

Literatur:

  • Hartung, Susanne, Kluwe, Sabine, Sahrai, Diana: „Neue Wege in der Elternarbeit.“ Evaluation von Elternbildungsprogrammen und weiterführende Ergebnisse zur präventiven Elternarbeit. Kurzbericht des BMBF-geförderten Projekts: Bielefelder Evaluation von Elternedukationsprogrammen (BEEP). Bielefeld. 2009.
  • Marzinzik, Kordula, Kluwe, Sabine: Stärkung der Erziehungskompetenz durch Elternkurse. Zur Wirksamkeit und Reichweite des Elterntrainings STEP. prävention 03/2007. Seite 79-82
  • Prott, Roger, Hautumm Annette: 12 Prinzipien für eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Erzieherinnen und Eltern. Verlag das Netz. Berlin 2004.
  • Richter-Kornweitz, Antje, Altgeld, Thomas: Gesunde Kita für alle. Leitfaden zur Gesundheitsförderung im Setting Kindertagesstätte. Landesvereinigung für Gesundheit & Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V. Hannover 2010.
  • Richter, Antje, Holz, Gerda, Altgeld, Thomas (Hg.) (2004): Gesund in allen Lebenslagen.
    Förderung von Gesundheitspotentialen bei sozial benachteiligten Kindern im Elementarbereich. Frankfurt a.M.
  • Sikcan, Serap: Zusammenarbeit mit Eltern: Respekt für jedes Kind - Respekt für jede Familie. In Wagner, Petra: Handbuch Kinderwelten. Vielfalt als Chance - Grundlagen einer vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung. Herder Verlag. Freiburg. 2008.

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