01.06.2012
Aktiv und gesund altern
Gesundheitsförderung und Prävention
Ulla Walter, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover
Schlagwörter:Betriebliche Gesundheitsförderung, Bewegungsförderung, Kommunen, Prävention, Setting
Die Relevanz von Gesundheitsförderung und Prävention für ein gesundes Altern ist unbestritten. Die Ausschöpfung der vorliegenden Potenziale wird, insbesondere vor dem Hintergrund der Zunahme älterer und langlebiger Menschen sowie der Verbreitung chronischer Krankheiten, seit Jahren national und international angemahnt. Inzwischen liegen zahlreiche Studien vor, die die Wirksamkeit präventiver und gesundheitsfördernder Interventionen auch im Alter unterstreichen. Ziele der Prävention und Gesundheitsförderung im Alter sind die Vermeidung, Verzögerung bzw. Verringerung von gesundheitlichen Belastungen, Funktionseinschränkungen, Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit und damit der Erhalt einer längstmöglichen Unabhängigkeit, Selbstständigkeit und aktiven Lebensgestaltung.
Potenziale und Ansätze für ein gesundes Alter
Eine zunehmende Bedeutung erfährt die Lebenslaufperspektive, die die Auswirkungen gesundheitsförderlicher bzw. -hemmender Faktoren über den gesamten Entwicklungsprozess betrachtet. So können Umwelteinflüsse in der Kindheit bei entsprechender Veranlagung zu genetischen Veränderungen führen und das physiologische System Jahrzehnte später schwächen, aber auch eine mangelhafte Qualität der Eltern-Kind-Beziehung kann sich negativ auf die Gesundheit im höheren Erwachsenenalter auswirken.
Zahlreiche Langzeitstudien weisen auf die hohe Relevanz des mittleren Lebensalters für ein gesundes Altern hin. Personen, die in dieser Zeit keine oder nur sehr wenig ausgeprägte Risikofaktoren aufweisen, haben eine hohe Wahrscheinlichkeit, hochaltrig zu werden. Zudem treten gesundheitliche Beeinträchtigungen im Alter bei ihnen weniger und deutlich verzögert auf als bei Personen mit vermehrten Risiken. Geringe körperliche Aktivität und ein höherer BMI sind mit einem erhöhten Risiko für länger währende Beschwerden vor dem Tod assoziiert, unabhängig von Alter, Geschlecht und Todesursache. Auch wenn die gesundheitliche Lebenssituation im Alter zum Teil Ergebnis früherer Entscheidungen und Unterlassungen ist, kann die Gesundheit im Alter selbst noch gezielt unterstützt und gefördert werden. Berücksichtigt werden sollten dabei alle Dimensionen, d. h. die körperliche, die psychische und die soziale Gesundheit. Neuere Untersuchungen zeigen, dass diese sich wechselseitig bedingen.
Wesentlich für den Erhalt der psychischen, aber auch der körperlichen Gesundheit im Alter ist die Integration in ein soziales Netzwerk. Mangelnde soziale Unterstützung stellt im Alter insbesondere bei sozial Benachteiligten eine wesentliche Barriere für körperliche Aktivität und gleichfalls für die Inanspruchnahme präventiver Versorgungsangebote dar. Eine aktive und sozial integrierte Lebensweise im späteren Leben bildet einen Schutzfaktor vor Demenz und Alzheimer Erkrankung.
Wichtig für Gesundheit im Alter ist es weiterhin, Ziele zu verfolgen, die dem Leben einen Sinn verleihen. Dieses kann im Sinne des ehrenamtlichen Engagements das hingebungsvolle Tätigsein für Einzelne, für Gruppen oder eine Sache sein, sowie Sozialarbeit, politische, geistige oder schöpferische Arbeit. Personen, die sich als nicht nützlich für andere fühlen, weisen ein geringeres Wohlbefinden, eine verminderte soziale Integration, ein schlechteres Gesundheitsverhalten, vermehrte Beeinträchtigungen sowie eine vorzeitige Mortalität auf. Sie stellen damit eine vulnerable Gruppe dar, die besonderer Aufmerksamkeit für präventive psychosoziale und medizinische Interventionen bedarf.
Mögliche Maßnahmen zur Prävention sozialer Isolation und Einsamkeit können individuell, gruppen- oder einrichtungs- bzw. gemeindebezogen sein, jeweils mit dem Ziel der Beratung, der Förderung sozialer Verantwortung und des Aufbaus von Netzwerken. Effektiv sind vor allem gruppenbezogene Interventionen, die neben Informationen gezielte Unterstützungsaktivitäten anbieten. Soziale Partizipation und ihre Förderung gehen mit verbesserten Kompensations- und Bewältigungsmöglichkeiten einher und wirken sich positiv auf die kognitive Aktivität aus.
Altersbilder beeinflussen den Umgang mit Beeinträchtigungen und Krankheiten und können die Ausschöpfung präventiver Potenziale fördern oder behindern. So bewegen sich ältere Erwachsene mit einer negativen Sicht auf das eigene Älterwerden unabhängig vom Gesundheitszustand deutlich weniger als Personen mit einem positiven Altersbild. Zum anderen beeinfl ussen Altersbilder seitens der Professionellen (und Angehörigen) die Wahrnehmung und Bewertung älterer Menschen und ihrer gesundheitlichen Belastungen, aber auch ihrer Ressourcen und Kompetenzen und bestimmen den Umgang mit ihnen sowie die Nutzung vorhandener Potenziale mit.
Der Übergang von dem Erwerbsleben in den „Ruhestand“ stellt eine sensible Phase dar, die gezielt genutzt werden sollte, um die Betreffende/den Betreffenden und ihren/seinen Angehörigen Möglichkeiten zur Erhaltung der Gesundheit im Alter zu vermitteln.
Der Erhalt der Selbstständigkeit älterer Menschen ist eine bedeutende Aufgabe kommunaler Arbeit. Zur Stärkung der Gesundheitsressourcen sind im Sinne der Weltgesundheitsorganisation gesundheitsförderliche Lebenswelten zu schaffen, gesundheitsbezogene Gemeinschaftsaktionen zu unterstützen und Gesundheitsdienste neu zu organisieren. Erforderlich sind neben einer adäquaten gesundheitlichen Versorgung Bildungs-, Kultur-, Freizeit- und Sportangebote sowie Strukturen, die es ermöglichen, dass ältere Menschen ihre Kompetenzen und Ressourcen selbstbestimmt einbringen können.
Gesundheitsförderung in der Kommune bezieht die Stadtentwicklung ein, die Wünsche und Bedürfnisse älterer Menschen zu berücksichtigen hat. Hierzu zählen nicht nur altersgerechte Wohnformen, Mehrgenerationenhäuser und neue Konzepte für das Wohnen von Pflegebedürftigen, sondern auch angepasste Freiräume mit Angeboten für Ruhe, Kommunikation, Bewegung und Beschäftigung. Wesentlich zur Erhöhung der Akzeptanz und Benutzerfreundlichkeit ist eine gute Erreichbarkeit, Sicherheit im Wohnumfeld, Barriere- und Stolperfreiheit, ausreichende Sitzgelegenheiten, aber auch ein abwechslungsreiches Wegenetz und eine zur Nutzung motivierende Gestaltung. Mehrgenerationenparks - Anlagen mit Trainingsgeräten in Parks - haben sich inzwischen auch in Deutschland etabliert.
Zielgruppen von Prävention/Gesundheitsförderung in bzw. vor der Pflege sind nicht nur Pflegebedürftige und noch nicht pflegebedürftige Ältere, sondern auch pflegende Angehörige. Entsprechend vielfältig sind die Handlungsfelder. Sie liegen in der Vorbeugung von Pflegebedürftigkeit, z. B. durch Beratung und Aktivierung. Hierzu zählen auch zugehende Angebote auf Gemeindeebene wie präventive Hausbesuche. Bei Erkrankten und Pflegebedürftigen kommt Pflegekräften die Aufgabe als Begleiter sowie Trainer zum Erhalt bzw. zur Wiedererlangung eigenverantwortlicher Lebensgestaltung und gesundheitlichen Wohlbefindens sowie der Vermeidung weiterer Funktionseinbußen zu. Dies schließt die klassischen Prophylaxen z. B. vor Dekubitus und Thrombose mit ein. Über aktivierende Interventionen in Pflegeheimen können Gedächtnisleistungen verbessert und die Selbstständigkeit über einen längeren Zeitraum erhalten werden.
Präventive Hausbesuche
Präventive Hausbesuche stellen eine aufsuchende Maßnahme für die Zielgruppe der nicht pflegebedürftigen Älteren dar mit dem Ziel, Versorgungslücken frühzeitig aufzudecken. Präventive Hausbesuche umfassen meist ein umfangreiches Assessment, das sowohl physisch-funktionelle, psychisch-mentale, soziale Dimensionen als auch präventives Verhalten z. B. hinsichtlich gesunder Ernährung und körperlicher Aktivität berücksichtigt und objektive sowie subjektive Beurteilungen einschließt. Damit sollen der allgemeine Gesundheitszustand, Risikofaktoren und Beeinträchtigungen ebenso erfasst werden wie vorhandene Ressourcen. In einer anschließenden Beratung wird versucht, Möglichkeiten zur Reduktion der identifizierten Risiken und zur Optimierung der Gesundheit aufzuzeigen und ggf. entsprechende Unterstützungen zu vermitteln. Wiederholte, kontinuierliche Besuche und Folge-Assessments über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren unterstützen diesen Prozess. Ziel ist der Erhalt der Selbstständigkeit im höheren Alter, die Vermeidung von Behinderung und vorzeitigen Pflegeheimeinweisungen. 1998 wurden in Dänemark als bislang weltweit einzigem Land präventive Hausbesuche Bestandteil der regulären gesundheitlichen Versorgung. Evidenz liegt für die grundsätzliche Wirksamkeit präventiver Hausbesuche hinsichtlich einer Reduktion der Mortalität und der Anzahl der Krankenhaus- und Pflegeheimeinweisungen vor. Klärungsbedarf besteht weiterhin hinsichtlich der Eignung bestimmter Zielgruppen sowie Art und Umfang der Intervention.
Fazit
Prävention im Alter hat in Deutschland bislang noch einen geringen Stellenwert und ist nicht hinreichend in die verschiedenen Bereiche der Versorgung integriert. Zunehmend liegen Erfahrungen aus nationalen und internationalen Praxisprojekten vor. Diese gilt es zu nutzen und unter Einbindung wissenschaftlicher Kenntnisse zielführend systematisch weiter zu entwickeln. Wesentliche Aufgabenfelder stellen zukünftig die gezielte Ansprache und Erreichbarkeit vulnerabler Zielgruppen dar, die Entwicklung spezifischer bzw. integrativer Angebote für ältere Migrantinnen und Migranten, präventive Angebote im ländlichen Raum sowie die Verzahnung mit der gesundheitsbezogenen medizinischen und pflegerischen Versorgung.