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08.01.2020

Aktivierung benachteiligter Gruppen für die biologische Vielfalt

Ein Interview mit Carolin Schlenther

Carolin Schlenther, Hochschule für nachhaltige Entwicklung

Schlagwörter:Gesundheitliche Chancengleichheit, Kommunen, Lebenswelten, Niedrigschwellige Arbeitsweise

Wie kön­nen so­zi­o­ö­ko­no­misch benachteiligte Grup­pen in gesellschaftliche Prozesse im Be­reich des Na­tur­schutzes eingebunden und für den Er­halt der biologischen Vielfalt sensibilisiert wer­den? Wie kann Par­ti­zi­pa­ti­on er­folg­reich umgesetzt wer­den und wel­che Herausforderungen er­ge­ben sich da­bei? Diese und weiteren Fra­gen beantwortete uns Carolin Schlenther vom Pro­jekt „Ent­wick­lung und Erprobung didaktischer Modelle zur Aktivierung benachteiligter Grup­pen für den Er­halt der biologischen Vielfalt“ („Vielfalt findet Stadt“) aus Eberswalde im In­ter­view.

Welche Ziele verfolgt das Pro­jekt im Hinblick auf ge­sund­heit­liche Chan­cen­gleich­heit/ Ge­sund­heits­för­de­rung?

"Der Schutz der biologischen Vielfalt ist ei­nes der brisantesten Themen des Na­tur- und Umweltschutzes. Um den stattfin­denden Rück­gang der biologischen Vielfalt zu stop­pen, müs­sen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen sensibilisiert und für des­sen Schutz mobilisiert wer­den. Wie im Pro­jekttitel angedeutet, geht es des­halb in un­se­rem Pro­jekt da­rum, so­zi­o­ö­ko­no­misch Be­nach­tei­lig­te aus verschiedenen Altersstufen durch Umweltbildung und konkrete Praxisaktivitäten in den Na­tur­schutz einzubinden und sie so für den Schutz der biologischen Vielfalt zu ak­ti­vie­ren.
Wir ar­bei­ten mit den Teilnehmenden in ers­ter Li­nie drau­ßen an der fri­schen Luft. Gerade bei den Vorschul- und Schulkindern steht das im starken Kon­trast zum regulären Spiel bzw. Un­ter­richt, der in der kalten Jah­res­zeit über­wie­gend in den Räumen stattfindet. Draußen be­ge­ben wir uns auf Exkursionen durch den Wald oder wer­ten stadtnahe Brachflächen für die biologische Vielfalt auf, wo­durch die Teilnehmenden körperliche Be­we­gung er­fah­ren.

Die enge Grup­penarbeit von der Ideenentwicklung bis zur ge­mein­samen Um­set­zung fördert die zwischenmenschlichen Beziehungen und das Vertrauen in die eigenen Fä­hig­keit­en. So wird Selbst­ver­trau­en geschaffen und die wahrgenommene so­wie reelle Selbstwirksamkeit gestärkt.
Während die Um­ge­stal­tung der Pro­jektflächen vorrangig dem Schutz der biologischen Vielfalt dient, wird auch der Mensch nicht au­ßer Acht ge­las­sen. So sollen die in Wohngebieten liegenden Flä­chen schluss­end­lich zum Verweilen und Genießen der Na­tur ein­la­den. Das Pro­jekt schafft da­mit nicht nur Lebensräume für Pflan­zen und Tiere, son­dern auch ansprechende naturnahe Aufenthaltsorte für die An­woh­ne­rin­nen und An­woh­ner."

Welche Ziel­grup­pen sollen mit dem Pro­jekt erreicht wer­den und wie fin­den Sie den Zu­gang zu den so­zi­o­ö­ko­no­misch be­nach­tei­lig­ten Grup­pen und verschiedenen Al­ters­grup­pen?

"Das Pro­jekt richtet sich vor allem an Kinder, Ju­gend­li­che und Er­wach­se­ne, die in sozialen Brennpunkten le­ben und sich bis­her kaum mit Themen des Na­tur­schutzes be­schäf­ti­gen. Angeleitet von Umweltbildnerinnen und -bildnern und vor allem durch den persönlichen Kon­takt mit der Na­tur wol­len wir die Menschen für vielfältige Na­turthemen be­geis­tern. Dafür ent­wi­ckeln wir Maß­nah­men, die zu den alters- und entwicklungsbedingten körperlichen und kognitiven Fä­hig­keit­en der unterschiedlichen Ziel­grup­pen pas­sen. In un­se­rem Vorgehen pla­nen wir nicht nur Maß­nah­men für die Ziel­grup­pen, son­dern ge­mein­sam mit ih­nen. Sie wer­den in die Ent­wick­lung und Um­set­zung der praktischen Tä­tig­keit­en einbezogen.
Den Zu­gang zu den verschiedenen Grup­pen fin­den wir über Kooperationen mit Bildungs- und Betreuungseinrichtungen so­wie dem Eberswalder Amt für Beschäftigungsförderung und Freiwilligendienste. Unsere derzeitigen Kooperationspartnerinnen und -partner ken­nen uns und un­se­re Ar­beit aus vorangegangenen Pro­jekten, wo­durch be­reits ein Vertrauensverhältnis besteht, auf das sich gut auf­bau­en lässt. Für die folgenden zwei Schuljahre kön­nen sich interessierte Bildungs- und Betreuungseinrichtungen gern an uns wen­den."

Welche praktischen Aktivitäten füh­ren Sie mit den verschiedenen Al­ters­grup­pen durch und wie kön­nen die Teilnehmenden eigene Vorschläge und Ideen in das Pro­jekt mit ein­brin­gen?

"Wir bear­bei­ten Grün- und Brachflächen in der Stadt Eberswalde, die die Teilnehmenden selbst ge­stal­ten. In Vorbereitung da­rauf ge­hen wir mit ih­nen in die Na­tur und sen­si­bi­li­sie­ren sie für die biologische Vielfalt und die Herausforderungen im Be­reich Na­tur­schutz. Inwieweit wir auf die fachlichen Themen ein­ge­hen, ist ab­hän­gig von der Altersstruktur der Grup­pe. Anschließend ma­chen sich die Teilnehmenden mit der je­wei­lig zu bear­bei­tenden Flä­che vertraut und ent­wi­ckeln Ideen da­zu, wie sie die Flä­chen für die biologische Vielfalt auf­wer­ten und le­benswer­ten Raum für Pflan­zen und Tiere schaffen kön­nen. Dabei be­rück­sich­ti­gen sie bei­spiels­wei­se die örtlichen Bodengegebenheiten und pflan­zen aus­schließ­lich heimische Arten wie Holzapfel, Elsbeere, Schle­he, Weiß­dorn oder alte Obstsorten. So wer­den die teilnehmenden Kinder und Er­wach­se­nen für den Schutz der biologischen Vielfalt sensibilisiert und er­ar­bei­ten sich ge­mein­sam Fä­hig­keit­en im praktischen Na­tur- und Um­welt­schutz."

Welche Herausforderungen und Gren­zen er­le­ben Sie in der täglichen Ar­beit?

"Die Herausforderungen va­ri­ie­ren stark zwi­schen den unterschiedlichen Al­ters­grup­pen. Die Vorschulkinder zei­gen ein großes In­te­res­se an der Na­tur und sind leicht für entsprechende Themen zu be­geis­tern. Wir verbringen viel Zeit im Freien mit ih­nen und es kommt vor allem da­rauf an, dass sie witterungsgemäß gekleidet sind. Hier ist ei­ne enge Zu­sam­men­ar­beit und gute Kom­mu­ni­ka­ti­on mit den Betreuenden wich­tig.
Bei den jugendlichen Teilnehmenden sind die Er­fah­rung­en stark gruppenabhängig. Im besten Fall ist auch diese Ziel­grup­pe hochmotiviert und genießt es, selbst Ent­schei­dung­en tref­fen und Ideen um­set­zen zu dür­fen. Die Umweltbildnerinnen und -bildner müs­sen sehr fle­xi­bel in ihren Me­tho­den sein, um sich schnell an mögliche verändernde Stim­mung­en in den Grup­pen an­pas­sen zu kön­nen.  
Die erwachsenen Teilnehmenden wei­sen sich mit­un­ter durch ein geringes Na­turbewusstsein und ei­ne Skep­sis ge­gen­über Institutionen aus. Hier muss zu­nächst viel Ar­beit in den Vertrauensaufbau zwi­schen den Teilnehmenden und den Umweltbildnerinnen und -bildnern investiert wer­den. Außerdem ist es auch hier wich­tig, Stim­mung­en wahrzunehmen und fle­xi­bel auf die individuellen Fä­hig­keit­en so­wie die Grup­pen­dy­na­mik einzugehen."

Das Projekt

In dem Pro­jekt „Ent­wick­lung und Erprobung didaktischer Modelle zur Aktivierung benachteiligter Grup­pen für den Er­halt der biologischen Vielfalt“ wer­den so­zi­o­ö­ko­no­misch benachteiligte Grup­pen in gesellschaftliche Prozesse im Na­tur­schutz eingebunden. Praktische Aktivitäten er­öff­nen den Teilnehmenden Gestaltungsspielräume, stär­ken ihr Verantwortungsgefühl und för­dern ihr En­ga­ge­ment für den Na­tur­schutz. Das Pro­jekt wird von der Hochschule für nachhaltige Ent­wick­lung Eberswalde in Ko­o­pe­ra­ti­on mit der Stif­tung WaldWelten durchgeführt. Es wird im Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bun­des­amt für Na­tur­schutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Um­welt, Na­tur­schutz und nukleare Si­cher­heit (BMU) gefördert.

Weitere Informationen über das Projekt finden Sie hier.

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