11.10.2012
Anerkennung und Respekt
Berliner Woche für pflegende Angehörigen
Ute Wiepel, bis Ende 2012: Gesundheit Berlin-Brandenburg e.V.
Etwa 2,3 Millionen Pflegebedürftige gibt es in Deutschland. Die meisten von ihnen leben nicht im Heim, sondern werden zu Hause von Angehörigen betreut. In Berlin pflegen 170.000 Frauen und Männer ihre Väter, Mütter, Großeltern, Kinder, kranken Partner oder Geschwister. Sie nehmen extreme Anstrengungen auf sich, um rund 100 000 pflegebedürftige Angehörige in der Stadt zu versorgen.
Sie sind die stillen Helden, die von der Gesellschaft kaum wahrgenommen werden. Pflegende Angehörige leiden unter einem dauerhaften Druck. Über viele Jahre gibt es fast keinen Kino- und Theaterbesuche mehr, keine Kneipenabende und nur noch selten Treffen mit Freunden. Und aus Zeitmangel vernachlässigen sie die eigene Familie und sogar ihre Gesundheit. Rund die Hälfte der pflegenden Angehörigen leiden unter chronischen Erkrankungen.
Premiere der Berliner Woche für pflegende Angehörige
Um den Einsatz dieser Menschen öffentlich sichtbar zu machen und die Anerkennung für ihre Leistungen zu schärfen, fand in Berlin vom 24. bis 28. September die erste „Woche des pflegenden Angehörigen“ statt. Die Woche stand unter der Schirmherrschaft von Berlins Senator für Gesundheit und Soziales Mario Czaja und wurde federführend von der Fachstelle für pflegende Angehörige organisiert. Ausführliche Informationen zur Woche können Sie unter www.woche-der-pflegenden-angehoerigen.de nachlesen.
Zum Start der Woche wurden rund 150 Betroffene zu einer von der Fachstelle für Prävention und Gesundheitsförderung im Land Berlin organisierten Eröffnungsveranstaltung im Rathaus Schöneberg empfangen. Die Verleihung der Ehrennadel „Berliner Pflegebär“ an zehn pflegende Angehörige bildete den Höhepunkt der Veranstaltung. Die Ausgezeichneten standen stellvertretend für die vielen Berlinerinnen und Berliner, die sich tagtäglich um ihre Angehörigen kümmern: da ist die pflegende Mutter, die ihren Sohn versorgt, der pflegende Ehemann oder die Ehefrau, die pflegende Tochter oder die engagierte Nachbarin, die ihre Freundin aus der Nachbarwohnung betreut.
Die Schmuck-Designerin des Pflegebären betreut selbst seit vielen Jahren ihren kranken Sohn: „Als die Anfrage kam, habe ich sofort zugesagt. Das Design der Ehrennadel war für mich eine Herzensangelegenheit und ich wollte mit meiner Gestaltung den tiefen Respekt vor der Leistung der vielen pflegenden Angehörigen ausdrücken.“, sagte die Künstlerin.
„Wenn das Leben dir Zitronen gibt…“
Besonders berührend war die Schilderung der Ausgezeichneten über ihren Alltag, der als kräftezehrend und belastend beschrieben wurden. Doch trotz ihres aufopfernden Lebens, waren sich alle in einem Punkt einig: Der Humor hilft, mit vielen schwierigen Lebenssituationen zu recht zu kommen. Eine der ausgezeichneten Angehörigen brachte dieses Lebensgefühl auf den Punkt: „Wenn dir das Leben Zitronen gegeben hat, mache Marmelade daraus.“
40 bis 50 Prozent der pflegenden Angehörigen im erwerbsfähigen Alter sind trotz der Belastung weiterhin berufstätig. Und nur 10 Prozent geben nach Aufnahme der Pflegetätigkeit ihre Arbeit ganz auf und 11 Prozent reduzieren.
Entlastung für pflegende Angehörige
Mit dem im Juni 2012 vom Bundestag beschlossenen Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz (PNG) reagiert die Bundesregierung auf den demografischen Wandel und den damit verbundenen Herausforderungen an die Pflege in der Zukunft.
Mit diesem Familienpflegegesetz sollen die pflegenden Angehörigen entlastet werden, die berufstätig sind und zu Hause einen Angehörigen betreuen. Wer in Vollzeit arbeitet, kann seine Stelle für zwei Jahre auf 50 Prozent reduzieren. Das Einkommen verringert sich zwar dadurch ebenfalls, aber weniger stark. Konkret gibt es vom Gehalt in dieser Zeit 75 Prozent. Nach den zwei Jahren muss allerdings wieder voll gearbeitet werden und das Einkommen bleibt bei 75 Prozent, bis der Lohnzuschuss aus den ersten beiden Jahren ausgeglichen ist.
Auf den ersten Blick scheint diese Reglung für pflegende Angehörige zwar eine Erleichterung, doch bei näherer Betrachtung handelt es sich hierbei nur um eine kurzfristige Entlastung: Die durchschnittliche Pflegezeit liegt laut Experten bei sechs bis neun Jahren, der durch das Familienpflegegesetz geförderte Zeitraum beträgt nur zwei Jahre.
Mit der Premiere der Berliner Woche für pflegende Angehörige ist ein erster Schritt auf dem Weg zu mehr Anerkennung und Öffentlichkeit getan worden. Und so kann man auf eine Neuauflage im nächsten Jahr gespannt sein.