29.05.2017
Arm und selber schuld? Die AWO räumt mit diesem Vorurteil auf!
Im Fokus: Zusammenhang von Armut und Gesundheit
Sophie Schwab, AWO Bundesverband e. V.
Marion Mikula, AWO Bundesverband e. V.
Schlagwörter:Armut und Gesundheit
Mitte März 2017 veröffentlichte die Arbeiterwohlfahrt (AWO) eine Analyse, die institutionellen Armutsursachen auf den Zahn fühlt. Der provokative Titel „Selber schuld?“ wurde mit Bedacht gewählt, um darauf aufmerksam zu machen, dass in Zeiten der Ökonomisierung des Sozialen, neoliberale Erklärungsmuster in der Gesellschaft immer noch wirken: Von Armut betroffene Menschen werden als nutzlos, wertlos und ineffizient deklariert. Diesen Vorurteilen möchte die AWO mit dem Positionspapier entgegentreten, indem sie die Ursachen für Armut auf der strukturellen Ebene aufzeigt und schließlich klare Positionen für eine umfassende Armutsbekämpfung und -vermeidung offen legt.
Ziel der Analyse
„Der Fokus darf aber nicht länger auf dem individuellen Verhalten liegen, sondern muss sich auf den Wandel der Verhältnisse konzentrieren. Armut und Reichtum werden immer dauerhafter und gleichzeitig sinkt die gesellschaftliche Durchlässigkeit. Die soziale Lage vererbt sich und es wird für die Betroffenen immer schwieriger, diese Situation, die aus vielen benachteiligenden Faktoren besteht, zu überwinden. Die Folge ist, dass immer mehr Menschen abgehängt werden“ heißt es in der Einleitung der Analyse.
Für die AWO sind steigende Armut und wachsende Ungleichheit nicht akzeptabel, weil daraus einerseits die Schwächung der gesellschaftlichen Wirtschaftsleistung resultiert und andererseits von Armut Betroffene einen schlechteren Gesundheitszustand aufweisen, weniger Bildung erzielen und geringere politische und soziale Teilhabe. Deshalb werden aus der Analyse politische Forderungen abgeleitet, die zum Wandel der Verhältnisse und zu einer echten Armutsbekämpfungspolitik führen sollen. In dem Analysepapier wird Armut in Verbindung mit sämtlichen Fachthemen des AWO Bundesverbandes betrachtet: Gesamtgesellschaftliche Situation (Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik), Gesundheit, Familie und Kinder, Bildung (Kita, Schule, Übergang von Schule zu Beruf), Alter (Rente, Pflege), Ausländerrecht, Wohnungslosigkeit, Sozialraum, Straffälligenhilfe und Bürgerschaftliches Engagement. Darüber hinaus wurden zwei weitere Themenfelder identifiziert, die so weit wie möglich quer durch alle Kapitel Beachtung finden: Inklusion (Behinderung und Migration) sowie Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit. Frauen, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit Migrationshintergrund werden strukturell benachteiligt, beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt. Deshalb wird in einigen Beiträgen intensiv auf die Ursachen dafür eingegangen, denn darin liegen auch die Gründe, warum diese Gruppen stärker als andere von Armut betroffen oder bedroht sind. Im Folgenden wird der Zusammenhang von Armut und Gesundheit näher beleuchtet.
Krankheit erhöht das Risiko arm zu sein
Menschen, die erkranken, haben ein erhöhtes Risiko, auch finanziell in eine Notlage zu geraten. Besonders dort, wo Menschen bereits vor einer Erkrankung in schwierigen finanziellen Verhältnissen gelebt haben, vermag es das Sozialsystem in seiner derzeitigen Ausgestaltung nicht, Menschen im Krankheitsfall ausreichend abzusichern.
Armut erhöht das Risiko krank zu werden
Der Zusammenhang zwischen Krankheit bzw. Gesundheit und Armut ist vielschichtig. So trifft insbesondere auch zu, dass Armut krank macht. Seit Jahren gibt es gesicherte Erkenntnisse darüber, dass sich soziale Ungleichheit in gesundheitlicher Ungleichheit niederschlägt1. Hierzu gehören u.a. alleinerziehende Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund2. Es gibt viele Ursachen dafür, dass Armut krank macht. Diese sind auf unterschiedlichen Ebenen zu finden. Einerseits auf der Mikroebene - dem individuellen Verhalten, aber andererseits auch in den Lebensverhältnissen im Allgemeinen, also den ökonomischen, sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen. Des Weiteren verursachen zusätzlich die unzureichenden Versorgungsstrukturen diese traurige Beziehung und in diesem Punkt muss man die Frage nach dem Zugang zum Gesundheitssystem stellen.
Schlussfolgerungen
Die Vielschichtigkeit des Problems kann allein nicht auf der individuellen Ebene - bspw. über Beratungsstellen - gelöst werden. Die großen strukturellen Defizite müssen auf politischer Ebene erkannt und abgebaut werden.
Damit Krankheit nicht arm macht, hier eine Auflistung der AWO-Forderungen in Stichpunkten:
- Angemessene Ausgestaltung des Arbeitslosengeldes II
- Armutssichere Ausgestaltung der Erwerbsminderungsrente
- Anpassungen im Leistungskatalog für Menschen mit Behinderung
- Gerechte Ausgestaltung der Gesetzlichen Krankenversicherung
AWO-Positionen, um von Armut Betroffene vor Krankheit zu schützen:
- Verbesserung der Datenlage
- Soziale Neugestaltung der Zuzahlungsregelungen und Lösungen für selbstständige Beitragsschuldnerinnen und -schuldner
- Barrierearme Patientenberatung
- konzertierte gesundheitliche Förderung aller Kinder
- Gute Gesundheitsversorgung geflüchteter Menschen
- Umsetzung einer gesundheitsförderlichen Gesamtpolitik
Gesundheitliche Ungleichheit als Folge sozialer Ungleichheit zu beseitigen, lautet das Ziel. Aber Gesundheitspolitik allein kann dies nicht erreichen. Nur eine gesundheits-förderliche Gesamtpolitik im Sinne der WHO-Charta vermag durch ihr Zusammenspiel die notwendige Kraft dazu zu entfalten. Denn notwendig im Sinne von Gesundheitsförderung und Armutsreduktion sind eine faire Sozialpolitik sowie eine sozial gerechte Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Wohnungs- und Verkehrspolitik.
Fazit
Aus Sicht der AWO ist somit für eine wirkliche Armutsbekämpfung eine Querschnitts- und Gesamtstrategie dringend erforderlich. Angesichts der fragmentierten und versäulten Politiklandschaft, die bisher ausschließlich mittels einzelner Maßnahmen und punktuell bzw. programmatisch die Symptome von Armut bekämpft, muss ein neuer ganzheitlicher Weg beschritten werden. Wir dürfen es nicht länger zulassen, dass trotz wirtschaftlich guter Lage weiterhin so viele Leute abgehängt und ausgeschlossen werden. Die Bundesregierung muss die Bekämpfung von Armut und sozialer Ungleichheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe ansehen. Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet die Bundesregierung, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen.
- Weitere Details zu den Analysen und AWO-Positionen - auch über das Thema Gesundheit hinaus - sind in dem AWO-Papier „Selber schuld?“ zu finden.
Literatur
(1) AWO Bundesverband e. V. (Hrsg.), 2017: Selber schuld? Analyse der AWO von institutionellen und strukturellen Armutsursachen.
(2) Lampert, Thomas/Mielck, Andreas, 2008: Gesundheit und soziale Ungleichheit. Eine Herausforderung für Politik und Praxis. In: Gesundheit und soziale Ungleichheit, Jg. 8, Heft 2, 7-16 und Robert Koch-Institut, 2015: Gesundheit in Deutschland. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Berlin. 148 -156
(3) Statistisches Bundesamt, 2014: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund - Ergebnisse des Mikrozensus 2013. Fachserie 1, Reihe 2.2. Wiesbaden.