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14.04.2015

Armut ist Risiko für Entwicklung von Kindern

Regina von Görtz, Bertelsmann Stiftung

Schlagwörter:Armut, Kindesentwicklung, Studie

Ein Aufwachsen in Ar­mut beeinträchtigt die Ent­wick­lung von Kin­dern. Schuleingangsun­tersuchungen er­ken­nen bei Kin­dern, deren Fa­mi­lien von staatlicher Grundsicherung le­ben, mehr als dop­pelt so häufig Defizite in der Ent­wick­lung wie bei Kin­dern, die in gesicherten Ein­kom­mens­ver­hält­nis­sen auf­wach­sen. Das be­legt ei­ne Stu­die der Bertelsmann Stif­tung. Die Fünf- und Sechsjährigen aus SGB-II-Fa­mi­lien sprechen schlechter Deutsch, kön­nen schlechter zäh­len, leiden öf­ter un­ter Konzentrationsmängeln, sind häufiger über­ge­wich­tig und verfügen über geringere Koordinationsfähigkeiten.

Das Zen­trum für inter­diszi­plinäre Regional­forschung (ZEFIR) an der Uni­ver­si­tät Bo­chum und die Stadt Mül­heim an der Ruhr ha­ben im Auf­trag der Bertels­mann Stif­tung die Da­ten von knapp 5.000 Schul­ein­gangs­unter­such­ungen aus den Jah­ren 2010 bis 2013 aus­ge­wertet. Wäh­rend 43,2 Pro­zent der armuts­gefährdeten Kin­der man­gel­haft Deutsch sprech­en, wur­de dies nur 14,3 Pro­zent der nicht-armuts­gefährdeten Kinder attestiert. Pro­ble­me in der Körper­koordination ha­ben 24,5 Pro­zent der Kin­der aus SGB-II-Fami­lien (Übrige: 14,6). Ähn­liches gilt für die Visuo­motorik, der Ko­or­di­na­ti­on von Au­ge und Hand (25 zu 11 Pro­zent). 29,1 Pro­zent der armuts­gefährdeten Kin­der haben Defi­zite in ihrer selek­tiven Wahr­neh­mung (Übrige: 17,5), Pro­ble­me beim Zäh­len ha­ben 28 Pro­zent (Übrige: 12,4). Adi­pös, al­so deut­lich über­ge­wich­tig, sind 8,8 Pro­zent der Kinder, die von staat­licher Grund­sich­erung le­ben (Übrige: 3,7).

Früher Kita-Besuch hilft nicht automatisch

Diese Auf­fäl­lig­keit­en ge­hen einher mit ei­ner geringeren Teil­ha­be der armutsgefährdeten Kinder an so­zi­alen und kulturellen Angeboten. So er­ler­nen le­dig­lich 12 Pro­zent die­ser Kinder ein In­stru­ment (Übrige: 29). Vor Vollendung des dritten Lebensjahres ge­hen 31 Pro­zent der armutsgefährdeten Kinder in ei­ne Kita (Übrige: 47,6). Und nur 46 Pro­zent der armutsgefährdeten Kinder sind vor Schuleintritt in ei­nem Sportverein (Übrige: 77). Gerade die Mit­glied­schaft in ei­nem Sportverein wirkt sich aber nicht nur auf die Ent­wick­lung der Körperkoordination positiv aus, son­dern auf al­le Ent­wick­lungsmerkmale, so die Stu­die.

Auch ein frü­her Kita-Besuch kann negative Fol­gen von Kinderarmut verringern, al­ler­dings ist das kein Au­to­ma­tis­mus. Positive Effekte für die Ent­wick­lung der Kinder tre­ten nur dann ein, wenn die Kita-Gruppen so­zi­al ge­mischt sind. Weil aber Ar­mut in­ner­halb ei­ner Stadt höchst un­ter­schied­lich verteilt ist, kön­nen Kitas in so­zi­alen Brennpunkten ge­nau diese Heterogenität oft­mals nicht gewährleisten. In Mül­heim et­wa lie­gen in ei­ni­gen Stadtvierteln die Ar­mutsquoten über 50 Pro­zent. Deshalb emp­feh­len die Stu­dienautoren, die Res­sour­cen nicht nach dem "Gieß­kan­nen­prin­zip" zu verteilen: "Kitas in so­zi­alen Brennpunkten brau­chen mehr Geld, mehr Personal und an­de­re Förderangebote", sagte Bri­git­te Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stif­tung.

Kommunen müssen aktiv steuern

Die Bertelsmann Stif­tung hat des­halb ge­mein­sam mit der Lan­des­re­gie­rung Nordrhein-Westfalen in 18 Städten und Kreisen das Pilotprojekt "Kein Kind zu­rück­las­sen" gestartet. Gemeinsam mit Kommunalpolitik und Verwaltung sollen Präventionsketten entwickelt wer­den, um die Ent­wick­lung armutsgefährdeter Kinder früh­zei­tig zu för­dern. Dazu gehört, SGB-II-Fa­mi­lien ge­zielt anzusprechen und zu mo­ti­vie­ren, ihrem Kind ei­nen Kita-Besuch zu er­mög­li­chen. Außerdem sollen et­wa Brennpunkt-Kitas stärker mit sozialen Diensten so­wie Sport- und Kulturverei­nen im jeweiligen Stadt­teil zu­sam­men­ar­bei­ten. Ein wichtiges Ziel ist, kommunale Gelder neu zu verteilen und sich da­bei stärker an den Bedarfen der Kitas und Stadt­vier­tel zu ori­en­tie­ren.

"Gerade Städten wie Mül­heim, die un­ter knappen Kas­sen und hoher Ar­beits­lo­sig­keit leiden, macht die Stu­die Mut, weil ei­ne gute kommunale So­zi­al­po­li­tik die Fol­gen von Kinderarmut spür­bar re­du­zie­ren kann", sagte Bri­git­te Mohn. Eine bedarfsgerechte und wirkungsorientierte Steu­e­rung ist um­so wichtiger, weil Kinderarmut kein Randphänomen ist. In Nordrhein-Westfalen le­ben 20,7 Pro­zent der un­ter Dreijährigen in Fa­mi­lien, die auf Sozialgeld an­ge­wie­sen sind, im Ruhr­ge­biet so­gar 28,3 Pro­zent. Mehr als die Hälfte (53 Pro­zent) der SGB II beziehenden Sechsjährigen sind schon seit min­des­tens vier Jahren in der staatlichen Grundsicherung.

Zusatzinformationen

Tho­mas Groos und No­ra Jehles vom Zen­trum für interdisziplinäre Regionalforschung (ZEFIR) an der Ruhr-Universität Bo­chum haben ge­mein­sam mit der Stadt Mül­heim an der Ruhr Da­ten aus knapp 5.000 Schuleingangsuntersuchungen von vier Jahrgängen (2010-2013) ausgewertet und Korrelationen zum SGB-II-Leistungsbezug analysiert. Die Stu­die ist Teil der Begleitforschung zum Pro­jekt "Kein Kind zu­rück­las­sen! Kom­mu­nen in NRW beu­gen vor" (KeKiz), einem Modellvorhaben der NRW-Landesregierung und der Bertelsmann Stif­tung. Mehr da­zu hier.

Auf dem Kommunalkongress der Bertelsmann Stif­tung am 16./17. März in Ber­lin diskutierten un­se­re Ex­per­ten ge­mein­sam mit Wis­sen­schaft und Pra­xis, wie die Fi­nan­zie­rung kommunaler Prä­ven­ti­on für benachteiligte Kinder und Ju­gend­li­che auch in Zeiten knapper Kas­sen ge­lin­gen kann, um allen Kin­dern bessere Lebens- und Teilhabechancen zu ge­wäh­ren. Mehr Informationen zum Kommunalkongress hier.

Beim vorliegenden Text handelt es sich um die Pressemitteilung
der Bertelsmann Stiftung, die am 12.03.2015 erschienen ist.

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