09.02.2012
Armut macht krank - die Caritas-Kampagne 2012
Jeder verdient Gesundheit!
Barbara Fank-Landkammer, Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising, Deutscher Caritasverband
Schlagwörter:Armut, Gesundheitsversorgung, Migration, Schwangerschaft, Video
Deutschland hat ein solidarisch ausgerichtetes Gesundheitssystem mit hoher Qualität. Allen gesetzlich Versicherten stehen die gleichen Leistungen zu, unabhängig davon welchen Beitrag sie leisten. Es ist Konsens in Deutschland, dass gesundheitliche Chancengleichheit ein Menschenrecht ist. Dennoch gibt es gravierende Unterschiede mit Blick auf das Krankheitsrisiko und die Lebenserwartung.
Arme Menschen trinken, rauchen und essen zu viele Chips vor dem Fernseher - stimmt das? Sind arme Menschen selbst schuld an ihren Krankheiten? Etwas mehr Disziplin und die Sache ist geregelt?
Nicht allein das individuelle Verhalten des Einzelnen entscheidet über seine oder ihre Gesundheit. Das Wohnumfeld und der Arbeitsplatz, die sozialen Beziehungen, der Bildungsstand und das Einkommen beeinflussen die Gesundheit maßgeblich. Das heißt: Das Krankheitsrisiko steigt und die Lebenserwartung sinkt, wenn Menschen einen niedrigen Bildungsstand haben, lange arbeitslos sind, in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten oder über wenig oder kein Einkommen verfügen. Die Lebenserwartung einer Frau aus der Armutsrisikogruppe liegt rund acht Jahre unter der einer Frau aus einer hohen Einkommensgruppe. Bei Männern sind es elf Jahre.
Langzeitarbeitslose Menschen
Langzeitarbeitslosigkeit zählt zu den größten Armutsrisiken in unserer Gesellschaft. Wer von Arbeitslosengeld II lebt, überlegt jede Ausgabe genau. So werden notwendige Arztbesuche aufgeschoben, um die Praxisgebühr zu sparen. Auch die Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen, die in den vergangenen Jahren eingeführt bzw. ausgeweitet wurden, schrecken diese Menschen ab. Nicht verschreibungspflichtige Medikamente, die Fahrtkosten zu medizinischen Behandlungen, die Kosten einer Brille oder Krankengymnastik sind für diese Gruppe häufig schwer finanzierbar.
Die Praxisgebühr wurde eingeführt, um medizinisch nicht notwendige Arztbesuche einzuschränken. Diese steuernde Wirkung hat die Praxisgebühr nicht erreicht, sie ist allein ein ergänzendes Finanzierungsinstrument mit hohen bürokratischen Kosten.
Wir fordern: Die Praxisgebühr muss baldmöglichst abgeschafft werden. Wenn die Ursache häufiger, aber medizinisch nicht notwendiger Arztbesuche in Vereinsamung und fehlenden sozialen Kontakten liegt, ist zu überlegen, ob nicht soziale Angebote beispielsweise der offenen Altenhilfe hilfreicher wären.
Die Befreiungsregelung bei Zuzahlungen für Medikamente und Heil- bzw. Hilfsmittel muss unbürokratischer gestaltet werden. Bestimmte Gruppen (Wohnungslose, Schwerbehinderte) müssen grundsätzlich freigestellt werden. Die Eigenbeteiligung bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten sowie bei Hilfsmitteln für behinderte Menschen muss für Härtefälle ebenfalls abgeschafft werden.
Wohnungslose Menschen
Viele Wohnungslose scheuen davor zurück, in eine Arztpraxis zu gehen. Wenn sie krank werden „verschleppen“ sie die Krankheit bis es nicht mehr geht. Unser Gesundheitssystem ist auf diese Menschen nicht ausgerichtet. Es fehlen niedrigschwellige Angebote für Menschen, die auf der Straße leben. Völlig lebensfremd ist die Vorstellung, diese Gruppe würde Quittungen und Belege sammeln, um sie bei einer Krankenkasse einzureichen. Nur vereinzelt gibt es Projekte, die Wohnungslose, aber auch andere arme Menschen, medizinisch versorgen. Dazu gehören beispielsweise die Straßenambulanzen.
Wir fordern: Wohnungslose und obdachlose Menschen brauchen einen regulären Zugang zum Gesundheitssystem. Dafür müssen niedrigschwellige Angebote wie z.B. Straßenambulanzen ausgebaut und über die Gesetzliche Krankenversicherung finanziert werden. Zur Abfederung der derzeit bestehenden Lücken sind unbürokratische Fonds nötig, die im Notfall ungedeckte Kosten übernehmen.
Flüchtlinge und Asylsuchende
Auch für Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, ist die gesundheitliche Versorgung ungenügend. 2009 waren rund 121.000 Personen betroffen: es sind Menschen, die in Deutschland Asyl suchen, eine Duldung haben oder vor einem Bürgerkrieg geflohen sind. Die Höhe der Grundleistungen, die sie erhalten, liegt bei mehr als 30 Prozent unter dem Niveau des Existenzminimums. Das allein ist schon ein Skandal.
Diese Menschen sind nicht krankenversichert, haben aber einen Rechtsanspruch auf ärztliche Versorgung bei akuten Erkrankungen, bei Schmerzen, bei einer Schwangerschaft und Geburt. Dann erhalten sie die notwendige ärztliche und zahnärztliche Versorgung. Sonstige Behandlungen stehen im Ermessen der Behörden.
Wir fordern: Asylsuchende, geduldete Personen und Menschen mit einem humanitären Aufenthaltstitel müssen zur gesundheitlichen Regelversorgung einen Zugang haben. Das Asylbewerberleistungsgesetz muss endlich abgeschafft werden. Das Zwei-Klassen-System in der Grundsicherung ist abzulehnen.
Menschen, die sich illegal in Deutschland aufhalten
Sehr schwierig ist auch die Situation für Menschen, die ohne legalen Aufenthaltstitel in Deutschland leben. De jure haben sie einen Anspruch auf ärztliche Behandlung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. De facto nehmen die meisten diesen Anspruch jedoch nicht wahr.
Öffentliche Stellen, beispielsweise Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft, sind verpflichtet, die Ausländerbehörden zu informieren, wenn sie vom illegalen Aufenthalt eines Ausländers erfahren. Ein gewisser Schutz der Daten gilt seit einiger Zeit für die Notfallversorgung in öffentlichen Krankenhäusern.
Wer aber Angst haben muss, den Behörden gemeldet und damit abgeschoben zu werden, geht nicht zum Arzt. Nicht selten werden Erkrankungen verschleppt und entwickeln sich zu schwer heilbaren, mitunter lebensbedrohlichen Krankheiten. Besonders betroffen sind Schwangere. Aus Angst vor Entdeckung verzichten sie auf alles, was bei uns aus gutem Grund Standard ist: sie machen keine Vorsorgeuntersuchungen, haben zum Teil keine medizinische Betreuung während der Geburt und keine Versorgung danach.
Wir fordern: Menschen, die illegal in Deutschland leben, müssen Zugang zum Gesundheitssystem erhalten, ohne ihre Daten preisgeben zu müssen. Schwangere brauchen einen gesetzlich geregelten besonderen Schutz gegen Abschiebung.
Armut macht krank. Auf diese Tatsache weist die Caritas 2012 mit ihrer gleichnamigen Kampagne hin. Und sie fordert: Jeder verdient Gesundheit.
Weitere Informationen sowie Materialien erhalten Sie auf der Webseite jeder-verdient-gesundheit.de