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25.09.2015

Arztbesuche für Asylsuchende ohne bürokratische Hürden

Studie belegt Kosteneinsparung bei Regelversorgung

Kayvan Bozorgmehr, Universitätsklinikum Heidelberg
Oliver Razum, Universität Bielefeld

Schlagwörter:Asylsuchende, Forschung, Gesundheitsversorgung

Asylsuchende haben in Deutsch­land nur eingeschränkten Zu­gang zu medizinischer Versorgung. So ist es seit 1993 im Asylbewerberleistungsgesetz ge­re­gelt. Durch das Ge­setz sollen die Gesundheitsausgaben ge­ring ge­hal­ten und kei­ne Anreize zur Asylsuche in Deutsch­land geboten wer­den. Die Re­ge­lung ist ethisch um­strit­ten. Dass sie auch wirt­schaft­lich kei­nen Sinn macht, be­legt ei­ne Stu­die von Wis­sen­schaft­lern der Fa­kul­tät für Gesundheitswissenschaften der Uni­ver­si­tät Bie­le­feld und der Ab­tei­lung All­ge­mein­me­di­zin und Versorgungsforschung am Uni­ver­si­tätsklinikum Heidelberg. Ihre Er­geb­nisse haben die Wis­sen­schaft­ler jetzt in der in­ter­na­ti­o­nalen Fach­zeit­schrift PLOS ONE veröffentlicht.

Wissenschaftliche Erkenntnisse in politische Diskussionen einbeziehen

Die jährlichen Pro-Kopf Aus­ga­ben für medizinische Versorgung  bei Asylsuchenden mit nur eingeschränktem Zu­gang zur medizinischen Versorgung waren in den vergangenen 20 Jahren (1994-2013) um cir­ca 40 Pro­zent und da­mit 376 Eu­ro höher als bei Asylsuchenden, die be­reits An­spruch auf die Leis­tung­en der gesetzlichen Kran­ken­ver­si­che­rung haben. Nur wenn Asylsuchende un­ter akuten Gesundheitsproblemen leiden, sie Schmerzen haben oder ei­ne Be­hand­lung un­auf­schieb­bar ist, wer­den sie medizinisch behandelt. Erst nach längerem Auf­ent­halt in Deutsch­land - der­zeit 15 Monate - kön­nen sie die Leis­tung­en der gesetzlichen Kran­ken­ver­si­che­rung in vollem Um­fang be­an­spru­chen.

Bundesweite Umsetzung des Bremer Modells nicht zwingend teurer

„Die Dis­kus­si­on um die Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern wurde bislang rein po­li­tisch geführt“, sagt Dr. Kayvan Bozorgmehr, Au­tor der Pu­bli­ka­ti­on und wissenschaftlicher Mit­ar­bei­ter in der Ab­tei­lung All­ge­mein­me­di­zin und Versorgungsforschung am Uni­ver­si­tätsklinikum Heidelberg. „Rationale, gesundheitswissenschaftliche Erkenntnisse und ethische Grundsätze müs­sen drin­gend stärker berücksichtigt wer­den.“ Die Wis­sen­schaft­ler haben repräsentative Da­ten des statistischen Bundesamtes der Jahre 1994 bis 2013 ausgewertet und kom­men zu dem Er­geb­nis: Dürfen Asylsuchende oh­ne bürokratische Hürden und oh­ne Leistungseinschränkungen Regelversorger wie Allgemein-, Haus- und Kinderärzte auf­su­chen, sind die Gesundheitsausgaben niedriger. Unter den Be­din­gung­en ei­nes glei­chen Zu­gangs für al­le Asylsuchenden hätten die Ge­samt­aus­ga­ben für die medizinische Versorgung der vergangenen 20 Jahre um cir­ca 22 Pro­zent gesenkt wer­den kön­nen. Unterschiede im Be­darf - ge­mes­sen an Al­ter, Ge­schlecht, Herkunftskontinent und Unterbringungsart - konnten die jährlichen Aus­ga­benun­terschiede zum Teil je­doch nicht gänz­lich er­klä­ren.

„Unsere Stu­die be­legt, dass ei­ne bundesweite Um­set­zung des Bre­mer Modells - bei dem seit 2005 bürokratische Hürden abgebaut wurden -  nicht zwin­gend mit Mehr­kos­ten verbunden sein muss“, be­tont Ko-Au­tor Professor Dr. Oli­ver Razum, Dekan der Fa­kul­tät für Gesundheitswissenschaften der Uni­ver­si­tät Bie­le­feld. In Bre­men und Hamburg er­hal­ten Asylsuchende oh­ne War­te­zeit ei­ne Gesundheitskarte und da­mit bes­seren Zu­gang zur Gesundheitsversorgung. „Es ist wich­tig, so früh wie mög­lich ei­ne Anbindung an die Regelversorgung und so­mit ei­ne umfassende Versorgung mit primärmedizinischen Maß­nah­men sicherzustellen“, sagt Dr. Kayvan Bozorgmehr. Dies sei nicht nur ethisch geboten, son­dern würde auch gesundheitswissenschaftliche Erkenntnisse be­rück­sich­ti­gen, die mitt­ler­wei­le in­ter­na­ti­o­nal un­um­strit­ten seien. „Qualitativ gute, bedarfsgerechte und kostengünstige Versorgung ist vor al­lem durch integrierte, primärmedizinisch orientierte Systeme zu er­rei­chen. Paral­lelsysteme hingegen sind teu­er und in­ef­fi­zi­ent, vor al­lem wenn sie Teile der Be­völ­ke­rung von der Versorgung aus­schlie­ßen.“ Die Wis­sen­schaft­ler for­dern, dass Da­ten zur gesundheitlichen Versorgung von Asylbewerbern bes­ser verfügbar gemacht wer­den, um Bedürfnisse in der gesundheitlichen Versorgung er­ken­nen und die Versorgung eva­lu­ie­ren zu kön­nen.

Dieser Text wurde zuerst von der Universität Bielefeld veröffentlicht. Diesen finden Sie hier.

Originalveröffentlichung:
Bozorgmehr K, Razum O (2015) Effect of Restricting Access to Health Care on Health Expenditures  among  Asylum-Seekers and Refugees: A Quasi-Experimental Study in Germany, 1994-2013. PLoS ONE 10(7): e0131483. doi:10.1371/ journal.pone.0131483

Weitere Informationen im Internet:
Links zu Studienergebnissen:


31483" target="_blank">http://dx.plos.org/10.1371/journal.pone.0131483   

www.uni-bielefeld.de/gesundhw/

www.klinikum.uni-heidelberg.de/Abteilung-Allgemeinmedizin-und-Versorgungsforschung.7453.0.html

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