07.03.2018
Auf dem Weg: Erfahrungen und aktuelle Entwicklungen aus der Landesinitiative "Kommunale Präventionsketten Nordrhein-Westfalen"
Nina Boos, Landeskoordinierungsstelle „Kommunale Präventionsketten NRW“
Schlagwörter:Handlungsempfehlungen, Präventionsketten, Qualitätsentwicklung, Qualitätssicherung
Vielen der in NRW - und in Deutschland - lebenden Kindern und Jugendlichen geht es gut. Dennoch verstärken sich gleichzeitig auch soziale Ausgrenzungsprozesse, sodass es zu einer Polarisierung der Lebenslagen von Familien kommt - die Schere zwischen Hilfsbedürftigen und Wohlhabenden geht immer weiter auseinander. Gefordert ist daher eine langfristig angelegte Strategie, um junge Menschen in sozial benachteiligenden Lebenslagen durch integrierte Handlungskonzepte zu unterstützen: Individuelle Förderung und nachhaltige Verbesserungen der Unterstützungsstrukturen im sozialen Umfeld sind dabei wichtige Ansätze der Landesinitiative „Kommunale Präventionsketten Nordrhein-Westfalen“. Ausgehend von einer wissenschaftlich begleiteten Modellphase mit 18 Kommunen wurde seither viel wertvolles Wissen generiert. Mittlerweile sind 40 Kommunen Teil der Landesinitiative in NRW.
Die Ursprünge: Das Modellprojekt Kein Kind zurücklassen!
Im Jahr 2012 startete die Landesregierung Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung das vierjährige Modellvorhaben „Kein Kind zurücklassen! Kommunen in NRW beugen vor“ als Teil einer langfristig angelegten Politik der Vorbeugung. Mithilfe der wissenschaftlichen Begleitung des Instituts für soziale Arbeit e.V. (ISA) begannen 18 Modellkommunen mit dem Auf- und Ausbau kommunaler Präventionsketten von der Schwangerschaft bis hin zum Übergang Schule-Beruf. Nach erfolgreichem Abschluss der Modellphase im Jahr 2016 wurde das Programm auf insgesamt 40 Kommunen ausgeweitet, die nun von den Vorerfahrungen profitieren können, Sie erhalten außerdem jeweils fachliche Begleitung bei der Entwicklung ihrer integrierten Handlungskonzepte vor Ort.
Präventionsketten auf- und ausbauen
Bei dem Aufbau bzw. der Weiterentwicklung von Präventionsketten geht es darum, allen Kindern und Jugendlichen ein gelingendes Aufwachsen, gesellschaftliche Teilhabe und gute Bildungschancen zu ermöglichen. Das Leitmotiv lautet: Kindern, Jugendlichen und deren Eltern frühzeitig genau die Unterstützungsangebote bieten zu können, die sie benötigen.
Um solch passgenaue Angebote entwickeln zu können, müssen die unterschiedlichen Lebensbereiche und Bedarfe von Kindern und Familien - unter deren Beteiligung - umfassend in den Blick genommen werden. Das Ziel ist die bessere Verknüpfung vorhandener Angebote der Gesundheitsförderung, der frühkindlichen, schulischen und beruflichen Bildung, der Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe, aber auch der Angebote aus den Bereichen Sport und Kultur, sodass sozialräumliche Potenziale bestmöglich ausgeschöpft werden können.
Gelingensbedingungen für kommunale Präventionsarbeit
Die Landesinitiative konnte durch die wissenschaftliche Begleitung der Kommunen bereits viele wertvolle Erfahrungen sammeln und somit grundlegende Gelingensbedingungen für die kommunale Präventionsarbeit identifizieren. Ein gemeinsam mit den Kommunen entwickelter Qualitätsrahmen bietet den beteiligten Akteuren Orientierung bei der Schaffung einer aufeinander abgestimmten Infrastruktur für Entwicklung, Bildung, Gesundheit und Teilhabe. Der Qualitätsrahmen ist ein empirisch belastbarer, aber zugleich entwicklungsoffener Ansatz, der zum einen aus allgemeinen Präventionsleitlinien und zum anderen aus einem Qualitätskreislauf mit vier Stationen besteht:
Das Modell des idealtypischen Ablaufs dient hierbei als Vorlage. In der Umsetzung setzt jede Kommune aber die für sie passenden Prioritäten und beginnt dort, wo sich der größte Handlungsbedarf abzeichnet. Keine Kommune gleicht der anderen, daher sind auch die Wege zum Ziel immer andere.
Keine Kommune gleicht der anderen - doch manches haben sie gemein
Trotz ungleicher kommunaler Ausgangslagen lassen sich allgemeingültige Gelingensbedingungen bzw. Handlungsempfehlungen formulieren:
Prävention als strategische Entscheidung innerhalb der Kommune etablieren
So reift ein Bewusstsein dafür, die Gestaltung förderlicher Entwicklungsbedingungen für Kinder und Jugendliche als zentralen Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge wahrzunehmen. Dies lässt sich jedoch nicht ohne die aktive und nachhaltige Rückendeckung durch die kommunale Spitze erreichen. Kommunale Präventionsketten lassen sich nur etablieren, wenn sich die gesamte Kommune anhand eines verbindlichen Leitbilds gemeinsam darauf verständigt.
Die Perspektive wechseln und Gemeinsamkeiten stärken
Ein weiterer Grundpfeiler für den Aufbau von Präventionsketten ist ein grundlegender Perspektivwechsel: Nicht mehr länger in (getrennten) Zuständigkeiten, sondern auf das (gemeinsame) Ziel fokussiert denken. Anders ausgedrückt: „vom Kind aus denken“ und das Handeln danach ausrichten. Sonst riskiert man, dass notwendige Hilfe nicht ankommt. Der Begriff Präventionskette betont vor allem die Orientierung an der Biografie des einzelnen jungen Menschen. Institutionelle Förder- und Hilfesettings müssen die Vorerfahrungen und den Entwicklungsstand des jeweiligen Individuums reflektieren. Dies macht eine effektive Vernetzung der Unterstützungssysteme, zielführende Formate sowie eine bereichsübergreifende multiprofessionelle Zusammenarbeit erforderlich. Nur wenn die Adressaten hierbei umfassend beteiligt werden, sind solche Formate passgenau und hilfreich.
Gelungene integrierte Handlungskonzepte vor Ort tragen dazu bei, dass Kinder und Jugendliche Bedingungen in ihrer unmittelbaren Umgebung vorfinden, durch die sie ihre individuellen Potenziale - unabhängig von ihrer sozialen Lage - besser entfalten können. Dazu liegen viele Beispiele aus den Kommunen vor, die u. a. auch in der Praxisdatenbank auf der Projektwebsite www.kommunale-praeventionsketten.de <http://www.kommunale-praeventionsketten.de> dargestellt werden.
Aktuelles und ein Blick in die Zukunft
Die Ergebnisse des wissenschaftlichen Begleitprozesses werden weiterhin durch das Institut für soziale Arbeit e. V. für die kommunale Praxis aufgearbeitet und gesammelt und in verschiedenen Formaten und Publikationen bereit gestellt. Fragestellungen und Themen rund um den Aufbau und die Weiterentwicklung von Präventionsketten, die sich in den teilnehmenden Kreisen und
Städten ergeben, werden aufgegriffen und u.a. bei Fachveranstaltungen, den sogenannten „Lernnetzwerktreffen“, bearbeitet.
Darüber hinaus gibt es thematische „Lerncluster“, die den offenen interkommunalen Austausch zu den wesentlichen Themenschwerpunkten in Kleingruppen ermöglichen. Ein weiteres aktuelles Format sind die „Entwicklungsgruppen“, die im Januar 2018 gestartet sind: Im Vorfeld wurden durch Expertenhearings zukunftsträchtige Themen der kommunalen Qualitätsentwicklung in der Präventionsarbeit identifiziert. Da hierzu oftmals bisher noch keine oder kaum „Gute Praxis“ existiert, sollen in den Entwicklungsgruppen aus der Praxis heraus innovative Ansätze entwickelt werden. Im nächsten Schritt können diese Ansätze auch vor Ort in den Kommunen auf ihre „Praxistauglichkeit“ überprüft und in den Entwicklungsgruppen reflektiert und weiterentwickelt werden. Gute Ansätze, die den sprichwörtlichen Praxistest bestehen, werden im Nachgang dokumentiert und u.a. in das Lernnetzwerk kommuniziert; so wird der landesweite Transfer innovativer Ansätze vorangetrieben