14.04.2023
Berliner Landesgesundheitskonferenz beschließt als bundesweit erste Landesgesundheitskonferenz Gesundheitsziele für wohnungslose Menschen
Marisa Elle, Gesundheit Berlin-Brandenburg
Schlagwörter:Wohnungslose, Wohnen, Gesundheit, Gesundheitsförderung
Das Leben auf der Straße macht krank. Medizinische Hilfe erhalten wohnungslose Menschen dennoch selten, aufgrund von Hürden können viele das Versorgungssystem nicht nutzen. Die Berliner Landesgesundheitskonferenz möchte das ändern und hat erstmalig Gesundheitsziele entwickelt, um die gesundheitliche Versorgung von wohnungslosen Menschen zu verbessern.
Menschen ohne eigene Wohnung - ob sie auf der Straße leben oder in Notunterkünften unterkommen - geht es in vielerlei Hinsicht schlecht. Sie leben am Rande unserer Gesellschaft, werden ausgegrenzt, sind einsam und oft verzweifelt. Sie können an vielen Lebensbereichen nicht teilhaben und sind gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen stark benachteiligt. Die meisten können sich nicht alleine und ohne Hilfe aus dieser prekären Lage befreien.
Diese Lebenssituation beeinträchtigt Gesundheit und Wohlbefinden enorm. Damit sind nicht nur die schlechten Hygienebedingungen gemeint, die zu Krankheiten wie Hautausschlägen, schlecht heilenden Wunden, Parasitenbefall oder Tuberkulose führen können. Häufig sind Menschen schon vor dem Verlust der Wohnung von Suchterkrankungen betroffen und psychisch und/oder körperlich chronisch krank. Manche hat erst die Krankheit oder eine Lebenskrise in die Armut und Wohnungslosigkeit getrieben. Der Teufelskreis „Armut macht krank – Krankheit macht arm“ manifestiert sich auf den Straßen und wird im Stadtbild sichtbar. In Folge versterben insbesondere Menschen, die auf der Straße leben, vor der Zeit und ohne palliative und hospizliche Versorgung.
Doch von wie vielen betroffenen Menschen sprechen wir eigentlich? Schätzungen zufolge sind in Berlin etwa 50.000 Menschen wohnungslos. (1) Erst seit 2022 ermittelt der Bund regelmäßig Zahlen. Demnach waren 2022 in Berlin 25.975 (2) Menschen in Notunterkünften untergebracht. Die Dunkelziffer der Wohnungslosen ist jedoch weitaus höher, da Menschen, die auf der Straße leben, hier nicht mitgerechnet sind. Bei der ersten Zählung im Jahr 2020 wurden ca. 2.000 auf der Straße lebende Menschen (3) in Berlin erfasst, vermutlich blieben dabei viele ungezählt.
Mangelhafte medizinische Versorgung
Wohnungslose Menschen können häufig nicht einfach in eine Praxis oder in ein Krankenhaus gehen und sich dort medizinisch behandeln lassen. Einerseits sind viele der Betroffenen nicht krankenversichert und können damit Leistungen unseres Gesundheitssystems nicht in Anspruch nehmen, denn: Mediziner*innen und Strukturen könnten die erbrachten Leistungen nicht abrechnen. Andererseits gibt es persönliche Gründe wie z.B. Diskriminierungserfahrungen, Sucht, psychische Erkrankungen, Scham oder fehlende Krankheitseinsicht, die es wohnungslosen Menschen schwermachen, das gesundheitliche Versorgungssystem zu nutzen.
Damit sind diese Menschen auf speziell für die Bedarfe wohnungsloser oder nicht krankenversicherter Menschen eingerichtete, niedrigschwellige, ambulante Angebote einer medizinischen Basisversorgung angewiesen. Diese Angebote sind zu einem großen Teil von Spenden und der Unterstützung durch Freiwillige abhängig. Sie decken den Bedarf in Berlin nicht. Krankenhäuser nehmen im Notfall Patient*innen auf, erhalten aber häufig keine Kostenerstattungen.
Gesundheit durch Gesundheitsziele
Die Berliner Landesgesundheitskonferenz hat 2020 das Gesundheitsziel “Gesund teilhaben” beschlossen und nun erste Gesundheitsziele für wohnungslose Menschen erarbeitet.
Um Maßnahmen gezielt und effektiv zu planen und umzusetzen, braucht es Zahlen und Fakten. Deshalb spricht sich die Berliner Landesgesundheitskonferenz für den Aufbau einer Gesundheitsberichterstattung für wohnungslose Menschen aus. Regelmäßig soll die für Gesundheit zuständige Senatsverwaltung ab 2025 einen Gesundheitsbericht veröffentlichen. Auf dieser Grundlage können dann unterschiedliche Akteur*innen und Projektträger*innen ihre Unterstützungsangebote und Maßnahmen gezielt aufeinander abstimmen und bedarfsorientiert planen.
Die gesundheitliche Versorgung der Menschen, die in Berlin ohne eigene Wohnung sind, soll künftig in einem besser koordinierten Rahmen stattfinden. In 2023 soll sich ein interdisziplinäres Gremium gründen, das unter Berücksichtigung bereits bestehender Angebote und Entwürfe ein Konzept für eine zielgerichtete niederschwellige Versorgungsstruktur in Berlin erarbeitet.
Aktuell unterstützen diverse Akteur*innen Menschen ohne eigene Wohnung in Berlin durch konkrete Hilfsleistungen und Angebote im medizinischen Bereich. Damit das zukünftig noch besser gelingt, möchte die Berliner Landesgesundheitskonferenz ein Fachnetzwerk gründen, in dem sich regelmäßig Akteur*innen austauschen und Aktivitäten planen und abstimmen. Das Land Berlin soll hierfür gute Rahmenbedingungen schaffen und z.B. nötige Ressourcen wie Räume stellen.
Zum Sommeranfang 2023 plant die Berliner Landesgesundheitskonferenz eine Fachveranstaltung zum Thema Gesundheit und Teilhabe von Menschen ohne eigene Wohnung. Gemeinsam soll mit politischen Entscheidungsträger*innen und Fachakteur*innen diskutiert werden, wie sich die Gesundheitsziele konkret umsetzen lassen. Weitere Informationen finden sich hier auf der Webseite der Fachstelle für Prävention und Gesundheitsförderung im Land Berlin.
Für einen geregelten Zugang zur gesundheitlichen Versorgung wird im Rahmen der Gesundheitsziele gefordert, bei der Einführung einer Berlin City ID-Card – ein Art Stadtausweis für Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus – auch Menschen ohne Meldeadresse oder ohne eigenen Wohnraum zu berücksichtigen. Damit könnten Betroffene leichter Angebote des Gesundheitssystems nutzen und Mediziner*innen unkomplizierter Leistungen abrechnen.
Mit Masterplan gezielt gegen Obdach- und Wohnungslosigkeit in Berlin bis 2030
Bis 2030 soll es in Berlin keine Menschen ohne Wohnung oder Obdach mehr geben. Dies ist das Ziel des „Masterplans zur Überwindung von Obdach- und Wohnungslosigkeit bis zum Jahr 2030“ (4), initiiert durch die für Soziales zuständige Senatsverwaltung. Die geplanten Maßnahmen reichen von der Verstetigung und dem Ausbau des Modellprojektes Housing First über die Fortsetzung der Zählung von Menschen, die auf der Straße leben, bis hin zur Reform des niedrigschwelligen Unterbringungs- und Notversorgungssystems.
Nur gemeinsam mit vielen Akteur*innen kann es gelingen, Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Berlin zu bekämpfen. Die Berliner Landesgesundheitskonferenz möchte mit den entwickelten Gesundheitszielen ihren Beitrag dazu leisten.
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(1): Quelle: BERLINER MASTERPLAN zur Überwindung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030, September 2021
(2): Statistisches Bundesamt: Statistisches Bundesamt Deutschland - GENESIS-Online: Ergebnis 22971-0050-DLAND (destatis.de)
(3): https://zeitdersolidaritaet.de/ergebnisse
(4): Masterplan 2030: https://www.berlin.de/sen/soziales/besondere-lebenssituationen/wohnungslose/wohnungslosenpolitik/20210903_masterplan2030.pdf