14.05.2013
Beschweren erlaubt!
Beteiligungsverfahren und Beschwerdemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen etablieren und stärken!
Petra Mund, Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V.
Schlagwörter:Kinderrechte, Kinderschutz, Partizipation, Strukturaufbau
Durch in Kraft treten des Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz - BKiSchG) zum 01.01.2012 sind die Rechte von Kindern und Jugendlichen, die im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe in stationären Einrichtungen untergebracht sind, gestärkt worden. Nunmehr sind Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen eine Voraussetzung für die Erteilung einer Betriebserlaubnis. Durch diese gesetzlichen Änderungen werden die Empfehlungen der Runden Tische zur „Heimerziehung in den 50er/60er Jahren“ und zu „Sexuellem Kindesmissbrauch“ aufgegriffen.
Um die Praxis bei Aufbau derartiger Beteiligungs- und Beschwerdestrukturen zu unterstützen, hat der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V., als gemeinsames Forum von Kommunen und Wohlfahrtsorganisationen sowie ihrer Einrichtungen, der Bundesländer und der Vertreter/innen der Wissenschaft für alle Bereiche der sozialen Arbeit und der Sozialpolitik, im Mai vergangenen Jahres „Empfehlungen zu Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen“ verabschiedet. Er spricht sich dafür aus, in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe die Beteiligungsverfahren weiterzuentwickeln und zu qualifizieren sowie für die Kinder und Jugendlichen Beschwerdemöglichkeiten verbindlich zu etablieren.
Als Praxisergänzung wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend an der Freien Universität Berlin unter der Leitung von Frau Professorin Dr. Ulrike Urban-Stahl im Jahr 2012 die erste bundesweite Studie zu den Bedingungen der Implementierung von Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe (BIBEK) durchgeführt. Die dort gewonnenen Erkenntnisse stützen weitestgehend die Empfehlungen des Deutschen Vereins und die daraus entwickelte Handreichung „Beschweren erlaubt - Bedingungen der Implementierung von Beschwerdestellen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfezeigt“ zeigt mit zehn Empfehlungen wie Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe erfolgreich implementiert werden können.
Beschwerde als Chance
Zentraler Grundgedanke ist das eindeutig positiv besetzte Verständnis von Beschwerde. Für den Deutschen Verein ist eine Beschwerde die persönliche (mündliche oder schriftliche) kritische Äußerung eines betroffenen Kindes, Jugendlichen oder seiner Personensorgeberechtigten, die insbesondere das Verhalten der Fachkräfte bzw. der Kinder und Jugendlichen, das Leben in der Einrichtung oder die Entscheidungen des Leistungsträgers betreffen. Auch wenn die konstruktive Auseinandersetzung mit Beschwerden für die Institutionen und die betroffenen Personen nicht einfach ist, sind Beschwerden als Chancen zu verstehen. Als die Chance, von Kindern, Jugendlichen und Personensorgeberechtigten Rückmeldungen über ihre Sicht auf das fachliche Handeln und das organisatorische Geschehen zu bekommen.
Kinder, Jugendlichen und Fachkräfte beteiligen
Auf diesem positiven Beschwerdeverständnis aufbauend, ist es für die Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen zentral, dass die Kinder und Jugendlichen ihre Rechte kennen und das sie sowohl in Bezug auf ihr Leben in der Einrichtung als auch in Bezug auf die Entwicklung der Beschwerdeverfahren beteiligt werden. Beteiligung hat dabei auch den Auftrag und das Ziel, das strukturelle Machtgefälle durch Aufklärung und Beratung der Kinder, Jugendlichen und ihrer Personensorgeberechtigten über die bestehenden Rechte zu reduzieren. Beteiligung kann somit auch ein wirksamer Schutz vor Machtmissbrauch, Fehlverhalten und Übergriffen sein. Der Deutsche Verein empfiehlt in diesem Zusammenhang, einen Rechtekatalog in einem gemeinsamen Prozess mit den Kindern und Jugendlichen und den Fach- und Leitungskräften der Einrichtung zu erarbeiten und in ansprechender, alters- und entwicklungsgerechter Form öffentlich zu machen.
Haltung der Fachkräfte und der Einrichtungskultur entscheidend
Durch diese Auseinandersetzung mit den Rechten der Kinder und Jugendlichen und die eventuell damit verbundenen Ängste, Bedenken und Widerstände der Fachkräfte werden Entwicklungen angestoßen, die die Einrichtung verändern werden und die wiederum für die Entstehung einer beteiligungsorientierten und beschwerdeoffenen Einrichtungskultur Voraussetzung sind. Erst wenn bei den Fachkräften der Einrichtung eine positive Haltung und damit auch tatsächliche Akzeptanz gegenüber der Beteiligung der Kinder und Jugendlichen und den Möglichkeiten der Beschwerde besteht, können diese Instrumente dazu beitragen, die Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen zu sichern.
Individuelles Beschwerdemanagement entwickeln
Jede Einrichtung sollte ein strukturiertes, transparentes und schriftlich fixiertes Beschwerdemanagement entwickeln und anwenden. Dieses Beschwerdeverfahren kann sowohl einrichtungsintern als -extern angesiedelt sein, beides sind angemessene Formen einer beteiligungsorientierten Einrichtungskultur. Da es gilt, die jeweiligen Beschwerdeverfahren an die Gegebenheiten der Einrichtungen anzupassen, muss im Einzelfall entschieden werden, welches Modell erfolgversprechender ist. Genau wie der Rechtekatlog sollte dieses Beschwerdemanagement im Betrieb der Einrichtung in einem gemeinsamen Prozess mit den Fachkräften und den Kindern/Jugendlichen erarbeitet, erprobt, überprüft und qualifiziert weiterentwickelt werden.
Konkrete Ansprechpersonen benennen
Der Deutsche Verein empfiehlt, in dem erarbeiteten Beschwerdemanagement feste Ansprechpersonen zu benennen, die - wiederum in Abhängigkeit zu den konkreten Erfordernissen und Bedingungen der Einrichtung - einrichtungsintern oder -extern sein können. Diese benannten Ansprechpersonen sollten eine umfassende Zuständigkeit für alle Arten der Beschwerden in den Einrichtungen haben. Sofern die Fach- und/oder Leitungskräfte der Einrichtung die Ansprechpartner/innen für die eingegangenen Beschwerden zuständig sind, ist zu klären, wie die für die Interessensvertretung notwendige Unabhängigkeit sichergestellt werden kann.
Für den Erfolg eines Beschwerdesystems ist der alters- und entwicklungsgerechte Zugang der Kinder und Jugendlichen von zentraler Bedeutung, d.h. dass die Kinder und Jugendlichen nicht nur über die Möglichkeit der Beschwerde informiert sind, sondern auch in die Lage versetzt werden, diese aktiv nutzen zu können. Damit dies gelingt, sollte das Angebot in allen Einrichtungsteilen und Gruppen bekannt gemacht und offensiv für die Inanspruchnahme geworben werden. In den Fällen, in denen Kinder und Jugendliche sich nicht selbst Gehör verschaffen können, soll diese Möglichkeit über geeignete Vertrauenspersonen eingeräumt und sichergestellt werden. Unterstützend wirkt hier, wenn auf die Beschwerdemöglichkeit bereits im Rahmen des ersten Kontakts der Kinder und Jugendlichen und ihrer Personensorgeberechtigten mit der Einrichtung persönlich und mit einer altersgerechten Handreichung hingewiesen und dabei dieses Angebot auch erläutert wird.
Zudem ist es wichtig, dass die benannten Ansprechpersonen für Beschwerden für die Kinder und Jugendlichen präsent sind. Insbesondere bei einer externen Ansprechperson empfiehlt es sich, den notwendigen persönlichen Kontakt aktiv zu pflegen. Dies kann beispielsweise durch die Einbeziehung in Feste und Aktivitäten der Einrichtungen, aber auch durch eine zwangslose Teilhabe am Alltag der Kinder und Jugendlichen geschehen. Bei Kindern und Jugendlichen, die sich sprachlich nicht äußern können, wird diese Teilhabe am Alltag bzw. eine strukturierte Beobachtung von Alltagssituationen unumgänglich sein. Gleichzeitig ist es wichtig, die Personensorgeberechtigten zu sensibilisieren, die Rechte, den Schutz und die Sicherheit ihrer Kinder offensiv einzufordern und deutlich zu machen, auch für ihre Beschwerden als Ansprechperson zur Verfügung zu stehen.