16.07.2012
Bewegung als Investition in Gesundheit mit Frauen in schwierigen Lebenslagen
Annika Frahsa, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Sportwissenschaft und Sport, AB Public Health und Bewegung
Schlagwörter:Bewegungsförderung, Empowerment, Good Practice, GP-Projekte, Partizipation, Qualitätsentwicklung
Seit 2005 arbeitet das Institut für Sportwissenschaft und Sport (ISS) mit dem Ansatz „Bewegung als Investition in Gesundheit (BIG)“ an der Schaffung und nachhaltigen Institutionalisierung adäquater Gesundheitsförderung durch Bewegung mit Frauen in schwierigen Lebenslagen. Der BIG-Ansatz wurde zur Förderung von Bewegung bei Frauen mit Migrationshintergrund, arbeitslosen Frauen, Frauen mit geringem Bildungsstatus, Empfängerinnen von staatlichen Transferleistungen, Frauen mit besonderem Armutsrisiko oder Alleinerziehenden zunächst modellhaft in Erlangen, in den Settings Wohnviertel, Sportverein und Betrieb umgesetzt. Nach gelungenem Transfer des Ansatzes auf weitere Kommunen nehmen gegenwärtig wöchentlich mehr als 800 Frauen an BIG-Aktivitäten an 10 Standorten in Deutschland (Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen) teil.
Mit einem sowohl verhältnis- als auch verhaltenspräventiven Ansatz will BIG die Chancen von Frauen verbessern, an den vielfältigen positiven Effekten von Bewegung zu profitieren. Herzstück von BIG ist die Kooperative Planung - ein systematischer und umfassender Ansatz der Partizipation. BIG-Aktivitäten werden dabei gemeinsam mit Frauen in schwierigen Lebenslagen und anderen Experten aus den einbezogenen Settings geplant, umgesetzt und evaluiert.
Frauen werden in der Kooperativen Planung von Betroffenen zu Beteiligten - zu Mitentscheiderinnen und Mitarbeiterinnen im BIG-Ansatz. Sie sind u.a. entscheidende Aktivposten für die Gewinnung von Teilnehmerinnen an den unterschiedlichen BIG-Maßnahmen. Ein zentrales Ergebnis der Bedingungsanalyse in der Kooperativen Planung ist beispielsweise, dass die Frauen weniger an der Schaffung von Bewegungsmöglichkeiten im Alltag als an regelmäßigen Sportangeboten interessiert waren, die mit ihrer allgemeinen Lebensführung vereinbar sind. Entscheidend war für die Interviewpartnerinnen, dass die Sportangebote kostengünstig und mit Kinderbetreuung verbunden sind. Auch wünschten sie sich Sport- und Bewegungsangebote in wohnungsnahen Räumen (z.B. eine Sporthalle einer wohnortnahen Grundschule). Aktivitäten reichen daher von niedrigschwelligen Bewegungsprogrammen (z. B. Fitnesskurse und Schwimmkurse) über Bewegungsgelegenheiten (z.B. Frauenbadezeiten, Gesundheitsseminare, Fahrradlernkurse) bis hin zur Etablierung von Projektbüros vor Ort und Qualifizierung von Frauen in schwierigen Lebenslagen zu Sportassistentinnen und Übungsleiterinnen.
BIG trägt durch die aktive Beteiligung zum individuellen Empowerment und der systematischen Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten der Frauen bei. Veränderungen im Bewegungsverhalten (z. B. Anstieg regelmäßiger mittelschwerer körperlicher Aktivität), physiologische Effekte (Blutdrucksenkung und verbesserte Herzfrequenzvariabilität) sowie verbesserte Bewegungskompetenzen (Schwimmen lernen) konnten in einer umfassenden multidimensionalen Evaluation nachgewiesen werden. Beteiligte Expert/-innen und Entscheidungsträger/-innen entwickeln auf unterschiedlichen Ebenen Kapazitäten für Bewegungsförderung mit dieser Zielgruppe. Sie erhalten Einblicke in die vielfältigen Barrieren und Verpflichtungen der Frauen, arbeiten in intersektoraler Kooperation mit anderen Einrichtungen an der Überwindung dieser und schaffen neue Strukturen für Gesundheitsförderung vor Ort (z.B. verbesserte Zugänge zu Bewegungsinfrastrukturen, Anpassung von Richtlinien zur Übungsleiterausbildung oder die Etablierung einer intersektoralen BIG-Koordinationsstelle in der Stadtverwaltung).
Aus den Erfahrungen der vergangen zwei Jahre ist ein Handbuch zur eigenständigen Umsetzung des BIG-Ansatzes auf kommunaler Ebene erstellt und in der Praxis erprobt worden. Als Ergebnis steht interessierten Kommunen nun das BIG-Manual als Anleitung für den Aufbau geeigneter Strukturen und die Nutzung erfolgreicher Methoden zur Gesundheitsförderung sozial Benachteiligter zur Verfügung. Es kann wirksam dabei helfen, die Arbeit mit Menschen vor Ort gezielt zu strukturieren und weist Gesundheitsförderer auf Stolpersteine und mögliche Lösungswege hin. Das BIG-Manual stellt die Kernelemente des BIG-Ansatzes Schritt für Schritt knapp dar und veranschaulicht jeden Schritt mit zahlreichen Beispielen aus der Praxis. Ergänzend zum Manual stehen Arbeitshilfen mit nützlichem Wissen zu den einzelnen Umsetzungsphasen zur Verfügung. Eine Anleitung zur Qualitätssicherung hilft darüber hinaus, die BIG-Aktivitäten von Anfang an zu dokumentieren und eigenständig auf ihre Wirksamkeit zu prüfen. Das am ISS angesiedelte BIG-Kompetenzzentrum bietet gemeinsam mit der BarmerGEK (Partner im Kooperationsverbund) bisherigen und neuen interessierten Kommunen und Organisationen aus der Bewegungs- und Gesundheitsförderung wissenschaftliche Beratung und Weiterbildung zur Qualitätssicherung in der Umsetzung von BIG. Angewandte Forschung und praxisorientierte Evaluation tragen zur ständigen Weiterentwicklung und Optimierung des BIG-Ansatzes bei.