06.09.2024
Der Good Practice-Ansatz am Beispiel Bewegungsförderung im öffentlichen Raum
Tuja Pagels, Medizinische Hochschule Brandenburg
Schlagwörter:Bewegungsförderung, Good Practice, Quartier
Einführung
Bewegungsförderung im öffentlichen Raum ist ein Thema mit zunehmender Bedeutung. Mittlerweile gibt es dazu in vielen Bundesländern Programme. So auch im Land Berlin und in der Stadt Esslingen. Im Rahmen eines Studierendenprojektes in der Geschäftsstelle des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit wurden Sport im Park inklusiv, Berlin, und die Bewegungs-Treffs im Freien in der Stadt Esslingen genauer beleuchtet. Es wurden Expert*inneninterviews zu ausgewählten Good Practice-Kriterien mit der Projektleitung der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin für Sport im Park inklusiv und mit zwei ehrenamtlichen Leitungen der Bewegungs-Treffsgeführt. Die Bewegungs-Treffs in Esslingen wurden 2019 als Good Practice-Projekt ausgezeichnet, Sport im Park inklusiv Berlin bisher nicht.
Die zwölf Good Practice-Kriterien des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit wurden als Reflexionswerkzeug für Anbieter*innen der Gesundheitsförderung entwickelt, um sie dabei zu unterstützen, Maßnahmen soziallagenbezogen zu konzipieren, die eigene Arbeit zu überprüfen und deren Qualität weiter zu entwickeln. In den Interviews wurden vertiefende Fragen zu den Good Practice-Kriterien Zielgruppenbezug, Partizipation und Multiplikatoren-Konzept gestellt.
Im Folgenden werden die Ergebnisse der Interviews skizziert.
Sport im Park inklusiv
Sport im Park inklusiv ist ein seit 2018 von der Senatsverwaltung für Inneres und Sport durchgeführtes Förderprogramm des Landes Berlin. Das Ziel ist, niedrigschwellige Bewegung im öffentlichen Raum zu fördern. Kostenlos und ohne Anmeldeformalitäten finden von Mai bis Oktober in ca. 80 Berliner Parkanlagen rund 270 Bewegungsangebote statt. Die Durchführung der Angebote liegt in den Händen von qualifizierten Übungsleitenden aus sportförderungswürdigen Sportvereinen oder -verbänden. Den Zusatz „inklusiv“ führt das Programm seit 2023 und unterlegt dies u.a. durch eine überwiegend praktische Fortbildung für Übungsleitende zum Thema Inklusion. Zusätzlich wurde Ende 2023 ein Inklusiv-Workshop durchgeführt, in dem die Beteiligung von Menschen mit Behinderung mit den Übungsleitenden reflektiert wurde.
Zielgruppenbezug
Zielgruppe sind alle Menschen, die bisher nicht in Bewegung kommen. Überwiegend nehmen ältere Menschen (50+) an den Angeboten teil. Um dem spezifischen Bedarf bestimmter Zielgruppen gerecht zu werden, richten sich einige Angebote auch speziell an Adressat*innen, wie zum Beispiel Kinder und Jugendliche, Frauen, migrantische Frauen und gehörlose Menschen. Auch sozial Benachteiligte sollen mit den Angeboten zur Teilhabe und Integration erreicht werden. Der Anteil der überwiegend bewegungsfernen Teilnehmenden wird auf ca. 15-20 Prozent der Gesamtteilnehmenden geschätzt.
Partizipation
Die Findung und Motivation der Zielgruppe ist in dem landesweiten Programm eine Herausforderung. Beteiligung wird über Befragungen der Teilnehmenden, der Übungsleitungen, der Projektverantwortlichen und von Einrichtungen im Stadtteil gestaltet. So kann das Programm für die kommenden Jahre weiterentwickelt und optimiert werden.
Multiplikatoren-Konzept
Die Auswahl und Betreuung der Übungsleitenden obliegt den Sportvereinen. Häufig sind die Übungsleitenden Sportstudierende und weisen eine Grundqualifikation im Bereich Bewegungsförderung vor. Die Senatsverwaltung bietet den Übungsleitenden zusätzlich kostenlose Schulungen an. Zudem werden Newsletter an die Vereine und die Übungsleiteden versendet sowie Informationsmaterialien zu Spezialthemen bereitgestellt. Wichtige Netzwerkpartner in den Bezirken sind die Organisationseinheiten für Qualitätssicherung, Planung und Koordination (QPK) des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sowie Bewegungsnetzwerke.
Weiterführende Informationen: Bewegungswelt Park - Sport im Park Inklusiv - Berlin.de
Bewegungs-Treffs in Esslingen
Die Bewegungs-Treffs in Esslingen sind ein Projekt in der Stadt Esslingen (Baden-Württemberg), welches mittlerweile im gesamten Landkreis Esslingen stattfindet. Seit 2010 werden ganzjährig Bewegungsangebote im öffentlichen Raum für ältere Menschen umgesetzt. Die Teilnahme ist kostenlos und ohne Anmeldung möglich. Träger ist der Stadtseniorenrat Esslingen in Kooperation mit der Stadt Esslingen. Das Projekt wurde 2019 für die Good Practice-Kriterien Niedrigschwellige Arbeitsweise, Multiplikatoren-Konzept und Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Das Ziel ist neben niedrigschwelliger Bewegungsförderung für ältere Menschen aller sozialer Lagen auch die Förderung sozialer Kontakte.
Zielgruppenbezug
Die Zielgruppe sind Personen ab 60 Jahren, wobei unter 60-Jährige nicht ausgeschlossen sind. Sozialbenachteiligte Gruppen werden nicht direkt adressiert. Teilnehmende und Übungsleitende stammen mitunter aus anderen Herkunftsländern. Um Niedrigschwelligkeit im Angebot zu wahren, werden keine Daten der Teilnehmenden erhoben. Das Geschlechterverhältnis gestaltet sich unterschiedlich, es hat sich gezeigt, dass Männer eher bei männlichen Übungsleitenden teilnehmen.
Partizipation
Die Initiierung des Angebotes kam aus dem Stadtseniorenrat, also direkt aus der Zielgruppe. Außerdem werden die Teilnehmenden in den Angeboten angeregt sich an der Gestaltung der Übungen zu beteiligen. Eine der ehrenamtlichen Leitungen beschreibt die Beteiligung wie folgt:
„Ja, wir haben aber den Anspruch, dass immer jemand da sein muss, der anleitet. Aber für mich war es zum Beispiel eine Freude, wie ich mich mal verspätet habe. Und sie haben gesagt, ‚wir dachten schon, heute müssen wir alleine machen, aber wir kennen die Übungen ja‘, das empfinde ich als Lob.“
Multiplikatoren-Konzept
Die Umsetzung erfolgt durch ehrenamtliche Übungsleitende, die eine 3-tägige Schulung zum Programm 5 Esslinger, welches die Grundlage für die Angebote bildet, erhalten. Die Kosten für die Schulung werden erstattet, sobald die Teilnehmenden ein Angebot im Projekt umsetzen. Die ehrenamtlichen Leitungen informieren alle Übungsleitenden regelmäßig per E-Mail und unterstützen bei Problemen. Wichtig bei der Auswahl der Übungsleitenden ist, dass sie selbst aus der Zielgruppe kommen. Das Projekt arbeitet u.a. mit dem Landratsamt Esslingen und Seniorenkreisen in der Stadt zusammen.
Weiterführende Informationen: » Bewegungstreffs (ssr-es.de)
Gegenüberstellung der Projekte
Beide beschriebenen Projekte setzen niedrigschwellige Bewegungsförderung im öffentlichen Raum um. Zu betonen ist, dass die interviewten Personen unterschiedliche Ebenen innerhalb ihrer Projekte repräsentieren. Bei Sport im Park inklusiv wurde die Programmleitung interviewt, ohne bzw. mit wenig Kontakt zu Zielgruppe und Übungsleitenden. Die Interviewpartnerinnen der Bewegungs-Treffs sind selbst Übungsleitende und stehen dadurch in unmittelbarem Kontakt zu den Teilnehmenden und zu anderen Übungsleitenden.
Einen weiteren Unterschied gibt es in der geografischen Reichweite bzw. kommunalen Struktur: Sport im Park inklusiv wird in einem Stadtstaat und die Bewegungs-Treffs in der Stadt sowie im Landkreis Esslingen umgesetzt.
Auch die Menschen, die mit den Angeboten erreicht werden sollen, sind anders definiert: ältere Menschen in Esslingen versus und Menschen mit Bewegungsmangel in Berlin.
Das Kriterium Partizipation könnte nicht unterschiedlicher umgesetzt werden. Die Bewegungs-Treffs wurden aus der Zielgruppe heraus entwickelt und Sport im Park inklusiv wurde durch die Berliner Senatsverwaltung für Sport initiiert. Eine Beteiligung der Teilnehmenden erfolgt in Esslingen über die Übungen mit hohem Aufforderungscharakter sich einzubringen und in Berlin über eine Befragung der Teilnehmenden. Übungsleitende in Berlin werden durch die beteiligten Sportvereine betreut, wohingegen in Esslingen die ehrenamtlichen Leitungen die Betreuung der Übungsleitungen übernehmen.
Insgesamt zeigt sich, dass beide Projekte zur niedrigschwelligen Bewegungsförderung im öffentlichen Raum auf große Akzeptanz und Zufriedenheit bei den Teilnehmenden stoßen. Die Art der Umsetzung unterscheidet sich deutlich.