16.04.2019
"Butter bei die Fische": Gesundheitsförderung für Ältere im Quartier
Erkenntnisse aus der Arbeit der KGC, Ansätze und Entwicklungen für Thüringen
Hendrik Beck, Landesvereinigung für Gesundheitsförderung Thüringen e.V. (AGETHUR)
Björn Eifler, Landesvereinigung für Gesundheitsförderung Thüringen e.V. (AGETHUR)
Melanie Schieck, Landesvereinigung für Gesundheitsförderung Thüringen e.V. (AGETHUR)
Schlagwörter:Gesundheitsförderung, Quartier, regionale Akteure, Ältere
Zu Hause ist, wo wir unseren Alltag erleben, Aktivitäten starten, liebe Menschen treffen, Ruhe finden und Geborgenheit fühlen. Aber was, wenn vertraute Nachbarn fortziehen, Partnerinnen bzw. Partner oder Freunde nicht mehr da sind, der Einkaufsladen an der Ecke schließt und die gewohnten Wege schwerer als zuvor erscheinen? Das höhere Lebensalter stellt jeden vor ganz unterschiedliche Herausforderungen.
Mit dem wachsenden Anteil älterer Menschen bedeutet dies für Akteure in Stadtvierteln und Gemeinden, gute Ansätze für unterschiedliche Problemlagen zu finden. In den Thüringer Stadtteilen und Landgemeinden gibt es bereits viele Ideen, wie ein gutes und selbstbestimmtes Altwerden gestaltet werden kann. Diese Ansätze gilt es aufzunehmen und weiter zu verbreiten.
Seit Mai 2018 unterstützt die „KGC-Ältere im Quartier“ mit dem Begleitformat „Gesund alt werden im Quartier“ kommunale Akteure in zwei Thüringer Stadtteilen bei der Entwicklung gesundheitsfördernder Lebensbedingungen für ältere Menschen. Entlang des Public-Health-Action-Cycle erhalten Akteure in den Stadtteilen Meiningen „Jerusalem“ und Ilmenau „Am Stollen“ eine:
- Prozess- und Fachberatung,
- bedarfsgerechte Fortbildungen und Workshops,
- Reflexion, Praxis- und Erfahrungsaustausch sowie
- fachliche und methodische Unterstützung (z.B. Vorbereitung und Moderation von Arbeitstreffen, Dokumentation von Netzwerktreffen).
Mit diesem bedarfsorientierten Begleitformat verfolgt die KGC das Ziel, gesundheitsrelevante Ressourcen im Wohnumfeld älterer Menschen gezielt zu stärken und ungleich verteilte Chancen für ein selbstbestimmtes Älterwerden zu erhöhen.
Im Mittelpunkt der Begleitung steht die Befähigung der Akteure, ihre Ideen zum Erhalt und zur Erhöhung der Lebensqualität für ältere Menschen in den Wohnvierteln gemeinsam mit den Menschen vor Ort zu planen und umzusetzen. Die Partizipation der Bewohnerschaft, das heißt die Teilhabe an Entscheidungen mit Bezug auf die eigene Gesundheit (vgl. Hartung 2012: 57), bildet eine zentrale Strategie über den gesamten Prozessverlauf. Dabei geht es in den Wohnvierteln weder darum, kurzzeitige Projekte (Projektitis) schnell umzusetzen, noch folgt die Begleitung einem vorgefertigten Programm (Programmitis). Damit bleibt der Prozess völlig ergebnisoffen und orientiert sich an den Bedarfen der Bewohnerschaft sowie den Handlungsmöglichkeiten der Akteure.
Über den aktuellen Stand und den Erfahrungen aus der Begleitung der Akteure in den Modellquartieren informiert die „KGC-Ältere im Quartier“ auf den Internetseiten des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit und auf Inforo.
Ablauf und Prozessentwicklung
Bewerbungen aus allen Regionen Thüringens eingegangen
Bereits mit der Ausschreibung des Begleitformats im Dezember 2017 wurde der Aufbau einer Interessensgemeinschaft durch die Akteure vor Ort fokussiert. Mit der Ausschreibung wurden interessierte Personen aus den Kommunen und Quartieren gebeten, zur Vorbereitung auf die Bewerbung mit anderen Akteuren zum Thema „Älterwerden in ihrem Stadtteil“ ins Gespräch zu kommen. In den Bewerbungen stellten die Akteure ihren Stadtteil vor und erläuterten ihre Motivation die Situation zu verändern. Bis Ende Februar 2018 konnten sich Thüringer Quartiersakteure für die intensive Begleitung bewerben. Zwei Modellregionen bekamen den Zuschlag und werden nun von der KGC intensiv unterstützt.
16 Motivationsschreiben aus unterschiedlichen Regionen Thüringens haben die KGC erreicht. Bewerbungen von Akteuren aus Stadtvierteln (n=12) sind häufiger eingegangen, als von Akteuren aus ländlichen Regionen des Freistaats (n=4). Ein möglicher Grund dafür könnte darin liegen, dass Akteure aus ländlichen Regionen den Begriff Quartier eher mit der Stadt verbinden und sich damit weniger angesprochen gefühlt haben. Die Initiative sich zu bewerben ging am häufigsten von Wohlfahrtsverbänden (n=4) oder dem Quartiersmanagement (n=3) aus. Weiterhin bewarben sich Vereine, Architektenbüros, Stiftungen, Stadtverwaltungen und freie gemeinnützige Träger sozialer Dienstleistungen auf die Ausschreibung des Begleitprozesses. Neben den eingegangenen Bewerbungen beantwortete die KGC 19 Anfragen interessierter Akteure (u.a. Selbsthilfegruppen, Kommunalverwaltungen, Gesundheitsämter, Seniorenhilfevereine) rund um die Prozessbegleitung.
Die eingegangenen Bewerbungen und Anfragen verdeutlichten abermals den Handlungsdruck der Thüringer Kommunen und das große Interesse der Akteure nach sowohl intensiver als auch punktueller Begleitung und Unterstützung bei der Gestaltung gesundheitsfördernder Lebensbedingungen für ältere Menschen. Das unterschiedliche Bewerberbild zeigt, wie vielfältig der Kreis der Akteure in der seniorenbezogenen Arbeit und Gesundheitsförderung in Thüringen ist.
Welche Bedarfe haben die Akteure vor Ort?
Der Ideenreichtum und die hohe Motivation der Akteure, die in allen Bewerbungen zum Ausdruck kamen, machen auf das hohe Potential für die Entwicklung guter Lebensbedingungen in den Wohnvierteln aufmerksam. Deshalb war es der KGC ein besonderes Anliegen, die Themen und Fragen jener Akteure aus den Motivationsschreiben und den Gesprächen zu sammeln (siehe Kasten), die nicht intensiv begleitet werden konnten. Im Team der AGETHUR wurden Strategien überlegt, wie diesen Bedarfen der Quartiersakteuren nach Beratung, Begleitung und Unterstützung in Thüringen besser begegnet werden kann.
Das bewegt die Akteure vor Ort:
- Stärkung von Nachbarschaften
- Förderung von ehrenamtlichen Engagement
- Wie erreicht man isoliert lebende Ältere in ihren Wohnungen?
- Welchen Bedarf haben ältere Menschen nach Dienstleistungs-, Pflege-, Sozial- und Kulturangeboten in ihrem Wohnviertel?
- Stärkung von Kooperation und Vernetzung im Quartier
- Sicherung der Nachhaltigkeit von Angeboten
- Beratung und Unterstützung stationärer Pflegeeinrichtungen zu Möglichkeiten der Integration ihrer Angebote in das soziale Gemeinwesen
Ergebnis: Neue Formate für Quartiersakteure und Mitwirkung in etablierten Netzwerkstrukturen
Fortbildungen und Workshops
Aus den Ergebnissen entstand das Abrufseminar „Gesundheit & alles Gute?“ - Wie Lebensbedingungen unsere Gesundheit beeinflussen und stärken können.“ Das Seminar richtet sich sowohl an Akteure in Stadtteilen als auch in ländlichen Gemeinden. Teilnehmende erhalten interaktiv und abwechslungsreich einen Einblick in die Grundlagen der kommunalen Gesundheitsförderung und Prävention sowie in die Auswirkung sozialer Ungleichheit auf die Gesundheit im Alter. Hierzu werden integrierte Handlungsansätze vorgestellt, wie gesundheitliche Chancengleichheit für ältere Menschen gefördert werden kann.
Neben dem Abrufseminar entwickelte das Team der AGETHUR aus den spezifischen Bedarfen der Quartiersakteure und weiteren Rückmeldungen und Anfragen der letzten Jahre, neue Grundlagenseminare. Quartiersakteure haben somit seit Jahresbeginn 2019 die Möglichkeit sich z.B. zu Netzwerkarbeit und Kooperation, Moderationstechniken, Projektmanagement, Partizipation, Kriterien guter Praxis soziallagenbezogener Gesundheitsförderung oder Fundraising-Strategien zur Entwicklung nachhaltiger Angebote fortzubilden.
Praxisaustausch
Bereits seit 2014 findet zweimal jährlich ein Praxis- und Erfahrungsaustausch für Thüringer Quartiersakeure statt. Mit dem Format „Leben im Quartier“ unterstützt die AGETHUR den offenen Austausch von Quartiersakteuren über Ideen bis hin zu Praxistipps z.B. zur Nachbarschaftsentwicklung, Förderung von Ehrenamt oder Partizipationsmöglichkeiten. Seit 2018 bringt die „KGC-Ältere im Quartier“ hier ihre Erfahrungen mit ein und sammelt in den Gesprächen weitere Bedarfe zur Unterstützung der Akteure vor Ort. Das Austauschformat richtet sich insbesondere an jene Bewerber, die den Zuschlag für die intensive Begleitung nicht erhalten haben. (Für weitere Informationen: schieck@agethur.de)
Erweiterung KGC: Gesundheitsförderung und Pflege im Quartier
Bei der betrachtung gesundheitsfördernder Angebote und Strukturen in den Lebenswelten älterer Menschen dürfen ambulante, teilstationäre und stationäre Pflegeeinrichtungen nicht fehlen. Um Möglichkeiten und Ansätze für Schnittstellen zwischen stationären Pflegeeinrichtungen und quartiersbezogenen Angeboten erkunden und ausbauen zu können, wurde die Thüringer KGC mit dem Themenschwerpunkt „Gesundheitsförderung und Pflege im Quartier“ erweitert. Auf Grundlage von Experteninterviews wird ein Konzept zur Integration von Angeboten stationärer Pflegeeinrichtungen in das lokale Gemeinwesen entwickelt und es werden Austauschformate für Akteure stationärer Pflegeeinrichtungen organisiert. (Für weitere Informationen: eifler@agethur.de)
Transfer in landesweite Netzwerke und Kooperationen
Die „KGC-Ältere im Quartier“ ist dem Fachbereich „Alter und Gesundheit“ der AGETHUR zugeordnet. Die Ergebnisse und Erfahrungen des Begleitformats fließen in die strategische Ausgestaltung des Fachbereiches ein und werden dem landesweiten Netzwerk an Kooperationspartnern zur Verfügung gestellt. Hierbei bringt die KGC ihre Erfahrungen in Vorträgen, Workshops sowie Beratungs- und Informationsgesprächen ein. Die gemeinsame Reflexion dient sowohl der Weiterentwicklung des Begleitformats als auch der Anpassung der Beratungsangebote der AGETHUR für Thüringer Quartiersakteure. Darüber hinaus sammelt die KGC aktuelle Informationen sowie Beispiele guter Praxis aus Thüringen rund um das Thema Gesundheitsförderung und gesundheitliche Chancengleichheit für ältere Menschen und stellt diese interessierten Personen zur Verfügung.
Weitere Informationen zum Fachbereich Alter und Gesundheit und dem Begleitformat der „KGC-Ältere im Quartier“ auf:
- Inforo oder der Seite der AGETHUR zum Arbeitsschwerpunkt Alter und Gesundheit
Sie haben Fragen oder eine Anregung für unsere Arbeit? Dann nehmen Sie bitte Kontakt auf:
Hendrik Beck
Landesvereinigung für Gesundheitsförderung Thüringen e.V. - AGETHUR -
Carl-August-Allee 9
99423 Weimar
Tel.: 03643 4 98 98 21
Fax: 03643 4 98 98 16
Kontakt per E-Mail
Literatur:
Hartung S. (2012): Partizipation - wichtig für die Gesundheit? In: Hartung S., Rosenbrock R. (2012, Hg.): Handbuch: Partizipation und Gesundheit. 1. Aufl., Bern: Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, 57-78.