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11.01.2019

Das KONFETTI-Café

Ein Projekt der Kampagne KONFETTI IM KOPF

Jan Sonntag, Medical School Hamburg
Lydia Pfister
Michael Hagedorn, KONFETTI IM KOPF
Daniela Chmelik
Susanne Bötel
Gesine Pannhausen, KONFETTI IM KOPF

Schlagwörter:Demenz, Lebenswelten, Teilhabe, Ältere

Ein knallgelbes U-Boot vor dem Oktopusgarten, da­rü­ber ein Himmel aus Mar­me­la­de, voller Diamanten - wer tüdelt hier?

Ein Hinterhofidyll - mit­ten in Hamburg-Altona. Von der Ge­schäf­tig­keit der Groß­stadt ist hier un­ter der großen Ei­che mit der Rund­bank und um­ge­ben von Blu­men und Vogelgezwitscher nichts zu spü­ren. Etwa 30 Menschen un­terschiedlichsten Alters ge­nie­ßen ihren Kaf­fee auf dem kleinen „Dorfplatz“. Die Son­ne blinzelt hinter einer Wol­ke hervor.

„Hier ist im­mer was los“, freut sich der gebürtige Hamburger Wal­ter Hagen. Der 81-Jährige hat frü­her als Schiffsreiniger im Hafen gearbeitet und lebt nun im Pfle­ge­heim ne­ben­an. Sei­ne Be­glei­tung An­ne­lie­se Saul ist über 90. Aber ei­ne Da­me fragt man nicht nach dem Al­ter. Immer wie­der erzählt sie, dass sie di­rekt über dem Star-Club aufgewachsen sei, dem Club auf St. Pauli, in dem die Beatles be­rühmt wurden. Wie Wal­ter ist auch An­ne­lie­se fast jeden Diens­tag hier. Die Mu­sik hat die beiden heute hierhergeführt. Wal­ter sagt: „Ich bin ja auch mit den Beatles aufgewachsen.“

Im Sommer 2014 öffnete das erste KONFETTI-Ca­fé in Hamburg-Altona sei­ne Tü­ren. Jeden Diens­tagnachmittag sind hier al­le herzlich willkommen: Be­woh­ne­rin­nen und Be­woh­ner des Quartiers al­ler Generationen, die Nach­ba­rin, der Spa­zier­gän­ger, Menschen mit De­menz, die zuhause le­ben, und ih­re An­ge­hö­ri­gen. In diesem Ca­fé geht es nicht nur ku­li­na­risch, son­dern vor al­lem künstlerisch-musikalisch zu. Unter fachkundiger künstlerischer und sozialer Be­glei­tung wird ge­mein­sam gestaltet, gemalt und gesungen.
Damit wird ein le­bendiger Frei­raum geschaffen, in dem das ge­mein­same Erle­ben und Tun im Mit­tel­punkt ste­hen.  Heute sind hier die Beatles angesagt. Zum stil­len Genießen und zum laut­hals Mitsingen. Henning Eigenwald ist zu Gast, sei­nes Zeichens Mu­siktherapeut, Beatles-Experte und En­ter­tai­ner mit Gi­tar­re, Ge­sang und dem kompletten Pilzkopfrepertoire von „All You Need Is Love“ bis „Yellow Submarine“. Es gibt Tanz, Ap­plaus und auch Kaf­fee, Ku­chen und na­tür­lich Kunst.

Bei Hamburger Wet­ter nimmt man drin­nen Platz. An ei­ner großen Ta­fel in der Mit­te des Raumes fin­den viele Gäste Platz. Einladend dekoriert mit schönem Pa­pier, vielfältigen Kreativmaterial und An­re­gung­en, die zum kreativen Tun ein­la­den: an die Jahreszeiten oder ein aktuelles The­ma angelehnt. Auch Ing­rid und Rai­ner Gerckens, Stammgäste im konfettibunten Ca­fé, fol­gen heute wie­der ih­ren kreativen Impulsen.  Für den ehemaligen Wer­be­gra­fi­ker, der mit ei­ner mittelgradigen De­menz liebevoll von sei­ner Frau betreut wird, sind dies ganz besondere Momente. Sein besonderes Ge­spür für Far­ben und Formen ist für ihn hier wie­der ab­ruf­bar. Der Kreativtisch bietet vielfältige sinnliche Impulse und eröffnet so Räume für Aus­tausch, Er­in­ne­rung­en, wohlwollende Wahr­neh­mung, An­er­ken­nung und freudvolle Be­geg­nung­en.

Die Au­to­rin Da­ni­e­la Chmelik ist ein regelmäßiger künstlerischer Gast. Mit viel Lie­be für die Menschen und die deutsche Spra­che liest sie aus ih­rem Erst­lings­ro­man über ih­re Groß­mut­ter und die De­menz, rezitiert große und klei­ne Lyrik und verfasst im Di­a­log mit den Gästen spontane Gedichte:

Verschwundene Wä­sche -

Das ist ein Peche!
Welche Wege ging
mein gelbes Lieblingsding?
Diese Verluste är­gern mich sehr.
Bitte verschusselt da nicht noch mehr.

Ein Ca­fé, das - wie ein Me­tro­nom - die Zeit taktet

Verschusselt und verwirrt fühlt sich Il­se Vick re­gel­mä­ßig. Nur nicht im KONFETTI-Café, das für sie zu ei­nem fes­ten Be­stand­teil ihrer Wo­che wurde. Es gibt ihrem Zeit­ge­fühl wie ein Me­tro­nom das Maß. Hier fühlt sie sich wohl und un­ter Freunden, hier lacht sie viel und weint auch mal ei­ne Trä­ne oder zwei.

Vom ersten Mal an war sie mit da­bei, als es vor dem Haus ne­ben­an un­ter der geschmückten Ei­che bunt und ge­sel­lig herging. Alleinlebende Menschen mit De­menz wie sie in der Nach­bar­schaft zu er­rei­chen und zur Teil­ha­be zu er­mu­ti­gen, ist ei­nes der wichtigsten Anliegen der Ma­cher des kreativen Cafés. Als Il­se ei­nes Diens­tags nicht da­bei war - sie hatte den Termin vergessen - wunderten sich al­le. Seitdem wird sie im­mer von El­ke abgeholt. Auch heute noch, wo sie längst in ei­nem Pfle­ge­heim lebt.

El­ke Kramper ist Heilpraktikerin und widmet den Diens­tagnachmittag dem Eh­ren­amt. Sie ist so et­was wie die gute See­le des Cafés. Sie ist die erste, die kommt und die, die abends nach dem gemeinsamen Geschirrspülen mit ihrer Freundin Il­se abschließt, um sie dann wie­der zu­rück in ihr Zuhause zu brin­gen. El­ke lacht mit ihr, verabschiedet sie bis zum nächsten Diens­tag und trifft sich dann zur Probe mit ihrem klei­nen Gesangsquartett, den „Fa­cet­ten“.

Der KONFETTI-Song

Hoho, chapeau, Spaghetti
Hihi, alles paletti
Haha, tschaka, Konfetti
Uns’re Farbe, die ist bunt

Der Blick in das Gesicht
eines Menschen, dem geholfen ist,
ist der Blick in eine
schöne Gegend
Freund, Freund, Freund

Auf der Weihnachtsfeier des KONFETTI-Cafés tat sich einer der Gäste, Emilio Enders, durch beeindruckende spontane Dichtungen hervor, die er auf einem Notizblock festhielt. Auf der Suche nach Anregungen für einen Song, den Teammitglied und Musiktherapeut Jan Sonntag für das Café schreiben wollte, stieß er auf einige dieser Notizen und bat Emilio um Mithilfe bei der Dichtung des Songs. Außerdem bediente er sich eines Zitats von Berthold Brecht, das bereits der Aktionskünstler Christoph Schlingensief mit einer Melodie versehen hatte. Somit entstand ein Song by Sonntag, Enders, Brecht & Schlingensief, der seitdem bei Veranstaltungen gesungen wird und von Elkes „Facetten“ arrangiert und aufgenommen wurde.

Hast du Konfetti in deinem Kopf
pack die Gelegenheit beim Schopf
ob mit Pauke oder Pinsel
sei der Mensch, der du bist, mein
Freund, Freund, Freund

Hoho, chapeau, Spaghetti
Hihi, alles paletti
Haha, tschaka, Konfetti
Uns’re Farbe, die ist bunt

Ermutigt durch diese Erfahrung, fasste Emilio Ender sich später ein Herz und trug spontan einen kleinen Ausschnitt seines Repertoires an eigenen Gedichten und denen von Ringelnatz, Borchert und Kästner vor. Mittlerweile ist er aus dem Künstlerkreis des Cafés nicht mehr wegzudenken, bei seinen umjubelten Soloauftritten oder gemeinsam mit anderen hat er mit seinem ausgeprägten Sinn für gutes Timing immer die Lacher auf seiner Seite.  

„Mu­sik ist auch aus Wind gemacht.“

Es wird viel getanzt, geklatscht und gelacht im KONFETTI-Ca­fé.

Humor ist sehr wich­tig im Um­gang mit Menschen mit und na­tür­lich auch oh­ne De­menz. Niemand weiß das bes­ser als Su­san­ne Bötel, die zum Stammteam des künstlerischen Ca­fés gehört und in ihrem rosaroten Leben als Clow­nin Rosalore die Herzen der Menschen im Sturm erobert. Etwa, wenn sie alte Schla­ger über die Lie­be singt, begleitet von jun­gen Mu­sikern und Emilios Rezitationen von Lie­besgedichten. Die Gäste lie­ben sie da­für und iden­ti­fi­zie­ren sich mit der Sehn­sucht ihrer kindhaft-emotionalen Clownsfigur.   

Und auch im Stadt­teil ist sie mitt­ler­wei­le be­kannt wie „ein bunter Hund“. Als sie kürz­lich un­ge­schminkt und oh­ne rote Na­se einen Spaziergang durch Al­to­na machte, wurde sie drei­mal mit „Hallo Rosalore vom KONFETTI-Ca­fé“ begrüßt. Ein schönes Zei­chen da­für, dass das Ca­fé mitt­ler­wei­le auch im Quar­tier verankert ist. Als ein Ort, an dem Kre­a­ti­vi­tät und Kunst im Miteinander ge- und er­lebt wer­den kön­nen. Von allen Menschen, ob mit oder oh­ne De­menz. .

„Der Himmel hat die Wol­ken zur Ruh ge­schickt“, murmelt ein Gast. Henning, der En­ter­tai­ner, spielt aus gegebenem An­lass „Here Comes the Sun“, und am Ne­ben­tisch be­haup­tet je­mand: „Mu­sik ist auch aus Wind gemacht.“ Im KONFETTI-Ca­fé ist es herzlich egal, ob man im Jog­ging­an­zug oder aufgebrezelt erscheint, die Pe­rü­cke verrutscht ist oder das Ge­biss mal wie­der vermisst wird. „Come As You Are“ könnte das Mot­to sein. Aber das wä­re ja Nirvana. Wie wä­re es mit „All you need is love!“? Es gibt kaum einen Ort, an dem dies bes­ser passt

Die Idee des KONFETTI-Cafés

Initiator des ungewöhnlichen und innovativen Begegnungsortes ist der gemeinnützige Verein KONFETTI IM KOPF e.V., der sich für die Belange von Menschen mit De­menz stark macht und Aktionen für ein positives, lebensbejahendes gesellschaftliches Bild von De­menz durchführt. Eines der wichtigsten Anliegen ist es, alleinlebende Menschen mit De­menz in der Nach­bar­schaft zu er­rei­chen und zur Teil­ha­be zur er­mu­ti­gen. KONFETTI IM  KOPF setzt die Hemmschwelle be­wusst sehr nied­rig, ge­ra­de für Menschen mit De­menz im Früh­sta­di­um, die noch zuhause versorgt wer­den - im­mer­hin rund 60 Pro­zent aller Menschen mit De­menz. Da das The­ma noch im­mer sehr angstbesetzt ist, möchten viele Be­trof­fe­ne und An­ge­hö­ri­ge nicht mit entsprechenden Ein­rich­tung­en in Verbindung gebracht wer­den, sich nicht „ou­ten“.

Ziele von KONFETTI IM KOPF sind:

  • Schaf­fen von Auf­merk­sam­keit und Be­wusst­sein für Menschen mit De­menz als Bür­ge­rin­nen und Bür­ger so­wie För­de­rung ihrer gesellschaftlichen Teilhabe
  • Abbau von Berührungsängsten durch För­de­rung von mehr Of­fen­heit für das The­ma De­menz hin zu einem Be­wusst­seinswandel in unserer Gesellschaft
  • Sichtbarmachen der Wür­de und Le­bens­freu­de der betroffenen Menschen als Personen
  • Ermutigung zur öffentlichen Dis­kus­si­on durch kreative Impulse
  • För­de­rung effektiver Zu­sam­men­ar­beit von Mandatsträgern, Verbänden, Vereinen, Organisationen und interessierten Bür­ge­rin­nen und Bür­gern

Durch le­ben­dige und vielfältige An­ge­bo­te schaffen die Organisatoren des KONFETTI-Ca­fés Anreize für viele Menschen im Quar­tier - alt wie jung - teilzuhaben und aktiv mitzugestalten.
Obwohl das An­ge­bot aus­ge­spro­chen demenzfreundlich gestaltet wird, trägt das Ca­fé den Be­griff nicht im Na­men, son­dern bedient sich des Bildes von Konfetti: bunt, le­ben­dig, vielfältig, humorvoll, und manch­mal eben ganz schön durch­ei­nan­der.

Dem kreativen Ele­ment wird im Ca­fé viel Raum geboten. Zum fes­ten Team, von dem je­der umfangreiche Er­fah­rung­en im Be­reich De­menz mitbringt, ge­hö­ren künstlerische Präsenzkräfte, die ein ständiges kreatives An­ge­bot sicherstellen und auf Wunsch An­lei­tung ge­ben. Auch ehrenamtliche Kräfte helfen tat­kräf­tig bei der Um­set­zung. Darüber hinaus steht je­der Nachmittag un­ter einem wechselnden Mot­to mit Kunstschaffenden aus allen Spar­ten: vom Poetry Slam über Ma­le­rei und Fo­to­gra­fie bis hin zu Clow­ne­rie und Chansons. Oder es wird laut­hals abgetanzt beim KONFETTI-Rockcafé und die jun­gen Gäste stau­nen da­rü­ber, wie die ältere Ge­ne­ra­ti­on frü­her ge­fei­ert haben muss.

Bibliographische An­ga­ben:

Gesine Pannhausen, un­ter Verwendung ei­nes Textes von: Sonn­tag, J., Hagedorn, M., Bötel, S., Chmelik, D. & Pfis­ter, L. (2016): Das KONFETTI-Café. Textschnipsel aus einem innovativen Pro­jekt. Zuerst erschienen in: De­menz - Das Ma­ga­zin, 30, 7-11.

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