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05.02.2015

Das WHO-Konzept „Family Health Nursing“

Familiengesundheitspflegende unterstützen vor Ort

Andrea Weskamm, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband

Mal sind sie im öffentlichen Gesundheitsdienst zur Be­grü­ßung von Neu­ge­bo­re­nen und ihren Fa­mi­lien eingesetzt, mal helfen sie, den All­tag de­men­zi­ell Erkrankter zu struk­tu­rie­ren, mal ent­las­ten sie pflegende An­ge­hö­ri­ge: Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on für Fa­mi­lien ist ein Handlungsfeld für speziell qualifizierte Pfle­gefachpersonen und Hebammen. Seit 2005 bietet der Deut­sche Berufsverband für Pfle­geberufe e.V. (DBfK) in Ko­o­pe­ra­ti­on mit Bildungsträgern die Wei­ter­bil­dung „Fa­mi­liengesundheit für Pfle­gende und Hebammen“ nach dem WHO-Konzept „Family Health Nursing“ an. Voraussetzung ist ei­ne abgeschlossene Aus­bil­dung in der Pfle­ge oder als Hebamme.

Frühzeitige Weichenstellung

In der Fa­mi­lie wer­den früh­zei­tig die Wei­chen für ein gesundes Aufwachsen der Kinder, einen ge­sun­den Le­bens­stil im Erwachsenenalter und das Fit-bleiben im Al­ter gestellt. Als gesichert gilt, dass die Fa­mi­lie großen Ein­fluss auf Ent­ste­hung und Vorbeugung von (chronischen) Krank­heit­en und Pflegebedürftigkeit neh­men kann. Die Fa­mi­lie kümmert und sorgt sich um die An­ge­hö­ri­gen. Aber was passiert, wenn riskantes Ge­sund­heitsverhalten wie Alkohol-, Drogen und Tabakkonsum die Ge­sund­heit der Kinder und Ju­gend­li­chen gefährdet, die Fa­mi­lienmitglieder sel­ber ge­sund­heit­liche Schäden da­vontra­gen oder keine An­ge­hö­ri­gen exis­tie­ren? Es stel­len sich folgende Fra­gen: Wie bewältigt die Fa­mi­lie Krank­heit und Pflegebedürftigkeit ihrer An­ge­hö­ri­gen im All­tag? Wie kön­nen Fa­mi­lien am besten unterstützt wer­den, wenn Mitglieder krank, behindert oder pfle­ge­be­dürf­tig wer­den? Welche Rol­le kön­nen Pflegende und Hebammen über­neh­men?
Hier setzt das Kon­zept Family Health Nursing (Fa­mi­liengesundheitspflege) nach dem WHO-Kon­zept „Ge­sund­heit 21 - Ge­sund­heit für al­le“ an.

Die modernen Stadtteilpflegenden unterwegs im Quartier

Fa­mi­liengesundheitspflegende be­su­chen Fa­mi­lien oder Einzelpersonen zu Hause. Ähnlich wie frü­her die „Gemeindeschwestern“ be­ra­ten sie zu allen gesundheitlichen Problemen. Sie beziehen Fa­mi­lienmitglieder ein und ge­hen familiensystemisch und ressourcenorientiert auf Grund­la­ge der Salutogenese vor. Fa­mi­liengesundheitspflegende verfügen über ein großes Re­per­toire an Assess­ments und Kenntnissen zu familienzentrierten Pflegekonzepten Dadurch wird die Familie einbezogen. Bestandteile der Be­ra­tung sind die Er­stel­lung ei­nes Genogramms1 oder einer Ecomap oder die Durch­füh­rung einer Fa­mi­lienkonferenz. So er­hal­ten die Fa­mi­liengesundheitspflegenden Auf­schluss da­rü­ber, wie der Mensch so­zi­al verwurzelt ist, wel­che Res­sour­cen vorhanden sind und wie sie genutzt wer­den kön­nen. Dann wird ein Ver­sor­gungs­konzept erstellt. Bei allein­stehenden Men­schen kann es Auf­ga­be der Fa­mi­liengesund­heitspflege sein, ein tragfähiges Unter­stütz­ungs­netz­werk auf­zu­bauen.

Frau M. möchte mal wieder raus

Ein Bei­spiel: Frau M. hat seit 20 Jahren Multiple Skle­ro­se und ist stark eingeschränkt. Die Woh­nung verlässt sie nie, au­ßer zu Arztbesuchen. Ihr Ehe­mann pflegt sie, all­mäh­lich gerät er je­doch an sei­ne Gren­zen. Sein Blut­druck ist zu hoch, Rücken- und Kopfschmerzen neh­men überhand. Eine erwachsene Toch­ter, die sel­ber psy­ch­iat­risch erkrankt ist, stellt einen weiteren Belastungspunkt dar.
Hier kann Fa­mi­liengesundheitspflege Ab­hil­fe schaffen. BARMER GEK-Versicherte, die zu Hause pfle­gen, kön­nen nach § 45 SGB XI Fa­mi­liengesundheitspflege in An­spruch neh­men. Ziel ist es, häusliche Pfle­gearrangements zu sta­bi­li­sie­ren und pfle­gende An­ge­hö­ri­ge zu ent­las­ten. Denn oft verdrängen pfle­gende Privatpersonen ge­sund­heit­liche Alarmsignale. Schlaf­stö­rung­en, Schmerzen, Erschöpfung und Trau­er wer­den ignoriert, bis es nicht mehr geht. Die Be­ra­tung durch Fa­mi­liengesundheitspfle­gende kann über sie­ben Monate finanziert wer­den. Vorbildlich ist das Pro­jekt „Mach mal Pau­se“2 der BARMER GEK in NRW, in das Fa­mi­liengesundheitspflege regelhaft eingebunden ist. Darüber hinaus sind Fa­mi­liengesundheitspfle­gende häufig in Pro­jekten, z.B. der Frü­hen Hilfe oder der Demenzhilfe, in Be­ra­tungsstellen, im klinischen Entlassungsmanagement, in Drogenambulanzen und anderen Handlungs­feldern tä­tig.
Für Fa­mi­lie M. erstellt die FGP einen Hilfeplan, der ehrenamtliche und professionelle Pfle­ge mit einbezieht. Herr M. wird entlastet und Frau M. kommt „mal wie­der raus“.

Fazit

Pflegende waren schon im­mer in die Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on eingebunden und sind in angelsächsischen Ländern und Skan­di­na­vi­en stark in Public Health-bezogenen Rol­len tä­tig. Mo­der­ne Pflegekonzepte haben ei­nen umfassenden An­satz, der weit in die Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on hineinragt.
Wünschenswert wä­re es, in den Kom­mu­nen ei­ne pflegerische In­fra­struk­tur zu ent­wi­ckeln ge­mäß den jüngsten Emp­feh­lung­en des Sachverständigenrates 2014. Hier könnten Familiengesundheitspflegende einbezogen wer­den, z.B. über den öffentlichen Gesundheitsdienst, für präventive Hausbesuche oder im Quartiersmanagement. Die nächste Wei­ter­bil­dung Familiengesundheit für Pflegende und Hebammen startet 2015 in Ber­lin. Alle Informationen fin­den Sie auf den Sei­ten des Kompetenzzentrums Familiengesundheitspflege.

1Ein Genogramm ist ei­ne graphische Dar­stel­lung von Familienbeziehungen. Eine Ecomap stellt die Netzwerkeinbindung ei­nes Menschen dar.

2Hier geht es zur Sei­te des Projekts "Mach mal Pau­se" der BARMER GEK in NRW.

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