21.09.2018
Deggendorf im Wandel
Ein Gespräch über Strategien zur Begegnung des demographischen Wandels
Sandro Pfeiffer, Stadt Deggendorf
Svenja Rostosky, bis September 2018: Gesundheit Berlin-Brandenburg
Schlagwörter:Kommunen, Stadtentwicklung, Strukturaufbau, Ältere
Der demographische Wandel schreitet voran und stellt Kommunen vor vielseitige Herausforderungen. Auch in der bayerischen Kreisstadt Deggendorf ist die Alterung der Bevölkerung deutlich wahrzunehmen. Um darauf zu reagieren, betreibt die Stadt gezielte Seniorenpolitik und widmet sich unterschiedlichen Handlungsfeldern, die ein altersfreundliches Leben ermöglichen sollen. Deggendorf wandelt sich. Dafür sind verschiedene Akteurinnen und Akteure und deren vernetzte Zusammenarbeit von zentraler Bedeutung.
Sandro Pfeiffer, persönlicher Referent des Oberbürgermeisters der Stadt Deggendorf, im Gespräch mit Svenja Rostosky, Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit
Herr Pfeiffer, können Sie zu Anfang kurz Ihr Projekt beschreiben?
„Deggendorf im Wandel“ ist kein Projekt im eigentlichen Sinne, vielmehr wurde es als Wettbewerbsbeitrag zur kommunalen Seniorenarbeit und zur Gesundheit in der Kommune im Rahmen des Wettbewerbs „Gesund älter werden in der Kommune - bewegt und mobil" verfasst.
Ein wesentlicher Bestandteil ist das im Jahr 2007 erstellte Handlungskonzept, welches stetig weiterentwickelt wird. Momentan wird zudem die Vision „Wir sind Deggendorf“ entwickelt, in der verschiedene Handlungsfelder - Menschen mit Handicaps, ältere Menschen, Menschen mit geringem Einkommen, die Bekämpfung von Einsamkeit - betrachtet werden. Der aktuelle Schwerpunkt liegt auf der Gesundheit von Seniorinnen und Senioren.
Was waren Ihre Beweggründe, ein solches Handlungskonzept zu erstellen? Welchen spezifischen Herausforderungen soll damit begegnet werden und wie wird dies angegangen?
Die große Kreisstadt Deggendorf liegt im ländlichen Raum Niederbayerns. Zwar kann Deggendorf als regionales Zentrum der Region einen leichten Einwohnerzuwachs verzeichnen, die umliegenden Landkreise sind allerdings von einem Bevölkerungsrückgang geprägt. Der demografische Wandel macht sich auch hier bemerkbar und bringt einige Herausforderungen mit sich, auf die die Kommune entsprechend reagieren muss. Um den sich wandelnden Erwartungen gerecht zu werden, muss ein Umdenken im Planen, Handeln und Gestalten erfolgen. Nicht nur die Gesundheitsvorsorge, auch die Infrastruktur und das kulturelle Programm müssen an die neuen Gegebenheiten angepasst werden.
Vor diesem Hintergrund wurde das „Handlungskonzept Demographie“ erstellt, welches verschiedene Strategien und Ziele verfolgt. Diese wurden durch eine im Jahr 2013 in Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule Deggendorf durchgeführte Seniorenbefragung weiter konkretisiert.
Ein Handlungsfeld ist der Ausbau der Mobilität. Um den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und die Infrastruktur zu verbessern, wurde in Deggendorf ein Modell eingeführt, bei dem Personen ab 75 Jahren den ÖPNV kostenlos nutzen können, wenn sie ihren Führerschein abgeben. Dies gilt mittlerweile für den gesamten Landkreis. Zudem gibt es ein Sammeltaxi, welches Bürgerinnen und Bürger zu festgelegten Zeiten rufen können, um relativ preiswert zu den gewünschten Zielen im gesamten Stadtgebiet gebracht zu werden. Auch Projekte wie Bordsteinabsenkungen im gesamten Stadtgebiet, der Einbau eines Aufzuges am Bahnhof sowie die Asphaltierung viel genutzter Wege wurden bereits umgesetzt.
Trotzdem steht Deggendorf noch vor einigen Herausforderungen. Die Busse verkehren nur einmal pro Stunde und einige Stadtteile werden gar nicht angefahren. Hier müssen weitere Potenziale genutzt werden, um den ÖPNV noch attraktiver zu gestalten. Kostenmodelle sollen vereinfacht, günstiger und zudem transparenter gemacht werden. Der Freistaat Bayern ruft derzeit Kommunen dazu auf, als Modellkommunen zu testen, wie ein kostenfreier ÖPNV funktionieren kann. Auch Deggendorf wird sich möglicherweise daran beteiligen. Zudem ist eine neue Buslinie im Gespräch, die das Klinikum im Halbstundentakt besser anbinden soll.
Ein weiteres zentrales Handlungsfeld ist die Information und Kommunikation. Damit die Bürgerinnen und Bürger die Stadt Deggendorf erschließen können, finden regelmäßige Senioren-Stadtrundfahrten statt. Zudem gibt es einmal jährlich ein kostenloses Seniorenkaffeetrinken mit dem Oberbürgermeister, welcher außerdem einmal pro Jahr alle Pflegeheime besucht, um dort über Neuigkeiten zu informieren und für Fragen zur Verfügung zu stehen. Durch diese Sprechstunden wurde deutlich, dass bei den älteren Bürgerinnen und Bürgern ein großer Gesprächsbedarf besteht.
Um darauf nicht nur punktuell, sondern langfristig zu reagieren, wurde im Juli 2018 das Seniorenbüro eröffnet. Dieses widmet sich allen Anliegen der Bürgerinnen und Bürger und soll als erster Ansprechpartner bei möglichen Fragen dienen sowie als zentrale Anlaufstelle und Vermittler fungieren.
„Wir helfen, soweit wir können.“
Bereits in den ersten Wochen zeigte sich, dass das Seniorenbüro außerordentlich gut angenommen wird und die Bürgerinnen und Bürger sich mit einer Fülle an verschiedenen Themenbereichen dort hinwenden. Von fehlenden Sitzgelegenheiten an den Friedhöfen, der Hilfe bei Problemen mit der Krankenkasse über ältere berentete Menschen, die sich einsam fühlen und Austausch suchen, waren alle möglichen Anfragen vertreten. Es wurde bereits vorab deutlich kommuniziert, dass das Seniorenbüro keine Lösung all dieser Probleme leisten kann. Vielmehr fungiert es als Vermittler, der die Menschen an die entsprechenden Institutionen weiterleitet.
Welche Akteurinnen und Akteure braucht es, um diese Herausforderungen zu meistern und die entsprechenden Aktivitäten umzusetzen? Wie sieht die Zusammenarbeit dieser aus?
Das Handlungskonzept wird mithilfe zahlreicher unterschiedlicher Partnerinnen und Partner umgesetzt. So sind Agierende aus der Kommunalpolitik und -verwaltung wie der Bürgermeister bzw. der Landrat, das Stadtplanungsamt, Senioren- und Familienbeauftragte sowie Vertreterinnen und Vertreter der „Bürgerarbeit“, die sich um die Koordination von Ehrenamtlichen kümmern, beteiligt. Zudem sind viele verwaltungsexterne Akteurinnen und Akteure integriert, wie Alten- und Pflegeheime, Kirchen, Seniorenfreizeitstätten, Sportvereine, Bildungseinrichtungen wie Schulen oder die Volkshochschule, Wohlfahrtsverbände oder der Senioren-Aktiv-Club, der durch vielseitige Angebote unterstützt. Die Zusammenarbeit wird über den Seniorenbeirat koordiniert, der wie ein Konzentrat aus all diesen Akteurinnen und Akteuren fungiert. Dort sind Stellvertreterinnen und -vertreter aus jedem Bereich vertreten, die in regelmäßigen Abständen zusammenkommen. So kann eine vernetzte Zusammenarbeit gelingen. Diese soll auch durch das Seniorenbüro noch weiterwachsen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft und welche weiteren Akteurinnen und Akteure würden Sie gerne für Ihr Vorhaben gewinnen?
Deggendorf würde zukünftig gerne ein Pflegestützpunkt werden, um seine Funktionen und Zuständigkeiten noch weiter ausbauen zu können. Diesbezüglich finden bereits Gespräche mit dem Landkreis statt. Durch einen Pflegestützpunkt könnte noch eine ganz andere Qualität erreicht werden.