09.05.2016
Den Dialog suchen | Austausch - Ansätze - Impulse
Zusammenarbeit mit Familien in belasteten Lebenslagen
Simone Nießlein, bis Ende 2016: Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e.V. (HAG)
Petra Hofrichter, Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit Hamburg
Schlagwörter:Familie, Fachtagung, Dokumentation
- Was bedeutet Armut für den Familienalltag?
- Welche Unterstützung wünschen sich Familien?
- Was macht Angebote zu erfolgreichen Unterstützungsstrategien?
- Und: Wie können Fachakteure darin unterstützt werden beteiligungsorientiert vorzugehen?
Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Tagung „Den Dialog suchen | Austausch - Ansätze - Impulse“, die am Donnerstag, den 11. Februar 2016 in der Katholischen Akademie Hamburg stattfand. Die Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e. V. (HAG) organisierte die Tagung im Rahmen der Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit Hamburg (KGC) - Kommunaler Partnerprozess „Gesundheit für alle“ und in Kooperation mit dem Landeskonzept Frühe Hilfen Hamburg „Guter Start für Hamburgs Kinder“.
Ziele der Veranstaltung waren, den Teilnehmenden ein Informations- und Austauschforum zu bieten, Ansätze der Alltagsbewältigung von Familien in belasteten Lebenslagen und Wege zu wirksamer Unterstützung in den Kommunen zu diskutieren, sowie Anregungen für ressourcen- und beteiligungsorientiertes Arbeiten mit Familien zu geben. Die Themen Partizipation, Wertschätzung und Dialog standen dabei ebenso im Mittelpunkt, wie die Integration und Umsetzung dieser Haltungen in Gesundheitsförderungs- und Präventionsketten.
Petra Hofrichter, HAG, gab einen ersten Einblick in die aktuelle Situation sozial benachteiligter Familien in Hamburg und die Schwerpunkte im Rahmen der KGC. Der aktuelle Gesundheitsbericht der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) zeige zwar, dass sich die Gesundheit von Kindern verbessert habe - jedoch sei immer noch ein starker Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Gesundheitsstatus festzustellen. Gerade Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund, alleinerziehenden Eltern und Familien, die einen schlechteren Sozialstatus aufweisen, seien vermehrt Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Aber warum kommen die bestehenden guten Angebote in den Stadtteilen nicht bei ihnen an? Dieses Wissen sei ein wesentlicher Baustein für den Aufbau von sogenannten integrierten kommunalen Strategien oder Gesundheitsförderungs- und Präventionsketten. Denn: Ansätze der Armutsprävention und Gesundheitsförderung sind dann wirkungsvoll, wenn sie an den Bedürfnissen der Familien ansetzen.
Dr. Dirk Bange, Leiter der Abteilung Familie und Kindertagesbetreuung in der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) wies in seiner Einführung ebenfalls auf die prekäre Situation vieler Kinder und Familien in Hamburg hin. Er betonte aber auch, dass - entgegen dem in den Medien oftmals vorherrschenden Bild von armen Eltern, die ihre Kinder nicht unterstützen - für die Mehrzahl der Eltern das Wohlergehen ihrer Kinder im Fokus stehe und sie alles versuchen, um die Folgen von Armut von ihren Kindern fernzuhalten. Aufgabe der Frühen Hilfen, Kitas und aller sozialen Dienstleister sei es, die Bedürfnisse der Menschen und Familien, die sich in solchen Situationen befinden, zu bemerken, aufzunehmen und die Angebote danach auszurichten. Partizipation, Dialog und die Offenheit mit Eltern in Erziehungs-Partnerschaften zusammenzuarbeiten nannte Bange als Erfolgsfaktoren für eine gelingende Familienförderung.
Er wies auf die zentrale Funktion von Kitas als erste reguläre Bildungsinstitution hin, mit der fast alle Kinder und ihre Familien erreicht werden können. Und betonte deren Potenziale durch integrierte Angebote der Familienförderung die Eltern-Kind-Beziehung und die Eltern zu stärken, Selbstwirksamkeitserfahrungen zu bieten und den Aufbau von Schutzfaktoren zu unterstützen. Um (Eltern-) Beteiligung zu ermöglichen, bedarf es einer wertschätzenden, dialogischen Grundhaltung, Kenntnisse über Methoden und Instrumente. Darüber hinaus ist es wichtig zu bedenken, wie eine regelmäßige Reflektion und Auseinandersetzung mit offenen Fragen und Verunsicherungen berücksichtigt werden können. Den Referentinnen, Referenten und Teilnehmenden gab Dr. Bange folgende Fragen mit auf den Weg: Was bedeutet Partizipation eigentlich für Eltern und Professionelle? Wie geht die eine, aber auch die andere Gruppe mit dieser Form der Machtteilung um? In welchen Bereichen sollen Eltern mitentscheiden und in welchen nicht? Wie könne man auch die Väter erreichen?
An diese Fragen konnte Dr. Remi Stork von der Diakonie Rheinland und Westfalen-Lippe e. V. nach einer kurzen Austauschphase unter den Teilnehmenden gut anknüpfen. Aus seiner Arbeit zur „Architektur im Hilfeverhältnis“ verwies er auf viele Praxisbeispiele, mit denen er Antworten auf einige der offenen Fragen von Dr. Dirk Bange geben konnte. Er erläuterte, dass für Kinder das Gefühl wichtig sei, dass die Hilfe, die sie bekommen, von den Eltern mitgestaltet und gesteuert werde. Stork betonte ebenfalls die Herausforderungen, die Partizipationsprozesse für Akteure und für Eltern gleichermaßen darstellen. Für viele sei es eine komplett neue Erfahrung nach ihren Ansichten und Meinungen gefragt zu werden und als gleichberechtigte Akteure in Programmen wahrgenommen zu werden. Um Eltern partizipieren zu lassen, brauche es deshalb auch erst einmal eine Befähigung der Eltern, dass ihre Stimmen auch gehört werden wollen.
Die letzte Referentin des Vormittags war Martina Leshwange, LVR-Landesjugendamt Rheinland. Sie gab zum Einstieg einen kurzen Überblick zu den Ergebnissen der Bertelsmann-Studie „Kinder. Armut. Familie.“ Die Vorstellungen von Eltern in belasteten Lebenslagen orientieren sich, der Studie zufolge, an den ‚normalen‘ Bedürfnissen einer Familie aus der Mittelschicht: ein sicheres Einkommen zu haben, ein Vorbild für ihre Kinder zu sein und vor allem Zeit für ihre Kinder zu haben, seien für sie von immenser Bedeutung. Um mit Eltern in den Dialog zu kommen, müsse man „das Hamsterrad durchbrechen“, so Leshwange. Zeit, Aufmerksamkeit und Vertrauen seien Aspekte für die die Akteure noch stärker eintreten müssten. Außerdem sei es wichtig die eigene Arbeit noch kritischer zu hinterfragen und daraufhin zu überprüfen, warum bestimmte Familien nicht erreicht werden. Dazu gehöre auch die Reflexion der eigenen ‚professionellen‘ Sprache und wie diese bei den Betroffenen ankommt: Wie gehe ich mit dem anderen um? Höre ich richtig zu und interessiert es mich, was die Person zu sagen hat? Denn: Durch Sprache werde auch das Machtverhältnis in der Kommunikation bestimmt. Für Leshwange stelle die dialogische Haltung eine „konsequente Fortsetzung der Lebensweltorientierung“ dar. Wichtig sei es dort anzusetzen wo die Menschen stehen - bei ihren bereits vorhandenen Ressourcen und diese zu fördern. Die Akteure hätten die Aufgabe ein Stück Verantwortung an die Eltern abzugeben, sie in diesem Prozess aber adäquat zu unterstützen und begleiten.
Am Nachmittag bot ein Marktplatz mit Guten Praxisansätzen aus Jugendhilfe, Gesundheit, ehrenamtlichen Engagement und Müttern den Teilnehmenden ein Informations- und Austauschforum. Auf zwei Etagen konnten sich die Teilnehmenden in zwei Runden jeweils einem von acht „Marktständen“ zuordnen und für eine Stunde im Austausch mit anderen Akteuren Fragen, Anregungen und Entwicklungen reflektieren und diskutieren.
Eine detaillierte Beschreibung der Marktstände finden Sie im Bericht „Marktplatz | Gute Praxis stellt sich vor“ (unter Downloads).
Am Ende des Tages wurden gemeinsam die Erfahrungen und Erkenntnisse des Tages diskutiert und überlegt, wie Partizipation und Dialog in der Zusammenarbeit vor Ort gelingen könnten.
Gelingensfaktoren für Partizipation sind demnach eine gemeinsame dialogische Haltung - in der auch den Eltern ein Stück Verantwortung übertragen werde, Information und, uns alle gemeinsam als Lernende und Expertinnen und Experten zu verstehen.
Downloads
- Tagungsbericht (PDF)
- Dokumentation Marktplatz (PDF)
Präsentationen
- Grußwort Bange (PDF)
- Präsentation Stork (PDF)
- Präsentation Leshwange (PDF)
- Präsentation Galic (PDF)