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06.11.2018

Drei von vier Geflüchteten haben traumatische Erfahrungen gemacht

Pressemitteilung zur neuen Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO)

Schlagwörter:Geflüchtete, Gesundheit, gesundheitliche Einschränkung, Studie

Geflüchtete mit traumatischen Erlebnissen berichten häufiger über gesundheitliche Probleme

Über die ge­sund­heit­liche Si­tu­a­ti­on von Geflüchteten in Deutsch­land lie­gen bis­her nur unzureichende Erkenntnisse vor. Doch für ei­ne gelingende In­te­gra­ti­on in die deutsche Ge­sell­schaft - angefangen bei Kin­der­gar­ten, Schule und Arbeitswelt bis hin zu Kul­tur, Me­di­en oder Sport - ist auch ei­ne gute Ge­sund­heitsversorgung wich­tig. „Das Wissenschaftliche In­sti­tut der AOK möchte mit der vorlie­genden Un­ter­su­chung da­zu bei­tra­gen, die aktuelle ge­sund­heit­liche La­ge der Geflüchteten bes­ser zu verstehen“, so Klaus Zok, Be­fra­gungsexperte im WIdO und Mit­au­tor der Stu­die. Daher hat das In­sti­tut bun­des­weit 2.021 Geflüchtete aus Sy­ri­en, dem Irak und Af­gha­ni­stan befragt. Aus diesen Ländern stammten mehr als die Hälfte aller Erstasylanträge zwi­schen Ja­nu­ar 2015 und Mai 2018. Alle Befragten waren min­des­tens 18 Jahre alt, erst bis zu zwei Jahre in Deutsch­land und lebten noch in Aufnahmeeinrichtungen. Die Er­geb­nisse zei­gen, dass die Geflüchteten aus den befragten Herkunftsländern eher jung sind (Durch­schnitts­al­ter: 32,7 Jahre) und über­wie­gend männ­lich (An­teil der Männer: 67,1 Pro­zent). Knapp die Hälfte der Befragten ist in ih­rem Herkunftsland mehr als neun Jahre zur Schule gegangen, was der Pflichtschulzeit die­ser Länder entspricht. Etwas mehr als die Hälfte (57,4 Pro­zent) ist im Herkunftsland ei­ner bezahlten Be­schäf­ti­gung nachgegangen, je­der Sechste ging zur Schule oder hat studiert (16,3 Pro­zent).

Schlechte Bewertung des eigenen Gesundheitszustands

Beim Ge­sund­heits­zu­stand zeigt sich, dass die Geflüchteten seltener als die vergleichbare deutsche erwachsene Wohnbevölkerung chro­nisch erkrankt sind (siehe Abbildung 1).
Gleichzeitig schät­zen sie ih­ren eigenen Ge­sund­heits­zu­stand je­doch sub­jek­tiv deut­lich schlechter ein als die Vergleichsgruppen. „Auch wenn nur vergleichsweise jüngere, gesunde Menschen die Be­las­tung­en einer lan­gen Flucht auf sich genommen haben, drückt sich ih­re spezifische Si­tu­a­ti­on in Deutsch­land auch in der individuellen Ein­schät­zung ih­rer Ge­sund­heit aus“, sagt Schröder. So könnten Ängste und Sor­gen an­ge­sichts der Si­tu­a­ti­on in der Heimat, räumliche En­ge, belastende Laut­stär­ke und mangelnde Pri­vat­sphä­re in den Erstaufnahmeeinrichtungen, der All­tag in den Flüchtlingsunterkünften, der oft von Lan­ge­wei­le geprägt ist, oder die Un­wis­sen­heit über die eigene Zu­kunfts­per­spek­ti­ve die sub­jek­tive Ein­schät­zung des eigenen Ge­sund­heits-zustands ne­ga­tiv be­ein­flus­sen.

Traumatische Erlebnisse fördern gesundheitliche Beschwerden

Die meisten Schutzsuchenden aus Sy­ri­en, dem Irak und Af­gha­ni­stan, die An­ga­ben zu trau-matischen Ereignissen gemacht haben, ge­ben Kriegserlebnisse (60,4 Pro­zent) oder Angriffe durch Mi­li­tär oder Be­waff­ne­te (40,2 Pro­zent) an (siehe Ab­bil­dung 2).
Bei jedem Dritten (34,8 Pro­zent) sind An­ge­hö­ri­ge oder nahestehende Personen verschleppt worden, verschwunden oder ge­walt­sam ums Leben gekommen (15,4 Pro­zent).
Nur weniger als ein Viertel (22,5 Pro­zent) der Befragten hat keine die­ser traumatischen Er­fah­rung­en selbst er­lebt. Mehrfachtraumatisierungen sind da­ge­gen häufig: 16,3 Pro­zent aller Befragungsteilnehmer ge­ben nur ein Trau­ma an, 15,1 Pro­zent be­rich­ten von zwei Trau­mata und 12,5 Pro­zent ge­ben drei Trau­mata an. 30,7 Pro­zent be­rich­ten über mehr als drei traumatische Erlebnisse.

Im Vergleich zu Geflüchteten, de­nen diese Er­fah­rung­en erspart geblieben sind, be­rich­ten Geflüchtete mit traumatischen Er­fah­rung­en mehr als dop­pelt so häufig über körperliche und psychische Be­schwer­den (siehe Abbildung 3).
Dabei tre­ten vor allem psychische Be­schwer­den wie Mut­lo­sig­keit, Trau­rig­keit, Bedrückung (42,7 Pro­zent) und Ner­vo­si­tät, Un­ru­he (42,9 Pro­zent) auf.
Erst da­nach fol­gen körperliche Be­schwer­den wie Rückenschmerzen (36,6 Pro­zent) oder Kopfschmerzen (36,4 Pro­zent).  Klaus Zok: „Die von einer Mehr­zahl der Geflüchteten im Herkunftsland oder auf der Flucht gemachten Er­fah­rung­en von Krieg und Ge­walt haben einen direkten Ein­fluss auf die Ge­sund­heit, vor allem auf die Psy­che.“

Herausforderungen für die Gesundheitsversorgung

Das WIdO erfasst mit sei­ner Be­fra­gung auch, wie die Geflüchteten die medizinische Versorgung in Deutsch­land er­lebt bzw. in An­spruch genommen haben. So haben zwei Drittel in den letzten sechs Monaten ei­nen Arzt aufgesucht (68,3 Pro­zent), über­wie­gend we­gen allgemei­ner Gesundheits- und Vorsorgeuntersuchungen so­wie akuter leichter Er­kran­kung­en. In der Arzt-praxis oder im Krankenhaus stel­len sprachliche Barrieren ei­ne große Herausforderung dar: Mehr als je­der zwei­te Geflüchtete (56 Pro­zent) berichtet über große Schwie­rig­keit­en, sich verständlich zu ma­chen (siehe Abbildung 4).
Ähnlich hoch (51 Pro­zent) ist der An­teil derer, die nicht wis­sen, wel­che Gesundheitsangebote ih­nen über­haupt zur Verfügung ste­hen.

Umfassenden Zu­gang zu medizinischer Versorgung schaffen

Um den Schutzsuchenden zu helfen, sollten sie aus Sicht der Studienautoren ab dem ersten Tag in Deutsch­land ei­nen umfassenden Zu­gang zu medizinischer Versorgung er­hal­ten. Bürokratische und sprachliche Hemmnisse müs­sen abgebaut, psychotherapeutische An­ge­bo­te in der Traumabehandlung vorgehalten wer­den. Dabei müs­sen ins­be­son­de­re sprachliche Barrieren mitberücksichtigt wer­den. Hilfreich könnte es sein, geflüchtete Ärzte und Psychotherapeuten mög­lichst ge­zielt ins deutsche Gesundheitssystem einzugliedern. Ihre Hilfe ist für geflüchtete Patienten mög­li­cher­wei­se be­son­ders ak­zep­ta­bel, da sie aus den glei­chen Sprachräumen und Kulturkreisen kom­men.
„Neben ei­nem sicheren Aufenthaltsstatus, ei­ner passenden Un­ter­kunft, sinngebender Be­schäf­ti­gung und Freizeitangeboten kann Geflüchteten ein niedrigschwelliger Zu­gang zum Gesundheitssystem helfen, ih­re gesundheitlichen Probleme bes­ser zu be­wäl­ti­gen,“ so das Fa­zit von Helmut Schröder.

Die komplette Stu­die des WIdO kön­nen Sie hier herunterladen.

Pressekontakt:
Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO)
Website
Dr. Kai Behrens
Tel.: 030/34646-2309
Fax: 030/34646-332309
E-Mail: presse(at)wido.bv.aok.de

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