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01.01.2013

Erfahrungsberichte "Auf dem Weg zu einer kommunalen Gesamtstrategie"

Interviews mit Vertreter/innen von Partnerkommunen "Gesund aufwachsen für alle!"

Christin Hornbruch, Verbraucherzentrale NRW
Maren Janella, Gesundheit Berlin-Brandenburg

Schlagwörter:Kommunen, Netzwerk, Partnerprozess, Präventionsketten, Soziallage

„Kommunale Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on sind nach den Landesgesundheitsgesetzen Pflicht­auf­gaben der Kom­mu­nen!“, erklären Kom­mu­nen, die am Partnerprozess "Gesund auf­wach­sen für al­le!"  des Ko­o­pe­ra­ti­ons­ver­bun­des Ge­sund­heit­liche Chan­cen­gleich­heit teil­neh­men. Doch wie wer­den auf kommunaler Ebe­ne Voraussetzungen geschaffen, um integrierte Gesamtstrategien zu ent­wi­ckeln, die v.a. Menschen in schwieriger sozialer La­ge ein Aufwachsen und Leben in Wohlergehen er­mög­li­chen?

Kommunale Ge­sund­heits­för­de­rung als Pflicht­auf­ga­be

Diese Forschungsfrage stand im Zen­trum unserer Masterarbeit mit dem Ti­tel: „Auf dem Weg zur Ent­wick­lung einer kommunalen Gesamtstrategie in der Um­set­zung kommunaler Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on (durch den Auf­bau kom­mu­na­ler Prä­ven­ti­ons­ket­ten)“. Zur Be­ant­wor­tung die­ser Forschungsfrage konnten zwölf Vertreter/in­nen von Kom­mu­nen des Partnerprozesses te­le­fo­nisch befragt wer­den.

Unstrittig ist hierbei die Ziel­set­zung, nämlich allen Bür­ge­rin­nen und Bürgern ein Leben in Wohlergehen zu er­mög­li­chen. Auch über die besonderen Bedarfslagen von Menschen in schwieriger sozialer La­ge muss­te nicht wei­ter diskutiert wer­den, sie lie­gen auf der Hand und wer­den über Bedarfsermittlungen und Be­stands­auf­nah­men auf kommunaler Ebe­ne gut erfasst.

Die Kommunen stehen hierbei an sehr unterschiedlichen Ausgangspunkten, wie eine In­ter­viewpartnerin verdeutlicht: „(...) also ich sage es mal ehrlich: Also Wunschdenken ist es schon, die Realität ist nicht wirklich gegeben. Wir sind bemüht, punktuell manches zu machen (...), aber für mich als Koordinatorin dieses Netzwerks ist nicht erkennbar, dass wir wirklich eine gute, abgestimmte Strategie haben (...).“

Kommunale Gesundheitsförderung und Prävention brauchen Strukturen und Wertigkeit

Der Auf­bau kommunaler Gesamtstrategien für Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on ist nach Aus­sa­ge der Befragten je­doch an zentrale Be­din­gung­en geknüpft. Diese sind in folgendem Schau­bild dargestellt:

Kommunale Ge­sund­heits­för­de­rung und Prävention brauchen eine zentrale Steuerung

In al­len befragten Kom­mu­nen gibt es ei­ne/n zen­tra­le/n Hauptverantwortliche/n  für die Pla­nung und Um­set­zung kommunaler Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on. Die Le­gi­ti­ma­ti­on er­hal­ten diese ko­or­di­nie­ren­den Stel­len durch unterschiedliche Re­ge­lung­en (z.B. durch Gesundheitsdienstgesetze), Selbst­ver­pflichtungen (z.B. über die Mit­glied­schaft im Ge­sun­de Städte-Netzwerk) oder politische Ent­schei­dung­en (z.B. über Ratsbeschlüsse). Fehlt hier die Ver­bind­lich­keit, dann zeichnet sich oft ein ge­rin­ger Hand­lungs­spiel­raum ab. Diese zentrale Ko­or­di­na­ti­on ist be­deut­sam, da sie al­le Fäden in der Hand hält und kommunale Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on in Arbeitskreisen, Netzwerken vertritt und ei­nen meist partizipativ angelegten Strukturaufbau be­för­dert. An­ge­sie­delt sind diese Stel­len meist auf Ver­wal­tungs­ebene, hier v.a. beim Ge­sund­heits­amt.

Kommunale Ge­sund­heits­för­de­rung und Prävention brauchen eine res­sort­über­grei­fen­de und in­ter­sek­to­ra­le Zu­sam­men­ar­beit

Die Pla­nung und Um­set­zung kommunaler Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on ist kein eigenes Handlungsfeld, das im Auf­ga­ben­be­reich ei­nes Ressorts lie­gen kann oder sollte. Dies würde der Kom­ple­xi­tät des Themas nicht ge­recht wer­den. Stattdessen handelt es sich hierbei um ein Quer­schnitts­the­ma, das von vielen Res­sorts und In­sti­tu­tio­nen ge­mein­sam ge­tra­gen und umgesetzt wer­den muss. Die koordinierende Stel­le ist vorwiegend an Verwaltungsstrukturen angedockt und, trotz beruflichem Hintergrund im Gesundheits- oder So­zial­be­reich, nicht als direkte Fachebene zu be­zeich­nen. „Für die fachliche Ebe­ne (gibt es) dann die Pro­jekt­part­ner/in­nen“, äu­ßern befragte Kom­mu­nen und un­ter­strei­chen gleich­zei­tig die Wich­tig­keit der res­sort­über­greifenden und intersektoralen Zu­sam­men­ar­beit. Es braucht hierfür nicht in jedem Fall die Ini­tiie­rung neuer Gremien oder Arbeitskreise. Viele Strukturen sind auf kommunaler Ebe­ne be­reits vor­han­den und kön­nen genutzt wer­den.

Kommunale Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­tion brau­chen Wer­tig­keit

Zudem braucht kommunale Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on, wie folgende Aus­sa­ge einer Part­ner­kom­mune zeigt, einen eben­so hohen Stel­len­wert wie an­de­re Themen in den Kom­mu­nen (z.B. städtebauliche, umweltschützende Themen).

„(…) ein biss­chen er­schüt­ternd ist es schon, auch wenn ich über die Ar­beit reflektiere, aber ich war nie in der Si­tu­a­ti­on, wirk­lich pla­nen zu kön­nen (…), es gibt keinen ge­setz­li­chen Rahmen und von der Wer­tig­keit her habe ich das nie er­rei­chen kön­nen.“

Diese Wer­tig­keit sollte durch ei­ne politische Kontinuität in Ent­schei­dung­en und die Mög­lich­keit, wirk­lich lang­fris­tig pla­nen und aktiv zu wer­den, unterstrichen/ergänzt wer­den. Netzwerkarbeit und die Ent­wick­lung ei­ner gemeinsamen strategischen Vorgehensweise (z.B. über den Auf­bau kommunaler Prä­ven­ti­onsketten), ins­be­son­de­re mit Ressorts, die die Handlungsfelder Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on bislang nicht in ihrem Zu­stän­dig­keits­be­reich verortet haben, brau­chen Zeit und den Wil­len aller Be­tei­lig­ten.

Deutlich wurde au­ßer­dem, dass zu Beginn ei­nes kommunalen Planungsprozesses die Er­mitt­lung des konkreten Handlungsbedarfes steht, bzw. die Um­set­zung konkreter Maß­nah­men aus ei­nem spe­zi­fi­schen Handlungsbedarf abgeleitet wird. Hier nut­zen die Kom­mu­nen verschiedenste Me­tho­den zur Be­darfs­er­mitt­lung und Be­stands­auf­nah­me, z.B. Bürgerforen, Be­fra­gung­en von Netz­werkpartner/in­nen oder auch die „Klas­si­ker“ bzw. be­reits etablierte(re) Vorgehensweisen wie Ge­sund­heitskonferenzen und Ge­sund­heits­be­richt­er­stat­tun­g. Insbesondere die Beteiligung der Ziel­grup­pen ist hierbei ent­schei­dend, denn be­son­ders Menschen in schwieriger sozialer La­ge sind auf­grund ihres spezifischen Be­dar­fes durch die gängigen Präventionsangebote nicht zu er­rei­chen (das sogenannte Präventionsdilemma). Kom­mu­nen haben hier die Mög­lich­keit, durch Aktivitäten im direkten Lebensumfeld der Menschen aktiv zu wer­den. Besonders herausgehoben wurde hierbei von den Befragten die gute Mög­lich­keit, die der Set­tingansatz bietet, al­so das Erreichen der Menschen über z.B. Kitas oder Schulen.

Darüber hinaus wurde deut­lich, dass es deutsch­land­weit ei­ne Handvoll Kom­mu­nen gibt, die über den Auf­bau kommunaler Prä­ven­ti­onsketten An­ge­bo­te für Kinder, Ju­gend­li­che und deren Fa­mi­lien vorhalten und ih­nen hierüber ein Aufwachsen und Leben in Wohlergehen er­mög­li­chen. Kom­mu­nen, die sich ge­ra­de auf den Weg gemacht haben bzw. noch in der Pla­nungsphase ste­cken, ori­en­tie­ren sich stark an den Vorgehensweisen die­ser Modelle oder Vorbilder. Vertreter/in­nen aus dem Netz­werk für Fa­mi­lien in Dor­magen und MoKi - Monheim für Kids - waren und sind zum Bei­spiel nachgefragte Re­fe­rent/in­nen und Gäste auf vielen Ver­an­stal­tung­en und Fachaustauschen zu diesem The­ma. Durch die Be­fra­gung im Rahmen unserer Masterarbeit wurde sehr deut­lich, dass die (strukturellen) Voraussetzungen, die sich dort fin­den, je­doch nicht auf al­le anderen Kommunalstrukturen (z.B. Städte) über­trag­bar sind.

In diesem Zu­sam­men­hang ist die Ent­wick­lung ei­nes Qualitätsrahmens für die Pla­nung und Um­set­zung kommunaler Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on von den befragten Kom­mu­nen als un­ab­ding­bar und wün­schens­wert herausgestellt worden, wie folgendes Bei­spiel zeigt: „(…) dass je­der so im besten Verständnis et­was anbietet, in sei­ne Konzeptionen schreibt und versucht, auch das mo­dern umzusetzen. Aber dass es nicht im­mer qualitätsgesicherte Dinge sind (…), dass eben auch ein Pro­jekt (…), al­so sprich Vorträge zu halten mit anderen Dingen gleich­ge­setzt wird, das läuft auch un­ter Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on und wird eben we­nig differenziert.“  

Hemmende und fördernde Faktoren für die Planung und Umsetzung kommunaler Gesundheitsförderung und Prävention

Die Kom­mu­nen, die am Partnerprozess "Gesund auf­wach­sen für al­le!" teil­neh­men, wurden kon­kret zu förderlichen und hemmenden Faktoren in der Pla­nung und Um­set­zung kommunaler Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on befragt. Die Erfolgsfaktoren lassen sich zwei Kategorien zuordnen, der Zu­sam­men­ar­beit und der Qualitätssicherung:

  • Unter dem Kri­te­ri­um „Zu­sam­men­ar­beit“ wurden ins­be­son­de­re der gegenseitige Be­kannt­heits­grad und der Aus­tausch auf Augenhöhe als ent­schei­dend be­nannt.
  • Unter dem Kri­te­ri­um „Qualitätssicherung“ konnten die Aspekte der Eva­lu­a­ti­on (Messbarkeit von Erfolgen) und Fort­bil­dung­en (zur Pla­nung und Um­set­zung kommunaler Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on) ge­fasst und als wesentliche Voraussetzung herausgearbeitet wer­den.

Die hemmenden Faktoren kön­nen vier Ka­te­go­rien zugeordnet wer­den:

  • Unter das Kri­te­ri­um „fehlende Rah­men­be­din­gung­en“ fallen z.B. Aspekte wie ein trotz mehrerer Anläufe noch im­mer fehlendes Präventionsgesetz oder auch ei­ne fehlende Priorisierung des Themas.
  • Die „fehlende nachhaltige Verankerung“, als zweites Kri­te­ri­um, verdeutlicht aber­mals die Wich­tig­keit ei­ner langfristigen Pla­nungssicherheit (vs. „Projektitis“).
  • Deutlich wurde da­rü­ber hinaus, dass Kom­mu­nen häufig nicht über aus­rei­chende so­wohl personelle als auch finanzielle Res­sour­cen verfügen, diese Aspekte konnten im Kri­te­ri­um „fehlende Res­sour­cen“ zusammengefasst wer­den.
  • Als viertes und letztes Kri­te­ri­um kann ei­ne oft fehlende/mangelhafte Zu­sam­men­ar­beit verschiedenster Ressorts und Institutionen aufgeführt wer­den, mit erheblichen Konsequenzen für die Ebe­nen der Pla­nung und Um­set­zung. Eine ressort- und institutionsübergreifende Zu­sam­men­ar­beit ist (wie be­reits aufgeführt) ent­schei­dend, um auf kommunaler Ebe­ne aktiv wer­den zu kön­nen.

Die Rolle des Partnerprozesses „Gesund aufwachsen für alle!“

Über den Ko­o­pe­ra­ti­ons­ver­bund „Ge­sund­heit­liche Chan­cen­gleich­heit“ konnte ein wichtiger Pro­zess ini­tiiert wer­den. Dieser unterstützt Kom­mu­nen da­bei, allen Bür­ge­rin­nen und Bürgern, v.a. je­doch Men­schen, die auf­grund ihrer spezifischen Be­darfs­la­ge be­son­ders in den Blick genommen wer­den müs­sen, ein Aufwachsen und Leben in Wohlergehen zu er­mög­li­chen. Die seit Be­ginn des Part­ner­pro­zes­ses vor über einem Jahr kon­ti­nu­ier­lich steigende Zahl an teil­neh­men­den Kom­mu­nen unterstreicht die Wich­tig­keit des Themas und den bestehenden Un­ter­stüt­zungs­be­darf der Kom­mu­nen. Aus unserer Sicht ist dies ein gelungener An­fang! Jedoch brau­chen Kom­mu­nen, be­son­ders auf­grund ihrer in­di­vi­duel­len Bedarfslagen und strukturellen Voraussetzungen, ne­ben der vielversprechenden Mög­lich­keit des von­einander Lernens mehr Be­glei­tung und Un­ter­stüt­zung so­wie ei­nen einheitlichen Qua­li­täts­rah­men, an dem sie sich ori­en­tie­ren kön­nen.

„Naja, ich sage mal, das ist eben Wunsch­den­ken, dass wir diese Gesamtstrategie ha­ben, die ha­ben wir eben nicht. Also ich will niemandem un­ter­stel­len, al­so wirk­lich nicht, dass wir hier plan­los ar­bei­ten, aber für die Ge­sund­heits­för­de­rung haben wir es eben nicht ge­schafft, das The­ma so als ordentliche oder nicht mal schlecht, al­so uns als engagierte Stadt zu der The­ma­tik Ge­sund­heits­för­de­rung wirk­lich struk­tu­rell aufzustellen und das, oh­ne jetzt den schwarzen Pe­ter zuzuschieben, aber es liegt na­tür­lich auch an han­deln­den Personen und an der Konsequenz. Wie gesagt, es wer­den Mo­den betrieben, es wird mal hochgepuscht, es gibt auch tolle Aktionen, aber es gibt keine Kontinuität.“

Wir wün­schen allen Kom­mu­nen auf diesem Weg viel Kraft, Ener­gie und gute Part­ner­schaf­ten für Ge­sund­heit!

Die Masterarbeit wurde im Rahmen des Stu­dien­gangs „Public Health: psychosoziale Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on“ an der Freien Uni­ver­si­tät Ber­lin verfasst und  kann bei den Au­to­rin­nen angefordert wer­den.  

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