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26.07.2024

Errichtung eines Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM)

Bundeskabinett beschließt Gesetzentwurf zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit

Luca Torzilli, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e. V.

Schlagwörter:Bundeseinrichtung

Das Bundeskabinett hat am 17. Juli 2024 den Gesetzentwurf zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit beschlossen. Kernstück des Gesetzesvorhabens soll ein bis Januar 2025 zu errichtendes „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin“ – kurz BIPAM – sein, das als selbständige Bundesoberbehörde die Rechtsnachfolge der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) antreten und Teile des Robert Koch-Instituts (RKI) im Bereich der nicht-übertragbaren Krankheiten übernehmen soll. Der nachfolgende Artikel skizziert die bisherige Historie des Gesetzgebungsprozesses und legt die Perspektive der Freien Wohlfahrtspflege auf den Reformprozess dar.

Ausgangslage und Hintergrundinformationen

Die epidemiologischen Erkenntnisse in Deutschland zeigen, dass die Bevölkerung im Durchschnitt zwar immer länger und gesünder lebt, diese Entwicklung jedoch nicht allen Menschen gleichermaßen zugutekommt. Sozioökonomisch benachteiligte und gesellschaftlich marginalisierte Menschen sterben im Durchschnitt deutlich früher und sind während ihres Lebens häufiger und insgesamt länger krank. Dabei zeigen sich insbesondere bei nicht-übertragbaren, chronisch-degenerativen Erkrankungen (wie z.B. Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen, Diabetes, Erkrankungen des Bewegungsapparates) sowie bei psychischen Erkrankungen (wie z.B. Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen) deutliche soziale Unterschiede. Die dahinterstehenden Risikofaktoren wirken meist indikationsübergreifend und manifestieren sich i.d.R. bereits im Kindes- und Jugendalter (wie z.B. Bewegungsmangel, ungesunde und unausgewogene Ernährung, psychischer Stress, starker Medienkonsum, Sucht oder Barrieren im Zugang zu Bildung, Freizeit und Kultur).

Gleichzeitig orientieren sich Präventionsangebote nach wie vor stark am Gesundheitsverhalten Einzelner ohne Inbezugnahme von Kontextfaktoren und erreichen damit überwiegend Personengruppen, die insgesamt ein eher moderates gesundheitliches Risikoprofil aufweisen. Insofern müssen in Deutschland dringend die institutionellen Voraussetzungen für eine zusammenhängende und flächendeckende Infrastruktur zur Prävention und Gesundheitsförderung geschaffen werden. Hierfür bedarf es aufeinander abgestimmte Institutionen mit klar definierten Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Kooperationen.

Das im Koalitionsvertrag avisierte “Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit”, in dem die BZgA aufgehen soll, soll in diesem Prozess eine Schlüsselfunktion einnehmen und die „Aktivitäten im Public-Health Bereich, die Vernetzung des ÖGD und die Gesundheitskommunikation des Bundes“ bündeln. Damit wurde der hohe Bedarf insbesondere in den Bereichen (1) Prävention und Gesundheitsförderung sowie Gesundheitskompetenz zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen, (2) zielgruppenspezifische Risikokommunikation und (3) Vernetzung der Aktivitäten der Public Health-Community grundsätzlich anerkannt und – wie es schien – aufgegriffen.

Umso enttäuschter fielen bereits die ersten Rückmeldungen aus der Fachwelt aus, als ein noch nicht abgestimmter Arbeitsentwurf im Herbst 2023 an die Öffentlichkeit gelangte und damit u.a. auch die namentliche Einengung des Instituts auf Präventivmedizin bekannt wurde. Im später veröffentlichten und in Teilen überarbeiteten Referentenentwurf blieben wesentliche Kritikpunkte nach wie vor unberücksichtigt, die meisten davon von grundsätzlicher, inhaltlich-strategischer Natur.

Verbändebeteiligung

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) hatte im Rahmen der Verbändebeteiligung zum Referentenentwurf Stellung genommen und darin die folgenden Kritikpunkte und Anregungen eingebracht:

  1. Blickrichtung des Instituts: Der Name des avisierten Bundesinstituts („Prävention und Aufklärung in der Medizin“) ist aus Sicht der BAGFW-Verbände aus der Zeit gefallen und zementiert ein veraltetes (Selbst-)Verständnis von Öffentlicher Gesundheit. Prävention beruht zwar auch auf medizinischem Fachwissen, lebt aber letztendlich, und das untermauern alle verfügbaren Erkenntnisse der Sozialepidemiologie und Interventionsforschung, v.a. in der Umsetzung von sozialwissenschaftlichen Konzepten insbesondere der nicht-medizinischen, auf Gesundheitsförderung fokussierten Lebensweltprävention. Dies auch deshalb, da gesundheitliche Risiken oftmals nicht im unmittelbaren Einflussbereich der medizinischen Versorgung liegen, sondern vielmehr in den Umwelt-, Lebens- und Arbeitsbedingungen und den damit wechselseitig in Beziehung stehenden Handlungsräumen und Lebensstilen von Menschen.
  2. Strategisch-inhaltliche Schwerpunkte des Instituts: Der augenscheinliche Fokus auf einzelne Krankheiten sollte in der Arbeit des Bundesinstituts vermieden werden. Prävention und Gesundheitsförderung wirken i.S.d. Ressourcenstärkung grundsätzlich krankheitsunspezifisch. Sinnvoller wäre die Schwerpunktsetzung auf besonders belastete und belastende Lebenswelten und vulnerable Gruppen. Diese Perspektive lässt der vorliegende Entwurf nahezu gänzlich vermissen.
  3. Kompetenzaufteilung RKI/BIPAM: Der Mehrwert der avisierten Aufteilung der Public Health-Kompetenzen auf zwei Institute (RKI überwiegend für Infektionskrankheiten, BIPAM für nicht-übertragbare Krankheiten) ist nicht nur international ohne Vorbild, sondern auch fachlich nicht zu begründen und provoziert Doppelstrukturen und Reibungsverluste. Zudem überschneiden sich die Entstehungsbedingungen übertragbarer und nicht-übertragbarer Erkrankungen maßgeblich und der soziale Gradient in Morbidität und Mortalität zeigt sich sowohl bei übertragbaren als auch bei nicht-übertragbaren Erkrankungen. Insofern sollte man die in Deutschland bewährte Arbeitsteilung zwischen Ursachenforschung und Sozialepidemiologie (RKI) einerseits und Interventions- und Anwendungsforschung sowie Gesundheitskommunikation und Aufklärung (bislang BZgA, weiterzuführen und auszubauen im künftigen Bundesinstitut) andererseits aus Sicht der Verbände der BAGFW dringend beibehalten.
  4. Gesundheitsberichterstattung (GBE): Mitunter soll auch die GBE vom RKI an das neue Institut übergehen. Wissenschaftliche Datenerhebung und Berichterstattung gehen einher mit politisch unabhängiger Public Health-Forschung. Diese Aufgaben werden bereits seit Jahrzehnten und auf hohem Niveau durch das RKI wahrgenommen. Die nun vorgesehene Kompetenzverlagerung im Bereich des Monitorings und Reportings vom RKI an das avisierte Bundesinstitut entzieht der GBE jegliche fachliche Basis. Insofern muss die GBE aus Sicht der BAGFW-Verbände unbedingt auch künftig beim RKI angesiedelt bleiben.

Weitere Stellungnahmen

Der Expert*innenbeirat "Beratender Arbeitskreis" des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit hatte im Februar 2024 seine Positionen zum Stellenwert der gesundheitlichen Chancengleichheit in die Diskussion eingebracht.

Stellungnahmen von Mitgliedsorganisationen des Kooperationsverbundes im Rahmen der Verbändebeteiligung, in denen die gesundheitliche Chancengleichheit explizit genannt wird:

- Stellungnahme BKK Dachverband (2.7.2024)

- Offener Brief Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) (2.7.2024)

- Stellungnahme Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ) (2.7.2024)

- Stellungnahme Bundesärztekammer (2.7.2024)

Kabinettsbeschluss

Kurz nach der Verbändeanhörung wurde der Gesetzentwurf dann am 17. Juli 2024 vom Bundeskabinett beschlossen. Im Vergleich zum Referentenentwurf blieben wesentliche kritische Rückmeldungen, die neben den BAGFW-Verbänden auch zahlreiche weitere Akteure in gleicher oder ähnlicher Weise geäußert hatten, bedauerlicherweise unberücksichtigt.

Mit Blick auf den Aufgabenbereich des avisierten Bundesinstituts wurde in der Gesetzeseinführung und -begründung prominenter hervorgehoben, dass neben den bestehenden Aufgaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriums auch die Aufgaben aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Bundesinstitut aufgehen sollen (Sexualaufklärung, Familienplanung und präventiver Kinderschutz, hier insbesondere die Frühen Hilfen und der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt). So soll das Bundesinstitut beispielsweise die bestehenden Aufgaben der Abteilung für Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung der BZgA aus dem Geschäftsbereich des BMFSFJ unverändert in einer eigenen Abteilung übernehmen, die die soziale Lebenswelt von Familien und ihren Kindern ab der Schwangerschaft in den Fokus nimmt, inklusive der Qualitätsentwicklung, Qualitätssicherung und Kommunikation zu Sexualaufklärung, zu Familienplanung sowie zum präventiven Kinderschutz. Die Fachaufsicht des BMFSFJ bleibt davon unberührt.

Konkretisiert wurden die Aufgaben des Bundesinstituts u.a. auch hinsichtlich der 1) Durchführung einer Public Health-Surveillance von nicht-übertragbaren Erkrankungen in Deutschland (z.B. zu den Themenfeldern Diabetes, Herz-Kreislauf, mentale Gesundheit, Adipositas, Krebs- und Suchterkrankungen), mit Blick auf 2) Projektförderungen und Beauftragungen für epidemiologische Forschung und Präventionsmaßnahmen, zur Evaluation sowie zielgruppengerechten Ansprache u.a. zu den Themen Bewegung, psychische Gesundheit, Suchtstoffkonsum und gesundheitliche Chancengleichheit sowie hinsichtlich der 3) Zuwendungen zu Maßnahmen für Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) und zur Entwicklung von Leitlinien mit der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF).

Nächste Schritte

Nach der parlamentarischen Sommerpause wird die 1. Lesung des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag stattfinden, mit anschließender Überweisung des Entwurfs an den federführenden Ausschuss für Gesundheit. Insbesondere mit Blick auf die Verabschiedung potenzieller Änderungsanträge könnte der Prozess an dieser Stelle noch einmal spannend werden. Ein konkreter Zeitstrahl für die parlamentarischen Beratungen ist bislang noch nicht bekannt. Das Bundesinstitut soll jedoch bereits zum Jahreswechsel seine Arbeit aufnehmen, insofern müsste die Beschlussfindung zügig nach der Sommerpause vonstattengehen. Die Verbände der BAGFW werden sich insofern auch weiterhin mit ihren Anregungen und Forderungen in den Prozess einbringen.

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