16.12.2015
Familienferienstätten: Partner für Präventionsangebote im Gesundheitsbereich
Karin Germer, Diakonie Deutschland - Ev. Bundesverband
Schlagwörter:Familie, Familiengesundheit, Kinder, Prävention
Familienerholung trägt zur Stärkung von Erziehungs- und Familienkompetenzen bei. Maßnahmen der Erholung innerhalb der Familie leisten einen Beitrag zur gesundheitlichen Prävention, indem sie die Vermeidung von Risiken durch Überforderungen und Überlastungen unterstützen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Familienerholung schafft mit gemeinnützigen Ferienstätten erschwingliche Erholungsmöglichkeiten für Familien in Deutschland.
Was ist Gemeinnützige Familienerholung?
Über 90 Familienferienstätten der Bundesarbeitsgemeinschaft Familienerholung verbinden aktive Erholung für die ganze Familie und alle Generationen mit Elementen von Eltern- und Familienbildung, von Gesundheitsförderung sowie sozialer Beratung. Gemeinnützige Familienerholung regt soziale und gesundheitsfördernde Lebensweisen an. Familienerholung integriert von jeher Menschen mit Behinderungen und bietet zunehmend Angebote für Menschen mit zu pflegenden Angehörigen.
Wer sind die Zielgruppen?
Das Angebot der Familienerholung ist für alle Generationengemeinschaften bestimmt, in denen verbindlich Verantwortung für und mit Kindern sowie für pflegebedürftige Angehörige wahrgenommen werden. Das gilt für alle heute gelebten Familienformen einschließlich der Großeltern. Soziokulturelle Vielfalt ist ausdrücklich erwünscht, denn gerade die unterschiedliche Sozialisierung der Familien befördert Lernprozesse.
Familienferienstätten schaffen Begegnungsräume, in denen Menschen in Gemeinschaft Erfahrungen des sozialen Miteinanders machen. Die Aktivitäten sind in der Regel freiwillig. Zugänge werden vor allem durch die Gemeinschaft geschaffen, Menschen werden „mitgenommen“. Die Angebote sind niedrigschwellig und spielerisch angelegt und laden zum „Hineinschnuppern“ ein.
Familienferienstätten: non-formale Bildungsträger und Räume für informelles Lernen
Familienferienstätten eröffnen Kindern Erfahrungsräume in der Natur, die vielen (Stadt-) Kindern fremd sind. Im Alltag heutiger Kinder findet Freizeit überwiegend im innerhäuslichen Bereich statt. Folgen sind besonders Bewegungsarmut und übermäßiger Medienkonsum. Durch das eigenständige Erkunden der Umwelt werden demgegenüber Sinneswahrnehmungen, Spontaneität, Selbstständigkeit und motorische Fähigkeiten gefordert. Hier setzen die Angebote der Erlebnispädagogik zu „Bewegung und Ernährung“ an. Die Palette reicht von Lauf-Spielen, Rallyes, Wandern und GPS-Erkundungen bis zu gemeinsamen Koch- und Probieraktionen.
Bildung geschieht in der Familienerholung schwerpunktmäßig durch Erfahren und Erleben, durch wechselseitiges Lernen von Erwachsenen und Kindern, durch Beobachten und durch den Austausch der Familien untereinander. Das geschieht beiläufig, also informell, hat aber große Bedeutung und fängt bei sehr grundsätzlichen Dingen an, die heute in Familien keinesfalls mehr selbstverständlich sind: Dem Tag Struktur zu geben, gemeinsam als Familie an einem Tisch essen, Kennenlernen von Ritualen wie der Gute-Nacht-Geschichte. Gemeinsames Spielen und Singen fördert die Sprachentwicklung, animiert zur Bewegung und gibt Anregungen für die Gestaltung des Alltags. Bewegung, Spiel und Sport fördern Kommunikationsfähigkeit, Zielorientierung, Durchhaltevermögen sowie Verständnis und Verantwortung für Gesundheit und Natur. Für kreative Tätigkeiten gilt Vergleichbares.
Alle Formen des Lernens können zugleich einen Beitrag zur Stärkung des Selbstwertgefühls der Familie und einzelner Familienmitglieder leisten und tragen damit zur Persönlichkeitsbildung und zur psycho-sozialen Gesundheit bei.
Familienerholung und Prävention
Erholung als Auszeit vom Alltag dient der Gesundheitsvorsorge. Dies gilt für Familien besonders, denn ihr Alltag ist heute stark durchorganisiert. Erwachsene wie Kinder brauchen zum gelingenden Leben Ressourcen und Zeit, um Abstand vom Funktionieren-Müssen zu bekommen und um Freiräume und Muße zu erleben. Eine wichtige Ressource ist es, in Gemeinschaft mit anderen Menschen Rückhalt und Freundschaft zu erfahren.
Gesundheitsförderung ist gesellschaftliche Querschnittsaufgabe. Gesundheitsfördernde Ressourcen lassen sich in vielfältigen Handlungsfeldern verstärken und nutzen. Ähnlich wie Bildung steht Gesundheit sowohl positiv als auch negativ in engem Zusammenhang mit sozialer Herkunft. Im Gesundheitswesen wie in der Familienerholung besteht die besondere Herausforderung darin, die soziale Reichweite der Angebote zu verstärken, um gerade diejenigen zu erreichen, die hierauf besonders angewiesen sind.
Angebote der Familienerholung tragen auch dazu bei, Eltern in Beziehungs-, Erziehungs- und Gesundheitsfragen zu stärken und ihnen Anregungen und Hilfestellungen zu geben. Kompetenzen auf diesen Gebieten befähigen zur besseren Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Wenn nötig werden auch Hilfen durch Beratungsstellen am Wohnort vermittelt.
Familienerholung als Netzwerkpartner: Arbeitsgemeinschaft Familiengesundheit Argenbühl
Wie man im Zeichen der Prävention auf kommunaler Ebene zusammenwirken kann, zeigt die Arbeitsgemeinschaft Familiengesundheit Argenbühl (Baden-Württemberg), die drei Akteure einer Region zusammenbringt, die ähnliche Ziele verfolgen: Mutter-/ und Vater-Kind-Fachklinik Bromerhof, Feriendorf Eglofs (Familienerholungswerk der Diözese Rottenburg-Stuttgart) und Gemeinde Argenbühl. In dem Workshop „Von Nervensägen und Geduldsfäden - Umgang mit Stress in der Familie“ ließen sich 50 Eltern aus der Region bei drei Vorträgen Tipps von erfahrenen Familienberaterinnen und -beratern geben. Währenddessen stellte das Feriendorf die Kinderbetreuung sicher. Ein wesentlicher Tipp zum Thema „Pubertät“ war: „Konzentrieren Sie Ihre Energie auf die für Sie wichtigen Probleme, die es zu lösen gilt. So sparen Sie Nerven und Kräfte.“ Aufgrund des großen Interesses der Eltern kamen die Akteure zufrieden zum Fazit: „Es war an der Zeit, dass wir unsere Kompetenzen in der Familienarbeit bündeln.“ Dieses Beispiel könnte Schule machen!
Von 2015 bis 2017 fördert das Bundesministerium Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Projekt „Zukunftswerkstatt Familienerholung und Qualitätsentwicklung in Familienferienstätten“. Hier sollen unter anderem unter Beteiligung verschiedener Handlungsfelder Kooperationsmöglichkeiten ausgelotet und angestoßen werden.
Auftrag gemäß Kinder- und Jugendhilfegesetz
Unter dem präventiven Fördergedanken sind Angebote der Familienfreizeit und Familienerholung seit 1991 als Pflicht-Leistung im Kinder- und Jugendhilfegesetz verankert (SGB VIII, § 16, Abs. 2, Satz 3). Sie sollen Müttern, Vätern, anderen Erziehungsberechtigten und jungen Menschen angeboten werden. Dass in dieser Formulierung der Einzelanspruch auf Familienerholung fehlt ("Soll-Leistung"), macht diese gesetzlich verankerte Aufgabe keineswegs zu einer "Kann-Leistung", also zu einer freiwilligen Leistung, wie fälschlicherweise oft kolportiert. Bei konsequenter Lesart des Gesetzes ist nur die Inanspruchnahme von Familienerholung freiwillig, mitnichten aber die Pflicht der örtlichen Jugendhilfe, das Angebot als solches bedarfs- und teilhabegerecht vorzuhalten. Regelndes Ausführungsrecht zum Anbieten von Familienerholung zu beschließen, ist nach § 16 SGB VIII, Abs. 4 wiederum Pflicht der Länder. Familienerholung hat auch eine Schnittstelle zu den lokalen und regionalen Unterstützungssystemen der „Frühen Hilfen“, die koordinierte Hilfsangebote für Eltern und Kinder ab Beginn der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren mit einem Schwerpunkt auf der Altersgruppe der 0- bis 3-Jährigen aufbauen.
Acht Bundesländer unterstützen Urlaub in Familienferienstätten: Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen.
Gezielte Familienerholungs-Maßnahmen für Zielgruppen in belastenden Familiensituationen fördern Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Die aktuellen Kontaktdaten der BAG Familienerholung finden Sie auf den Webseiten.
Literaturhinweis: Karin Germer, Damit alle Kinder verreisen können, Zur Bedeutung der gemeinnützigen Familienerholung im Rahmen zeitgemäßer Familienförderung, in: Frühe Kindheit, 3/2013, S. 6-15.