19.01.2015
Familiengesundheit im Lebensverlauf
Bericht zur gleichnamigen Fachtagung im November 2014, Witten/Herdecke
Martina Schlüter-Cruse, Dipl. Berufspädagogin und Hebamme; Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Osnabrück; Doktorandin der Universität Witten/Herdecke
Ulrike von Haldenwang, Gesundheit Berlin-Brandenburg
Schlagwörter:Fachtagung, Familiengesundheit, Lebenslaufperspektive
Am 28. November 2014 fand an der Universität Witten/Herdecke die 2. Fachtagung des Forschungskollegs „Familiengesundheit im Lebensverlauf“ (FamiLe) statt. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Forschungskolleg baut auf einer bestehenden Kooperation zwischen der Universität Witten/Herdecke und der Hochschule Osnabrück in den Bereichen der Pflege- und Hebammenwissenschaft auf. Es verfolgt das Ziel, vertiefende Erkenntnisse zur Rolle von Familien für die Gesundheit sowie die Bewältigung von Krankheit und Pflegebedürftigkeit einzelner Familienmitglieder zu gewinnen und dabei eine Lebenslaufperspektive einzunehmen. Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen Ergebnisse der empirischen Untersuchungen von 12 Kollegiatinnen und Kollegiaten, die in ihren Promotionsarbeiten die Gesundheit in ihrem familialen Kontext als prägendes Leitthema verfolgen. Die Vorträge der Doktorandinnen und Doktoranden wurden durch zusammenfassende Beiträge der betreuenden Professorinnen und Professoren beider Hochschulen gerahmt. Auf Osnabrücker Seite sind dies Sprecherin Prof. Dr. Friederike zu Sayn-Wittgenstein, Prof. Dr. Claudia Hellmers und Prof. Dr. Andreas Büscher, aus Witten der Sprecher Prof. Dr. Wilfried Schnepp und Juniorprofessorin Dr. Sabine Metzing.
„Doing“ Family
In seinem Einführungsvortrag betonte Prof. Dr. Schnepp die Notwendigkeit einer familienorientierten Gesundheitsversorgung im Kontext familialer Entwicklungen und Transitionen (z.B. Schwangerschaft und Geburt, aber auch Krankheit), welche zu neuen Bedürfnissen der Familie führen können. Schnepp verwies auf das Konzept „Doing Family“*, das in der Pflege- und Hebammenwissenschaft die Herausforderung beschreibt, Familien trotz Entwicklungsprozessen und Transitionen sowie komplexen gesellschaftlichen Anforderungen zu helfen, Familie zu sein und zu bleiben. Die Definition von Familie, die auch allen anderen Vorträgen zugrunde liegt ist einfach: „Familie ist das, was es für die Betroffenen bedeutet“.
Gesundheit und Gesundheitsverhalten in jungen Familien
Im Mittelpunkt des ersten Themenblocks standen die Gesundheit und das Gesundheitsverhalten in jungen Familien während der Familienbildungsphase.
Lea Beckmann beschäftigt sich mit der außerklinischen Geburt nach Kaiserschnitt und dem Entscheidungsprozess von Eltern für den Geburtsort. Die Entscheidung der Eltern für einen außerklinischen Geburtsort begründet sich vor allem mit dem Wunsch, nach dem Schutz ihrer Intimität und um dem Gefühl als Eltern wahrgenommen und respektiert zu werden. Julia Heine untersucht das subjektive Wohlbefinden von Eltern nach der Geburt des ersten Kindes und verfolgt das Ziel, eine positive Perspektive früher Elternschaft aufzuzeigen. Ein Ergebnis ihrer qualitativen Interviews mit Paaren nach der Geburt des ersten Kindes zeigt, dass der Vater als Experte für die Außenwelt, die Mutter als Expertin für die Innenwelt der Familie gilt. Für deren Wohlgefühl sind gegenseitiges Verständnis, ein Teamgefühl und die gesellschaftliche Anerkennung wichtig.
„Berufliche Mobilität, Familie und Alltagsbewältigung" ist das Thema der Doktorarbeit von Lisa Hoffmann. Anhand ihrer Analyse des Partnerschafts- und Familienpanels (pairfam) gab sie einen Überblick über die beruflich mobile Familie. Zusätzlich untersucht sie die Frage, wie junge Eltern bei beruflicher Mobilität ihren Alltag bewältigen und welchen Einfluss die Mobilität auf die Familiengesundheit hat. Postdoktorandin Dr. Charlotte Ullrich rundete den Vormittag mit einem Einblick in die Vorstellungen von Gesundheit und Geschlecht in Yogakursen ab.
Bewältigung von Krankheit in jungen Familien
Wie gehen junge Familien mit Krankheit um, welche Bewältigungsstrategien entwickeln sie? So vielfältig wie Krankheitsfälle können auch die Umgehensweisen sein. Wie erleben z.B. respiratorisch erkrankte Kinder, Jugendliche und ihre Familien die Versorgung auf einer pädiatrischen Intensivstation? Martina Gießen-Scheidel hat dies in ihrer Arbeit untersucht und dabei „Angst haben“ als wichtiges Teilphänomen identifiziert. Wesentlich ist ihrer Meinung nach im Umgang mit den pädiatrischen Patientinnen und Patienten besonders die Berücksichtigung der Ressourcen der Familie und eine situationsbezogene Begleitung. Geschwister von Kindern und Jugendlichen mit einer chronischen Erkrankung stehen im Mittelpunkt der Promotion von Christiane Knecht. Erste Ergebnisse ihrer qualitativen Interviews mit Geschwisterkindern zeigen, dass die Erkrankung nicht nur das Erleben und die Lebenswelt der gesunden Geschwister, sondern in der Konsequenz auch ihre Persönlichkeit prägt.
Der Beitrag „Chronisch krank und Schule“ von Andreas Kocks gab Einblicke in die Lebenswelt betroffener Kinder und ihrer Familien. Kocks zeigte, dass Stresserleben und Gesundheitsbelastung aber auch der Wunsch, für ein gesundes und normales Aufwachsen zu sorgen, wichtige Themen in den betroffenen Familien sind.
Familien im gesundheitlichen und pflegerischen Versorgungssystem
Im Mittelpunkt des dritten Themenblocks standen Familien im gesundheitlichen und pflegerischen Versorgungssystem. Der Fokus der qualitativen Längsschnittstudie von Heike Asbach zur „Familialen Bewältigung von Pflegebedürftigkeit im zeitlichen Verlauf“ liegt auf dem Erleben, der Bewältigung und der Gestaltung von familialen Sorge- und Pflegebeziehungen im häuslichen Bereich. Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass familiale Pflege keine statische Situation ist, sondern ein fortwährender Veränderungsprozess. Die Konfrontation mit der Endlichkeit des Lebens ist für alle Beteiligten das zentrale und beherrschende Thema. Lena Dorin fokussiert in ihrer Promotionsarbeit das Inanspruchnahmeverhalten von (professionellen) Pflege- und Unterstützungsangeboten durch Pflegebedürftige und ihre Angehörigen. Dabei treten geschlechterspezifische Unterschiede hervor. Während weibliche Schwerpflegebedürftige häufiger verwitwet und allein lebend sind und die Pflege durch Kinder und Verwandte erfolgt, erhalten männliche Schwerpflegebedürftige mehr Unterstützung durch ihre oft jüngeren Ehefrauen. Claudia Oetting-Roß beschäftigt sich in ihrer Dissertation mit der Situation und Perspektive lebenslimittierend erkrankter Kinder und Jugendlicher, die zu Hause (palliativ) betreut und begleitet werden. Ziel der qualitativen Untersuchung ist die Rekonstruktion kindlichen Erlebens aus unterschiedlichen Perspektiven, um Ressourcen, Bedürfnisse und Probleme der Kinder und Jugendlichen, ihrer Familien und Pflegender herauszuarbeiten. Oetting-Roß zeigt in ersten Ergebnissen auf, dass die Kinder Gesundheitskompetenz entwickeln, um eine aktive Rolle in der eigenen Versorgung einnehmen zu können.
Familie im Alter und in der Endphase des Lebens einzelner Familienmitglieder
Der letzte Themenblock umfasste Themen zur Familie im Alter und in der Endphase des Lebens einzelner Familienmitglieder. Ziel des Forschungsvorhabens von Nino Chikhradze ist die Untersuchung des familiären Erlebens, der Bedürfnisse und der Bewältigung in der palliativen Phase einer Brustkrebserkrankung. Chikhradze stellte anhand erster Ergebnisse dar, was es für die Familienmitglieder bedeutet, „sich auf Tod und Ende vorzubereiten“. Angst und Unsicherheit bestimmen in dieser Zeit das Familienleben. Auch in der Promotionsarbeit von Michael Galatsch stehen Familien während der ambulanten palliativen Betreuung im Zentrum. Sein Forschungsprojekt hat das Ziel, relevante Belastungen und Bedürfnisse von Familien in der ambulanten palliativen Betreuung zu erfassen, zu qualifizieren und zu vergleichen. Die ersten Auswertungen der Daten bestätigen internationale Ergebnisse und zeigen, dass sterbende Familienmitglieder im ambulanten Setting hauptsächlich vom Ehepartner betreut werden und die emotionale Belastung als hoch bis sehr hoch eingeschätzt wird. In der sich anschließenden Diskussion wurde die besondere Herausforderung des Feldzugangs in dieser Lebensphase deutlich. Einen Überblick über Familienorientierte Interventionen gab Postdoktorand Dr. Jörg große Schlarmann.
Prof. Dr. zu Sayn-Wittgenstein fasste am Ende der Tagung zusammen, dass der Erfolg und die Akzeptanz der Pflege- und Hebammenwissenschaft auch davon abhängen, ob es weiterhin gelingt, die Ergebnisse der spezifischen Forschungsfragen in die Praxis zu übertragen und die Anschlussfähigkeit zu den benachbarten Disziplinen, z.B. der Gesundheitswissenschaft und Soziologie zu gewährleisten.
Mehr über das Forschungskolleg erfahren Sie hier.
Zum Programmflyer gelangen Sie hier.
Die diesjährige Satellitenveranstaltung „Füreinander Sorge tragen“ hat ebenfalls das Thema Familiengesundheit zum Schwerpunkt.
Sie findet am 4. März, am Vortag des Kongresses Armut und Gesundheit statt.
Hier können Sie sich anmelden.
Für weiterführende Literaturhinweise klicken Sie bitte auf "mehr"
Jurczyk, K., Lange, A. & Thiessen, B. (Hrsg.). (2010). Doing Family. Warum Familienleben heute nicht mehr selbstverständlich ist. Weinheim: Juventa.
Link zur Deutschen Nationabiblithek:
https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&cqlMode=true&query=idn%3D1002789532
Schier, M. & Jurczyk, K. (2008). "Familie als Herstellungsleistung" in Zeiten der Entgrenzung. In Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen e.V. (GESIS) (Hrsg.), Sozialwissenschaftlicher Fachinformationsdienst. 01/2008. Familienforschung (S. 9-18). Bonn: GESIS-IZ.
http://www.gesis.org/fileadmin/upload/dienstleistung/fachinformationen/servicepublikationen/sofid/Gesamtdateien/Familienforschung/Familien_08-01_GD.pdf