Zum Hauptinhalt springen
Logo vom Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit und Site-Slogan: Aktiv für Gesundheit und Chancengleichheit (Link zur Startseite)

24.11.2014

Familienplanung als Menschenrecht

Das Menschenrecht auf selbstbestimmte Familienplanung schließt den Zugang zu möglichst sicheren und bezahlbaren Verhütungsmethoden ein.

Regine Wlassitschau, pro familia Bundesverband

Schlagwörter:Familie, Gesundheitspolitik, Schwangerschaft, Soziallage

In Deutsch­land kön­nen sich Menschen mit geringem Einkommen Verhütung oft nicht leis­ten. pro familia fordert des­halb, dass die Kosten von verschreibungspflichtigen Verhütungsmitteln für so­zi­al benachteiligte Menschen erstattet wer­den. Eine Gesetzesänderung ist drin­gend not­wen­dig.

Eine bundesweite Lö­sung gab es bis 2004 durch die im Sozialgesetzbuch festgeschriebene Hilfe zur Familienplanung. Durch die Ab­schaf­fung die­ser Hilfe entstand für viele Menschen mit geringem Einkommen ei­ne prekäre Si­tu­a­ti­on. Hier sind neue Lö­sung­en drin­gend not­wen­dig.

Familienplanung ist ein Menschenrecht

Im Aktionsprogramm der Kairo-Konferenz 1994 ist festgeschrieben, dass al­le Männer und Frauen das Recht auf ungehinderten Zu­gang zu mög­lichst sicheren, ge­sund­heit­lich verträglichen und fi­nan­zi­ell erschwinglichen Verhütungsmethoden haben. Auch die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on be­tont die Be­deu­tung des Menschenrechts auf Verhütung. Sie empfiehlt den Ab­bau fi­nan­zi­eller Hürden für benachteiligte Be­völ­ke­rungsgruppen, die ei­ne Nut­zung von Verhütung verhindert.

Die Gesetzeslage in Deutschland

Durch die Gesundheits- und So­zi­al­re­form in den Jahren 2004 und 2005 ist die Mög­lich­keit der Kostenübernahme für so­zi­al benachteilige Frauen und Männer weggefal­len. Davon be­trof­fen sind be­son­ders Frauen, die Ar­beits­lo­sen­geld II, Grundsicherungsleistungen oder Wohn­geld er­hal­ten, die sich in Aus­bil­dung oder Stu­di­um be­fin­den, Asylbewerberinnen und Geringverdienerinnen so­wie Männer, die auf Grund ihrer fi­nan­zi­ellen Si­tu­a­ti­on die Kosten für ei­ne Ste­ri­li­sa­ti­on nicht auf­brin­gen kön­nen. Die Hartz IV-Reform hat die Zahl der Menschen, die mit ex­trem we­nig Geld aus­kom­men müs­sen, deut­lich erhöht. Und da­mit auch die Zahl der Frauen und Männer, die kein Geld für Verhütungsmittel haben: Denn an­statt die realen Kosten zu be­rück­sich­ti­gen, gibt es seit­dem ei­nen pauschalisierten Re­gel­satz, der ei­ne Pau­scha­le für Ge­sund­heits­pfle­ge von 16,81 Eu­ro enthält. Der Ge­setz­ge­ber hält es für vertretbar, dass Hartz IV-Empfängerinnen und -Empfänger in anderen Bereichen sparen, falls diese Pau­scha­le nicht ausreicht, um ne­ben Kopfschmerztabletten und Heuschnupfenmittel die Pil­le zu bezahlen. Der Hartz IV-Re­gel­satz für ei­nen Er­wach­se­nen beträgt der­zeit 391 Eu­ro pro Monat. Eine monatliche Pil­lenpackung kostet zwi­schen 4,50 Eu­ro und 20 Eu­ro, der Verhütungsring 16 bis 22 Eu­ro pro Monat. Spi­ra­len und Implantate si­chern die Verhütung für meh­re­re Jahre. Die Kosten von meh­re­ren Hundert Eu­ro kön­nen Hartz-IV-Empfängerinnen aber nicht aus dem Re­gel­satzbetrag be­strei­ten.

Stu­die zeigt Aus­wir­kung­en der fi­nan­zi­ellen Si­tu­a­ti­on auf Verhütungshäufigkeit

Im Rahmen ei­ner Pi­lot­stu­die an der Hochschule Mer­se­burg (Gäckle, Annelene: Familienplanung gibt es prak­tisch nur theoretisch - Aus­wir­kung­en von Harz IV auf das Kontrazeptionsver­hal­ten von Hartz IV-Empfängerinnen in Nordrhein-Westfalen im Kon­text der Schwan­ger­schafts(konflikt) beratung. Masterarbeit. Hochschule Mer­se­burg [FH] 2006.) wurden erst­mals die Aus­wir­kung­en der nicht mehr gewährten Hilfe zur Familienplanung auf das aktuelle Verhütungsver­hal­ten und die Ein­stel­lung zu ei­ner möglichen ungewollten Schwan­ger­schaft untersucht. 69 Frauen, die von ALG II le­ben, wurden befragt. Das Er­geb­nis zeigt deut­lich den Zu­sam­men­hang: 80 Pro­zent der Befragten ge­ben an, dass das ALG II die Kosten für Verhütungsmittel nicht aus­rei­chend abdeckt und eben­so viele verbinden mit ei­ner Schwan­ger­schaft ei­ne deut­liche ökonomische und so­zi­ale Verschlechterung ihrer Lebenssituation, die sie vermeiden möchten. Fast al­le Frauen wün­schen sich da­her die Kostenübernahme der Mit­tel bzw. Me­tho­den zur Verhütung.
Die Stu­die zeigt deut­lich die Aus­wir­kung­en der fi­nan­zi­ellen Si­tu­a­ti­on auf die Verhütungshäufigkeit: Immer verhütet haben vor dem Be­zug von ALG II 67 Pro­zent der Befragten, mit ALG II nur noch 30 Pro­zent. Und: Der Be­zug von ALG II beeinflusst die Wahl des Verhütungsmittels: Mehr­heitlich wird das Kon­dom genutzt, ein Viertel verhütet mit der Pil­le / Hormonpflaster / NuvaRing. Die Be­trof­fe­nen verwenden billigere und unsichere Kontrazeptiva. Für die Mehr­heit der Be­völ­ke­rung sind da­ge­gen Si­cher­heit und Zu­ver­läs­sig­keit ei­nes Mit­tels ent­schei­dend, der Preis ne­ben­säch­lich.

Wohn­ort und Haushaltslage ent­schei­den über die Kostenübernahme

Der § 49 Sozialgesetzbuch (SGB XII) er­mög­licht zwar grund­sätz­lich die Über­nah­me der ärzt­lich verordneten Kontrazeptiva, doch diese hat dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz zu ent­spre­chen.  Diese beiden gegensätzlichen rechtlichen Be­stim­mung­en haben ne­ben allgemei­ner Verunsicherung ei­ne Ungleichbehandlung der Frauen zur Fol­ge. Viele Kom­mu­nen beziehen sich da­rauf, dass das Gesundheitsmodernisierungsgesetz über der So­zi­al­ge­setz­ge­bung stehe und verweigern die Über­nah­me der Kosten für Verhütungsmittel. Andere hingegen über­neh­men die Kosten wei­ter­hin, je­doch oh­ne verbindliche Rechtsgrundlage und da­mit auch oh­ne Rechts­an­spruch der be­trof­fenen Frauen. Bundesweit findet sich ei­ne sehr unterschiedliche Handhabung. Einige Bundesländer haben sich aus­drück­lich für die Bei­be­hal­tung ei­ner Hilfe zur Familienplanung ent­schie­den und sie wird na­he­zu flä­chen­de­ckend gewährt, in anderen wird sie weit­ge­hend abgelehnt. Damit ist die Hilfe zur Familienplanung in die Frei­wil­lig­keit der Kom­mu­nen und Kreise degradiert, die oft nach sehr unterschiedlichen Vorgaben Hilfe ge­wäh­ren oder je nach Kassenlage nur zeit­lich befristete Projekte ins Leben ru­fen.

Weitere Informationen finden Sie hier.
Das Factsheet „Kostenfreie Verhütungsmittel“ finden Sie hier.

Zurück zur Übersicht