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28.03.2018

Gesund - Gerecht - Gemeinsam!

Carola Gold-Preis 2018 geht an Annelie Keil und Gerhard Trabert

Marion Amler, Gesundheit Berlin-Brandenburg, Öffentlichkeitsarbeit

Schlagwörter:Armut und Gesundheit, Carola Gold-Preis, Kongresse

Prof. Annelie Keil und Prof. Ger­hard Trabert er­hal­ten den diesjährigen Ca­ro­la Gold-Preis. Und wie­der einmal stellt sich das Ge­fühl ein: Besser kann es gar nicht pas­sen! Wem, wenn nicht diesen Beiden, sollte die Eh­re zuteilwer­den, mit diesem Preis aus­ge­zeich­net zu wer­den?

Seit 2013 wird der Preis an Menschen verliehen, die sich wie die Namensgeberin des Preises mit besonderer Aus­dau­er und Hingabe für die Be­kämp­fung gesundheitlicher Chancenungleichheit ein­set­zen.

Em­pö­rung und Gleichwürdigkeit

"Der Arzt Ger­hard Trabert schaut nicht weg", beginnt Dr. Uwe Den­ker sei­ne Lau­da­tio. Er selbst ist Grün­der der „Praxen oh­ne Gren­zen“ in Bad Segeberg (Schleswig-Holstein) und da­mit Mit­strei­ter im Kampf ge­gen gesellschaftliche Ungerechtigkeiten. "Er geht auf sei­ne Patient*innen zu. Er behandelt Wohnungslose und Ar­me. Wenn sie nicht zu ihm ins  Arztmobil kom­men, kommt er zu ih­nen. Und wen er lange nicht gese­hen hat, den sucht er. Er sucht nach de­nen, die von anderen nicht gese­hen wer­den, den Ob­dach­lo­sen, den Ar­men, den Menschen, die im Schatten le­ben. Seine Pra­xis ist das Arztmobil. Jede*r Patient*in wird hier oh­ne Diskriminierung behandelt. Tätige Nächs­ten­lie­be nenne ich das."

Seit über 20 Jahren fährt Ger­hard Trabert mit sei­nem Arztmobil durch Mainz. Rund 650 Patient*innen behandelt er pro Jahr. "Ger­hard Trabert ist Street­wor­ker und Arzt zu­gleich." Er ist Grün­der des Vereins Ar­mut und Ge­sund­heit e.V. und Mit­be­grün­der des gleichnamigen Kongresses. Er setzt sich da­für ein, Ge­sund­heit als Men­schen­recht anerkannt zu se­hen. In wenigen Mi­nu­ten wird er sich auf­ma­chen zum Bran­den­bur­ger Tor, um dort auf einer Kund­ge­bung zu sprechen, die sich für ge­nau die­ses The­ma stark macht und von „Ärzte der Welt“ ge­mein­sam mit 22 In­iti­a­ti­ven - da­run­ter Ar­mut und Ge­sund­heit e.V. und Ge­sund­heit Berlin-Brandenburg e.V. - ausgerichtet wird. Deshalb, so Uwe Den­ker, sei die Lau­da­tio zu kurz, um al­le Verdienste des Ausgezeichneten zu be­nen­nen. „Das Schluss­wort soll einer von Ger­hard Traberts Patienten haben, der gesagt hat: 'Dok­tor, du bist so'n Guter!' Dem habe ich nichts hinzuzufügen!“

Nachdem Ger­hard Trabert den Preis in Empfang genommen hat, er­klärt er: „Ich bekomme viele Preise, bin aber häufig sehr am­bi­va­lent. Weil ich das Ge­fühl habe, instrumentalisiert zu wer­den.“ Nicht so bei diesem Preis, der den Na­men der ehemaligen Ge­schäfts­füh­re­rin von Ge­sund­heit Berlin-Brandenburg trägt. Ca­ro­la Gold. „Deshalb ist die­ser Preis der wich­tigste für mich, weil ich ihn so stark mit ihrer Person verbinde.“

Zwei Dinge möchte Ger­hard Trabert den An­we­sen­den mit auf den Weg ge­ben. Erstens die Lek­tü­re von Stéphane Hessel, um dem zunehmenden Na­ti­o­na­lis­mus und Ras­sis­mus et­was entgegenzusetzen. In Hessels Buch 'Empört euch' formuliert die­ser den wunderbaren Satz: „Leistet Wi­der­stand und schafft Neues! Schafft Neues und leistet Wi­der­stand!“ „Wir wol­len aber nicht nur Wi­der­stand leis­ten. Wir wol­len mit dem, was wir tun, auch fan­ta­sie­voll neue Wege ge­hen!“, so Trabert.

Zweitens macht sich Trabert stark für den Begriff der Gleichwürdigkeit. „Wir haben schon versucht, den Begriff bei Duden aufnehmen zu lassen“, erklärt er und man merkt ihm an, wie wichtig ihm dieses Wort ist. „Dieser gilt auch für Menschen am Rande der Gesellschaft. Es geht darum, den Menschen Respekt und Würde zurückzugeben. Ich würde mir wünschen, dass Politiker*innen in ihrem Reden respekt- und würdevoll sind.

Es ist nicht immer leicht. Das weiß ich auch von mir. Auch wir sind mitunter müde, entnervt, frustriert... Aber: in dieser Begegnung mit dem Anderen passiert etwas! Es ist nicht nur ein Geben, sondern ein Bekommen. Dazu möchte ich Sie alle einladen!

Ich wurde heute gefragt: Was soll ich tun? Wenn Sie einem Menschen in Not auf der Straße begegnen, schenken Sie das Wertvollste, was Sie haben: fünf Minuten Ihrer Zeit.“ Damit verlässt er den Raum. Die Zeit drängt.

Nach einer musikalischen Überleitung, in diesem Jahr von Camillo Kießig mit Gitarre, ergreift Stefan Pospiech, Carola Golds Nachfolger als Geschäftsführer von Gesundheit Berlin-Brandenburg, das Wort und knüpft an das Gesagte an: „Gerhard Trabert hat in seiner heutigen Veranstaltung betont, wir sollten mehr Mut haben, das Recht auf Gesundheit einzufordern. Was könne uns denn schon passieren in einem Land wie Deutschland, wenn wir laut wären?! Laut war Carola auch. Und nicht immer diplomatisch. Und das war gut so!! Darin war sie mir ein fruchtbares Vorbild. Dafür stand Carola!

Mein Dank gilt den Landesvereinigungen für Gesundheit und dem AWO-Bundesverband, die den Preis mit unterstützen. Er gilt aber auch euch allen. Denn ein Preis ist immer nur dann schön, wenn es auch Menschen gibt, die ihn mittragen.“

Ein Leben wie ei­ne Patchwork-Decke, die wärmt und guttut

Die Lau­da­tio für Annelie Keil hält Ul­ri­ke Hauffe, Landesbeauftragte für Frauen des Landes Bre­men a. D. „Wenn Pro­fes­so­rin Annelie Keil hier und heute mit dem Ca­ro­la Gold-Preis aus­ge­zeich­net wird, dann stimmt al­les: Der Kon­gress Ar­mut und Ge­sund­heit als thematischer Rahmen repräsentiert ih­re Ar­beit. Und die Namensgeberin mit ih­rem En­ga­ge­ment zur Verbesserung der gesundheitlichen Si­tu­a­ti­on von Menschen in schwieriger sozialer La­ge passt auch zu dem, was Annelie Keil fast tag­täg­lich macht - und das seit Jahrzehnten.“

„Frauenbiographien wird üb­li­cher­wei­se der Be­griff Patch­work zugeschrieben  - ei­ne meist zutreffende  Be­schrei­bung für die besondere Webart des Frauenlebens. Verschiedene,  aber in der Ge­samt­heit passende Stoff- oder Webmuster sind durch „Brücken“ (aus Garn oder Fa­den) sys­te­ma­tisch zusammengefügt, verbunden und bil­den ei­ne Ge­samt­heit, die ein Guss wird und - in der Form ei­ner De­cke - auch noch wärmt, guttut, emotionalisiert. Aber was hat ein vielfarbiges, aus wertvollen, aber auch aus ursprünglichen, einfachen, bewährten Materialien zusammengesetztes großflächiges stoffliches Werk­stück mit Annelie Keil zu tun? Annelie Keil lebt ei­ne eher untypische Frauenbiographie und trotz­dem frauentypisch. Ihr Auf­bau von weit verflochtenen Beziehungsstrukturen, qua­si in die Flä­che wirkend, ist auch wie ei­ne Patch­work-De­cke, nicht li­ne­ar, son­dern raum­grei­fend, und wie ei­ne De­cke wärmend.

Annelie Keil ist ei­ne Grenzgängerin und doch mit­ten­drin. Sie repräsentiert die Far­big­keit, Wär­me, Wei­te und Brei­te von zusammengefügten Patch­workdecken-Flecken eben­so wie die universitäre Höhe und die horizontale Verwurzelung, die Bo­den­haf­tung.“

Die Laudatorin be­tont, dass sich Annelie Keil ihr Leben lang ei­ne große Fa­mi­lie or­ga­ni­siert hätte, ein Netz aus Beziehungen - aus allen Jahren des beruflichen und privaten Lebens. Sich selbst bezeichnet Ul­ri­ke Hauffe als Teil der Fa­mi­lie um Annelie Keil und ei­ne große Dank­bar­keit schwingt in ih­rer Stim­me mit. Beide Frauen um­ar­men sich herzlich, ehe Blu­men und Preis, der von Cor­ne­lia Stretz entworfen wurde und an ei­nen Kom­pass erinnert, an die Preis­trä­ge­rin überreicht wer­den. Auch für Annelie Keil ist die­ser Preis ein Besonderer: „Als ich das Bun­des­ver­dienst­kreuz be­kom­men habe, wurden die Projekte, für die ich ihn erhielt, ge­ra­de verscherbelt... Auf diesen Preis hier bin ich wirk­lich stolz!“

Annelie Keil geht auf die 80 zu - „Aber Alter spielt keine Rolle, außer man ist ein Käse!“ - und nutzt die Gelegenheit, um zurückzublicken. Geboren als uneheliches Kind einer alleinerziehenden Mutter, die gerade ihren zweiten Weltkrieg erlebte, kam sie in ein Kinderheim und Waisenhaus. Dieses wurde nach Polen verlegt. 1945 kam ihre Mutter und nahm sie zu sich. „Ich bin mit einer mir fremden Frau geflüchtet.“ 1947 kamen sie im Flüchtlingslager Friedland an. In der Schule wurde sie drangsaliert. Sie lernte es, sich zu wehren, auch mit den Fäusten. Sie lernte das Klauen. Und 1948 die Erfahrung, betteln zu gehen. „Das vergessen Sie nie... “ All dies war ihr Anstiftung für das Leben! „Ich habe die Kurve gekriegt, aber ich hab nie vergessen, woher ich kam.“

Glücklich sei sie darüber, dass sie so viele Chancen hatte, sich politisch einzubringen. „In meinem Alter fragt man sich: 'Hast du deinen roten Faden gehalten?'“ Zum Abschluss verbalisiert sie ihre Enttäuschung über die Public Health-Zunft. „Ich vermisse in den Wissenschaften den interdisziplinären Ansatz!“ Und: „Bei gesundheitspolitischen Entscheidungen wünsche ich mir mehr Stellungnahme! Position beziehen! Keiner wagt hier ein Berufsverbot!“

Auch insofern stimmt alles, wenn Annelie Keil auf dem 23. Kongress Armut und Gesundheit, der sich - „Gemeinsam. Gerecht. Gesund.“ - dem Schwerpunkt Health in All Policies widmet, mit dem Carola Gold-Preis ausgezeichnet wird. Das Bild seiner Namensgeberin steht im Hintergrund auf einer Staffelei. Die Frau mit ihren wilden, rotblonden Locken. Und einer großen Entschlossenheit im Gesicht. Auch sie hätte sich über den Abend sehr gefreut.

Biografisches zu Gerhard Trabert

  • geboren am 3. Ju­li 1956 in Mainz, Vater von vier Kin­dern
  • 1975 bis 1979 Stu­di­um der So­zi­al­ar­beit an der Fach­hoch­schu­le Wies­ba­den
  • 1983 bis 1989 Stu­di­um der Humanmedizin
  • Inspiriert von ei­ner Hospitation in ei­nem Leprakrankenhaus in Hyderabad in In­di­en, gründete er 1994 das Main­zer Mo­dell, ei­ne medizinische Versorgungseinrichtung für wohnungslose Menschen
  • Gründer und 1. Vorsitzender des Vereins Ar­mut und Ge­sund­heit in Deutsch­land, so­wie des Vereins Flüsterpost (Verein zur Un­ter­stüt­zung von Kin­dern an Krebs erkrankter Eltern)
  • zahlreiche Auslandseinsätze un­ter anderem in In­di­en, Ban­gla­desch, Haiti und Angola, 2015 - 2016 Sea-Watch - Zivile Seenotrettung von Flüchtenden im Mit­tel­meer/Mal­ta/Ita­li­en, 2017-2018 in Sy­ri­en und dem Irak.
  • Von 1999 bis 2009 Pro­fes­sur für Me­di­zin und Sozialmedizin an der Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg
  • seit 2009 Professor an der Hochschule Rhein Main in Wies­ba­den im Fach­be­reich Sozialwesen, er un­terrichtet die Fä­cher Sozialmedizin so­wie Sozialpsychiatrie
  • Seit 2013 leitet er die von ihm konzipierte „Po­li­kli­nik oh­ne Gren­zen“ in Mainz
  • verschiedene Aus­zeich­nung­en, u.a. Bun­des­ver­dienst­kreuz (2004), Kinderschutzpreis (2009), Paracelsus-Medaille (2014; höchste Aus­zeich­nung der Deut­schen Ärz­te­schaft), Verdienstorden Rheinland-Pfalz (2015)

Biografisches zu Annelie Keil

  • ge­bo­ren am 17. Ja­nu­ar 1939 in Berlin
  • studierte Politikwissenschaften und So­zi­o­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Hamburg,  spä­ter auch Psychologie und Pädagogik
  • promovierte 1969 über das The­ma der staatlichen Sub­ven­ti­on von Jugendbildung und arbeitete an­schlie­ßend als Akademische Rä­tin an der Uni­ver­si­tät Göttingen
  • 1971 an der Grün­dung der Uni­ver­si­tät Bre­men beteiligt
  • wechselte als Pro­fes­so­rin für Sozial- und Gesundheitswissenschaften in die Hansestadt Bre­men
  • Psychosomatik ist das wichtigste Forschungsgebiet der Gesundheitswissenschaftlerin
  • 1992 wurde ihr der erste Berninghausen-Preis für ausgezeichnete Leh­re und ih­re In­no­va­ti­on zugesprochen, 2004 wurde sie emeritiert
  • in der Hospizbewegung aktiv
  • 2004 mit dem Bun­des­ver­dienst­kreuz ausgezeichnet
  • engagiert sich seit 2011 für das bedingungslose Grundeinkommen

Preisträgerinnen und Preisträger der vergangenen Jahre

Der Ca­ro­la Gold-Preis wird seit 2013 verliehen.

Mehr über die Preis­trä­ge­rin­nen und Preis­trä­ger der vergangenen Jahre kön­nen Sie hier er­fah­ren:

2017 - Enikö Bán und Kerstin Moncorps
2016 - Prof. Lotte Kaba Schönstein und Dr. Ellis Huber
2014 - Ingeborg Simon und Andreas Mielck <http: www.armut-und-gesundheit.de target="_blank">2015 - Jenny de la Torre und Klaus-Peter Stender</http:>
2014 - Ingeborg Simon und Andreas Mielck
2013 - Eva Göttlein und Heinz Hilgers

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