08.05.2019
Gesundheit durch Beziehungen fördern
Ein paar Gedanken zum Internationalen Tag der Sozialen Arbeit
Anna Lena Rademaker, Deutsche Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen e.V.
Schlagwörter:Gesundheitsförderung, Quartier, Soziale Arbeit, Verhältnisprävention
Am 19. März 2019 fand der Internationale Tag der Sozialen Arbeit unter dem Motto „Für die Bedeutung menschlicher Beziehungen eintreten“ statt.
Menschliche Beziehungen haben einen weitreichenden Einfluss auf die Gesundheit und ihre Förderung. Ressourcenorientiert bedeuten sie soziale Unterstützung, Rückhalt und Gemeinschaft. Mit Blick auf das Gemeinwesen und die Gesundheitsförderung im Setting oder Quartier wird Gesundheit im Lebensalltag hergestellt, aufrechterhalten und gemeinsam in der Gemeinschaft mit anderen Menschen Möglichkeiten und Lösungen der gegenseitigen Unterstützung, wie bspw. Selbsthilfegruppen entwickelt.
Martha Nussbaum1 konstatiert bspw., dass Verbundenheit mit anderen Menschen, soziale Anerkennung und das Gefühl der Anteilnahme und des Mitleids Grundfreiheiten darstellen, die einem jeden Menschen zur Realisierung eines Lebens in Würde zu ermöglichen sind. Der Sozialen Arbeit liegt hierbei eine Schlüsselfunktion inne, um für die Schaffung von Verhältnissen einzustehen, die menschliche Beziehungen fördern und so ihrer Gesundheit im Alltag beisteuern.
Menschliche Beziehungen sind elementar bedeutsam für die Gesundheitsförderung.
Laienhilfe
Eine Vielzahl von Belastungen, Erkrankungen und anderen gesundheitlichen Einschränkungen werden im sog. Laiengesundheitssystem im direkten Alltag behandelt2. Diese informellen, sozialen Netzwerke leisten einen wichtigen Beitrag zur Gesunderhaltung und Prävention vor Gesundheitsbelastungen im Alltag. Sie bieten Halt in emotional belastenden Lebenslagen, praktische Hilfen bei der Alltagsbewältigung, Bereitstellung von Hilfen oder niedrigschwelligen Dienstleistungen, Beratung und Unterstützung, auch im Zugang zu weiteren Hilfen wie bspw. den professionellen Helferinnen und Helfern sowie Wertschätzung, Anerkennung und Bestätigung. Je nach Erwartung an das Ergebnis der sozialen Unterstützung werden unterschiedliche Personen(-gruppen) im Laiensystem für unterschiedliche Hilfen zu Rate gezogen. Während gefühlsmäßig nahestehende Menschen i.d.R. auch eher für die emotionale Unterstützung gewählt werden (bspw. Familie, Freunde), werden Anlaufstellen in der Nachbarschaft, Gemeinde oder einem Sportverein vielleicht eher für praktische und funktionale Unterstützungsleistungen genutzt.
Laiengesundheitssystem
Das Laiengesundheitssystem wirkt quasi versteckt im Alltag und wurde gegenüber dem professionellen System lange Zeit übersehen. Es erbringt aber umfangreiche und nicht ersetzbare Leistungen zur alltäglichen Erhaltung der Gesundheit2.
Helferinnen und Helfer aus dem Laiengesundheitssystem unterstützen bspw. bei der
- Situationsdefinition, Lagekodierung und Orientierung,
- nachträglichen Erklärung eingetretener gesundheitlicher Be- oder Entlastungen,
- Vorhersage künftiger gesundheitlicher Be- oder Entlastungen,
- Entwicklung von Handlungsempfehlungen sowie der Handlungssteuerung und -leitung ebenso wie
- der Stabilisierung und Optimierung des Selbstwerts.
Der Vorteil der Laienhelferinnen und Laienhelfer ist eine besonders große Alltagsnähe, damit auch Zugänglichkeit und ein i.d.R. gemeinsames „lokales Wissen“ bzw. „lokale Theorien“, die mit einem gemeinsamen Weltbild einhergehen.
Darin kann sich in kritischer Betrachtung aber auch eine Gefahr der Laienunterstützung bergen. Hilfen in der eigenen Peer-Group können sich kontraproduktiv auswirken, wenn die sich gegenseitig Unterstützenden bspw. in emotional starken Abhängigkeitsverhältnissen stehen, wenn mit der Unterstützung belastende oder gefährdende Situationen aufrechterhalten oder gar Gesundheitsgefahren erst heraufbeschworen werden. Beispiele hierfür wären Kinder, die Rollen der Eltern übernehmen, zum Beispiel bei Paarkonflikten oder Erkrankungen (Parentifizierung), die Heraufbeschwörung von Copingstrategien wie bspw. Sucht oder anderweitig schädigende Verhaltensweisen oder auch gemeinschaftlich geteilte Aversionen gegenüber bestimmten Hilfesystemen oder gar Personengruppen. Gleichsam negativ können sich gemeinsam geteilte Erfahrungen von Ausgrenzung und Deprivation auf die Inanspruchnahme von externer Hilfe auswirken und zu mitunter großen Gräben im Zugang zu professioneller Hilfe beitragen (bspw. aufgrund von mangelndem Vertrauen in Expertinnen und Experten). Dieser geteilte „common sense“ kann, leistet er im situativen Moment noch so viel alltagsnahe Unterstützung, Gemeinschaftsgefühle und Wohlbefinden, mit nachhaltigen negativen Folgen für das Individuum einhergehen, die häufig in ihrer Tragweite von Betroffenen nicht eingeschätzt werden (können). Dies kann insbesondere bei Kindern, Jugendlichen, Menschen mit eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten, sozial ausgegrenzten Personengruppen und bei Menschen die sich als sozial ausgegrenzt wahrnehmen der Fall sein und erfordert ein Einschreiten von Sozialer Arbeit.
Selbsthilfe
Ein möglicher Weg das Laiensystem zu stärken aber dennoch anwaltschaftlich für die Menschen einzustehen und sie vor den oben skizzierten Gefahren zu bewahren, ist die professionelle Förderung von Selbsthilfe. In einer fachlich gezielten Unterstützung und Anleitung/Begleitung der Selbsthilfe steckt viel Potenzial, um Hilfen direkt vor Ort bei den Menschen zu platzieren, Zugänge zu weiteren Angeboten zu erleichtern und dabei zugleich Alternativen zu riskanten, gefährdenden oder Ausgrenzung und soziale Deprivation heraufbeschwörenden Handlungsstrategien aufzuzeigen. Die Aufgabe Sozialer Arbeit kann es dabei sein, als unabhängige und nicht involvierte Beratende zu agieren und dabei mit den betroffenen Helferinnen und Helfer gemeinsam Selbsthilfeangebote vor dem Hintergrund struktureller Gegebenheiten kritisch zu hinterfragen und Optionen zu einem gesundheitsförderlichen Umgang mit spezifischen Belastungen zu erarbeiten, ja sogar tatsächliche Gefahren direkt anzugehen, wenn es bspw. um die Frage von Kindeswohl oder dem Wohl anderweitig benachteiligter Menschen geht.
Selbsthilfe
Die Nationale Kontakt und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) schätzt die Anzahl der Selbsthilfegruppen zu gesundheitlichen und sozialen Themen auf 70.000 bis 100.000. Die organisierte Selbsthilfe kann den Austausch und gegenseitige Hilfen innerhalb einer Community stärken, den Zugang zu Information und Hilfen erleichtern, leistet Öffentlichkeitsarbeit und Interessenvertretung, bietet Gruppengemeinschaft und Geselligkeit, Wissenserwerb und gemeinsames Lernen und trägt zur Netzwerkbildung und Kooperation bei3.
Die Förderung von Selbsthilfe stellt ein zentrales Handlungsfeld gesundheitsfördernder Sozialer Arbeit dar. Soziale Arbeit und Selbsthilfe können dabei als komplementäre Hilfssysteme verstanden werden, die eng aufeinander bezogen sind. Die Gesundheitsselbsthilfe verbindet individuelle, informell-soziale und formell-politische Aktivitäten zur Verhinderung von Erkrankungen auf der Ebene des Gemeinwesens und unterstützt mit einem breiten Spektrum von insbesondere Peer-to-Peer Aktivitäten zur Bewältigung von Beschwerden.
Fazit
Gesundheitsförderung - so wie wir sie verstehen - bedeutet die Förderung von Solidarität, Gemeinschaft, Gerechtigkeit. Das bezieht sich insbesondere auf die lokalen Gegebenheiten vor Ort, die Familie, den Freundeskreis, die Nachbarschaft und den Stadtteil. Hier hat Soziale Arbeit einiges zu bieten: Von der Einzelfall-, über die Gruppen- bis Gemeinwesenarbeit verfügt sie über ein enormes Potenzial mit gesundheitsfördernder Wirkung!
Wir möchten Sie, den Internationalen Tag der Sozialen Arbeit zum Anlass nehmend, ermuntern sich der Bedeutung menschlicher Beziehungen für die Gesundheitsförderung und Prävention (wieder mehr) bewusst zu werden und dafür einzutreten.
Literatur:
1 Nussbaum, Martha C. (2012): Gerechtigkeit oder das gute Leben. Gender Studies. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. 7. Auflage.
2 Faltermaier, Toni (2015): Gesundheitsverhalten, Krankheitsverhalten und Gesundheitshandeln. In: BzgA (Hrsg.): Leitbegriffe der Gesundheitsförderung. Link: www.leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/gesundheitsverhalten-krankheitsverhalten-gesundheitshandeln [12.04.2019].
3 Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) (2015): Basiswissen. Berlin: NAKOS. Online verfügbar. Link: www.nakos.de/informationen/basiswissen [12.04.2019].