02.12.2019
Gesundheit – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Bettina Walentzak, Zentrum für Prävention und Gesundheitsförderung (ZPG) im Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL)
Ann-Katrin Hillenbrand, Bayerisches Zentrum für Prävention und Gesundheitsförderung (ZPG) im Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL)
Schlagwörter:Gesundheitspolitik, Health in All Policies, Kommunen, Qualität
Verantwortung für Gesundheit
Gesundheit wird auch als Menschenrecht angesehen, mit einer daraus resultierenden Verpflichtung, umfassende und faire Chancen zur Gesundheit zu bieten. Gesundheit hat viele Dimensionen und damit bestehen auch viele Möglichkeiten, sie zu schützen:
- Biologie und Gen-Umwelt-Interaktionen
- das individuelle Gesundheitsverhalten, wie Rauchen, Bewegung, Ernährung
- das soziale und kommunale Umfeld
- Lebens- und Arbeitsbedingungen,
- genau wie allgemeine gesellschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle und ökologische Rahmenbedingungen.
Herausforderungen und damit verbundene politische Entscheidungen, beispielsweise mit Bezug zur Altersarmut, zur Grundsicherung, zum Wohnungsmangel, zum Städtebau oder zur Bildung und Teilhabe, können die Gesundheit beeinflussen: positiv wie negativ. Um einem modernen Verständnis gesundheitlicher Herausforderungen zu entsprechen, setzen Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung für übertragbare und nichtübertragbarer Erkrankungen auch außerhalb des Gesundheitssystems an.
Agieren statt Reagieren
Das Helsinki Statement on Health in All Policies definiert Health in All Policies (HiAP) als „ein Konzept für die Politik in allen Sektoren, die systematisch die Auswirkungen von Entscheidungen auf Gesundheit und Gesundheitssysteme berücksichtigt, Synergien sucht und schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit vermeidet, um die Gesundheit der Bevölkerung und gesundheitliche Chancengleichheit zu verbessern.“ Gesundheits-, Sozial-, Bildungs-, Umwelt-, Verkehrs-, Ernährungs-, Stadtentwicklungs-, Wirtschafts- oder Arbeitspolitik stehen damit in gemeinsamer Verantwortung.
HiAP stellt den Anspruch, gesundheitsfördernde Lebensbedingungen und Lebenswelten zu schaffen: Dies setzt geeignete Entscheidungsstrukturen sowie politischen Gestaltungs- und Durchsetzungswillen voraus. Denn Gesundheit ist kein naturgegebener Zustand, sondern immer auch Ergebnis menschlicher Anstrengungen, betonte Prof. Dr. Manfred Wildner, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, in seinem Impulsvortrag zur Arbeitssitzung.
Modellprojekte machen es vor
HiAP-Konzepte werden in vielfältigen Modellregionen und Netzwerken erprobt. Erfolge zeigten sich beim wegweisenden finnischen Nord-Karelien-Projekt beispielsweise sowohl in einer sinkenden Mortalität als auch in der Verringerung gesundheitlicher Ungleichheit. Da es sich in diesen Projekten in der Regel um Maßnahmenbündel handelte, sind diese Erfolge auf dieses größere Zusammenspiel, nicht auf einzelne Aktivitäten alleine zurück zu führen.
Typischerweise werden zahlreiche Maßnahmen der Verhaltens- und Verhältnisprävention auf verschiedensten Ebenen verwirklicht, zum Beispiel Sportprogramme und Ernährungskurse in Kombination mit Veränderungen der Verhältnisse, wie die Einführung von Rauchverboten, die Einflussnahme auf das Lebensmittelangebot oder die Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung. Öffentliche und private Angebote werden vernetzt, abgestimmt, auf Bedürfnisse zugeschnitten und zu Präventionsketten verbunden.
Häufig geschieht dies auf kommunaler Ebene, wie das Beispiel „Präventionskette Freiham“ im Münchner Westen. Die Umsetzung von HiAP gestaltet sich auf Landes- und Bundesebene vergleichsweise schwieriger. Letztlich bedarf es einer förderlichen politikübergreifenden Gesundheitsstrategie, die mit zivilgesellschaftlichem Engagement Hand in Hand geht.
Bayern ist auf dem Weg
Das Präventionsgesetz (PrävG) hat in Deutschland auf Bundes- und Länderebene einen Strukturaufbau ausgelöst. Mit der nationalen Präventionskonferenz, der nationalen Präventionsstrategie, den Bundesrahmenempfehlungen und der Präventionsberichterstattung sind geeignete Instrumente und Werkzeuge eingerichtet und weiterentwickelt worden.
Auch Bayern macht sich auf den Weg. Dr. Gabriele Hartl vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege fasste in ihren Grußworten die bayerischen Entwicklungen zusammen und dankte den Partnern für ihr Engagement. Mit der Landesrahmenvereinbarung Prävention Bayern und dem Bayerischen Präventionsplan wird der HiAP-Ansatz sichtbar.
Der Bayerische Präventionsplan wurde mit allen Ressorts der Bayerischen Staatsregierung abgestimmt, ebenso wurden die nichtstaatlichen Träger von Gesundheitsförderung vor Ort in die Entwicklung einbezogen. Interministerielle Arbeitsgruppen gewährleisten einen Austausch. Mit dem Bündnis für Prävention besteht ein Zusammenschluss aus mehr als 130 starken und engagierten Partnern, die sich zu den Zielen und Leitprinzipien des Bayerischen Präventionsplans bekennen. Und die Bemühungen zahlen sich aus.
Die Gesundheitsberichterstattung und der erstmalig erschienene Bayerische Präventionsbericht dokumentieren und evaluieren die Erfolge: ein Rückgang der Säuglingssterblichkeit, verbesserte Mundgesundheit im Kindes- und Jugendalter sowie ein Rückgang des Rauchens und Rauschtrinkens. Gleichzeitig ist aber auch eine Zunahme an Erkrankungen zu verzeichnen, die auf das Ernährungs- und Bewegungsverhalten zurückzuführen sind, Personen in schwierigen Lebenslagen werden nur teilweise erreicht und psychische Belastungen spielen eine immer größere Rolle im Arbeitsleben. Ein breites Spektrum an sinnvollen, vielfältigen Ansätzen in allen Lebenswelten ist daher auch in Zukunft nötig. Mit den Gesundheitsregionenplus stehen beispielhaft u. a. regionale Netzwerke mit Vertreterinnen und Vertretern der Kommunalpolitik und allen, die vor Ort bei der gesundheitlichen Versorgung und Prävention eine wesentliche Rolle spielen, bereit.
Vom Wissen zum Handeln - Was können wir tun?
Inwiefern HiAP deutschland- und bayernweit Einzug gehalten hat, muss differenziert betrachtet werden. Das Bewusstsein für mehr intersektorale Kommunikation, Zusammenarbeit und Engagement für Gesundheit ist da, erfordert aber auch eine konsequente Umsetzung. Prof. Dr. Wolfgang Caselmann (Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege), Siegfried Dengler (Stadtplanungsamt Nürnberg), Gerhard Dix (Bayerischer Gemeindetag), Andrea Mager-Tschira (Landeshauptstadt München und Gesunde Städte-Netzwerk), Prof. Dr. Eva Rehfuess (Ludwig-Maximilians-Universität München) und Franziska Solger-Heinz (Gesundheitsregionplus Passauer Land) waren Teilnehmer der Podiumsdiskussion und schilderten ihre Erfahrungen und Einschätzungen.
Regional und kommunal ist vieles in Bewegung, vorausgesetzt man trifft auf offene und engagierte Verantwortliche, die dahinterstehen und Entscheidungen mitentwickeln.
Der Öffentliche Gesundheitsdienst kann hier als Ankerpunkt und Kümmerer fungieren. Doch andere Herausforderungen wiegen oft schwerer. 75 Prozent der bayerischen Gemeinden haben weniger als 5.000 Einwohner. Häufig mangelt es an Kapazitäten und einer vorausschauenden Gesamtstrategie. So werden für dringliche Fragen, wie die Kitaverpflegung oder die Trinkwasserversorgung, eher punktuelle Lösungen gesucht. Partizipation, eine Kombination aus Verhaltens- und Verhältnisprävention sowie der Setting-Ansatz stellen erste Zugangswege zu einer Umsetzung von Health in All Policies dar.
Es bedarf starker Konzepte, die evidenzbasiert verstetigt und ausgeweitet werden können. Hier stehen Wissenschaft und Forschung auch vor der Herausforderung, praxisnahe Empfehlungen auszusprechen. Regierung, Verwaltung, Dachverbände von privatwirtschaftlichen, öffentlich-rechtlichen oder gemeinnützigen Organisationen können den HiAP-Gedanken aufgreifen, unterstützen, tragen und ihn als ein Leitprinzip auf kommunaler und übergeordneter Ebene verankern. Die teilnehmenden Bündnispartner haben sich in ihrer Sitzung in großer Übereinstimmung für eine weitere Unterstützung dieses hoffnungsvollen HiAP-Ansatzes ausgesprochen.
Quellen/weiterführende Literatur:
- Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (2019): Bayerischer Präventionsbericht 2019. Hier abrufbar.
- Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (2015): Bayerischer Präventionsplan. Hier abrufbar.
- Beiträge im Rahmen der Arbeitssitzung der Partner im Bündnis für Prävention „Health in All Policies“ am 16.07.2019, München.
- WHO (2013): The Helsinki Statement on Health in All Policies. Hier abrufbar.
- Geene, R. et al. (2019): Health in All Policies - Entwicklungen, Schwerpunkte und Umsetzungsstrategien für Deutschland. Arbeitspapier Health in All Policies ausgearbeitet in einer AG des Zukunftsforums Public Health in Kooperation mit der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung und Gesundheit Berlin-Brandenburg. Hier abrufbar.
Alle Links wurden zuletzt am 12. August 2019 abgerufen.