27.03.2012
Gesundheit fördern, Krankheit verhindern
Hanna Permien, Deutsches Jugendinstitut e.V.
Schlagwörter:Armut, Kommentar, Prävention, psychische Gesundheit, Ressourcen, Salutogenese, Setting, Teilhabe
Der folgende Text ist eine gekürzte Fassung des Artikels Gesundheit fördern, Krankheit verhindern, der 2011 im Bulletin des Deutschen Jugendinstituts DJI Impulse veröffentlicht wurde. Die vollständige Ausgabe des Bulletins 2-2011 und damit die gesamte Fassung des Artikels können Sie hier als PDF-Dokument (2,6 MB) herunterladen.
Begreift man Gesundheit lediglich als »Abwesenheit von Krankheit« - und diese Vorstellung ist weit verbreitet -, so erscheint Prävention als die einzig logische Strategie zur Sicherung von Gesundheit. Präventionsprogramme können sehr erfolgreich sein: Sie haben wesentlich dazu beigetragen, etwa die Häufigkeit von Infektionskrankheiten zu reduzieren. Sie orientieren sich in der Regel an bestimmten Gesundheitsnormen und arbeiten mit von Experten entwickelten Methoden, um ihre Ziele zu erreichen. Diese Programme gehen zudem nicht selten von eher eindimensionalen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen aus. Das Ziel ist überwiegend, einzelne Menschen zu mehr gesundheitsdienlichem Verhalten zu motivieren. Für einen Teil der angestrebten Ziele reichen diese relativ schlichten Konzepte auch meist aus. Sie haben zudem den Vorteil, dass die Programme handhabbar und zumindest in ihren unmittelbaren Wirkungen überprüfbar bleiben.
Die Lebensbedingungen berücksichtigen
Doch die Reichweite von Prävention ist begrenzt. Sozial Benachteiligte haben viel mehr Gesundheitsprobleme als andere Bevölkerungsgruppen, und das gilt schon für Kinder. Auch wenn sie gesundheitliche Normen wie etwa »Mundgesundheit« voll akzeptieren, tun sie viel weniger für ihre Zähne als sozial Bessergestellte (RKI 2008). Hier zeigt sich das bekannte »Präventionsdilemma«. Um dieses Dilemma zu überwinden, muss mehr gezielte Prävention betrieben werden. Neben der Verhaltens-Prävention ist zudem verstärkt Verhältnis-Prävention zu leisten. Generell gilt jedoch: Präventionsprogramme haben zwar ihren Sinn in der Reduktion von Krankheitsrisiken, aber sie reichen nicht aus, um Gesundheit zu fördern. Vielmehr muss Prävention ergänzt werden durch eine breit angelegte Gesundheitsförderung. Denn Gesundheit, so die Weltgesundheitsorganisati (WHO), ist weit mehr als Abwesenheit von (körperlicher) Krankheit: Sie umfasst körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden. In der »Ottawa Charta« der WHO (1986) wird zudem ausgeführt, dass die Menschen selbst in ihrem Alltag Gesundheit herstellen, indem sie für sich und andere sorgen und Kontrolle über ihre Lebensumstände ausüben können. Deshalb fordert die WHO ausdrücklich, »dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die allen ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen«.
Schutzfaktoren aktivieren
Der pathogenetische Ansatz der Prävention muss also ergänzt werden durch die Salutogenese. Diese fragt nicht danach, was krank machen könnte - sondern wie Menschen trotz unvermeidlicher gesundheitlicher) Belastungen möglichst gesund bleiben, also ihr Wohlbefinden bewahren können. Gesunderhaltung in diesem Sinne braucht die Chance auf Selbstbestimmung und Partizipation und die Stärkung von persönlichen, sozialen und kulturellen Ressourcen, zusammengefasst unter Begriffen wie »Handlungsbefähigung«. Zentral ist die Herstellung gesundheitsförderlicher Lebensverhältnisse für alle Menschen - und damit geht es um »Befähigungsgerechtigkeit« - gerade auch für sozial Benachteiligte (Deutscher Bundestag 2009). Dieser Forderung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass gesundheitliche) Risikofaktoren und Belastungen durch die Aktivierung vorhandener Ressourcen ausgeglichen werden können, die als »Schutzfaktoren« wirksam werden.
Eine zentrale Strategie der Gesundheitsförderung ist der auf die Lebenswelt der Adressatinnen und Adressaten bezogene Setting-Ansatz. Da die entsprechenden Angebote sowohl verhältnis- wie verhaltensbezogen sind, können sie auch sozial Benachteiligte gut erreichen. Dies ist besonders wichtig, da Präventionsprogramme von »Risikogruppen« oft nicht genutzt werden und lediglich die »Fitten noch fitter machen«. Zudem zeigen sich schon bei Heranwachsenden in den letzten Jahrzehnten deutliche Veränderungen von akuten zu chronischen Erkrankungen und von somatischen hin zu psychosomatischen und psychosozialen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten. Das umfassende bio-psycho-soziale Modell der WHO entspricht diesen »neuen Morbiditäten«, die die Ergänzung von Prävention durch Gesundheitsförderung unbedingt verlangen. Denn diese Probleme haben oft viele und keineswegs eindeutige Ursachen. Der »soziale Gradient« - also die wesentlich stärkere gesundheitliche Belastung von niedrigen gegenüber höheren sozialen Statusgruppen, die sich bereits in frühem Alter zeigt - verweist aber eindeutig auf die wichtige Rolle von Lebensstil, Lebensverhältnissen und subjektiv erlebter Lebensqualität für die Entstehung von Problemen.
Erkrankungen können weitreichende negative Auswirkungen haben
Weiter gilt: Verschiedene Beeinträchtigungen treten zusammen auf und verstärken sich gegenseitig. Besonders betroffen sind wiederum sozial benachteiligte Heranwachsende, vor allem solche mit Migrationshintergrund. Sie haben deutlich weniger Ressourcen, um aus diesen »Teufelskreisen« auszubrechen (RKI 2008). Zudem verlaufen viele dieser Störungen chronisch oder ziehen Folgeerkrankungen nach sich, haben also unter Umständen negative Auswirkungen auf das ganze weitere Leben und die Möglichkeiten der Lebensgestaltung. Zu bedenken ist auch, dass starre Gesundheitsnormen und entsprechende Präventionsprogramme Probleme verstärken oder gar das eigentliche Problem sein können.
Aus all dem folgt, dass sich viele Probleme nicht isoliert voneinander und nicht isoliert von anderen Menschen und den Lebensverhältnissen lösen lassen. Es kann also nicht um die (gar nicht so seltene) Aneinanderreihung segmentierter, isolierter Präventionsprogramme gehen, die sich mal auf Übergewicht und gesunde Ernährung, mal auf Rauchen und Alkohol, mal auf Mundgesundheit oder Stressreduktion beziehen. Sie reduzieren den Menschen beziehungsweise seinen Körper quasi auf seine »Risikofaktoren«. Dies wird weder den neuen Morbiditäten noch den Menschen in ihrer lebensweltlichen Verankerung und ihrem Bedürfnis nach Selbstbestimmung gerecht noch ihren Problemen, die oft ganz woanders oder viel tiefer liegen. Noch viel problematischer ist es, wenn das »Fördern und Fordern« des »aktivierenden Sozialstaats« auch auf Prävention bezogen und deren Scheitern allein dem Einzelnen angelastet und dieser dann »fallengelassen« wird - frei nach dem Motto von Herbert Achternbusch: »Du hast keine Chance - aber nutze sie!«.