13.11.2015
Gesundheit ist in aller Munde!
Eine gute Mundgesundheit ist auch im hohen Alter die Basis für Gesundheit und Lebensqualität - das Präventionsgesetz bietet Anknüpfungspunkte für den stationären Pflegebereich
Frederik Pettelkau, bis Mitte 2018: Gesundheit Berlin-Brandenburg
Bettina Suchan, Landeszahnärztekammer Brandenburg
Schlagwörter:Pflege, Prävention, Zahngesundheit, Ältere
Kommunikation, Nahrungsaufnahme, ein gutes äußeres Erscheinungsbild und soziale Kontakte sind nur mit einem gesunden Mund und einem funktionstüchtigen Kauorgan möglich. Leider ist das Risiko, an Karies und Parodontose zu erkranken, bei älteren Menschen deutlich höher als bei jungen Menschen. Zudem ist nur wenigen bewusst, dass die Mundhöhle die Haupteingangspforte für Bakterien ist. Diese können durch Einatmen oder durch die entzündete Mundschleimhaut in die Blutbahn gelangen und so beispielsweise die Entwicklung einer Lungenentzündung begünstigen. Stimmt die Mundgesundheit, kann z. B. auch Diabetes besser in den Griff bekommen werden. Aus unterschiedlichen Gründen suchen aber gerade ältere Menschen die Zahnärztin oder den Zahnarzt wesentlich seltener auf als jüngere Menschen und in der Bevölkerung wird dem Thema Mundgesundheit im Alter noch zu wenig Bedeutung beigemessen.
Zur aktuellen Situation im Bereich Mund- und Zahngesundheit in der stationären Pflege
In Deutschland leben aktuell etwa 750.000 Menschen in Pflegeeinrichtungen. Ein höheres Lebensalter geht vielfach mit physischen und psychischen Einschränkungen einher, so dass der Anteil Pflegebedürftiger mit dem Alter steigt. Zudem ist die Anzahl an pflegebedürftigen älteren Menschen in den letzten Jahren gestiegen (Statistisches Bundesamt 2015). Diese Entwicklungen haben Konsequenzen für die Mund- und Zahngesundheit älterer Menschen in Pflegeeinrichtungen, die der Bundesverband der Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes schon 2011 als „allzu oft unzureichend“ einschätzte (Positionspapier). Eine Metastudie von 2010 fasste die Ergebnisse aller größeren deutschen Studien zur ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung zusammen. Die Ergebnisse machten deutlich, dass die zahnärztliche Versorgung in deutschen Pflegeeinrichtungen vielfach mangelhaft ist: „Die Hälfte der Pflegeheime hatte im letzten Jahr keine oder nur wenige Besuche einer Zahnärztin oder eines Zahnarztes. Im selben Zeitraum hatte mindestens die Hälfte der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner keine zahnärztliche Versorgung, obwohl bei mindestens zwei Dritteln der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner ein objektiver Behandlungsbedarf bestand. (D. R. Reißmann et al.).
Erste gesetzliche Initiativen zur Verbesserung
2013 reagierte der Gesetzgeber auf die beschriebene Situation im Rahmen des Versorgungsstrukturgesetzes und führte eine zusätzliche Vergütung für „…das Aufsuchen von Versicherten, die pflegebedürftig sind, eine Behinderung oder eine eingeschränkte Alltagskompetenz aufweisen“ (§ 87 Abs. 2i SGB V) ein. In diesem Zusammenhang wurden verschiedene Abrechnungspositionen für die Besuche von Zahnärztinnen und Zahnärzten in stationären Pflegeeinrichtungen in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (Gebührenverzeichnis „BEMA“) aufgenommen. Die Zahl der zahnärztlichen Besuche ist hierdurch erfreulicherweise deutlich angestiegen von bundesweit 650.000 im Jahr 2012 auf 790.000 in 2014.
Ergänzend gibt es seit April 2014 durch das Pflege-Neuausrichtungsgesetz die Möglichkeit, dass Zahnärzte und Pflegeeinrichtungen Kooperationsverträge schließen können, ebenfalls mit entsprechenden Abrechnungspositionen (§ 119b SGBV). 2033 Kooperationsverträge zwischen Zahnärztinnen und Zahnärzten und Pflegeeinrichtungen wurden im ersten Jahr, nach Inkrafttreten des Gesetzes, geschlossen (KZBV 2015).
Die Änderungen der gesetzlichen Grundlagen im Zusammenhang mit dem Versorgungsstrukturgesetz und dem Pflege-Neuausrichtungsgesetz haben Verbesserungen im zahnärztlichen Versorgungsgrad der Bewohnerinnen und Bewohner von stationären Pflegeeinrichtungen erwirkt. Ein nüchterner Blick auf die bundesweite Quote von 16,5 Prozent (Abdeckung der stationären Pflegeeinrichtungen in Deutschland durch aufsuchende Versorgung) macht allerdings klar, dass die Entwicklung erst am Anfang ist und noch sehr viel getan werden muss. Das Präventionsgesetz kann zur zusätzlichen Verbesserung der zahnärztlichen Versorgung in diesem weiterhin stark unterversorgten Bereich beitragen.
Chancen durch das Präventionsgesetz
Das neue Präventionsgesetz beauftragt u. a. die Pflegekassen, Leistungen zur Gesundheitsförderung in teil- oder vollstationären Einrichtungen zu erbringen. Somit rücken die Lebenswelten als wesentlicher Ausgangspunkt für die Unterstützung und Herstellung guter Gesundheitschancen in den Fokus. Unter Beteiligung der versicherten Pflegebedürftigen und der Pflegeeinrichtung sollen Vorschläge zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation und zur Stärkung der gesundheitlichen Ressourcen und Fähigkeiten entwickelt sowie deren Umsetzung unterstützt werden (vgl. PrävG Artikel 6 Absatz 1). Anknüpfungspunkte zu einer flächendeckenden Struktur, die tragfähig ist und eine kontinuierliche Durchführung von Präventionsmaßnahmen sicherstellt, liefert die gesetzlich verankerte zahnmedizinische Gruppenprophylaxe bei Kindern.
Vorbild zahnmedizinische Gruppenprophylaxe bei Kindern - Gutes Beispiel Brandenburg
Im Land Brandenburg werden Kinder und Jugendliche schuljährlich von den Zahnärztlichen Diensten der Gesundheitsämter in Kitas und Schulen untersucht und prophylaktisch betreut. Paragraf 21 SGB V (Verhütung von Zahnerkrankungen/zahnmedizinische Gruppenprophylaxe) beauftragt die gesetzlichen Krankenkassen im Zusammenwirken mit den Zahnärztinnen und Zahnärzten und dem Öffentlichen Gesundheitsdienst „gemeinsam und einheitlich Maßnahmen zur Erkennung und Verhütung von Zahnerkrankungen ihrer Versicherten, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben“, zu fördern.
Die Aktivitäten im Land Brandenburg bei der Zahn- und Mundgesundheit von Kindern erzielten schon nach wenigen Jahren starke Verbesserungen bei der Zahn- und Mundgesundheit in dieser Zielgruppe.
Durch die nahezu flächendeckende, Lebenswelt-bezogene Durchführung der präventiven Maßnahmen (z. B. zahnärztliche Untersuchungen in Kitas und Schulen, Zahnputztrainings und Tipps zur gesunden Ernährung) und durch die gleichzeitige Beteiligung der Eltern und Erzieherinnen und Erzieher (Kita) konnten sozialstatusübergreifend bereits sehr gute Erfolge erzielt werden. Im Jahr 2004 hatten zum Beispiel 77 Prozent der dreijährigen Kinder kariesfreie Milchzähne, bei den fünf Jahre alten Kindern lag der Anteil bei 52 Prozent. Bereits im Schuljahr 2012/13 hatten dann 86 Prozent der Dreijährigen und 65 Prozent der Fünfjährigen naturgesunde kariesfreie Gebisse.
Vorschläge zur konkreten Umsetzung des Präventionsgesetzes in stationären Pflegeeinrichtungen: „Empfehlungen zur zahnmedizinischen Versorgung und Mundpflege bei älteren Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen“
Die Mitglieder der Arbeitsgruppe (AG) Mundgesundheit im „Bündnis Gesund Älter werden im Land Brandenburg“ (BGÄw) sehen bei der stationären Pflege viele Verbesserungsmöglichkeiten. Diese sind seit diesem Jahr in den „Empfehlungen zur zahnmedizinischen Versorgung und Mundpflege bei älteren Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen“ festgehalten. Sie bieten konkrete Umsetzungsvorschläge, wie ein möglichst hoher Qualitätsstandard bei der Mund- und Zahnpflege in stationären Einrichtungen erreicht werden. Zum Beispiel wird bei der Aufnahme in die Pflegeeinrichtung eine standardmäßig zahnmedizinische Untersuchung in geeigneten Räumlichkeiten empfohlen. Jährliche Kontrolluntersuchungen sollten sich anschließen. Idealerweise schult der zuständige Zahnarzt bzw. die zuständige Zahnärztin das jeweilige Pflegepersonal in regelmäßigen Abständen. Bei der Formulierung der Empfehlungen berücksichtigte die AG Mundgesundheit auch Aspekte des Nationalen Gesundheitsziels „Gesund älter werden“ (Gesundheitsziele.de). Eine weitere Orientierung geben die Mundgesundheitsziele der Bundeszahnärztekammer (BZÄK). Zusätzlich zu den Empfehlungen entwickelte die AG Mundgesundheit einen Flyer „12 Tipps für die Mund- und Zahnpflege im Pflegealltag“, der im Pflegebereich als Poster aufgehängt werden kann.
Das Präventionsgesetz ermöglicht die Schaffung langfristiger Strukturen bei der zahnmedizinischen Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen. Die AG Mundgesundheit im „Bündnis Gesund Älter werden im Land Brandenburg“ nimmt diese Entwicklungen erfreut zur Kenntnis und ruft alle verantwortlichen Akteure im Land Brandenburg dazu auf, die Mundgesundheit im Alter bei der praktischen Ausgestaltung des Präventionsgesetzes als eine wesentliche Voraussetzung für ein gesundes Älterwerden zu berücksichtigen.
Literatur bei der Autorin und dem Autor.