21.10.2016
Gesundheitsförderliche Lebenswelten schaffen - Bildung im Quartier gestalten
Das Bildungszentrum Tor zur Welt in Hamburg-Wilhelmsburg stellt sich vor
Theda von Kalben, Bildungszentrum Tor zur Welt
Schlagwörter:Bildung, Präventionsketten, Sozialraum
Das Bildungszentrum Tor zur Welt ist eine Gemeinschaftseinrichtung schulischer und nichtschulischer Partner mit dem Ziel, die Bildungssituation in einem benachteiligten Stadtteil durch vielfältige Angebote und eine enge Zusammenarbeit zu verbessern. Die vernetzte Arbeit im Quartier trägt zu verbesserten Bildungs- und Gesundheitschancen bei.
Vielfältige Angebote und enge Zusammenarbeit: Die Bildungssituation in einem benachteiligten Stadtteil verbessern
Im Zusammenhang mit der bundesweiten Debatte über Bildungslandschaften und die Rolle der Schulen im Stadtteil gab es 2005 in Hamburg eine Initiative der Bildungsbehörde zum Aufbau von Quartiersschulen/Bildungszentren. Mit dieser Idee sollte die Bildungslage -besonders in benachteiligten Stadtteilen- verbessert werden. Bildungszentren öffnen sich stärker in den Stadtteil und vernetzen sich eng mit Partnern aus Bildung, Beratung und Betreuung. Strukturelle Barrieren zwischen sozialer Herkunft und Schulabschluss sollen so schrittweise abgebaut und mehr Kinder mit Migrationshintergrund zu besseren Abschlüssen geführt werden. Bildungs- und Beratungsangebote für Erwachsene sollen darüber hinaus die sozialen Lagen der Familien stabilisieren welche ihrerseits zur Erhöhung der gesundheitlichen Chancen beitragen können.
Der Stadtteil Hamburg Wilhelmsburg
Wilhelmsburg ist ein Zuwanderstadtteil mit ca. 50.000 Einwohnern aus über 30 Nationen. Der Anteil junger Menschen ist im Vergleich zu anderen Stadtteilen besonders hoch, die Bildungssituation ist jedoch deutlich schlechter. In Hamburg beträgt die Quote der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss 7%, in Wilhelmsburg sind es dagegen 17%. Die Abiturientenquote liegt in der Gesamtstadt bei 55 %, in Wilhelmsburg machen nur 28 % der Jugendlichen das Abitur. Viele Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigen Einkommen und fehlendem Bildungshintergrund können ihre Potenziale nicht ausschöpfen und brauchen deshalb zusätzliche Unterstützung durch die Bildungseinrichtungen.
Aufbau einer Präventions- und Bildungskette: Das Bildungszentrum
Tor zur Welt
Vor diesem Hintergrund wurde 2013 mitten in Wilhelmsburg das Bildungszentrum Tor zur Welt eröffnet. Drei Schulen, eine Kita, ein freies Kindertheater und verschiedene außerschulische Partner haben sich gemeinsam auf den Weg gemacht, eine lokale Bildungslandschaft aufzubauen. Sie bieten ein umfangreiches Programm an Beratung, Bildung, Unterstützung und Kultur. Hier gibt es z.B. eine Elternschule mit vielfältigen Bewegungs- und Beratungsangeboten und auch die Volkshochschule bietet diverse Kurse im Bereich Gesundheit an.
Der neue Bildungsort setzt sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen, welche Angebote für alle Altersgruppen umfassen:
- Das Regionale Bildungs- und Beratungszentrum besteht aus einer Grundschulabteilung mit kleinen Lerngruppen für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf und einer schulischen Beratungsstelle für Bildungseinrichtungen aus dem ganzen Stadtteil.
- Die Elbinselschule, eine reformpädagogische Grundschule, hat ihre Räume im Neubaubereich und setzt in besonderer Weise Theaterpädagogik, ein multisensuelles Lernkonzept, die Förderung der Sprachkompetenz sowie ein begabungsförderndes Lernangebot um.
- Das Helmut-Schmidt-Gymnasium ist das einzige Gymnasium auf der Elbinsel mit einem profilierten Angebot von Jahrgang 5 bis 12. Das Bestandsgebäude wurde grundsaniert und es entstanden zusätzliche Räume für besondere pädagogische Angebote.
- Die Bildungs- und Beratungseinrichtungen für Erwachsene sind zentral im sogenannten Torhaus am Ankerplatz platziert. Verikom bietet Sprach- und Integrationskurse an und berät Familien in Not. Die Volkshochschule hat ein breites Spektrum an Kursen und konnte bereits im ersten Jahr über 40 neue Angebote durchführen. Weiterbildung Hamburg berät Erwachsene in Fragen der Berufsorientierung und Umschulung. Die Inselmütter werden als Beraterinnen für Familien mit Migrationshintergrund ausgebildet und begleiten bei Bedarf auch bei Behördengängen oder Arztbesuchen. Die Elternschule bietet verschiedenste Kurse für Familien mit kleinen Kindern an und nutzt dafür das InselCafé als Ort der Begegnung und des Austausches. Das freie Theater am Strom hat eigene Probenräume und ist ein wichtiger Kooperationspartner der Schulen. Die Elternmentoren der Schulen arbeiten eng mit den Familienlotsen der angrenzenden Kita Koppelstieg zusammen und beraten Eltern bei Fragen rund um den Kita- und Schulalltag.
Ziele des Bildungszentrums
Die folgenden Hauptziele sind die Grundlage der Zusammenarbeit der Einrichtungen im Tor zur Welt:
- Bildung im Stadtteil aufwerten und qualifizierte Abschlüsse erhöhen
- Attraktive Bildungsangebote durch Kooperationen zwischen Schule und nicht-schulischen Partnern entwickeln
Darüber hinaus wird die Arbeit von gemeinsam definierten Leitlinien getragen. Die Bildungs- und Teilhabechancen der Menschen im Quartier sollen unabhängig von der sozialen Herkunft verbessert werden. Dabei werden die Heterogenität und die kulturelle Vielfalt als Chance für erfolgreiche Bildungswege gesehen. Demokratische Grundhaltungen und nachhaltige Lebensformen bestimmen das tägliche Handeln der Einrichtungen im Haus. In einer guten Mischung aus Konzentration, Entspannung, Bewegung und gesunder Ernährung sollen die Kinder und Jugendliche auf ihrem Bildungsweg gefördert werden. Individuelles Lernen und die Persönlichkeitsentwicklung sind wesentliche Bestandteile der schulischen Konzepte im Bildungszentrum.
Bildung im Stadtteil aufwerten und qualifizierte Bildungsabschlüsse erhöhen
Zur Umsetzung dieser Ziele bieten die gemeinschaftlich genutzten Flächen besonders gute Voraussetzungen. Denn Kinder, Jugendliche und Erwachsene finden im Tor zur Welt ein umfassendes Bildungsangebot in einer besonderen räumlichen Atmosphäre: Offene Lernbereiche und vielfältig gestaltete Klassenräume in den Schulen fördern das individuelle Lernen. Attraktive neue Fachräume wie z.B. die Umweltzentren, eine Mediale Geowerkstatt, Bibliotheken und eine moderne medientechnische Ausstattung in allen Klassenräumen gehören zu den Neuerungen des Zentrums. In einer großen Mensa mit Produktionsküche werden täglich 1000 Essen von dem privaten Caterer Rebional frisch gekocht. Das gemeinsame Mittagessen ist ein wichtiger Bestandteil des pädagogischen Konzeptes. Das InselCafé ist für alle erwachsenen Mitarbeiter des Hauses, Gäste und Besucher aus dem Stadtteil täglich geöffnet.
Weitere zentrale Elemente umfassen die Förderung von Sprache, Vielfalt, Bewegung und Qualifizierung:
- Sprachförderung hat in Einwandererstadtteilen eine besondere Bedeutung und das Lesen von Büchern ist ein zentraler Schlüssel zum Erfolg. Drei Bibliotheken stehen deshalb unterschiedlichen Altersgruppen zur Verfügung. Die drei Schulen teilen sich die Personalkosten für eine Stelle in der Bibliothek, die neben der Ausleihe auch Schülergruppen betreut und bei Hausaufgaben unterstützt.
- Die Kinder und Jugendlichen bringen vielfältige Begabungen aus ihren jeweiligen Kulturkreisen mit. Diese werden in den Schulen besonders gefördert und in der Aula und den Veranstaltungshallen regelmäßig in Musik- und Theatervorführungen präsentiert. Hierbei unterstützt unter anderem auch der Kooperationspartner Theater am Strom.
- Zwei Dreifeldhallen und eine Bewegungshalle werden rund um die Uhr von den Schulen, Vereinen, der Elternschule und der Volkshochschule genutzt.
- Im Bereich der Erwachsenenbildung gibt es vielfältige Qualifizierungsmöglichkeiten, zum Beispiel werden Frauen aus unterschiedlichsten Herkunftsländern als Inselmütter qualifiziert und beraten Familien. Der Caterer Rebional beschäftigt Mütter als Küchenhilfen, von denen sich zwei bereits als Köchinnen ausbilden lassen. Sprach-, Gesundheits- und Computerkurse bietet die Volkshochschule zur Vorbereitung oder Wiedereinstieg in den Beruf.
Kooperationen schulischer und nicht-schulischer Partner
Alle Akteure im Tor zur Welt arbeiten eng vernetzt zusammen. Die Aktivitäten werden aufeinander abgestimmt und gemeinsame Angebote entwickelt - immer angepasst daran, was die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen im Stadtteil benötigen.
Jede Einrichtung im Tor zur Welt ist dabei grundsätzlich autark in der Gestaltung und Umsetzung ihrer eigenen Aufgaben. Das gemeinsame, übergeordnete Ziel der Kooperation und Vernetzung wird dadurch jedoch nicht infrage gestellt. Die Hauptnutzer treffen sich regelmäßig in unterschiedlichen Gremien, um sich über laufende Projekte und die Arbeit mit den jeweiligen Zielgruppen auszutauschen. Im schulischen Bereich geht es in erster Linie darum, die Übergänge zwischen Kita, Grundschule und Gymnasium zu verbessern und sich über die jeweiligen Unterrichtsmethoden und Anforderungen auszutauschen. Auch gemeinsame Projekte und Regeln z.B. im Freizeitbereich werden auf einer jährlich stattfinden Lehrerkonferenz aller drei Schulen diskutiert. Informelle Begegnungen in den gemeinschaftlich genutzten Räumen und beim Mittagessen befördern den Austausch untereinander.
Die Erwachsenenbildungseinrichtungen unterstützen sich gegenseitig, indem sie ratsuchende Kunden an die jeweiligen Partner weiterleiten. Interessierte werden z.B. nach Abschluss eines Integrationskurses und dem ersten Spracherwerb in die Weiterbildungsberatung oder an die Volkshochschule in einen Computerkurs vermittelt. Eltern erfahren in der Elternschule wie das Schulsystem funktioniert und haben die Möglichkeit sich mit anderen Eltern und Pädagogen aus den Schulen auszutauschen. Das Inselcafé dient dabei als erste Anlaufstelle und Kontaktbörse.
Fazit
Das Konzept für das Bildungszentrum Tor zur Welt wird seit 2005 kontinuierlich fortentwickelt. Dabei konnten viele Erfahrungen gesammelt werden:
In einer langen, gemeinsamen Phase der Konzeptentwicklung und Vorbereitung ist ein Gemeinschaftsgefühl entstanden, das sich auf die Besucher der Einrichtungen überträgt. Die Kommunikation zwischen den zahlreichen Akteuren und die Beteiligung von Mitarbeitern, Schülern und Eltern sind ein wesentliches und den Erfolg bestimmendes Element. Wichtige Schnittstellen für Kooperationen und die Öffnung in den Stadtteil sind die gemeinschaftlich genutzten Räume und regelmäßige Austausche in einrichtungsübergreifenden Gremien. Es wurde auf Vorhandenem aufgebaut und gemeinsam neue Projekte umgesetzt. Neben der Bereitschaft über das Kerngeschäft hinaus zu arbeiten, trägt schließlich auch der dritte Pädagoge - die Architektur des Hauses - zu einer positiven Grundstimmung bei, die eine entscheidende Voraussetzung für das gute Miteinander auf allen Ebenen ist.
Weitere Informationen zum Projekt Tor zur Welt und zu den Einrichtungen sind auf der Homepage http://tzw.hamburg.de/ zu finden.