19.02.2018
Gesundheitsförderung als Praxis Sozialer Arbeit stärken!
DVSG nimmt gesundheitliche Chancengleichheit auf die Agenda
Anna Lena Rademaker, Deutsche Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen e.V.
Schlagwörter:Gesundheitspolitik, Lebenswelten, Prävention, Vernetzung
“The right to health is a fundamental part of our human rights
and of our understanding of a life in dignity.”
(Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights)
Gesundheit ist ein konstitutiver Bestandteil des Alltags. Sie nimmt einen weitreichenden Einfluss auf die Lebensqualität, Teilhabemöglichkeiten und individuellen Verwirklichungschancen. Auch das alltägliche Umfeld, die daraus resultierende Lebensweise, der Lebensstil und strukturelle Möglichkeiten nehmen Einfluss auf die Gesundheit.
Dabei ist offenkundig, dass die Möglichkeiten auf ein gutes und gesundes Leben nicht allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung stehen. Gesundheit ist nicht etwas, das man „hat“ oder „bekommt“. Gesundheitsbezogene Benachteiligung ist kein individuelles Verschulden. Sie ist auf die Verhältnisse zurückzuführen, die über Möglichkeiten gesunder Entfaltung in der Lebenswelt bestimmen.
Vor diesem Hintergrund macht es Soziale Arbeit zur Aufgabe, gesundheitsbezogene Chancengleichheit aus ihrer Perspektive zu stärken. Die DVSG als Fachverband für gesundheitsbezogene Soziale Arbeit, gründete im Dezember 2017 den Fachbereich zur Etablierung von „Gesundheitsförderung und Prävention“ als Praxis gesundheitsbezogener Sozialer Arbeit.
Handlungsfelder von Gesundheitsförderung in der Sozialen Arbeit
Die Handlungsfelder von Gesundheitsförderung strecken sich weit über das Gesundheitswesen hinaus. Sie lassen sich im Sozialwesen in der Kinder- und Jugendhilfe, den Frühen Hilfen, der Quartiersarbeit und Streetwork, der Schul- und Berufssozialarbeit, der Behinderten- und Altenhilfe, der Krankenhaus- und Klinischen Sozialarbeit und der Gesundheitsselbsthilfe im Quartier finden.
Gesundheitsförderung ist eine transdisziplinäre Querschnittsaufgabe im Spannungsfeld von Sozialarbeit, Psychiatrie und Medizin, der - aus Perspektive Sozialer Arbeit - ein lebensweltorientiertes Gesundheitsverständnis zugrunde liegt. Sie ist zudem eine multiprofessionelle Aufgabe, die Gesundheit in der Lebenswelt der Menschen fokussiert. Gesundheitsförderung zielt auf die Ermächtigung der Menschen ab, ausgehend von ihren Verhältnissen und ihrer situativen Eingebundenheit, die geprägt sind von Diversität und Pluralität. Als Teil der Praxis Sozialer Arbeit ist der Alltag der Menschen zentraler Dreh- und Angelpunkt ihrer Gesundheit.
Lebensweltorientierte Gesundheitsförderung
Ein jeder Mensch ist eigenwilliger und aktiver Konstrukteur seines individuellen Lebens. Jede*r pflegt eigene Vorstellungen vom Guten und Gesunden. Diese Vorstellungen entstehen im Lebensalltag - in Erfahrungen mit der eigenen Gesundheit - und werden durch die eigenen Möglichkeiten, Gesundheit im Alltag zu entfalten, beeinflusst.
In Lebensverhältnissen, die geprägt sind von Armut, Exklusion und Stigmatisierung, werden auch die Vorstellungen vom Guten und Gesunden geprägt durch die in dieser Lebenswelt gemachten Erfahrungen sowie gemeinschaftlich akzeptierten „guten Sitten“ im Umgang mit der Gesundheit. Das bedeutet, dass dem ohnehin gegebenen Mangel an potenziellen Gesundheitsressourcen, wie bspw. persönlichen Fähigkeiten, sozialen Netzwerken und der Zugänglichkeit zu Gesundheitsleistungen, noch eine weitere Hürde zur Entfaltung der Gesundheit entgegensteht: die habitualisierten Umgangsformen mit Gesundheit im Alltag. Diese nehmen häufig so subtil Einfluss auf die Gesundheit, dass wir kaum über Langzeiteffekte des alltäglichen Handelns auf unsere Gesundheit nachdenken. Wer macht sich schon Gedanken über die möglichen Langzeitfolgen beim wohlverdienten Feierabendbier? Ebendiese wertgeschätzten Umgangsformen sind aber wesentlich geprägt durch die Lebenswelt und können, werden sie unreflektiert hingenommen, einen deutlich negativen Effekt auf die Gesundheit nehmen. Was passiert, wenn Schimmel an den Wänden zum Lebensalltag dazugehört? Was heißt es, Tag ein Tag aus damit konfrontiert zu sein, ohne Abschluss, ohne Job, den Alltag zu fristen? Subjektives biopsychosoziales Wohlbefinden wohl kaum, oder?
Gesundheitsförderung ist keine Forderung nach Gesundheit, sondern eine Stärkung gesundheitsbezogener Befähigungsgerechtigkeit, die sich insbesondere auf die Verhältnisse, in denen die Menschen leben, bezieht. Alleine die Stärkung von Skills und Fähigkeiten bleibt obsolet, wenn dabei die Lebenswelt vergessen wird, also die Alltagswelt, in der Gesundheit Tag um Tag aufrechterhalten und wiederhergestellt wird. Zumal diese „Wiederherstellung“ auch zu einem großen Teil im Laienhelfersystem Familie und, soziales Netzwerk stattfindet. Mit Blick auf die oben genannten Beispiele stellt sich also die Frage nach Wohnraum, der Gesundheit ermöglicht, und Bildungsgerechtigkeit, die zu den Verwirklichungschancen junger Menschen und damit einhergehendem Wohlbefinden beiträgt.
Eine Lebensweltorientierte Gesundheitsförderung verfolgt das Ziel, Lebenswelten so zu gestalten, dass alle Menschen darin ihr größtmögliches Gesundheitspotenzial entfalten können. Sie fordert in diesem Umdenken weniger Gesundheit ein, sondern orientiert sich an den in der Lebenswelt tatsächlich realisierbaren Chancen und Möglichkeiten, Gesundheit im Alltag zu entfalten. Lebensweltorientierte Gesundheitsförderung aus Perspektive Sozialer Arbeit umfasst einerseits die Ressourcengewinnung, -aktivierung und -stärkung (Empowerment) und andererseits insbesondere die Arbeit an den die Gesundheit begrenzenden Verhältnissen sozial benachteiligter Menschen, ausgehend von ihrer alltäglichen Lebenswelt.
Was bietet der Fachbereich „Gesundheitsförderung und Prävention“?
Die Arbeit des Fachbereichs steht für die Stärkung gesundheitlicher Chancengleichheit. Aufgabe der fachpolitischen Arbeit ist es, für eine Soziale Arbeit einzustehen, die es den Menschen ermöglicht - insbesondere denjenigen die von verschiedenen Formen von Diskriminierung betroffen sind - sich gut und gesund in ihrer Lebenswelt zu verwirklichen. Dies setzt die Beteiligung aller Akteure voraus. Limitierungen in der Lebenswelt der Menschen sind aus ihrer Lebenswelt heraus zu identifizieren. Dies kann nur gemeinsam mit den Betroffenen sowie professionellen beteiligten Akteuren aus dem Sozial-, Gesundheitswesen und darüber hinaus funktionieren.
Vernetzung & Kooperation
Der Fachbereich soll Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Forschung, Praxis und Politik eine transdisziplinäre Plattform bieten, um den Diskurs von Gesundheitsförderung und Prävention zu bündeln und gemeinsam weiter zu gestalten. Die DVSG, als Fachverband für gesundheitsbezogene Soziale Arbeit, möchte Einfluss auf die Bekämpfung sozial bedingter gesundheitsbezogener Chancenungleichheit in Deutschland nehmen. Gleichzeitig sollen Möglichkeiten lebensweltorientierter Gesundheitsförderung etabliert und das Wissen und die Kompetenzen der Sozialen Arbeit in diesem Bereich erweitert werden.
Mit dem Fachbereich bietet sich die DVSG als Ansprechpartnerin für Fragen und Themen der Gesundheitsförderung und Prävention sozial benachteiligter Menschen an. Zu diesem Zweck ist der Auf- und Ausbau einer stabilen Vernetzung und Kooperation von Akteur*innen aus der Wissenschaft, Forschung, Praxis und Politik eine zentrale Säule der Arbeit. Ziel ist es, langfristig eine Vernetzungsstruktur zu etablieren und den fachlichen Diskurs aus Perspektive Sozialer Arbeit aktiv zu gestalten.
Fachpolitische Arbeit
Der Fachverband visiert zudem die Bündelung fachlicher Expertisen an, mit dem Ziel Sozialarbeiter*innen in ihrer beruflichen Souveränität im Bereich lebensweltorientierter Gesundheitsförderung und Prävention zu stärken. Hierzu stellt er einen Zugang zu bereits bestehenden Qualifikationsangeboten und eigenen Fort- und Weiterbildungen her. Eine weitere Aufgabe der DVSG besteht darin, Arbeitshilfen und Instrumente für die Praxis zu bündeln und bereit zu stellen, sie zu evaluieren und weiterzuentwickeln.
Außerdem zielt die Arbeit in der DVSG darauf ab, sich aktiv in den politischen Diskurs einzumischen, Stellung zu aktuellen Anlässen zu nehmen und sich aktiv in die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für Gesundheitsförderung und Prävention einzubringen. Vor diesem Hintergrund freuen wir uns über engagierte Kolleg*innen, die in dem Fachbereich „Gesundheitsförderung und Prävention“ zukünftig mitwirken wollen.
Bei Interesse zur aktiven Mitarbeit im Fachbereich „Gesundheitsförderung und Prävention“ melden Sie sich bei den Ansprechpartnerinnen Dr. Anna Lena Rademaker und Prof. Dr. Katrin Liel oder werden Sie direkt Mitglied der DVSG.