05.07.2016
Gesundheitsförderung als Sahnehäubchen?
Handlungsansätze bei der Gesundheitsförderung mit Geflüchteten
Schlagwörter:Armut und Gesundheit, Geflüchtete, Gesundheitswesen, Integration
In den vergangen Monaten war viel von einer Flüchtlingskrise oder auch -welle die Rede. Anhand dieser Begrifflichkeiten wird deutlich, wie der rasche Anstieg der in Deutschland registrierten Flüchtlinge - Ende des Jahres 2015 waren es ungefähr 1,1 Millionen - wahrgenommen wurde: in der Bevölkerung und auch von den Gesundheitsdiensten. Vieles musste improvisiert werden, anderes, wie beispielsweise die Begehung von Sammelunterkünften durch Gesundheitsämter, fand nur sporadisch statt. Im Vordergrund stand die Organisation von Erstuntersuchungen und Impfaktionen. Vielerorts wurden in den Sammelunterkünften provisorische ärztliche Sprechstunden eingerichtet, welche die Erstversorgung der Geflüchteten übernahmen. Ohne die vielen ehrenamtlich engagierten Ärztinnen und Ärzte sowie weiteren Fachkräften aus dem Gesundheitswesen wäre diese Aufgabe nicht umsetzbar gewesen.
Wer denkt in so einer Situation schon an Gesundheitsförderung? Wo doch schon in „normalen“ Zeiten Gesundheitsförderung eher als das Sahnehäubchen im Spektrum der verschiedenen Sektoren des Gesundheitswesens gesehen wird. Dass es Bedarf an gesundheitsfördernden Angeboten für die Adressatengruppe der Geflüchteten gibt, dürfte aber dennoch unbestritten sein. Vielleicht nicht in den ersten Tagen und Wochen nach der Ankunft, in den darauf folgenden Monaten und Jahren aber durchaus.
Gesundheitliche Belastungsfaktoren von Geflüchteten
Für viele Geflüchtete besteht die erste Zeit in Deutschland aus Warten. Warten, dass der Asylantrag gestellt werden kann. Warten auf die Berechtigung zur Teilnahme an einem Integrationskurs. Warten auf eine Beschäftigungserlaubnis. Das Gefühl, zur Untätigkeit verdammt zu sein, wird von vielen Geflüchteten als sehr belastend empfunden. Hinzu kommt die Ungewissheit, ob dem Asylantrag auch stattgegeben wird. Besonders bei Menschen, die im Herkunftsland oder auf ihrem Fluchtweg traumatische Erfahrungen gemacht haben, besteht in dieser Zeit die große Gefahr psychischer Instabilität. Ein weiterer wichtiger Belastungsfaktor ist die Situation in den Sammelunterkünften oder Übergangswohnheimen. Konkret geht es dabei um die Überbelegung vor allem von Erstaufnahmeeinrichtungen, hygienische Mängel oder fehlende Rückzugsräume beispielweise für Kinder oder Frauen.
Wird die gesundheitliche Situation von Geflüchteten, die sich bereits länger in Deutschland aufhalten und eigenen Wohnraum nutzen, näher betrachtet, so bekommt der bekannte Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Gesundheit eine immer größere Bedeutung. Asylsuchende, aber auch bereits anerkannte Flüchtlinge haben ein hohes Armutsrisiko sowie ein im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung durchschnittlich niedrigeres Bildungsniveau. Sie wohnen eher in benachteiligten Quartieren. Hinzu kommen oft noch sprachliche und kulturelle Barrieren, die eine Nutzung von Unterstützungsangeboten erschweren. Zusammengenommen ergibt sich ein äußerst ungünstiges Konglomerat von gesundheitlichen Risikofaktoren, denen durch mehrsprachige sowie kultursensible Angebote der Gesundheitsförderung entgegen gewirkt werden sollte.
Handlungsansätze für gesundheitsfördernde Angebote
In der Praxis finden sich derzeit nur sehr wenige gesundheitsfördernde Angebote, die sich explizit an Geflüchtete wenden oder sich für diese Adressatengruppe öffnen. Dabei bedarf es keiner Neukonzeptionierung der vorhandenen Angebote, sondern eher eines aktiven Zugehens auf die Geflüchteten. So könnten beispielsweise in den Sammelunterkünften Angebote aus den Bereichen Bewegung, Ernährung und Entspannung durchgeführt werden. Im Vordergrund steht dabei aber nicht die Intention, eine Verhaltensänderung hinsichtlich mehr Bewegung und einer gesünderen Ernährung herbeizuführen, sondern vielmehr die Absicht, den Geflüchteten eine sinnvolle Beschäftigung zu geben und tragbare soziale Kontakte anzubahnen. Gemeinsames Kochen oder auch Sport leisten hierzu einen großen Beitrag. Besonders im Vordergrund sollten bei der Gestaltung der Angebote Kinder, Alleinreisende oder schwangere Frauen oder auch Flüchtlinge mit Traumaerfahrung stehen. Sie stellen besonders vulnerable Gruppen unter den Geflüchteten dar.
Von großer Bedeutung ist auch die enge Zusammenarbeit mit den Fachkräften und Ehrenamtlichen, die in den Sammelunterkünften tätig sind. Sie haben den direkten Zugang zu den Geflüchteten und haben als Multiplikatorinnen bzw. Multiplikatoren Einfluss auf die Lebenssituation. Viele der haupt- und ehrenamtlich Engagierten sind aufgrund der Entwicklungen im letzten Jahr erst seit kurzer Zeit in diesem Bereich beschäftigt. Es fehlen die Kenntnisse über die Strukturen des Sozialwesens, über lokale Unterstützungsangebote, aber auch Erfahrung im Umgang mit Geflüchteten. Schulungsangebote mit Themen wie interkulturelle Sensibilisierung, niedrigschwellige Gestaltung von Unterstützungsangeboten oder das Erkennen von seelischen Verletzungen sind angezeigt. Auch die Förderung von Vernetzungsstrukturen vor Ort, besonders dann, wenn die Unterkünfte neu entstanden sind, hilft den Fachkräften und Ehrenamtlichen, Antworten auf die Bedarfe der Geflüchteten zu finden.
Schwieriger gestaltet sich der Zugang bei einer dezentralen Unterbringung oder wenn die Geflüchteten nach langer Wartezeit eigenen Wohnraum beziehen. Hier kommt den Angeboten von Quartierszentren oder anderen offenen Treffpunkten eine große Bedeutung zu. Oftmals sind diese Angebote bereits auf Zugewanderte ausgerichtet und es bedarf lediglich quantitativer Anpassungen. Auch Migrantenselbstorganisationen (MSO) haben teilweise Angebote für Geflüchtete. Sie richten sich in der Regel an Menschen aus denselben Herkunftsländern. Sprachliche und kulturelle Barrieren spielen dann eine untergeordnete Rolle. Bemängelt wird von vielen MSOs die geringe institutionelle Unterstützung, die nicht der zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung dieser Strukturen entspricht. Auf diese Weise wird der Aufbau nachhaltiger Strukturen verhindert und eine Ressource zur Unterstützung von Geflüchteten blockiert.
Integration und Gesundheit bedingen sich gegenseitig
Eine der wichtigsten gesamtgesellschaftlichen Aufgaben der nächsten Jahre stellt die Integration der nach Deutschland geflüchteten Menschen dar. Neben der Integration in den Arbeitsmarkt, in das Bildungssystem oder auch in zivilgesellschaftliche Strukturen ist es nicht zuletzt die Gesundheit dieser Menschen, die im Fokus stehen sollte. Um die Herausforderungen zu meistern, die Zugewanderten und insbesondere Geflüchteten in einem unbekannten Land begegnen, ist ein guter Gesundheitszustand sowie eine zuversichtliche Sicht auf das Leben eine notwenige Bedingung. Anders betrachtet: Eine gelungene Integration wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus. Integration und Gesundheit bedingen sich gegenseitig und dürfen nicht getrennt voneinander betrachtet werden.