14.02.2012
Gesundheitsförderung für sozial benachteiligte ältere Deutsche und Migranten auf der Grundlage sozialer Beziehungen
Nachbarschaftsheim St. Pauli e.V., Seniorentreff
Hanna Blase, Nachbarschaftsheim St. Pauli
Schlagwörter:Armut, Bewegungsförderung, Empowerment, Gesundheitsbewusstsein, Migration, psychische Gesundheit, Suchthilfe
Der Träger arbeitet seit über 60 Jahren im sozialen Brennpunkt St. Pauli mit älteren und alten Menschen in besonderen sozialen Problemlagen. Dies sind neben Altersarmut und mangelnder Bildung (hoher Anteil Analphabeten) auch Diskriminierungen wegen der Nationalität oder wegen der Zugehörigkeit zum Milieu. Fast 50 % der Nutzer unserer Angebote sind Migranten, ca. 20 % der Besucher kommen aus dem Bereich der Prostitution und den dazugehörigen Gewerben.
Wir setzen in unserer Arbeit bei aller scheinbaren Divergenz der Besuchergruppen bei den sozialen und biographischen Gemeinsamkeiten an. Die Unterschiede liegen in der Nationalität, Religion, den Lebensstilen und der äußeren Konformität. Gemeinsam ist den Besuchern, dass sie schwer körperlich gearbeitet haben, meist schon seit der Kindheit, keinen Zugang zu Bildung hatten, in autoritären Strukturen erzogen wurden, Gewalterfahrungen haben und Befehlsempfänger waren mit geringem Handlungsspielraum im gesellschaftlichen System.
Bezogen auf gesundheitliche Probleme im Alter haben wir es bei unserer Zielgruppe, Bewohnern aus dem Stadtteil St. Pauli ab ca. 55 Jahren, mit sehr vielen chronisch Kranken, Schwerbehinderten und Suchtgefährdeten zu tun. Dazu kommen psychische Erkrankungen von depressiven Verstimmungen über Depressionen bis hin zu Psychosen.
Die Ziele unserer Arbeit sind:
- Integration stark Ausgegrenzter
- Rückgewinnung, Erhalt und Ausbau von Potentialen (psychische, geistige und körperliche)
- Alternativen erkennbar machen und Entscheidungen ermöglichen
- Handlungsspielräume schaffen
Unsere Arbeit setzt bei den Gemeinsamkeiten unserer sehr unterschiedlichen Besucher an und dort erst einmal bei den existentiellen und damit drängendsten Problemen, ohne deren Lösung sie gar nicht den Kopf frei haben, um sich mit Gesundheit im weitesten Sinne beschäftigen zu können. Dafür bieten wir seit vielen Jahren eine sehr umfangreiche Sozialberatung an. Dazu kommt in Krisensituationen (Haus)besuche, Begleitung und die Einleitung von Unterstützungs- und Hilfemaßnahmen.
Generell sind unsere Angebote sehr niedrigschwellig angelegt, um den Zugang für alle zu ermöglichen.
Die Basis unserer Arbeit ist der offene Bereich. Hier werden tragfähige soziale Beziehungen unter den Besuchern und auch ein Vertrauensverhältnis zur Einrichtung aufgebaut. Damit werden die Besucher soweit psychisch entlastet, dass sie Angebote zur Konzentration, Wahrnehmung und zum Lernen aufnehmen und annehmen können. Diese Angebote werden mit Spaß und Emotion verbunden, um den Zugang zu ermöglichen.
Dazu kommen direkte Angebote zur Bewegungsförderung und zur gesunden Ernährung in Theorie und Praxis, begleitet von Informationsveranstaltungen und medizinischer Aufklärung.
Entscheidend für den Erfolg und das Umdenken von passiver Konsumhaltung hin zu bewusstem gesundheitsfördernden Verhalten ist die Arbeit auf der Grundlage stabiler sozialer Beziehungen.
Zu uns kommen Menschen, die vereinsamt sind und wenige oder keine sozialen Kontakte mehr haben und ebenso kaum oder gar keinen Zugang zum öffentlichen Raum. Ihnen fehlen gesundheitliche und medizinische Informationen, sie sind aber auch von einer passiven Konsumhaltung dem Gesundheitswesen gegenüber geprägt. So erscheint ihnen Krankheit als Schicksal, als Aufgabe des Arztes, der durch Medikamente, Operationen und ähnliche Eingriffe von außen hilft, nicht aber als etwas, das sie selber durch aktives Handeln beeinflussen können. Krankheit bietet ihnen zudem scheinbare Vorteile, so z. B. Entlastung bei Überforderung in der Familie und bei der Arbeit. Bei den vielen Suchtgefährdeten ist gesundheitsschädliches Verhalten (übermäßiges essen, Alkohol, Nikotin Beruhigungsmittel etc.) ein eingespieltes Arrangement mit den Belastungen des Lebens wie Einsamkeit, Überforderung etc. fertig zu werden. Natürlich sind dies alles nur sehr kurzfristige „Lösungen“, die anschließend umso mehr Probleme machen. Daher gehen wir in unserer Arbeit davon aus, dass diese Menschen erst einmal Entlastungen brauchen, um einen anderen Zugang zu ihren gesundheitlichen Problemen gewinnen zu können. Dies sind das Lösen der drängendsten existentiellen Probleme als ersten Schritt, danach der Aufbau positiver sozialer Beziehungen und erst dann Aufklärung und gesundheitsfördernde Angebote.
Tragfähige positive soziale Beziehungen sind die entscheidende Grundlage, die es möglich macht, Kompensation durch Ersatzbefriedigungen in einem längerfristigen Prozess aufzugeben und durch aktives Handeln, auch im gesundheitlichen Bereich, zu ersetzen.
Weitere Informationen zum Projekt "Nachbarschaftsheim St.Pauli" finden Sie hier.