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29.09.2014

Gesundheitsförderung und Migrantengesundheit im Bezirk Hamburg-Altona

Einsichten und Erfahrungsschnipsel aus dem Kommunalen Gesundheitsförderungsmanagement

Gerd Stehr, Bezirksamt Altona, Fachamt Gesundheit, Kommunales Gesundheitsförderungsmanagement
Anita Wiedenbein, Bezirksamt Altona, Fachamt Gesundheit, Kommunales Gesundheitsförderungsmanagement

Schlagwörter:Evaluation, Gesundheitsziele, Migration

Im Be­zirk Al­to­na lebten 2013 257.412 Menschen in 14 Stadtteilen, da­run­ter 35.383 Menschen mit Migrationshintergrund1 unterschiedlicher Nationalitäten (geschätzt 74)2. Zu un­ter­schei­den sind Zu­wan­de­rer aus den nord-, ost- und südeuropäischen Ländern, aus Af­ri­ka, Nord- und Süd­ame­ri­ka, Chi­na, Ost­asi­en und Aus­tra­li­en. Viele le­ben be­reits in der 4. Ge­ne­ra­ti­on hier und haben sich in ih­rem sozialen Um­feld in­te­griert. Die meisten le­ben in ih­ren Diasporen und communities (z.B. Menschen aus den Balkanländern, aus Af­ri­ka). Jede Grup­pie­rung bringt ih­re spezifischen Traditionen, Wert­vor­stel­lung­en und kul­tu­rell geprägten Verhaltensweisen mit. Stark vereinfacht ausgedrückt haben sich die meisten Menschen mit den Arbeits- und Le­bens­be­din­gung­en arrangiert. Sie ste­hen nicht im Fo­kus der Ge­sund­heits­för­de­rung.

Die Ziel­grup­pen der Kommunalen Ge­sund­heits­för­de­rung sind vor allem diejenigen Menschen mit Mi­gra­ti­onshintergrund, die besonderen ge­sund­heit­lichen Be­las­tung­en ausgesetzt sind und ge­sund­heit­liche Probleme haben, bei de­nen Ge­sund­heits­för­de­rungs- und Präventionsbedarf besteht, die nicht hinreichend ge­sund­heit­lich versorgt oder ganz von der ge­sund­heit­lichen Versorgung aus­ge­schlos­sen sind.

Zusammenfassend formuliert: „Mi­gra­ti­on ist meist mit Tren­nung­en, Zukunftsängsten, Iso­la­ti­on und rechtlichen Unsicherheiten verbunden. (…) Viele Migranten sind von Ar­beits­lo­sig­keit be­trof­fen, da sie häufig über keine Be­rufs­aus­bil­dung verfügen. Weiterhin sind sie oft in Ar­beitsbereichen tä­tig, die ein großes Ar­beits­lo­sig­keitsrisiko be­in­hal­ten. Sie sind häufiger hoher Lärmbelastung, Schicht­ar­beit und schwerer körperlicher Ar­beit ausgesetzt. Nicht zu­letzt sind viele Menschen mit Mi­gra­ti­onshintergrund fremdenfeindlichen Äußerungen ausgesetzt, die zu­sätz­lich psy­chisch be­las­tend sind. (…) Diese Punkte verhindern oft ein gesundes Leben für MigrantInnen.“3 Sie sind Handlungsherausforderungen und An­lass für gesundheitspolitische Maß­nah­men und gesundheitsförderliches Handeln.

Das Kommunale Ge­sund­heitsförderungsmanagement (KGFM)

Auf der gesetzlichen Grund­la­ge des Hamburgischen Ge­sund­heitsdienstgesetzes (HmbGDG) wurde das Kommunale Ge­sund­heitsförderungsmanagement 2005 als Dienst­stel­le im Ge­sund­heits­amt Al­to­na eingerichtet und mit ei­ner Vollzeitstelle ausgestattet. Die Fachkräfte sind für die gesetzlichen Pflichtaufgaben der bezirklichen Ge­sund­heitsberichterstattung, Ge­sund­heitszielentwicklung, Pla­nung und Ko­or­di­na­ti­on präventiver so­wie gesundheitsfördernder Maß­nah­men zu­stän­dig. Außerdem obliegt ih­nen die Eva­lu­a­ti­on und Qualitätsentwicklung die­ser Maß­nah­men mit den Ak­teu­rin­nen und Akteuren im Be­zirk.

Bei Interventionen im Handlungsfeld der Ge­sund­heit bei Menschen mit Zuwanderungsgeschichte wird - ausgehend von den Grundrechten und sozialen Menschenrechten - ei­ne Grund­hal­tung ein­ge­nom­men, die Ge­sund­heit bei Migrantinnen und Migranten nicht nur als Ab­we­sen­heit von Krank­heit­en oder un­ter dem Ge­sichts­punkt ei­nes gesundheitsverträglichen Verhaltens betrachtet, son­dern auch un­ter den Aspekten der Beteiligung an gesundheitsförderlichen Lebenswelten, Le­bens­qua­li­tät4 und Chan­cen­gleich­heit5 sieht.  

Gesundheitsziele Al­to­na und deren Um­set­zung

Auf der Ba­sis des 1. Al­to­na­er Gesundheitsberichtes6 und aktueller Problementwicklungen im Handlungsfeld beschloss die Bezirksversammlung Al­to­na auf An­re­gung des Gesundheitsamtes Al­to­na die Gesundheitsziele Al­to­na 2008 - 20107. Im Handlungsfeld der Ge­sund­heits­för­de­rung bei Migrantinnen und Migranten wurden folgende Ziel­set­zung­en formuliert:

Diese ambitionierten Ziel­set­zung­en ergänzten das Ge­sund­heitsziel der Diabetes-Prävention ins­be­son­de­re bei Kin­dern mit türkischem Migrationshintergrund im Handlungsfeld der Kinder- und Jugendgesundheit. In der Nachbetrachtung ist auf­fal­lend, dass die Erfolgsmesser der Ziele 2) und 3) nicht hinreichend konkretisiert wurden. Die De­fi­ni­ti­on von Kennziffern wä­re geboten gewesen.

Die Ziele wurden und wer­den bis heute über die 2007 ins Leben gerufene Arbeitsgruppe „Ge­sund­heit für Migrantinnen und Migranten“ der Al­to­na­er Ge­sund­heits- und Pflegekonferenz im Rahmen vorhandener Res­sour­cen weitest mög­lich umgesetzt. In der AG Migrantengesundheit wirkten 16 Akteure mit, da­von 11 Frauen und 5 Männer. Ehrenamtlich engagierten sich 3 Personen und 13 aus ihrer Berufstätigkeit heraus.

Mög­lich­keit­en und Gren­zen der Zielumsetzung

Im Evaluationsbericht zur Um­set­zung der Gesundheitsziele Al­to­na 2008 bis 2010 wurde hier in Ta­bel­len­form komprimiert das Folgende festgehalten:

Die Gesundheitsziele wurden in­zwi­schen als Gesundheitsziele Al­to­na 2012 - 2016 fortgeschrieben und wei­ter über die AG Migrantengesundheit, die sich in­zwi­schen in AG interkulturelle Ge­sund­heits­för­de­rung umbenannt hat, umgesetzt. Eine wei­tere Eva­lu­a­ti­on steht 2016 an.  


Die Er­fah­rung­en in der AG zei­gen, dass

  • die Ge­win­nung von Führungspersonen aus den jeweiligen communities und von politisch-behördlichen Ein­rich­tung­en aus den jeweiligen In­ter­ven­ti­onskontexten un­ab­ding­bar ist
  • gemeinsam entwickelte, von den Be­tei­lig­ten getragene Ziele mit un­terschiedlichem Er­folg umgesetzt wer­den können
  • Grenzen im ehrenamtlichen En­ga­ge­ment deut­lich wer­den, die un­ter anderem auf die Verdichtung professioneller Berufstätigkeit in den Ein­rich­tung­en zurückzufüh­ren sind
  • personelle Fluktuationen die AG-Mitarbeit beeinträchtigen
  • ideologische Konflikte und Kompetenzgerangel zu Ab­spal­tung­en füh­ren können
  • die Gesundheitsziele wie­der­holt zur Ori­en­tie­rung und Aus­rich­tung des gemeinsamen Handelns zu vergegenwärtigen und in konkrete Ak­ti­on zu über­set­zen sind
  • kontinuierliche Reflexionen über die Art und das Aus­maß der In­ter­ven­ti­on und die Mes­sung der Zielerreichungen un­ter qualitativen Aspekten er­fol­gen müs­sen.

Erste sichtbare Ergebnisse und Wirkungen

Die Öf­fent­lich­keit, Politik, Ge­sund­heits- und Sozialeinrichtungen im Be­zirk Al­to­na konnten zunehmend für die Ge­sund­heitsbelange von Menschen mit Migrationshintergrund sensibilisiert wer­den.

Deutlich wurde, dass die Ge­sund­heit von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ein Querschnittsthema ist, das in allen Handlungsfeldern des bezirklichen Ge­sund­heits- und Pflegewesens ei­ne Rol­le spielt.

Die Ge­sund­heits­för­de­rung bei Migrantinnen und Migranten ist The­ma in allen Arbeitsgruppen der Al­to­na­er Ge­sund­heits- und Pflegekonferenz, z.B. in der AG seelische Ge­sund­heit.

Durch das Verfolgen der Ge­sund­heitsziele konnte da­zu beigetragen wer­den, dass

  • Lösungsmöglichkeiten zur medizinischen Versorgung von Menschen oh­ne gültigen Aufenthaltsstatus bei politisch-behördlich Verantwortlichen an­ge­regt wurden
  • deutsche und muttersprachliche Informationen über ge­sund­heit­liche und soziale Hilfsangebote und Ein­rich­tung­en in Papierform und im In­ter­net bereitgestellt wurden die Ge­sund­heit von Migrantinnen und Migranten durch fünf Mikroprojekte kon­kret gefördert wer­den konnte
  • die beantragte Angebotserweiterung für ältere psy­chisch betroffene Migrantinnen und Migranten in Al­to­na in die Krankenhausbedarfsplanung der Hansestadt einfloss.

Dies sind bescheidene Beiträge, die je­doch auf­zei­gen, dass zielbezogene und zielgruppenbezogene Ge­sund­heits­för­de­rung vor Ort um­setz­bar ist. Von der kommunalen Ebe­ne kön­nen Impulse in Rich­tung Op­ti­mie­rung der ge­sund­heit­lichen Versorgung aus­ge­hen, zur Ge­sund­heits­för­de­rung von Migrantinnen und Migranten in entscheidender Wei­se und da­mit ein Stück zur ge­sund­heit­lichen Chan­cen­gleich­heit bei­tra­gen.

Vor dem Konsolidierungshintergrund in der Hansestadt Hamburg dro­hen al­ler­dings weitere Einschnitte im KGFM und da­mit die Ein­stel­lung der Um­set­zung der Ge­sund­heitsziele Al­to­na. Die Hoffnungen ru­hen auf dem in der Er­ar­bei­tung befindlichen Bundespräventionsgesetz und hier da­rauf, dass der Öffentliche Ge­sund­heitsdienst, ins­be­son­de­re die Ge­sund­heitsämter mit ihren Ge­sund­heits­för­de­rungs-Dienststellen, in­sti­tu­ti­o­nell gesichert und fi­nan­zi­ell an­ge­mes­sen ausgestattet wer­den.    

Anmerkungen

1Ausländer im Sinne der Statistik
2Statistikamt Nord: NORD.re­gi­o­nal, Hamburger Stadtteil-Profile 2013
3Vgl. Be­zirks­amt Al­to­na 2009: Al­to­na­er Ge­sund­heitsziele 2008 - 2010, 34 ff.
4Verstanden als soziale und ökonomische Si­cher­heit und In­te­gra­ti­on, persönliche Gestaltungsfreiheit so­wie Vertrauen in Politik und Behörden
5Verstanden als gleichberechtigte Teil­ha­be an Ge­sund­heit, Bil­dung, Be­ruf, Politik und Ge­sell­schaft. Siehe auch Art. 3 (3) GG.
6Siehe http://www.hamburg.de/contentblob/693118/data/altonaer-gesundheitsbericht.pdf
7Siehe http://www.hamburg.de/contentblob/4252094/data/gesundheitsziele-2008-2010.pdf

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