05.11.2012
HIV/AIDS Prävention für afrikanische MigrantInnen aus Sub-Sahara-Staaten in Bremen
Ergebnisse einer KAP-Studie zur Inanspruchnahme von Präventionsangeboten
Gudrun Koch-Göppert, Freie Universität Berlin, Klinische Psychologie und Psychotherapie
Silke Gräser, Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP)
Norbert R. Krischke, Freie Universität Berlin, Klinische Psychologie und Psychotherapie
Schlagwörter:Gesundheitsbildung, HIV, Migration, Prävention
Das Forschungsprojekt zur “Identifikation und Überwindung kulturspezifischer Barrieren und Nutzung zielgruppenspezifischer Ressourcen bei der zugehenden und sozial-räumlich ausgerichteten HIV/AIDS-Prävention für MigrantInnen aus Sub-Sahara-Staaten“ wurde in Kooperation mit der Freien Universität Berlin, der Universität Oldenburg und der Universität Bremen durchgeführt. Es ist durch das Ministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des BMBF-Förderschwerpunktes Präventionsforschung gefördert und evaluiert in einem vierjährigen Forschungsprojekt (2008-2013) in Kooperation mit dem Praxispartner in Bremen mittels einer quantitativen KAP-Studie Wissen, Einstellungen und Verhalten Afrikanischer MigrantInnen zu HIV/AIDS als auch mittels qualitativer Fokusgruppen insbesondere geeignete Präventionswege und -ansätze aus Sicht der Zielgruppe.
Epidemiologie
Im Jahr 2010 leben 15,7 Mio. Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland (Gesamtbevölkerung 81,7 Mio.), somit hat etwa jeder fünfte der in Deutschland lebenden Menschen einen Migrationshintergrund (19,3%); davon stammen 486.000 Personen aus einem afrikanischen Herkunftsland. Die Bevölkerungsgruppe der afrikanischen MigrantInnen ist zwar vergleichsweise klein, sie ist jedoch besonders stark von HIV-Infektionen betroffen und weist mit 34% die höchste HIV-Prävalenz unter allen MigrantInnengruppen auf (RKI, 2012). Laut Robert-Koch-Institut (2012b) leben Ende 2011 schätzungsweise 73.000 Menschen mit HIV oder AIDS in Deutschland, dabei sind 59.000 Männer und 14.000 Frauen betroffen. Davon stammen 9.000 HIV-infizierte Menschen aus Hochprävalenzregionen, wobei die heterosexuelle Übertragung als häufigstes Infektionsrisiko gilt. Angaben über das Herkunftsland lagen dem RKI (2012a) im Jahr 2010 von 2.508 in Deutschland lebenden Menschen vor, bei denen erstmalig HIV diagnostiziert wurde. Aus dieser Gruppe von betroffenen Personen gaben 1.811 Deutschland und 697 ein anderes Herkunftsland an; unter letzteren kam der Großteil mit 34 % (236 Menschen) aus einem Sub-Sahara-Staat.
Hintergrund/Fragestellung
Menschen mit afrikanischem Migrationshintergrund gelten zuweilen als schwer erreichbare Zielgruppe für Angebote der Gesundheitsversorgung und -förderung; das zeigt sich besonders durch die zurückhaltende Annahme von Angeboten im Bereich der HIV/ AIDS-Prävention im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Erschwerte Lebens- und Arbeitsbedingungen und aufenthaltsrechtliche Gründe, sowie Sprachprobleme und kulturell bedingte Einstellungen von Gesundheit und Gesundheitsverhalten erweisen sich als Barrieren [1]. Im Mittelpunkt des Forschungsprojektes steht die Evaluation des durch sozialräumlich ausgerichtete und zugehende HIV/AIDS-Prävention gekennzeichneten Projektes der AIDS/STD Beratungsstelle des Gesundheitsamtes in Bremen (“Afrika-Projekt“) [2]. Die externe Evaluation soll Aussagen über die Wirksamkeit der Interventionen ermöglichen, um unter anderem Ansatzpunkte und wesentliche Mechanismen von kultursensiblen Aspekten für die Gestaltung von HIV/AIDS Präventionsangeboten zu erforschen, die auf die Versorgungspraxis übertragen werden können. Damit soll auch dem Mangel an Evaluationen zur Effektivität der für MigrantInnen spezifischen HIV/AIDS-Präventionsarbeit entgegengewirkt werden.
Vorgehensweise/Methodik
Methodologisch basieren die zentralen Kategorien der Barrieren und Ressourcen bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen auf den gesundheitskommunikativen Komponenten “Aufklärung und Informationsvermittlung“, “Aufsuchende Präventionsarbeit“ und “Sozial-Räumliche Präventionsarbeit“ des “Afrika-Projektes“. Diese Kategorien werden gesundheitswissenschaftlich aus der Perspektive des “Prozessmodells Gesundheitlichen Handelns“ [3] und im Verständnis der “Sozial-Kognitiven Theorie“ [4] betrachtet und dem gesamten Projekt als theoretisches Modell zugrunde gelegt. Anhand des “Health Action Process Approach“ [3] sollen systembezogene und individuell wahrgenommene Barrieren als Ausprägungen kognitiver Verarbeitung und Bewertung der subjektiven Risikowahrnehmung durch HIV/AIDS abgebildet werden [5].
Basierend auf verschiedenen nationalen und internationalen KAP-Fragebögen zu HIV/AIDS (u.a. in Anlehnung an die jährliche Repräsentativerhebung der BzgA) wurde ein Fragebogen zur Erfassung von HIV-bezogenem Wissen, Einstellungen und Verhalten für Afrikanische MigrantInnen entwickelt [6]. Die Stichprobe umfasst TeilnehmerInnen und Nicht-TeilnehmerInnen an den Präventionsveranstaltungen und Schlüssel-Personen der afrikanischen Communities in Bremen. Zu zwei Messzeitpunkten wurde eine Gesamt-Stichprobe von insgesamt 214 TeilnehmerInnen im Face-to-Face-Kontakt von afrikanischen MultiplikatorInnen befragt.
Beschreibung der TeilnehmerInnen der Befragung in der Stichprobe
Die Gruppe der befragten MigrantInnen enthält 59,2% Männer und 40,8% Frauen; 44,8% der TeilnehmerInnen der Befragung gehören der Kohorte der 1977 bis 1985 Geborenen an; das Durchschnittsalter beträgt 35 Jahre. Eine erhebliche Anzahl von 71,7% verfügt über einen höheren Bildungsabschluss und nur 3,9% über keinen Abschluss. 36,7% der Teilnehmerinnen der Studie sind in Kamerun, 18,1% in Ghana, 7,6% in Togo und 6,7% in Nigeria geboren, ein verbleibender Rest verteilt sich auf weitere Herkunftsländer (s. Abb. 1). In den Jahren von 1996 bis 2005 sind 63,6% aller AfrikanerInnen in der Stichprobe nach Deutschland immigriert (38,3% Frauen, 25,9% Männer). 71,6% aller Personen sind in ihrem Heimatland in einer Großstadt aufgewachsen. Knapp 30% gehören der Christlich-Katholischen und 25,2% der Christlich-Evangelischen Religionsgemeinschaft an, gefolgt von 25,2% Moslems. 35,3% der Befragten bezeichnen sich als sehr religiös; 50,7% als eher religiös und nur 10,6% als nicht religiös (4-stufige Skala). Bezogen auf den Familienstatus ist die größte Gruppe Single (31,3%), 29,4% sind verheiratet und leben mit Ihrem Ehepartner zusammen; 56.1% haben Kinder. 52,7% geben an, dass sie “Sehr stark“ auf ihre Gesundheit achten (5-stufige Skala).
Ergebnisse zur Inanspruchnahme von Präventionsangeboten
Eine Inanspruchnahme von HIV-Prävention wird unter anderem über den Vertrauensaufbau von afrikanischen MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund im Präventionsprojekt mit den Mitgliedern der afrikanischen Communities angebahnt, die mit einem Verständnis und der Akzeptanz von kulturell bedingten Gesundheitskonzepten und -definitionen im Prozess der Vertrauensbildung und der Informationsvermittlung hochgradig bedeutsam sind:
Informations-Geber
93,8% aller TeilnehmerInnen der Stichprobe haben jemals Informationen über HIV und AIDS erhalten; in einem Mehrfachantwortenset (12 Antwortmöglichkeiten) gaben 81,5% an, diese Informationen über Medien erhalten zu haben, 58,8% über Broschüren/Plakate, 57,8% durch Freunde und 41,4% benannten das Gesundheitsamt Bremen als Informations-Geber. Der Großteil der Antworten zu den Informationsvermittlern bezieht sich auf einen öffentlichen Bereich, zu dem auch Freunde und Freundinnen gehören. Durch Kontakte und Interaktionen im lebensweltlichen Bereich in der Community oder/und Familie wurden weit weniger Informationen über HIV und AIDS erhalten: 33,2% durch Familienmitglieder, 31,8% über die Community, 26,1% durch die Religiöse Gemeinschaft, 24,6% von der PartnerIn und 5,7% durch eigene Kinder.
Gewünschte Form der HIV-Informations-Vermittlung
62,6% der MigrantInnen der Stichprobe benötigen mehr Informationen, um sich gut vor HIV und AIDS schützen zu können. Bei der Informationsvermittlung wünschen sich 67,3% mehr Informationen durch die Medien, und 51,9% wünschen sich die Informationen durch das Gesundheitsamt; sowohl Medien als auch das Gesundheitsamt sind öffentliche Informationsträger, die im Informationsprozess zu HIV und AIDS einen größeren Schutz gewähren als zum Beispiel Gespräche in der Familie (23,6%).
Präventions-Verhalten
Nur 37,0% der afrikanischen Migrantinnen der Studie wissen, dass es in Bremen Informationsangebote für Afrikaner und Afrikanerinnen zum Thema HIV und AIDS gibt. Die Teilnahme an einem Vortrag, einer Informations- oder Unterrichtsveranstaltung über HIV und AIDS liegt bei 42,4% der befragten Personen länger als 12 Monate zurück; 23,6% haben noch nie an einer Informationsveranstaltung teilgenommen (4-stufige Skala).
„Afrika-Projekt-Bremen“
Vom „Afrika-Projekt“ des Gesundheitsamtes Bremen haben 37,4% der Studien-TeilnehmerInnen schon einmal etwas gehört. Im Rahmen dieses Versorgungs- und Präventionsprojektes hatten bis Juli 2011 26,7% aller Studien-TeilnehmerInnen an einer Schulung oder Informationsveranstaltung teilgenommen.
Inanspruchnahme HIV-Test
Trotz des verbreiteten Wissens bei 93,1% der Personen über einen HIV-Test und trotz des Wissens über Angebote zur kostenlosen HIV-Testung (40% der afrikanischen MigrantInnen) haben nur 33,3% jemals einen HIV-Test machen lassen. Die Gründe gegen die Inanspruchnahme eines HIV-Tests sind dabei vielfältig: etwa ein Drittel der Studien-TeilnehmerInnen (29,9%) sieht für sich kein HIV-Infektions-Risiko; 19,0% der befragten Personen haben Angst vor dem Test-Ergebnis, und 10,4% fürchten sich davor, das Andere von ihrem Testergebnis erfahren könnten. Finanzielle Gründe wie der Test ist zu teuer nennen 9%, und 8,5% befürchten eine Stigmatisierung durch die Community und Familie, wenn eine HIV-Testung bekannt würde.
Einstellungen bei der Inanspruchnahme von Präventions-Angeboten
Gender- und kulturspezifische Einstellungen sind gravierende Barrieren in der Inanspruchnahme von Präventions-Angeboten: 14,4% geben an, dass Präventions-Programme wie das Afrika-Projekt regelrecht eine Aufforderung zu außerehelichem Geschlechtsverkehr bedeuten. In der Geschlechterperspektive gelten Frauen, die Kondome besitzen, als leicht zu haben, solche Frauen schlafen mit vielen Männern (13,4%); ähnliches gilt für Männer, die Kondome besitzen, sie schlafen demzufolge mit vielen Frauen (19,5%). 18,4% der TeilnehmerInnen gaben an, dass ein Mann nur beim Sex mit einer Prostituierten ein Kondom verwenden sollte. Ein hoher Anteil der MigrantInnen von 73,4% vertritt dagegen die Einstellung, dass Jugendliche Kondome erhalten sollten und dass ihnen der Gebrauch erklärt werden sollte (4-stufige Skala: “Stimmt genau“).
Diskussion und Schlussfolgerung
Personen mit afrikanischem Migrationshintergrund gelten in der Annahme von HIV-Präventionsangeboten als Herausforderung für die Anbieter und als schwer erreichbare Zielgruppe. Sprachprobleme durch verschiedene Amts- und zahlreiche Stammessprachen in den Herkunftsländern, die Tabuisierung von Sexualität und HIV/AIDS und patriarchal geprägte Geschlechter-Beziehungen erweisen sich dabei als relevante Barrieren für die HIV/AIDS-Prävention. Maßnahmen der Gesundheitsförderung, die das Herausstellen einer Verbindung von Afrika mit HIV und AIDS zum Beispiel durch den Namen “Afrika-Projekt” beinhalten, werden als diskriminierend empfunden (36%). Nichtsdestotrotz ist ein hoher Anteil von über 90% bereits mit Informationen zu HIV/AIDS in Berührung bekommen und das überwiegend über Medien, Broschüren und Plakate; das entspricht auch den Wünschen der Afrikanerinnen und Afrikaner, die sich HIV-Informationen durch öffentliche Informationsträger bevorzugen, die im Informationsprozess zu HIV und AIDS einen größeren Schutz vor Tratsch und Stigmatisierung gewährleisten.
Lediglich ein Drittel der afrikanischen MigrantInnen weiß, dass es in Bremen Informationsangebote speziell für Afrikaner und Afrikanerinnen zum Thema HIV und AIDS gibt; die aktive Teilnahme an einem Vortrag, einer Informations- oder Unterrichtsveranstaltung ist mit weit weniger als einem Drittel sehr gering, wobei besonders Frauen traditionell Veranstaltungen nur in Begleitung des Ehemannes besuchen. Bezüglich der Nicht-Inanspruchnahme eines HIV-Tests sind die Gründe vielfältig und beziehen sich zum Beispiel auf: kein HIV-Infektionsrisiko, Angst vor dem Test-Ergebnis, Stigmatisierung durch Community und Familie. Die Einstellungen bei der Inanspruchnahme von Präventions-Angeboten sind einerseits generell geprägt durch den hohen Grad an Tabuisierung von HIV/AIDS in den afrikanischen Communities und der Angst vor Stigmatisierung durch Bekanntwerden einer Teilnahme an Präventions-Veranstaltungen; andererseits befürwortet ein hoher Anteil der MigrantInnen HIV-Prävention für die Gruppe der Jugendlichen, und Kondom-Verteil-Aktionen und Informationen zum Kondomgebrauch werden gutgeheißen.
Die Ergebnisse der deutschlandweit ersten quantitativen Studie zu Wissen, Einstellungen und Verhalten von Afrikanischen MigrantInnen auf Basis des entwickelten standardisierten KAP-Fragebogens zeigen in der Bremer Stichprobe geschlechtsspezifische sowie auch kulturell determinierte Faktoren, die in der Praxis essentiell sind für die Gestaltung und Qualität kultursensibler und angemessener Präventionsangebote, um so die Inanspruchnahme zu befördern. Im Rahmen des Projektes wurde daher für PraktikerInnen ein neues praxisorientiertes Qualitätssicherungsmanual für HIV-Präventionsprojekte für MigrantInnen [7] entwickelt.
Literatur
[1] Gräser S., Krischke, N.R. & Koch-Göppert G. Kultursensible Gesundheitskommunikation. Prävention 2010; 3: 83-86.
[2] Gräser S., Krischke N.R. & Wohlrab C. HIV/AIDS-Prävention und Versorgung für Migrantinnen und Migranten aus Sub-Sahara Afrika. Eine Pilotstudie zur Evaluation des ‚Afrika-Projekts’ des Gesundheitsamtes Bremen. Bremen: Schriftenreihe 03 des Institutes für Public Health und Pflegeforschung Universität Bremen; 2009.
[3] Schwarzer R. Psychologie des Gesundheitsverhaltens - Einführung in die Gesundheitspsychologie. Göttingen: Hogrefe; 2004.
[4] Bandura A. Social Foundations in Thought and Action. New Jersey: Prentice Hall; 1986.
[5] Rosenbrock R. AIDS-Prävention - ein Erfolgsmodell in der Krise. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz, Springer Medizinverlag, 2007; 50: 432-441.
[6] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA). Aids im öffentlichen Bewusstsein der Bundesrepublik Deutschland 2005. Wissen, Einstellung und Verhalten zum Schutz vor Aids. Köln: 2006.
[7] Gräser S., Stöver H., Koch-Göppert G. & Krischke N.R. Manual zur Qualitätssicherung in der HIV/AIDS-Prävention für MigrantInnen (MAQUA-HIV). Bremen: Niebank-Rusch Fachverlag; 2012 (im Druck).
Weitere Informationen zum Bremer-Afrika-Projekt finden Sie in der Praxisdatenbank.