09.11.2015
Kita mit Biss
Interview mit Frau Dr. Gudrun Rojas
Gudrun Rojas, Stadt Brandenburg an der Havel, Fachbereich Jugend, Soziales und Gesundheit
Schlagwörter:Auszeichnung, Kita, Lebenswelten, Prävention, Zahngesundheit
„Kita mit Biss“ ist ein intersektorales Präventionsprogramm zur Förderung der Mundgesundheit und Vermeidung der frühkindlichen Karies. Im Interview berichtet Frau Dr. Gudrun Rojas von Erfolgsfaktoren des Programmes und erklärt, wie dieses Programm Bestandteil präventiver zahnmedizinischer Betreuungsstrategien werden kann.
Das Präventionsprogramm „Kita mit Biss“ wurde anlässlich des Deutschen Zahnärztetages 2015 mit dem PRÄVENTIONSPREIS „Frühkindliche Karies“ der Bundeszahnärztekammer und CP GABA ausgezeichnet. Nicht nur in Brandenburg auch in anderen Bundesländern verzeichnen Sie Interesse an diesem Programm. Was macht „Kita mit Biss“ so erfolgreich?
Das Präventionsprogramm „Kita mit Biss“ kommt aus der Praxis und ist für die Praxis gemacht. Es ist ein Ernährungs- und Aufklärungsprogramm mit den Zielen, die Mundgesundheit zu fördern, die Frühkindliche Karies zu vermeiden und einen mundgesundheitsförderlichen Kita-Alltag zu schaffen. Zahnmedizinisches Know-how, pädagogisches Wissen sowie das Miteinander auf Augenhöhe und die kontinuierliche Begleitung dieses Programmes, das in die gruppenprophylaktische Betreuung gem. § 21 SGB V eingebunden werden kann, sind wichtige Erfolgsfaktoren.
Der Anteil der Kinder mit kariesfreien Gebissen steigt und damit verbunden ist ein Rückgang der Frühkindlichen Karies. Das spricht sich in Kitas, Zahnärztlichen Diensten und regionalen Arbeitsgemeinschaften der Gruppenprophylaxe herum, denn Fortbildungen, Tagungen und Berichte in zahnmedizinischen sowie pädagogischen Fachzeitschriften greifen das Thema auf und auch die Internetseite www.brandenburger-kinderzaehne.de informiert über das Programm.
Seinen Ursprung hat das Programm in Frankfurt (Oder): Das Team des Zahnärztlichen Dienstes in Frankfurt (Oder) nahm vor 10 Jahren die steigende Tendenz der Frühkindlichen Karies zum Anlass, um mit Erzieherinnen und Erziehern präventive Strategien zu entwickeln. Diesem Trend entgegen zu wirken und die Mundgesundheit der Kinder zu fördern sowie ein mundgesundheitsförderliches Umfeld in der Kita zu schaffen, waren die Zielstellungen. So entstanden praktikable Handlungsleitlinien für den zahnfreundlichen Kita-Alltag zu dem u. a. der zuckerfreie Vormittag mit einem zahngesunden Frühstück, eine kauintensive Obst- oder Gemüse-Zwischenmahlzeit und ungesüßten Getränke genauso dazu gehören, wie das frühzeitige Abgewöhnen der Nuckelflasche bei kleinen Kindern, die schon aus der Tasse trinken können. Das Unterstützen und Begleiten des täglichen Zähneputzens ist natürlich ebenfalls ein Bestandteil.
Inzwischen ist das Programm auf ganz Brandenburg ausgeweitet worden und es nehmen 377 Kitas teil. Auch andere Bundesländer haben Interesse das Präventionsprogramm umzusetzen und können dazu die entwickelten und praxiserprobten Materialien nutzen. Entschließt sich eine Kita das Präventionsprogramm „Kita mit Biss“ umzusetzen, verpflichtet sich das Kita-Team dazu mit einer Beitrittserklärung und erhält ein Zertifikat. In der Kita gut sichtbar angebracht zeigt es, dass gesundheitsbezogene Qualitätsstandards eingehalten werden. Das Programm erfreut sich hoher Akzeptanz bei den Erzieherinnen und Erzieher, Kindern und Eltern.
Gerade in strukturschwächeren Regionen mit einer höheren Dichte an Problemlagen ist Milchzahnkaries unter Kindern stark verbreitet. Inwiefern kann „Kita mit Biss“ hier entgegen wirken?
Gesundheit und soziale Lage sind eng miteinander verbunden, wie u. a. Daten der Gesundheitsberichterstattung und eine Studie der Universität Jena und des Brandenburgischen Gesundheitsministeriums zeigen (Bundesgesundheitsblatt 55, 1504 -1511). Diese Studie belegt den Zusammenhang zwischen Frühkindlicher Karies kleiner Kinder und damit assoziierten Risikofaktoren. Hauptursache für das Entstehen der Frühkindlichen Karies ist die nächtliche Gabe der Nuckelflasche. Hier gilt es anzusetzen und das Gesundheitsverhalten der Eltern sowie Verhältnisse zu beeinflussen.
Möglichst viele Kinder und ihre Eltern können im Setting Kita erreicht werden. Unabhängig von ihrer sozialen Lage werden Kinder in die regelmäßige gruppenprophylaktische Betreuung einbezogen. Die Verhältnis- und Verhaltensprävention des Programmes „Kita mit Biss“ leistet einen weiteren Beitrag zum gesunden Aufwachsen sowie zur gesundheitlichen Chancengleichheit aller Kinder.
Sie setzen mit Ihrem Programm in einer wesentlichen Lebenswelt der Kinder an: Der Kita. Inwieweit gelingt Ihnen die Einbindung der Eltern bzw. wie kann es gelingen, dass die Vielzahl an Maßnahmen und Anregungen auch zu Hause Anwendung finden?
Die Basis des Programms ist gelingende Elternarbeit. Zahnärzte werden einbezogen und informieren anlässlich thematischer Elternnachmittage bzw. -abende. Erzieherinnen und Erzieher sprechen die Eltern auf die Fortsetzung der Umsetzung der Handlungsleitlinien in häuslicher Umgebung an. Hierfür wurde ein Flyer erarbeitet, der die wichtigsten Informationen für Eltern bereithält. Dieser Flyer wird jeder „Kita mit Biss“ kostenfrei zur Verfügung gestellt und hat sich insbesondere bei den Aufnahmegesprächen mit den Eltern bewährt. Er ist in deutscher, polnischer, russischer und türkischer Sprache erhältlich. Erzieherinnen und Erzieher berichten, wie sich das von den Eltern zubereitete Frühstück für die Kinder verändert und zu Kindergeburtstagen sogar Obst- und Gemüsespieße mitgegeben werden.
Das Projekt wird als ein intersektorales Präventionsprogramm beschrieben und Sie selbst sind Mitglied des Steuerungskreises im Bündnis Gesund Aufwachsen in Brandenburg. Wie knüpft das Programm an andere Aktivitäten zum gesunden Aufwachsen an?
Das Thematisieren der Mundgesundheit kleiner Kinder in diesem Gesundheitszieleprozess hat eine intersektorale Zusammenarbeit mit Gynäkologinnen und Gynäkologen, den Netzwerken Gesunde Kinder und Gesunde Kita sowie den Familienhebammen mit sich gebracht. Die Mundgesundheitsziele 2020 nehmen auch die Jüngsten in den Fokus und zielorientierte Herangehensweisen sowie Maßnahmen wurden vereinbart. Allen ist klar, gesunde Zähne sind für die Sprachentwicklung, Kommunikation, Ästhetik und vor allem die Ernährung der Kinder wichtig. Das Präventionsprogramm „Kita mit Biss“ wurde in den Prozess einbezogen. Die gewonnenen Erfahrungen haben der Entwicklung von Betreuungsstrategien für Kleinkinder und der Gruppenprophylaxe insgesamt Impulse gegeben und dazu geführt, dass gruppenprophylaktische Maßnahmen im Land Brandenburg seit 2010 ab dem 1. Milchzahn umgesetzt werden.
Im neuen Präventionsgesetz wird der G-BA verpflichtetet, näheres zur Ausgestaltung der zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen zur Vermeidung frühkindlicher Karies zu regeln. Inwiefern bieten sich hier Chancen zur Förderung der Mundgesundheit?
Die Aufnahme weiterer zahnärztlicher Früherkennungsuntersuchungen in die Kinder-Richtlinien ist ein Schritt, um parallel zu den settingorientierten Maßnahmen Eltern auch individuell in der Zahnarztpraxis auf Maßnahmen zur Mundgesundheitsförderung anzusprechen. Beide Maßnahmenpakete sind gleichermaßen bedeutsam, werden jedoch aufgrund struktureller Gegebenheiten nicht gleich finanziert. Ich würde mir deutlich mehr Engagement aller Beteiligten in die Richtung der effektiven und effizienten settingorientierten Maßnahmen wünschen um Erreichtes nachhaltig zu sichern und weitere Verbesserungen zu erzielen. Zahnmedizinische Prävention verlangt immer am Ball zu bleiben, denn ein Nachlassen ist sehr schnell mit einem Anstieg der Karies und ihrer Folgeerkrankungen verbunden. Kontinuierliche aufsuchende Basismaßnahmen haben einen besonders hohen Stellenwert.
Die Fragen stellte Lea Winnig
Mit dem „PRÄVENTIONSPREIS Frühkindliche Karies“ der Bundeszahnärztekammer und CP GABA, den Initiatoren der „Initiative für eine mundgesunde Zukunft in Deutschland“ wurden angewandte Präventionskonzepte und Projekte ausgezeichnet, die sich in der täglichen Praxis nachweislich bewährt und zu messbaren Verbesserungen geführt haben. Die Ergebnisse sollen bundesweit umsetzbar und dazu geeignet sein, junge Eltern und Erziehungsberechtigte für ein verbessertes Ernährungs- und Mundhygieneverhalten zu sensibilisieren und zur Umsetzung zu motivieren.