14.08.2012
Kommunikation ist das A und O
Aktualisiert: Langfassung nun online! Interview mit Gerhard Meck, Leiter der Fachstelle Gesunde Landeshauptstadt Potsdam
Gerhard Meck, ehem. Landeshauptstadt Potsdam
Schlagwörter:Betriebliche Gesundheitsförderung, Familie, Interview, Netzwerk, Projektmanagement, Prävention, Soziale Stadt, Ältere
Die Stadt Potsdam hat sich auf den Weg gemacht, die Arbeit der lokalen Netzwerke mit Gesundheitsbezug unter dem Stichwort „Prävention von Null bis Hundert“ in einer biografischen Perspektive auf einander zu beziehen. Gerhard Meck ist Leiter der Fachstelle Gesunde Landeshauptstadt Potsdam und erläutert im Interview, wie der Ansatz biografiebegleitender Netzwerke entstanden ist und wie dieser umgesetzt wird.
Was ist der „biografiebegleitende Ansatz“ in Potsdam?
In diesem Ansatz haben wir Netzwerke, die aus fachlichen Überlegungen heraus entstanden sind, nach Alterskorridoren aufgebaut. Dieser biografiebegleitende Ansatz läuft bei uns unter dem Stichwort „Prävention von Null bis Hundert“.
Die Netzwerke gab es also schon vorher?
Ja, aber mit Lücken. Interessanterweise war das erste Netzwerk, das sich 2006 gegründet hat, das Netzwerk Älter werden. Dann kam 2008 als nächstes das Netzwerk Gesunde Kinder und Familien. Hier sind viele Fachträger eingebunden: Gesundheitsamt, Jugendamt, die Sozialräume, die Quartiersmanager, die Träger der Kitas in freier Trägerschaft. Dies auch vor dem Hintergrund, dass sich das Land Brandenburg stark den Netzwerken Gesunde Kinder widmet und diese auch bundesweit sehr bekannt sind. Da Potsdam auf dem Weg zur „familienfreundlichen Stadt“ ist, kam der Stadt diese Entwicklung sehr entgegen. Als wir diese beiden Netzwerke hatten, kam der Zuruf der Krankenkassen: Macht doch bitte was für Jugendliche. Als wir das diskutierten, stellen wir fest, dass wir fast dieselben Partner hatten wie schon im Netzwerk Gesunde Kinder und Familien und zum Teil auch im Netzwerk Älter werden. Da haben wir überlegt, für die Partner, die mitmachen wollen, eine schlüssige Linie zu entwickeln.
An der Diskussion beteiligt waren beispielsweise die Jugendhilfeplanung, die Koordination für die Stadtentwicklung und Stadterneuerung und die Gesundheits- und Sozialplanung. Etwa zwei Jahre lang haben wir dies mit den Partnern der Netzwerke, der Verwaltung und der Politik diskutiert. Wir haben uns auch mit Literatur beschäftigt und ließen uns vom Deutschen Institut für Urbanistik beraten. Schließlich kamen wir zu dem Ergebnis, die Netzwerke nach dem biografiebegleitenden Ansatz zu strukturieren. Wichtig ist, dass die Netzwerke keine Netzwerke der Betroffenen sind, sondern Kooperations-Bündnisse der Institutionen, Gruppen und Träger-Welten. Die Betroffenen haben wir über Schlüsselprojekte, Modellvorhaben und Netzwerk-Träger mit an Bord.
Sie haben den biografiebegleitenden Ansatz dann über das Kinder- und Jugendalter hinaus ausgedehnt?
Ja, in dieses Konzept haben wir auch andere Netzwerke eingefügt, beispielsweise „Gesunder Betrieb“.Das zusätzlich geformte Netzwerk „gesunde Lebensmitte“ befasst sich mit der Altersgruppe zwischen „Gesunder Betrieb“ und „Älter Werden“, mit der Generation 50 plus.
Ergänzt um altersübergreifende „Ringe“ und Bündnisse sind wir jetzt halbwegs komplett und haben die Netzwerke auf einem Gesundheits- und Sozialgipfel vorgestellt. Dies ist die gemeinsame Plattform der Netzwerke, auf der sich die Schlüsselakteure und Koordinatoren mindestens alle zwei Jahre über Aktivitäten, Erfolge und Herausforderungen austauschen können.
Und wie tauschen sich die Netzwerke zwischen den „Gipfel“-Treffen aus?
Es gibt die Fachstelle für die Koordinatoren. Jedes Netzwerk hat eine eigene Koordination im Umfang bis zur Hälfte einer Stelle, finanziert von der Stadt Potsdam. Dazu gibt es eine Lenkungsrunde bei der zuständigen Beigeordneten, gemeinsam mit den Koordinator/innen und den Schlüsselpartnern der Netzwerke. Das ist dann ein „runder Tisch“ von etwa 25 Personen. Dabei geht es nicht nur um Informationsaustausch sondern auch darum, gemeinsam Projekte anzustiften. Es gibt weitere Ansätze, die Netzwerke zu verbinden, beispielsweise über Projektgemeinschaften. Erst das Miteinander der Netzwerke schafft eine nennenswerte Trägerkraft hinter den Projekten, dass sie Ergebnisse erzielen können und bereits im Projektdesign überzeugen.
Gibt es noch weitere Ansätze, die Netzwerk-Säulen zu verbinden?
Die Netzwerke behandeln zum Teil die gleichen Themen, so dass sie dann auf einander bezogen werden können. Beispielsweise ist das Thema „Gesunde Ernährung“ für Kinder und Jugendliche wichtig, aber auch im Netzwerk „Gesunder Betrieb“. Auf diese Weise werden die Eltern mehrfach erreicht. Oder das Suchtkonzept der Landeshauptstadt betrifft sowohl die Säulen „Gesunde Jugend“ als auch „Gesunder Betrieb“. Wir versuchen bei allen unseren Projekten, mindestens zwei Netzwerke einzubinden, um die Themenfelder vernünftig abzubilden und der Versäulung zu begegnen, dass jeder die Themenfelder für sich alleine angeht.
Schließlich haben wir auch noch zielgruppenspezifische Allianzen, z.B. die kommunale Arbeitsgemeinschaft zur Gesundheitsförderung den „Potsdamer Gesundheitsring“ der Stadt. Hier sind alle altersgruppenübergreifend Gesundheitsanbieter vertreten und sprechen ihre Aktivitäten über das Jahr hinweg ab. Das vermeidet zum einen Termin-Kollisionen und ermöglicht auch Zusammenarbeit, wenn bestimmte Aktivitäten, beispielsweise die jährlichen Schülergesundheitstage oder Vertretung auf Gesundheitsmessen, gemeinsam organisiert und durchgeführt werden. So entsteht aus vielen kleinen Pflänzchen das Blumenbeet, koordiniert durch uns über das Gesundheitsamt.
Sie halten bei diesen Prozessen alle Entwicklungsfäden zusammen?
Ich bin sozusagen der Systemverantwortliche. Ich leite die Säule „Betriebliche Gesundheit“ und bin ansonsten derjenige, der auf die Balance im System achtet und die anderen Säulen berät. Es bewährt sich dabei immer mehr, dass wir sowohl in der „Senkrechten“ - auf Ebene der Netzwerke - als auch in der „Horizontalen“ - über die Altersgruppen hinweg - seit langem eine gelingende Zusammenarbeit in Form von „Ringen“, „Allianzen“ und „Bündnissen“ organisieren können. So existiert der Potsdamer Gesundheitsring als großes Bündnis der Gesundheitsförderer bereits seit 1994.
Gibt es innerhalb der Netzwerk-Säulen noch weitere Differenzierungen?
Im Grunde haben wir eine Präventionskette in jedem Netzwerk, die auch wieder biografisch aufgebaut ist. Wir stellen beispielsweise derzeit einen Antrag beim Land, der die ehrenamtliche Begleitung von Familien zum Thema hat. Kinderklinik, Familienzentrum und Ehrenamtsagentur wollen zusammen ein Patensystem aufbauen, dass Familien in den ersten drei Jahren nach der Geburt begleitet. In anderen Landkreisen Brandenburgs gibt es das schon. Dann begleiten wir die Kitas, in Zusammenarbeit mit vielen Partnern, bei der Entwicklung des Themas „Gesundheit“ im Rahmen von Projekten, Veranstaltungen und Aktionen. Das ist der Alterskorridor von drei bis sechs Jahren. Das geht dann weiter und umfasst die Grundschule, also die Altersgruppe von sechs bis zwölf Jahren.
Die Kooperationspartner entscheiden dann jeweils, auf welcher der Stufen sie sich mit welcher Intensität beteiligen. Das kommt deren Planungen sehr entgegen und sie beteiligen sich gerne. Die Krankenkassen können beispielsweise in diesem differenzierten, gegliederten Ansatz sehr gezielt ihr Fachpersonal einbringen. Die Partner waren jedenfalls sehr froh, dass wir diese Systematik entwickelt haben die ihnen ermöglicht zu entscheiden: Wo sind sie aktiv dabei und wo beteiligen sie sich vielleicht nur begleitend, ohne die ersten Treiber zu sein. Unser Klinikum als Beispiel: Im Netzwerk „Älter werden“ sind sie über den Pflegedienstdirektor beteiligt, weil da die Bereiche Pflege und ambulante Versorgung eine wichtige Rolle spielen. Im Netzwerk „Gesunde Kinder und Familien“ sind sie ebenfalls einer der Treiber, hier aber vertreten durch die Kinderklinik. Das ist der Vorteil dieser Systematik: Die Partner können gezielt entscheiden, mit welchem Personal und welcher Abteilung sie sich engagieren wollen.
Wie schwierig ist es, die Akteure außerhalb des engeren Gesundheitsbereiches einzubinden?
Das ist gar nicht so schwer. Vielleicht liegt es an der überschaubaren Größe Potsdams mit 160.000 Einwohnern; denn es gibt immer wieder kleine Pflänzchen und Impulse der Kooperation, beispielsweise mit der Wohnungswirtschaft über das Programm Soziale Stadt. Und dann ist es irgendwann ein Gebot der Fairness, die Arbeitszusammenhänge zu verdeutlichen, der jeweiligen Geschäftsleitung anzuzeigen und daraus für alle einen strategischen Mitwirkungs-Vorteil zu erzielen. Das ist unsere Vorgehensweise: Wir greifen auf, was es an Engagements und Aktivitäten gibt, beteiligen uns und können dadurch Partner relativ fließend in die Arbeit der Netzwerke und das gesundheitsförderliche System der Bündnisse über nahezu alle Branchen und Sektoren hinweg kooperativ, auch vertraglich einbinden.
Sprechen Sie zunächst die Leitungsebene der Partner an, damit die dann die jeweilige Beteiligung delegieren?
Es ist eher umgekehrt und läuft von unten nach oben: Die Abteilungen beispielsweise des Klinikums haben Interesse am Netzwerk, schauen sich die Arbeit an und schlagen das dann ihrer Klinikleitung vor. Und dann bin ich gewissermaßen derjenige, der die Schirmherrschaft der Klinikleitung besorgt. Wir haben sehr viele Kontakte auf der Arbeitsebene, so dass die Beteiligung an den Netzwerken oft fast ein Selbstläufer ist. Wenn wir der Geschäftsleitung eines Trägers etwas vorschlagen, ist das immer schon durch dessen interne Abteilungen vorbereitet worden, so dass die Initiative immer sowohl von innen als auch von außen kommt.
Welche Tipps geben Sie Kommunen, die sich auf den Weg machen, einen biografiebegleitenden Ansatz umzusetzen?
Erstens sollte die Gesamtkoordinierung der Netzwerke amtsverbindend aufgebaut sein und nicht einem Einzelamt „gehören“. Durch die Stadtspitze und hier vor allem die Beigeordnete für für Soziales, Jugend, Gesundheit, Ordnung und Umweltschutz gibt es die Sicherheit, verwaltungsweit und intersektoral zu koordinieren. Ansonsten würde ich als Interessenträger des singulären Fachamtes wahrgenommen. Das wäre definitiv ein Stolperstein in puncto Bündnisfähigkeit und Netzwerkweite. Effektive Projektsteuerung ergänzt hier die übliche Aufbau-Organisation der klassischen Verwaltung.
Zweitens ist Kommunikation das A und O. Jeder muss hierarchiefrei alle Informationen geben und bekommen können, die für die vereinbarte Netzwerkarbeit wichtig sind: Wer im Netzwerk präsent ist, vertritt seine jeweilige Organisation, unabhängig von der hierarchischen Position. Deshalb haben unsere Koordinator/innen aus der Verwaltung in ihrer Arbeitsplatzbeschreibung die Koordinationsrechte: Sie sind das Gesicht der Verwaltung. Dies ermöglicht, dass Verantwortungsentscheidungen während der Netzwerktreffen möglich sind und nicht auf die lange Bank geschoben werden.
Und drittens ist Netzwerkarbeit immer Zukunftsgeschäft - Gegensätze der Gegenwart dürfen keine Rolle spielen. Alle Netzwerke nennen ihre Konferenzen inzwischen „Zukunftskonferenzen“, denn es geht darum: Was können wir gemeinsam unternehmen, was gemeinsam planen? Auf den Treffen der Netzwerke gilt eine wichtige Spielregel: Alltagsstreitigkeiten haben in Netzwerken nichts zu suchen.
Weitere Informationen zum biografiebegleitenden Ansatz in Potsdam finden Sie hier.
Die Fragen stellte Holger Kilian.