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17.02.2015

"Meine Frau hat die Krankheit und ich habe die Schmerzen"

Mobile Demenzberatung als Instrument zur Verbesserung der Situation pflegender Angehöriger

Sarah Hampel, M.A. Gerontologie, TU Dortmund - Institut für Soziologie - Lehrgebiet Soziale Gerontologie mit dem Schwerpunkt Lebenslaufforschung
Verena Reuter, M.A. Soziologie, Forschungsgesellschaft für Gerontologie e.V. - Institut für Gerontologie an der TU Dortmund
Monika Reichert , TU Dortmund - Institut für Soziologie - Lehrgebiet Soziale Gerontologie mit dem Schwerpunkt Lebenslaufforschung

Schlagwörter:Demenz, Gesundheitskompetenz, Gesundheitsversorgung, Kommunen, Pflege

Die Versorgung von Menschen mit De­menz im häuslichen Um­feld ist in vielerlei Hinsicht ei­ne sehr anspruchsvolle Auf­ga­be und für Pfle­gende nicht nur fi­nan­zi­ell, son­dern vor allem kör­per­lich, psy­chisch und so­zi­al stark be­las­tend. Damit die häusliche Pfle­ge dau­er­haft ge­lin­gen kann, muss zum ei­nen ein tragfähiges Versorgungsnetz geschaffen wer­den, zum anderen ist die Ent­las­tung bzw. die Ge­sund­heits­för­de­rung und Gesunderhaltung von Pfle­genden von zentraler Be­deu­tung. Wissenschaftliche Untersuchungen wie auch die Pra­xis zei­gen, dass die Nut­zung von Be­ra­tungsangeboten als Schlüs­sel für die In­an­spruch­nah­me von Ent­las­tungsangeboten gilt. Sie kann zur Verbesserung der Le­bens­qua­li­tät der Be­tei­lig­ten bei­tra­gen so­wie den Ein­zug in ein Pfle­ge­heim verzögern. Doch Be­trof­fe­ne su­chen sich aus den unterschiedlichsten Gründen und trotz hoher Be­las­tung­en nur sel­ten Rat und Hilfe. Eine wichtige Barriere, die die In­an­spruch­nah­me von Be­ra­tungs- und Unterstützungsangeboten hemmen kann, ist die Un­über­sicht­lich­keit der Versorgungslandschaft, d.h. die Be­trof­fe­nen wis­sen gar nicht, wo sie wel­che Informationen und Hilfen be­kom­men. Sind ih­nen konkrete An­lauf­stel­len be­kannt, kann die mangelnde Er­reich­bar­keit, z.B. auf­grund von großer Ent­fer­nung oder unzureichender Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr ei­ner Nut­zung der An­ge­bo­te ent­ge­gen­ste­hen. Zudem wird die The­ma­ti­sie­rung des Krankheitsbildes De­menz oft im­mer noch als Tabu empfunden. Wenn ei­ne Be­ra­tung in An­spruch genommen wird, ist die häusliche Pfle­gesituation in den meisten Fällen be­reits in ei­ne Kri­se ge­ra­ten.

Anforderungen an ein Beratungsangebot für Pflegende

Es sind dem­zu­fol­ge vor allem Konzepte ge­fragt, die Pflegende ge­zielt und be­darfs­ge­recht un­ter­stüt­zen und sich da­bei am All­tag der Pflegenden ori­en­tie­ren. Gerade ländliche Kom­mu­nen ste­hen (u.a. be­dingt durch den demographischen Wan­del) da­bei vor großen Herausforderungen, wenn es um die Si­cher­stel­lung der pflegerischen Versorgungsangebote geht. Einen innovativen Weg schlägt hier der Rhein-Erft-Kreis in Nordrhein-Westfalen ein. Dieser bietet das Be­ra­tungsangebot „Für Sie ins Quar­tier“ als mobile und niedrigschwellige An­lauf­stel­le für Ratsuchende an, da­mit diese ih­re persönliche Si­tu­a­ti­on mit qualifizierten Be­ra­te­rin­nen und Beratern be­spre­chen und sich über das The­ma De­menz in­for­mie­ren kön­nen. Ein speziell ausgestattetes Be­ra­tungsfahrzeug fährt in regelmäßigen Abständen der­zeit ins­ge­samt 14 öffentliche Standorte im Rhein-Erft-Kreis an. Der trägerneutralen mobilen Be­ra­tung kommt da­bei ei­ne wichtige Lotsenfunktion zu, um den Be­trof­fe­nen den Zu­gang zu vorhandenen Versorgungs- und Unterstützungsangeboten zu er­leich­tern. Zudem soll die Prä­senz des Be­ra­tungsfahrzeugs zur Ent­ta­bu­i­sie­rung von De­menz in der Öf­fent­lich­keit bei­tra­gen.

Seit 2012 wird der Kreis von der TU Dort­mund, Lehrgebiet Soziale Ge­ron­to­lo­gie mit dem Schwer­punkt Lebenslaufforschung und der Forschungsgesellschaft für Ge­ron­to­lo­gie e.V./In­sti­tut für Ge­ron­to­lo­gie an der TU Dort­mund wis­sen­schaft­lich begleitet. Unter dem Ti­tel „MobiDem“ wer­den die Er­fah­rung­en in­ner­halb des Projektes im Rahmen der „Zukunftswerkstatt De­menz“ des Bundesministeriums für Ge­sund­heit wis­sen­schaft­lich aufbereitet. Unter Verwendung quantitativer und qualitativer empirischer Me­tho­den wurde ei­ne Fül­le von Da­ten und Informationen ge­sam­melt, die sich auf die In­an­spruch­nah­me der mobilen Be­ra­tung eben­so beziehen wie auf die Aus­wir­kung­en die­ser Be­ra­tung auf die Le­bens­qua­li­tät von pflegenden An­ge­hö­ri­gen und Menschen mit De­menz.

Nutzung der Mobilen Demenzberatung

Mo­bi­le Be­ra­tung wird in­ter­na­ti­o­nal in verschiede­nen Themenfeldern eingesetzt und spricht vor allem diejenigen an, de­nen die In­an­spruch­nah­me von institutionellen Be­ra­tungsangeboten schwerfällt. Auch im Rhein-Erft Kreis handelt es sich bei rund ei­nem Viertel der Be­ra­tungseinsätze um An­fra­gen, mit de­nen die Nut­ze­rin­nen und Nut­zer bislang kei­ne an­de­re In­sti­tu­ti­on kontaktiert haben. Insgesamt wurden in der gerontopsychiatrischen Be­ra­tung „Für Sie ins Quar­tier“ bis En­de 2014 506 Gespräche dokumentiert, von de­nen die In­an­spruch­nah­me in 93 Pro­zent der Fälle spon­tan oh­ne vorherige Terminabsprache erfolgte. Der Zu­gang zur Be­ra­tung wird da­durch er­leich­tert, dass der Bus an belebten und öffentlichen Plätzen im Stadt­bild prä­sent ist, wo­durch Ratsu­chende in Alltagssituationen das Be­ra­tungsfahrzeug auf­su­chen kön­nen.
Die meisten Ratsu­chenden kon­sul­tie­ren die mobile Be­ra­tung, weil sie im eigenen familiären Um­feld mit dem The­ma De­menz konfrontiert sind. Überraschend viele su­chen je­doch auch die Be­ra­tung mit dem Verdacht auf ei­ne eigene dementielle Er­kran­kung auf. Hinsichtlich der Be­ra­tungsinhalte zeigt sich ei­ne breite Themenvielfalt, die von den Beratenden umfassende Kenntnisse er­for­dern. Die An­fra­gen der Ratsu­chenden be­tref­fen in ers­ter Li­nie An­ge­bo­te der De­menzversorgung (konkrete An­ge­bo­te vor Ort) und das Krank­heits­bild De­menz, aber auch rechtliche Aspekte und Fra­gen zu So­zi­al­leis­tun­gen spie­len ei­ne Rol­le. Entscheidender für die Ratsu­chenden ist - ne­ben der inhaltlichen Di­men­si­on der Fra­gen - je­doch, dass ih­nen die mobile Be­ra­tung ei­nen Raum und die Mög­lich­keit eröffnet, Zu­spruch und „ein offenes Ohr“ zu er­fah­ren und „ein­fach mal da­rü­ber re­den zu kön­nen“. Dies stellt für viele be­reits ei­ne große Ent­las­tung dar. Ein besonderes Merkmal des Projektes sind zu­dem die Be­ra­tungsteams, in de­nen je­weils ei­ne hauptamtliche und ein ehrenamtliche Person zu­sam­men­ar­bei­ten. Diese Zu­sam­men­ar­beit wird von allen Be­tei­lig­ten als äu­ßerst gewinnbringend gesehen.

Auswirkung auf die Situation der Ratsuchenden

Im Rahmen der wissenschaftlichen Be­glei­tung wurden u.a. weiterfüh­rende Interviews mit pflegenden An­ge­hö­ri­gen geführt, die die mobile Be­ra­tung „Für Sie ins Quar­tier“ in An­spruch genommen haben. Die Befragten be­rich­ten ins­ge­samt sehr positiv über die Be­ra­tungssituation, da zu angefragten Themen hilfreiche An­re­gung­en ge­ge­ben wer­den konnten, aber auch „Mut gemacht“ wurde. Im Pflegealltag konnten im Vergleich zur Si­tu­a­ti­on vor der In­an­spruch­nah­me der Be­ra­tung schnell erste Veränderungen verzeichnet wer­den: Pflegende An­ge­hö­ri­ge be­rich­ten bei­spiels­wei­se da­von, dass sie durch die erhaltenen Informationen nun verständnisvoller mit den Pflegebedürftigen in­ter­agie­ren kön­nen. Der Wissensgewinn geht al­so mit einer Ent­las­tung der Pflegenden einher. Auch regen die Be­ra­tungsgespräche zur In­an­spruch­nah­me von zu­meist teilstationären stundenweisen Ent­las­tung­en an, die in der Konsequenz eben­falls zur Verbesserung des Pflegearrangements füh­ren so­wie einen positiven Ef­fekt auf die Ge­sund­heit der An­ge­hö­ri­gen haben kön­nen.

Mobile Beratung auch attraktiv für andere Regionen

Innerhalb der vergangenen Jahre hat sich die mobile Demenzberatung als ei­ne wichtige An­lauf­stel­le für die Ratsuchenden eta­blie­ren kön­nen. Für die Nut­ze­rin­nen und Nut­zer erfüllt das An­ge­bot ei­ne wichtige Lotsenfunktion und trägt durch sei­ne niedrigschwellige Aus­rich­tung we­sent­lich zu ihrer Ent­las­tung bei. Die mobile Demenzberatung versteht sich als ergänzendes und vernetzendes An­ge­bot in­ner­halb der Kom­mu­ne, das für die Be­trof­fe­nen den Zu­gang in bestehende Hilfeangebote er­leich­tert und nicht in Kon­kur­renz zu anderen Beratungsstellen steht. Vielmehr soll der Aus­tausch mit lokalen Ak­teu­rin­nen und Akteuren gefördert wer­den.
Nicht nur ländliche Regionen, son­dern auch Landkreise, in de­nen es we­nig Informationen für pflegende An­ge­hö­ri­ge gibt oder Randbezirke von größeren Städten kön­nen von ei­ner derartigen mobilen Demenzberatung profitieren.

Mehr über die wissenschaftliche Begleitung finden Sie unter www.mobidem.tu-dortmund.de
Mehr über das Beratungsangebot in der Praxis finden Sie unter www.fuer-sie-ins-quartier.de

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