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08.10.2024

Modellprojekt „Dezentrale Präventionsberatung“ im Landkreis Marburg-Biedenkopf

Kerstin Kowalewski
Rolf Reul
Birgit Wollenberg

Schlagwörter:Präventionsberatung, Kommunale Gesundheitsförderung, Partizipation, Netzwerkbildung, Modellprojekt

Einleitung

Das Modellprojekt „Dezentrale Präventionsberatung“ des Landkreises Marburg-Biedenkopf verfolgt das Ziel, die gesundheitliche Chancengleichheit in ausgewählten Kommunen zu fördern. Durch den gezielten Einsatz einer Gesundheitswissenschaftlerin als Präventionsberaterin sollen Akteur*innen vor Ort für Prävention und Gesundheitsförderung sensibilisiert und qualifiziert und Strukturen geschaffen werden sowie bedarfs- und bedürfnisgerechte Maßnahmen auf Verhältnis- und Verhaltensebene initiiert werden.

Das Modellprojekt ist gefördert von den Krankenkassen/Krankenkassenverbänden des Landes Hessen nach § 20a SGB V im Rahmen ihrer Aufgaben zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten. Es ist gestartet am 01.07.2022 und läuft bis zum 30.06.2026.

Hintergrund und Rahmenbedingungen

Der strukturelle Rahmen des Projekts ist die gemeinsame Initiative „Gesundheit fördern – Versorgung stärken“ des Landkreises Marburg-Biedenkopf und der Universitätsstadt Marburg, die auf eine lebensphasenübergreifende und integrierte Handlungsstrategie setzt. Ziel ist es, die körperliche und seelische Gesundheit der Einwohner*innen des Landkreises zu fördern, indem Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention bedarfsorientiert angepasst und partizipativ umgesetzt werden.

Für das Modellprojekt wurden sechs Modellkommunen identifiziert: Bad Endbach, Biedenkopf, Neustadt/Hessen, Kirchhain, Rauschenberg und Stadtallendorf. In diesen Kommunen besteht ein erhöhter Bedarf an präventiven Maßnahmen für verschiedene vulnerable Gruppen, darunter z.B. Migrant*innen, Alleinerziehende und ältere Menschen.

Ziele des Projekts

Das Hauptziel der dezentralen Präventionsberatung ist die Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit durch die Initiierung gesundheitsfördernder Strukturen und Maßnahmen in den beteiligten Kommunen. Die Präventionsberaterin erfasst gemeinsam mit lokalen Akteur*innen die spezifischen Bedarfe vor Ort, leitet bei einer partizipativen Zieleentwicklung an, bietet fachliche Beratung und Unterstützung für die Umsetzung von Projekten und Maßnahmen und die zugehörige Mittelakquise und fördert die Vernetzung der lokalen Akteur*innen. Durch diese Aktivitäten sollen bestehende Strukturen und Angebote gestärkt und neue Maßnahmen entwickelt werden, die auf die besonderen Bedürfnisse der Zielgruppen zugeschnitten sind. Das Handlungsfeld Prävention und Gesundheitsförderung soll in den Kommunen konzeptionell, strukturell und politisch verankert werden.

Umsetzung und Vorgehensweise

Das Vorgehen der Präventionsberaterin orientiert sich am Public Health Action Cycle. So wurden in den beteiligten Kommunen unter anderem Bedarfsanalysen durchgeführt, partizipative Prozesse initiiert und maßgeschneiderte Konzepte entwickelt, um die Akzeptanz und Nachhaltigkeit der Maßnahmen zu gewährleisten. Ein zentraler Aspekt der dezentralen Präventionsberatung ist eine enge Zusammenarbeit mit den Multiplikator*innen vor Ort und die Schaffung von Strukturen, wie zum Beispiel einem „Runden Tisch Kinder- und Jugendgesundheit“ oder ein lebensphasenübergreifendes Gesundheitsnetzwerk. In den Kommunen werden zudem Steuerungsgruppen für die Präventionsberatung implementiert, in welchen zumeist die Bürgermeister*in, die Ankerperson aus der Verwaltungsebene (z.B. Leitung Familienzentrum) und die Präventionsberaterin Strategien beschließen und deren Kommunikation nach außen bis hin zu einer politische Verankerung vorbereiten.

Praxisbeispiele und erste Erkenntnisse

Die ersten Erfolge des Projekts zeichnen sich durch die aktive Beteiligung lokaler Akteur*innen und die Schaffung neuer Netzwerkstrukturen aus. In Neustadt/Hessen wurden beispielsweise die Akteur*innen des Sozialraums mit der gesundheitsorientierten Qualifizierung „Gemeinsam.Gesund.Wachsen“ durch den Verein transfer e.V. befähigt und gründeten anschließend ein Gesundheitsnetzwerk, das sich inhaltlich begleitet durch die Präventionsberaterin nun für passgenaue Maßnahmen im Themenfeld Prävention und Gesundheitsförderung in der Kommune einsetzt. In Bad Endbach wurde mit dem Kinder- und Jugendparlament eine bewegungsorientierte Gesundheitsaktion für Kinder und Jugendliche partizipativ entwickelt, welche über die Jugendarbeit der Kommune dauerhaft umgesetzt werden soll. In mehreren Kommunen wurde der Bedarf benannt, Eltern hinsichtlich der Zahngesundheit ihrer Kinder zu befähigen. Durch die Präventionsberatung wurde vermittelt, dass die Zahnärztinnen des Gesundheitsamts nun regelmäßig Krabbelgruppen in drei Kommunen besuchen, um den Eltern Wissen und Kompetenzen zu vermitteln.

Zur Projekthalbzeit kann das Fazit gezogen werden, dass durch die Präsenz der Präventionsberatung in den Kommunen die Gesundheitsförderung und Prävention als Handlungsfelder präsenter geworden sind. Es wird kontinuierlich zu Bedarfen gesprochen, dazu passende Maßnahmen für die Zielgruppen geplant und umgesetzt, die Akteurinnen vor Ort werden qualifiziert und es werden produktive Netzwerkstrukturen aufgebaut. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist die enge Einbindung lokaler Ankerpersonen, die als Multiplikator*innen fungieren und die Umsetzung der Maßnahmen vornehmen.

Evaluation und Ausblick

Für die Evaluation des Projekts hat seit 01.02.2024 ein Begleitprojekt begonnen, welches ebenfalls gefördert ist von den Krankenkassen/Krankenkassenverbänden des Landes Hessen nach § 20a SGB V im Rahmen ihrer Aufgaben zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten. Es werden die Wirksamkeit der Präventionsberatung und die Erreichung der gesetzten Ziele im Rahmen einer externen Evaluation durch die Hochschule Neubrandenburg überprüft. Die Evaluation umfasst qualitative Methoden wie Fokusgruppen und Interviews mit den beteiligten Akteur*innen. Zudem wurde der Analysebogen, der im Rahmen des Programms „Präventionsketten Niedersachsen: Gesund aufwachsen für alle Kinder!“ entwickelt wurde, in einem partizipativen Prozess mit den Akteur*innen der Präventionsberatung und unter Anleitung durch zwei Mitarbeiterinnen der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e. V. angepasst und wird als Methode zur Selbstevaluation verwendet (Petras, K.; Humrich, W.; Brandes, S.; Richter-Kornweitz, A. (2023): Analysebogen zur Erstellung eines Fortschrittsdiagramms für Präventionsketten, lizensiert nach CC BY-SA. 4.0).

Ziel der Evaluation ist es, förderliche und hinderliche Faktoren zu identifizieren und daraus Handlungsempfehlungen für eine mögliche Ausweitung der Präventionsberatung auf weitere Kommunen und andere (Flächen-) Landkreise abzuleiten. Die praxisnahen Hinweise zur Umsetzung von Präventionsberatung in ländlichen Regionen werden zum Projektende im November 2026 in einer Abschlussveranstaltung zum Projekt vorgestellt.

Fazit

Die dezentrale Präventionsberatung im Landkreis Marburg-Biedenkopf ist ein innovativer Ansatz, um Prävention und Gesundheitsförderung kommunal zu verankern und Strukturen und Angebote zu schaffen, die zur Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit beitragen. Durch die gezielte Initiierung partizipativer Prozesse trägt das Projekt maßgeblich zur Stärkung der gesundheitlichen Ressourcen in den beteiligten Kommunen bei. Die geplante Evaluation wird dazu beitragen, die Effektivität dieses Ansatzes zu überprüfen und seine Übertragbarkeit auf andere Regionen einzuschätzen.

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