03.04.2013
Netzwerke bilden! Das Ludwigsburger Programm KiFa (Kinder- und Familienbildung)
Angelika Pfeiffer, Amanda und Erich Neumayer Stiftung / Programm KiFa / Kinder- & Familienbildung
Schlagwörter:Eltern, Familie, Ressourcen
Unser Umfeld - unser Bedarf
Das Projekt KiFa (Kinder- und Familienbildung) wird durch die Neumayer Stiftung unterstützt, die seit 2011 Partner für Verbreitung und Weiterentwicklung ist. Aktuell wird KiFa in Ludwigsburg, Kirchheim, Öhringen, Fellbach, Singen, Filderstadt, Ebersbach, Geislingen und Appenweiler umgesetzt. Seit 2012 gehen die Anschlusskonzepte „Kleinkind“ und „Grundschule“ in die Verbreitung.
KiFa ist in zwei Ludwigsburger Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf entstanden, denn dort leben viele Kinder in sozial benachteiligten Familien. In den Kindertageseinrichtungen sind nur wenige Kinder mit deutscher Familiensprache. Viele Kinder besuchen in diesen Stadtteilen eine Haupt- oder Förderschule, es gibt eine hohe Zahl von Schulabbrecher/innen und es sind überdurchschnittlich viele Jugendhilfemaßnahmen erforderlich. Die Arbeitslosigkeit der Eltern geht oft einher mit Schulden oder Suchtverhalten, ein Teufelskreis, der sich teilweise über Generationen fortsetzt.
Ziel des Programmes KiFa war von Anfang an, die Stärken und Ressourcen in den Familien zu aktivieren und Möglichkeiten der Mitwirkung und damit auch der Integration zu schaffen. Die Idee ging weg von der Förderung kurz- und mittelfristiger Projekte einzelner Träger und hin zu einem funktionierenden Netzwerk, welches träger- und behördenübergreifend über die Grenzen der jeweiligen Zuständigkeiten hinweg denkt und aktiv gestaltet. Dabei wird systematisch das Ziel verfolgt, gute Bildungs- und Teilhabechancen und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten für alle Kinder von Anfang an zu gewährleisten, unabhängig von ihrer Nationalität, ihrer sozialen Herkunft und ihrem Wohnort.
Unser Weg: Der Prozess - Entscheidungen - Leitziele
KiFa setzt bei den Stärken der Kinder und Eltern an und baut darauf auf, ihre Potentiale zu nutzen. Die Autonomie und Selbstbestimmung der Eltern, insbesondere der Frauen, wird dabei erhöht. Sie unterstützen sich gegenseitig und lernen voneinander. Hierdurch entsteht eine Gemeinwesenorientierung, die den Aufbau von aktiven Netzwerken innerhalb eines Stadtteils fördert. Bestärkt wird dies noch durch die feinmaschige Vernetzung der Angebote in den Kitas, die sich durch KiFa zu Kinder- und Familienzentren entwickeln. Kooperationen gibt es mit einer Erziehungs- und Sozialberatungsstelle, nach Bedarf mit weiteren Beratungsstellen, mit dem Jugendamt, dem Gesundheitsamt, der Stadtbibliothek sowie mit Vereinen, Schulen und Kirchengemeinden des Stadtteils. Durch die feste Implementierung von KiFa in der Kita erreicht man beide Lebenswelten der Familien. Förderung der Kinder findet in der Erst- und Zweitsprache, im Elternhaus und in der Kita statt.
Zentral bei KiFa ist der niederschwellige Zugang zu den Familien: die Kita wird als zentrale Anlaufstelle genutzt. Von besonderer Bedeutung sind die Mentor/innen als wohl wichtigste Ressource bei KiFa. Es sind ehrenamtliche Kita-Eltern, die als Vorbild und als Multiplikatoren im Stadtteil und in den Kitas wirken. Die Mentor/innen unterstützen und begleiten andere Eltern, sie bauen die nötigen Brücken.
Wie unser Netzwerk arbeitet
Startet eine Kommune bzw. eine Kita mit der KiFa-Umsetzung, wird im ersten Schritt eine Vereinbarung zwischen der Neumayer-Stiftung, der Kommune, den Kita-Trägern, den Kita-Teams, einer Erziehungs- und Sozialberatungsstelle und den KiFa-Trainer/innen geschlossen. Von Beginn an sind so alle Partner einbezogen und legen sich auf ein gemeinsames Ziel sowie bestimmte Qualitätsstandards bei der Umsetzung fest.
Ein Kita-Team besteht jeweils aus zwei Erzieher/innen, bis zu zwei Mentor/innen und einer Person, welche die Praxisbegleitung der jeweiligen Kita übernimmt. Eine vierteljährige Qualifizierung findet eng verzahnt mit der KiFa-Umsetzung in den Kitas statt. Zudem finden in der Kita der KiFa-Eltern-Infoabend, der erste KiFa-Schnupperkurs und dann die KiFa-Elternkurse bzw. Eltern-Kleinkind-Kurse statt. Geleitet werden die Elternkurse von den Mentor/innen, die Eltern mit Zielen und Methoden der Elementarbildung vertraut machen. Sie geben Anregungen, wie Eltern die Bildungs- und Entwicklungsprozesse ihrer Kinder begleiten und fördern können. Die Elternkurse greifen soziale, ökonomische und ökologische Themen aus dem Alltag des Kindes auf. Zu jedem Thema gibt es verschiedenste Aktivitäten und Materialien, die Mütter und Väter mit ihren Kindern zu Hause in der Muttersprache anwenden können. Die Eltern lernen auf diese Weise, wie sie durch regelmäßige Spiele und Anregungen im Alltag die Sprache, die Persönlichkeit und die Entwicklung der Kinder zu Hause fördern können.
Um die Mentor/innen und die Erzieher/innen zu entlasten und den Bedarfen der Familien gerecht zu werden, gibt es eine systematische Vernetzung mit einer Erziehungs- und Sozialberatungsstelle. Ein/e Mitarbeiter/in der Beratungsstelle bietet in den KiFa-Kitas regelmäßig Sprechstunden an, berät das Kita-Team und ist auch bei Elternabenden oder Sommerfesten anwesend. Diese Person ist den Eltern bekannt und vertraut.
Neben den Angeboten in der Kita finden auch Elternkurs-übergreifende Angebote bzw. Angebote für die Nachbarschaft, wie Büchereibesuche oder gemeinsame Ausflüge, statt. Neben den bisher beschriebenen drei KiFa-Säulen, Qualifizierung, Elternkurse bzw. Eltern-Kleinkind-Kurse und Vernetzung ist die vierte Säule die Qualitätssicherung. Wichtige Merkmale der Qualitätssicherung sind KiFa-Materialien, Teilnahme an Qualifizierung und Coaching, Praxisbegleitung der Kitas, systematische Vernetzung mit einer Erziehungs- und Sozialberatungsstelle sowie Supervision der KiFa-Trainer/innen.
Resümee: Einrichtungsspezifische Erfahrungen
Die nachhaltige Wirkung von KiFa zeigt sich in erfolgreichen Übergängen von KiFa-Kindern auf die Realschule oder das Gymnasium. Eltern berichten, dass für sie die intensive Begleitung und Unterstützung über einen langen Zeitraum sehr hilfreich war. Durch das KiFa-Anschlusskonzept für die Grundschule wird ein weiterer wichtiger Abschnitt begleitet und KiFa bietet durch diese Kontinuität eine hohe Verlässlichkeit. Mit Hilfe des Eltern-Kleinkind-Angebotes werden Familien im Stadtteil sehr früh erreicht. Die Familien haben eine frühe Bindung an die Kita und melden ihr Kind entsprechend frühzeitig an.
Die Evaluation durch die Evangelische Fachhochschule Freiburg bestätigt die positive Wirkung des Programms. Veränderungen bei den Eltern äußerten sich zum einen darin, dass sie mehr Zeit mit ihren Kindern verbrachten, zum anderen veränderte sich der Umgang mit ihren Kindern. Es gab weniger Konflikte und die Mütter konnten ihren Kindern Grenzen und akzeptierte Regeln setzen.
Die Erzieher/innen beurteilten das Projekt ebenfalls als positiv und konnten Veränderungen sowohl bei den Kindern als auch in der Zusammenarbeit mit den Eltern feststellen Die Kinder änderten ihr Spiel- und Essverhalten und berichteten von häuslichen Unternehmungen und Spielen. Die bessere Zusammenarbeit mit den Eltern äußerte sich hauptsächlich durch einen intensiveren Kontakt, vor allem zu den Müttern aus dem Elternkurs. Außerdem waren besonders diese Eltern sehr aktiv und organisierten verschiedenste Unternehmungen, die wiederum den Kontakt unter den Eltern förderten. Teamentwicklung und Anregungen, die die Kita-Arbeit nachhaltig veränderten, wurde darüber hinaus als positive Faktoren genannt.
Die positiven Änderungen durch KiFa spiegelten sich auch in der Sprachstandserhebung und -beobachtung der Kinder wider. Am eindruckvollsten sind hier die Ergebnisse im SISMIK-Bogen, der das Sprachverhalten und das Interesse an Sprache bei Migrantenkindern in Kitas erfasst. Die Erzieher/innen nahmen bei den Kindern in allen Bereichen nach neun Monaten signifikante Veränderungen im Sprachverhalten wahr.
Darüber hinaus trägt der Kurs zur Stärkung des Selbstwertes der Mütter bei. Die Frauen entwickeln den Wunsch, etwas für sich zu tun, sich weiterzuentwickeln.
Immer wieder entschließen sich KiFa-Teilnehmer/innen, sich als Mentor/in zu engagieren. Fatma Kalkan, eine türkische Mutter von vier Kindern, frühere Programmteilnehmerin, heute selbst Mentorin, sagt über KiFa: „Ich finde es toll, dass durch KiFa alle an einem Tisch sitzen, unabhängig von Schicht und Nationalität, um gemeinsam etwas für ihre Kinder zu bewegen. Ich selbst habe sehr davon profitiert, eine Menge gelernt und dadurch auch die Beziehung zu meinen Kindern vertieft.“
KiFa-Auszeichnungen sind: Anerkennung "Preis Soziale Stadt 2008“, Landesweiterbildungspreis Baden-Württemberg 2010, Nominierung für den Karl Kübel Preis 2011, Preisträger Wettbewerb der Bundesregierung „Bildungsidee“ 2011/2012 und Nominierung für den 5. IBK-Preis für Gesundheitsförderung und Prävention 2013.