04.08.2017
Partizipativ forschen - Wie geht denn das?
Kommunale Entwicklung von Gesundheitsstrategien (KEG): Wissenschaft und Praxis im Dialog
Petra Wihofszky, Hochschule Esslingen
Sandra Layh, Hochschule Esslingen, Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege
Das partizipative Forschungsprojekt „Kommunale Entwicklung von Gesundheitsstrategien“ (KEG) ist - ebenso wie Elfe - ein Teilprojekt im Forschungsverbund PartKommPlus. In Wissenschaft-Praxis-Partnerschaften wird in KEG erforscht, wie die Gesundheit auf Stadtteilebene gefördert werden kann. Im Fokus steht dabei immer die Orientierung an lokalen Bedarfen/den Bedarfen vor Ort.
Der Forschungsverbund für gesunde Kommunen geht der Frage nach, wie die kommunale Gesundheitsförderung partizipativ gestaltet werden kann. Der Forschungsverbund wird von 2015-2018 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Programms „Präventionsforschung“ gefördert. In fünf Teilprojekten forschen Partnerinnen und Partner seit dem Frühjahr 2015 in insgesamt acht Kommunen in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen und Niedersachsen. Mehr dazu hier.
KEG führt Fallstudien in Esslingen (Mettingen-Brühl-Weil) und Hamburg (Rothenburgsort) durch und hat es sich zum Ziel gesetzt, die (Weiter-)Entwicklung integrierter kommunaler Strategien oder so genannter Gesundheitsförderungs- und Präventionsketten zu untersuchen. Das Merkmal kommunaler Strategien ist die aufeinander abgestimmte Zusammenarbeit verschiedener Sektoren und Ressorts wie bspw. Soziales, Jugend, Bildung und Sport. Im Fokus von KEG steht daher die Erforschung förderlicher und hemmender Faktoren dieser Strategien. Hierfür kooperiert die Hochschule Esslingen in Hamburg mit der Hamburgischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung (HAG), dem Bezirksamt Hamburg-Mitte und der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV). In Esslingen sind die Stadt sowie zahlreiche Fachkräfte und Institutionen aus der Jugendarbeit des Stadtteils Partner der Hochschule. Die verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses - von der Entwicklung der Forschungsfrage bis hin zum Ergebnistransfer - werden in eigens hierfür eingerichteten Begleitgruppen zwischen allen Beteiligten abgestimmt. Die Begleitgruppe bietet, ganz im Sinne partizipativer Forschung, ein institutionalisiertes Forum, um alle anstehenden Schritte gemeinsam zu planen, zu diskutieren, umzusetzen und zu reflektieren (Aktions-Reflexion-Zyklus). Der Kreis der Begleitgruppe ist dabei offen und kann sich im Verlauf des Forschungsprozesses, entsprechend der Entwicklungen in den Fallstudien, erweitern. Aus diesem gemeinsamen Forschungsprozess lassen sich wiederum Erkenntnisse gewinnen, die der Weiterentwicklung partizipativer Forschung dienen.
KEG konkret - das Vorgehen
In beiden Fallstudien wurde eine Kooperationsvereinbarung geschlossen sowie die Verteilung der Aufgaben und Zuständigkeiten zwischen den beteiligten Projektpartnern abgesprochen. Die Ziele und der Ansatz von KEG wurden in kommunalen Ausschüssen und Gremien bekannt gemacht. In den Begleitgruppen wurden die Handlungsziele und die Instrumente zur Datensammlung konkretisiert. In beiden Stadtteilen in Hamburg und Esslingen konnten Bewohnerinnen und Bewohner für eine Mitwirkung als Mitforschende gewonnen werden. Nachdem die Mitforschenden in partizipativer Forschung geschult waren, begann die Phase der Datensammlung. Diese Daten wurden in der Begleitgruppe gemeinsam ausgewertet. Die Mitglieder der Begleitgruppe erarbeiten Konzepte zur Bekanntmachung und zum Transfer der Ergebnisse.
Methodik
In ihrem methodischen Vorgehen unterscheiden sich die beiden Fallstudien: Im Hamburger Stadtteil Rothenburgsort interviewten die Mitglieder der Begleitgruppe Teilnehmende eines multiprofessionellen Netzwerks, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, eine Gesundheitsförderungs- und Präventionskette im Stadtteil aufzubauen und umzusetzen. Ein Leitfaden wurde entwickelt, um die Ressourcen im Netzwerk aufzuspüren und die Zusammenarbeit zu stärken. Ergänzend dazu befragten Bewohnerinnen aus Rothenburgsort junge Familien aus dem Stadtteil über deren gesundheitliche Anliegen und Interessen. Die Perspektive der Bewohnerschaft ist für die Weiterentwicklung der Gesundheitsförderung vor Ort wesentlich. Die Ergebnisse der Befragungen der Netzwerkmitglieder sowie der Bewohnerschaft sollen künftig in die Beratung von kommunalen Partnern beim Aufbau von Gesundheitsförderungs- und Präventionsketten einfließen. Des Weiteren entsteht ein Video über die Fallstudie und deren Ergebnisse.
Den methodischen Hintergrund beider Befragungen bildet der Ansatz „Appreciative Inquiry”. Dieser aus der Organisationsentwicklung stammende Ansatz wurde für die eigene Forschungsarbeit angepasst.
Appreciative Inquiry (AI)
„Appreciative“ lässt sich mit wertschätzend übersetzen. Bei AI geht es um die Wertschätzung des Besten der Menschen und der Organisation, um das Bejahen und Bestätigen von Stärken und Erfolgen. AI identifiziert die bereits bestehenden Elemente, die Lebendigkeit und Kraft in eine Organisation bringen, die sogenannten belebenden Faktoren.
Inquiry kommt von „to inquire“, was man mit erkunden oder untersuchen übersetzen kann. Es geht darum, die Juwelen - das, was in der Organisation bereits gut funktioniert - durch gezielte Fragen zu entdecken. Das bereits bestehende Potenzial zum Erfolg und die Möglichkeiten, wie man den Erfolg wiederholen kann, werden aufgespürt.“
Quelle: Zur Bonsen, M.; Maleh, C. (2012). Appreciative Inquiry (AI). Der Weg zu Spitzenleistungen. Weinheim und Basel: Beltz Verlag. S. 18
Im Esslinger Stadtteil Mettingen-Brühl-Weil erfolgte die Datenerhebung über das Anfertigen von Fotografien und Videos durch jugendliche Mitforschende. Jugendliche, die selbst im Stadtteil leben, dokumentierten so ihre eigene Perspektive auf den Stadtteil und dessen gesundheitliche Ressourcen, Potenziale und Herausforderungen. Gemeinsam mit den Jugendlichen wurden die Fotos und Videos in Workshops diskutiert und bewertet. Ein Video entstand, das die zentralen Ergebnisse aufzeigt. In diesem kommen die Jugendlichen selbst zu Wort. Derzeit tauschen sich Fachkräfte und jugendliche Mitforschende in der Begleitgruppe über die Ergebnisse aus und erarbeiten erste Umsetzungsschritte. Bei einem Fest im Stadtteil stellen die Jugendlichen ihre Ergebnisse vor und diskutieren diese mit der Bewohnerschaft. Ziel der Esslinger Fallstudie ist es, die Sichtweisen der Jugendlichen in die Planung gesundheitsfördernder Maßnahmen im Stadtteil einzubeziehen. Gesundheitsförderung soll sich damit an den Anliegen der Menschen vor Ort orientieren. Die in Esslingen angewandte Methode Photovoice steht in der Tradition partizipativer Aktionsforschung.
Photovoice
Die von Wang und Burris entwickelte qualitative Forschungsmethode „Photovoice“ bietet eine kreative und partizipative Möglichkeit, um Jugendliche aktiv in einen Forschungsprozess einzubinden. Mit einer bestimmten Frage gehen diese in ihr Lebensumfeld und dokumentieren es visuell. Die so entstehenden Fotos werden dann in Gruppen diskutiert. Im Nachgang werden die Ergebnisse dieses Austauschs gemeinsam mit den Beteiligten ausgewertet. So verfolgt die Methode Photovoice einerseits das Ziel, die Perspektive der Mitforschenden zu verstehen, andererseits fördert sie Empowerment- und Veränderungsprozesse.
Näheres erfahren Sie z. B. unter: https://photovoice.org/