05.11.2021
Prozessschritte von Prävention und Gesundheitsförderung auf kommunaler Ebene für mehr Wohlbefinden individuell und in der Gesellschaft
Martina Metz, Gesundheitsamt Region Kassel
Schlagwörter:Kommunale Strukturen
Einleitung
Prävention und Gesundheitsförderung erhalten durch das 2016 in Kraft getretene Präventionsgesetz neue Impulse durch erweiterte Fördermöglichkeiten. Besonders auf kommunaler Ebene besteht die Chance, Strukturen weiterzuentwickeln sowie Prävention und Gesundheitsförderung zu verstetigen.
Im Folgenden wird eine Theorie des Wandels dargestellt, die auf kommunaler Ebene den Strukturaufbau für Prävention und Gesundheitsförderung begleiten kann.
Eine Theorie des Wandels
Basis für die hier vorgestellte Theorie des Wandels ist das Verhältnis von Emotion und Ratio. Heath und Heath (2010 S 14) beschreiben dieses mit einem Symbolbild von Elefant und Reiter (vgl. Abb 1). Der Elefant ist ein starkes Tier und steht für die Energie, die in Emotionen steckt. Elefant bzw. Emotionen interessieren vor allem schnelle Erfolge und kurzfristige Ziele. Der Reiter bzw. die Ratio hingegen stellen Planung und Richtung zur Verfügung. Damit steht der Reiter eher für Zukunfts-gerichtetes Denken und langfristige Ziele.
Abbildung 1: Elefant mit seinem Reiter als Bild für Emotionen und Ratio (eigene Zeichnung; nach Heath und Heath 2010)
Häufig ist der erste Impuls, um jemanden zu überzeugen, Daten zu präsentieren. Dem Reiter bzw. der Ratio soll klarwerden, warum Veränderung gut ist. Die Ratio springt auf dieses Vorgehen an, Emotionen aber nicht. Wenn Wandel gelingen soll, dann müssen beide, Emotionen und Ratio, beachtet werden. Verschiedene Maßnahmen sind möglich, um das Konfliktpotenzial zwischen Ratio und Emotionen zu umgehen (Heath und Heath 2010, Kelley und Kelley 2013):
a) Die Ziellinie nach vorne schieben
Wenn Menschen zu Beginn eines Veränderungsprozesses schon das Gefühl haben, dass sie einen Teil des Weges bewältigt haben, so ist dies motivierend. Die Ziellinie fühlt sich dann schon etwas näher an. Dieses Prinzip wird deutlich bei Bonuskarten. Es fühlt sich gut an, wenn eine 12er-Karte ausgegeben wird, bei der die ersten beiden Käufe schon abgehakt sind.
b) Den Wandel verkleinern
Wenn das Problem nicht mehr so groß erscheint, so sinkt der Widerstand des Elefanten. Am Beispiel Ernährung ist der Widerstand häufig sehr hoch, wenn die notwendigen Veränderungen zahlreich und der Aufwand hoch sind (vgl. Heath und Heath 2010 S 129ff). Um die Hürden für eine Ernährungsumstellung zu verkleinern, wäre es ratsam, erstmal den Aufwand klein zu halten, d.h. wenige, aber effektive Maßnahmen umzusetzen.
c) Den Weg erleichtern
Den Weg zum Ziel zu erleichtern, bedeutet einige wichtige Schritte konkret vorauszuplanen (vgl. Heath und Heath 2010 S 182f), sodass auf dem Weg zum Ziel weniger nachgedacht werden muss. Es ist eine Art kognitive Vorleistung. Jede Entscheidung bedeutet Energieaufwand. Je mehr Entscheidungen notwendig sind, desto aufwändiger ist der Prozess und desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er durchgeführt wird. Wenn man z.B. möchte, dass ein Lebensmitteleinkauf möglichst gesund ist, so sollte er geplant werden: wo, wann, was usw. eingekauft wird.
d) Die Umwelt verbessern
Menschen werden von ihrer Umwelt beeinflusst, seien es andere Menschen oder Umweltbedingungen. Viele Menschen zeigen eine Art Herdenverhalten (vgl. Heath und Heath 2010 S 206). Dies kann positiv genutzt werden. Es können neue soziale Normen kreiert werden, die gesünder sind, als die bestehenden. Hier wird vor allem der Elefant aktiv, der nicht alleine sein, sondern zu einer Gruppe gehören möchte.
e) Veränderung als Experiment begreifen
Wenn wir Veränderungen als Experimente begreifen, dann können wir die Akzeptanz erhöhen (Kelley und Kelley 2013 S 176). Der Vorteil ist, dass Experimente den Anschein machen, dass sie nicht für die Ewigkeit sind, sondern über einen kürzeren Zeitraum unverbindlich etwas Neues ausprobiert wird. Eine Rückkehr zum Ausgangspunkt ist immer möglich, ein Abbruch optional und eine Weiterführung wird nur umgesetzt, wenn das Experiment erfolgreich war.
f) Die Menschen stärken (Empowerment)
Empowerment kann auf drei Ebenen erfasst werden (Brown 2018 S 97). Es geht um eine gemeinschaftliche Ebene, auf der Menschen einen gemeinsamen Weg finden und ihre individuellen Stärken zu einem größeren Ganzen zusammenwirken. Eine zweite Ebene ist die individuelle Ebene, auf der jede Person ihr individuelles Potenzial entfaltet. Eine dritte Ebene bezieht sich auf die Beziehungsebene, auf der Akzeptanz und Toleranz herrschen für Individualität und unterschiedliche Persönlichkeiten.
Schritte der Weiterentwicklung
Daraus leiten sich folgende Schritte zur Weiterentwicklung kommunaler Strukturen für Prävention und Gesundheitsförderung ab. Sie bauen aufeinander auf, können in ihrer Reihenfolge jedoch verändert werden.
„Motivation“: erste Maßnahme mit schnellem Erfolg
Hier geht es darum, ins Handeln zu kommen und eine neue Routine zu etablieren. Die erste Maßnahme sollte einfach, unbürokratisch umsetzbar, möglichst barrierefrei, klar und gut zu messen sein. Brown (2018 S 5f) schreibt: „We know that the way to move information from your head to your heart is through your hands.“ Reiter und Elefant werden somit über das Handeln miteinander verbunden.
„Selbstverpflichtung“ zu Gesundheit
Hier ist es noch nicht wichtig, genau zu wissen, wie in der Zukunft gehandelt wird und welche Veränderungen notwendig sind. Wichtig ist das grundsätzliche „JA“ zu Gesundheit.
Eine Art Vertrag mit sich selbst legt den Samen. Er ist auf allen Verantwortungsebenen wichtig, in der Bürgerschaft ebenso wie auf Steuerungsebene. Eine Selbstverpflichtung abzugeben, ist freiwillig.
„Persönlichkeit“: Sich selbst (die Organisation) besser kennen
Das Suchen und Finden der eigenen Werte legt einen wichtigen Grundstein für den weiteren Prozess. Es geht hier darum, sein „Element“ zu finden (Robinson und Aronica 2014 S 6f, 123). Geeignet erscheint eine Art biografisches Portfolio. Eine schnelle Methode ist die Arbeit mit einer Werteliste (Brown 2018).
„Vision”
Eine gute Vision wirkt anziehend, attraktiv und motivierend. Sie gibt Orientierung z.B. wenn eine Entscheidung getroffen werden muss. Die grundlegende Frage ist, was brauchen Menschen, um sich wohl zu fühlen? Mögliche Antworten sind: Sicherheit (finanziell, materiell, Beziehungen, ...), Zugehörigkeit, Spiritualität und Zuversicht, Kompetenz und Verantwortung, Selbstkenntnis und Selbstvertrauen.
„Kreativität“: Ideen entwickeln
Es gibt zahlreiche Methoden zur Ideensammlung. Ein Brainstorming ist eine Option. Möglich sind auch die Disney-Methode mit Visionär, Kritiker und Realist oder die Kopfstandmethode, die vor allem gut geeignet ist, wenn ein Problem bisher schwer zu lösen war.
„Evaluation“
Grundsätzlich lassen sich Ergebnis- und Prozessevaluation unterscheiden. Beides ist wichtig für Prävention und Gesundheitsförderung. Welche Indikatoren und Methoden eingesetzt werden, entscheidet sich auf Basis des konkreten Vorhabens. Vorteilhaft ist eine externe Evaluation, um Umsetzung und Bewertung zu entkoppeln.
Schluss
Veränderungsprozesse anzustoßen und durchzuhalten, benötigt Selbstreflexion und Mut. Es erfordert, seine Werte zu kennen, ihnen zu vertrauen und zu folgen. Um das eigene und das Wohlbefinden anderer zu verbessern, ist viel Anstrengung und die Integration verschiedener Voraussetzungen notwendig. Die beschriebene Theorie eines Wandels und die begleitenden Schritte stellen eine Chance für einen gelingenden Prozess dar. Beides muss sich in der Realität beweisen. Ein Gelingen ist nicht garantiert.
Literatur
Brown B (2018): Dare to lead. Brave work. Tough conversations. Whole hearts. Vermilion, London
Heath C, Heath D (2010): Switch. How to change things when change is hard. Crown Business, New York
Kelley D und Kelley T (2013): Kreativität und Selbstvertrauen. Der Schlüssel zu Ihrem Kreativbewusstsein. Hermann Schmidt Verlag, Mainz
Robinson K, Aronica L (2014): Finding your element. How to discover your talents and passions and transform your life. Penguin books, London
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