16.12.2024
Queer Gesundheit - Einfluss gesellschaftlicher Diskriminierung auf die Gesundheit von Betroffenen
Schlagwörter:Queer, Diskriminierung
Warum ist das Thema relevant?
In Deutschland leben laut Statistik von den 83,2 Millionen Menschen 12,5 Millionen Queer Menschen (vgl. Statista, sexuelle Orientierung, 2020) mit einer vermuteten hohen Dunkelziffer. Gewalt und Diskriminierung gegenüber Queer Menschen werden in allen gesellschaftlichen Bereichen mit steigender Tendenz sichtbar (vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Hasskriminalität, 2024). Die Ursachen für Pathologisierungen und Diskriminierung von Queer Menschen in der Vergangenheit, Gegenwart sowie Zukunft in Deutschland, Europa und der Welt sind vielseitig und historisch mit über Jahrhunderte, tief in der Gesellschaft verankerten Werte- und Normvorstellungen begründbar (vgl. Hinz A., Geschichte der Sexualität, 2021). Eine nicht heterosexuelle Orientierung und Identität galt und gilt in Teilen der Welt (vgl. Ipsos, LGBT+ Pride Global Survey Report, 2023) noch immer in der Politik per Gesetz als Straftat (Legal bis Todesstrafe), in der Religion als Schande und in der Medizin und Pflege als krankhaft und behandlungswürdig. Diese gesellschaftliche Verankerung stellt Queer Menschen in der Anerkennung ihrer Menschenrechte vor große Herausforderungen. Des Weiteren werden politische Diskrepanzen und ein Erstarken der rechten Politik mit großer Besorgnis beobachtet (vgl. Die Bundeswahlleiterin, Ergebnisse Europawahl, 2024). Diese Unterschiede und Formen der gesellschaftlichen Diskriminierung können starke Stressoren für Queer Menschen darstellen und das Wohlbefinden signifikant einschränken, was wiederum zu gesundheitlichen Belastungen führen kann, die auf Dauer die Gesundheit beeinflussen und zu Krankheit führen können (vgl. Rheingold Institut, IKK, Hambrock, U. et. al., Vorurteile und Diskriminierung, 2021). Das sich Vorurteile und Stigmatisierung als soziale Stressfaktoren negativ auf die Gesundheit von Queer Menschen auswirken, beschreibt auch Ilan Meyer in seinem Minderheitsstressoren-Modell „minority stress“ (vgl. VLSP, Minderheitenstress Modell nach Meyer, 1995)
Das Gesundheit mit dem körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefinden eines Menschen einhergeht, definierte die Weltgesundheitsorganisation WHO bereits 1946. Zitat: „Gesundheit ist ein Zustand des völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Fehlen von Krankheit und Gebrechen.“ (Klemperer, D. et. al., Sozialmedizin Public Health, Zitat WHO Gesundheit, 2020)
Welche Theorien und Modelle stellen die theoretische Grundlage dar?
Determinanten der Gesundheit (Dahlgren & Whitehead)
Nach dem Modell von Dahlgren und Whitehead (vgl. Bruns, W., Gesundheitsförderung, Determinanten Gesundheit, Dahlgren/Whitehead, 2013) wirken auf die Gesundheit von Menschen in den jeweiligen Settings, Lebenslagen und Situationen viele unterschiedliche Determinanten ein. Allgemeine Bedingungen der sozio-ökonomischen, kulturellen und physiologischen Umwelt sowie Lebens- und Arbeitsbedingungen, soziale und kommunale Netzwerke, individuelle Lebensweisen und persönliche Faktoren können hierbei sowohl einen positiven als auch einen negativen Einfluss auf die Gesundheit haben.
Zusammenhang soziale und gesundheitliche Ungleichheiten (Mielck)
Mielck (vgl. Klärer, A. et al. Soziale und gesundheitliche Ungleichheiten, 2020) beschreibt in seinem Modell, dass soziale Ungleichheiten innerhalb einer Gesellschaft Unterschiede in der gesundheitlichen Belastung, in den Bewältigungsressourcen sowie in der Gesundheitsversorgung darstellt. Diese Belastungen und Unterschiede können wiederum Einfluss auf das individuelle Gesundheits- und Krankheitsverhalten nehmen und gesundheitliche Ungleichheit schaffen. Eine gesellschaftlich erschaffene, gesundheitliche Ungleichheit wirkt laut Mielck wiederum als Verstärker für soziale Ungleichheiten.
Salutogenese Modell (Antonovsky)
Das Salutogenese-Modell (vgl. Rusch, S., Stressmanagement, Salutogenese Modell Antonovsky, 2019) beinhaltet ein Gesundheits- und Krankheitskontinuum und beschreibt Gesundheit sowie Krankheit als dynamischen Zustand und Stressoren sowie Spannungszustände als Mechanismen, die auf die Krankheitsentstehung bzw. auf die Gesunderhaltung wirkt. Ein Spannungszustand als psychophysiologische Aktivierung durch eine Stressreaktion und Stressoren als Reize oder Stimuli, die durch die subjektive Bewertung einer Person zum Stressor wird und einen Spannungszustand auslöst. Laut Antonovskys Theorie führt ein anhaltender Spannungszustand zu Krankheit und eine zeitnahe Spannungslösung durch Ressourcen oder Coping zur Bewältigung und Gesundheit. Widerstandsressourcen werden hierbei als entscheidender Faktor benannt sowie das Kohärenzgefühl als zentrales Element, welches die Bewältigung wiederholter Erfahrungen wie Stresssituationen, Belastungen und Anforderungen integriert und das Leben als handhabbar, sinnhaft und verständlich wahrzunehmen.
Die zentrale ForschungsfrageWelche Ressourcen stärken Queer Menschen, um ihre Gesundheit vor gesellschaftlicher Diskriminierung zu schützen und um gesund zu bleiben? |
Methodik
Nach Auswahl der Stichprobe nach Top-Down-Verfahren auf theoretischer Grundlage (Typischer Fall, Erwachsene aus dem LGBTIQ Spektrum, Diskriminierungserfahrungen) wurden durch neun leitfadengestützte Betroffeneninterviews Daten erhoben.
Ergebnisse
Die Ergebnisse, welche aus den neun Betroffeneninterviews generiert wurden und die Hauptressourcen für die Gesundheit zur Stärkung und zum Schutz der Gesundheit vor gesellschaftlicher Diskriminierung von Betroffenen sind, werden im Folgenden mit ausgewählten Interviewzitaten dargestellt:
- Soziale Unterstützung (Familiäre Unterstützung, Freundschaften, Familie, Freund:innen, Kommunikation Freundeskreis, Partner:in, Peers/Queer Community, unterstützende Menschen, Miteinander, Ansprechpersonen, Lehrende Setting Schule)
Die Hauptressource soziale Unterstützung hat das große Potenzial, gesundheitsförderlich zu wirken, Betroffene zu stärken und zu schützen. Wohingegen eine fehlende oder mangelnde Unterstützung sowie Diskriminierungen innerhalb dieser Determinante einen starken Stressor für Queer Menschen darstellen und sich negativ auswirken kann.
Zitat Interview: „dass du halt weißt, du hast Leute hinter dir die dich bestärken, indem was du bist und VORALLEM die dich genau so sehr LIEBEN!“
Zitat Interview: „ALLIES, also verständnisvolle Personen im Allgemeinen, die einem ein GUTES Gefühl geben und sagen, mit dir ist alles richtig, du musst dir keine Sorgen machen, AUCH WENN DEINE ELTERN DICH VERSTOSSEN“
- Gesetzesschutz (Grundgesetz, Gleichstellung, Gesetzesschutz sexualisierte Gewalt, Gesetzesschutz queerfeindliche Gewalt, Gesetzesschutz Queerfeindlichkeit, Polizei, Schutzräume, Schutzmaßnahmen öffentlicher Raum, Sicherheitsgefühl)
Zitat Interview: „AN DEN GRUNDFESTEN DER GESELLSCHAFT müssen wir arbeiten und nicht immer nur bitten und betteln und Toleranz! Man muss halt die Rahmenbedingungen dafür verändern!“
Zitat Interview: „dass die POLITIK SEHR SCHNELL ÄNDERN KANN! Und ja DER GEDANKE WAS MAN DANN MACHT? Also, dass man immer denkt, Okay was mache ich dann? Wo gehe ich hin? Dass man immer so einen NOTFALLPLAN HAT! ODER FAST HABEN MUSS!“
- Queer Inklusion (Gesundheitsforschung, Gesundheitssystem, Psychotherapie, Bildungssystem, Gesellschaft, diskriminierungsfreier Zugang Gesundheitsversorgung)
Zitat Interview: „VIELMEHR EINFACH GLEICHHEIT EQUALITY DIVERSITY ABBILDEN schon in der Schule! Ohne dass man mit diesem Mindset, mit diesem totalen TOTAL BINÄREN MINDSET! an Themen geht“
Zitat Interview: „wenn du sowohl versuchst, auf die Damentoilette zu gehen, als auch versuchst, auf die Herrentoilette zu gehen, und einfach AUS BEIDEN RAUSFLIEGST!“
Zitat Interview: „Bildung wird Forschung vorantreiben und wird dann die Versorgung verbessern!“
Zitat Interview: „DASS MAN ES EINFACH MITDENKT bei der Konzeptionierung von morgen“
- Kohärenzgefühl
Diese erworbene Kompetenz kann genutzt werden, um Stressoren wie gesellschaftliche Diskriminierung zu bewältigen und das Leben als handhabbar, sinnhaft und verstehbar wahrnehmen sowie sich zu schützen und selbstbestimmter zu fühlen (vgl. Rusch, S., Stressmanagement, Salutogenese nach Antonovsky, 2019)
Zitat Interview: „Ja, muss ja (--) also ich kann ja nicht ständig weinen!“
Zitat Interview: „auch so ein bisschen darüber lachen, weil viele Situationen ja auch gerade die NICHT SO GANZ BEDROHLICHEN, wenn auch sehr diskriminierenden Situationen ein gewisser tragischer Comic entbehren (lach)“
- Sensibilisierung im Setting (Familie, religiöse Familie, Community, Gesellschaft, Öffentlichkeit, Schule)
Zitat Interview: „dass man einfach (--) die gleichen Ressourcen nutzen kann WIE ALLE! Und nicht spezifisch nach Personen suchen muss, die (--) ja Verständnis für solche Themen haben oder geschult sind“
Zitat Interview: „deshalb bewege ich mich eigentlich in solchen diskriminierenden Situationen NUR, wenn es gar nicht anders geht!“
Zitat Interview: „meine Großeltern, die auch so sozialisiert sind und auch meine Mutter, DASS DAS HALT etwas Abnormales sei in deren Augen“
- Bildung und Aufklärung im Setting (Anpassung Curricular Schule, Gesundheitsberufe und Psychotherapie, Aufklärungsarbeit Öffentlichkeit und Land)
Zitat Interview: „in einer aufgeklärteren Gesellschaft würden sich viele Problematiken gar nicht erst stellen und „Queerness“ würde mitgedacht werden!“
Zitat Interview: „Therapeutin hat darauf einfach ABSOLUT FEHLENDES VERSTÄNDNIS FÜR! (.) Für Queer sein offensichtlich generell! Weil sie mir Themen ja TOTAL ABERKANNT HAT! ALSO SIE HAT MIR THEMEN REGELRECHT ABGESPROCHEN!“
- Medien (Mediale Sichtbarkeit, Mediale Vorbilder, stigmatisierungsfreie Darstellung)
Zitat Interview: „VORALLEM zu sehen, dass das im FERNSEHEN LIEF, WAR FÜR MICH SO DER BEFREIUNGSSCHLAG!
- Eigenschutz Der Eigenschutz, definiert als aktives Meiden der Sichtbarkeit zum persönlichen Schutz vor gesellschaftlicher Diskriminierung, kann eine temporäre Schutzmaßnahme darstellen. Werden Queer Menschen von der Gesellschaft als normkonform wahrgenommen, kann eine direkte Konfrontation vermieden werden, welche häufig Auslöser für Diskriminierungen, Übergriffe oder Gewalt ist (vgl. Antidiskriminierungsstelle, Kalkum, D. et. al., Diskriminierungserfahrungen, 2017). Das dauerhafte aktive Herbeiführen einer Unsichtbarkeit, um sich vor Übergriffen durch die Gesellschaft zu schützen, kann aber auch einen starken Stressor darstellen und einen negativen Einfluss auf die Gesundheit haben (vgl. Klemperer, D. et. al., Sozialmedizin Public Health, 2020). Aus dieser Perspektive lassen sich eher die Werte und Normen innerhalb einer Gesellschaft infrage stellen, die Queer Menschen dauerhaft Stressoren in Form von struktureller Diskriminierung aussetzt (vgl. Scherr, A. et.al., Diskriminierung, 2017)
Zitat Interview: „Und ich auch sagen würde, dass ich sowieso vorsichtig bin! AlsoHÄNDCHENHALTEN IN DER ÖFFENTLICHKEIT mach ich kaum (.) Küssen sowieso nicht!“
Zitat Interview: „NA GUT, ABER ICH WAR AUCH IMMER SEHR VORSICHTIG! IN BESTIMMTEN BEREICHEN BIN ICH AUCH NIE MIT MEINER FREUNDIN SO HÄNDCHENHALTEND DURCH DIE GEGEND GELAUFEN!“
- Wohnort (Stadt-Land)
Zitat Interview: „wir leben ja auch hier in einer Bubble in Berlin, deswegen ist das vielleicht ein doofer Vergleich und (.) was mir jetzt auch so ein bisschen das Selbstbewusstsein gibt, so mit diesen Situationen umzugehen“
Zitat Interview: „so als junger Mensch auf so einem Dorf ist natürlich immer schwierig, wenn man dann doch irgendwie merkt, MAN IST ANDERS, aber man kann es auch noch gar nicht so richtig begreifen“
- Teilhabe
Zitat Interview: „FINDE ICH SCHON KRASS, DASS SIE, WEIL SIE AUCH MEINEN SPRACHGEBRAUCH ÜBERNIMMT, DAS TRÄGT SIE DORT REIN, ABER ES BRAUCHT IHRE WISSENSCHFTLICHE ANERKENNUNG, DASS DAS THEMA EINKOMMT (...) Wenn ich mich dahingestellt hätte, hätte es keiner aufgenommen!“
- Berufs- und Bildungsbereich
Definition: Die Hauptressource Berufs- und Bildungsbereich kann präventiv für die Queer Gesundheit sein, wenn die Unternehmen und Institutionen die Dimension Queer mitdenken, queerfreundliche Bedingungen schaffen und diese in der Unternehmenskultur verankern. Hierbei können aktiv Stressoren abgebaut und ein diskriminierungsfreier Zugang in die Bereiche ermöglicht werden.
Zitat Interview: „als ich angefangen habe, mich zu bewerben, war es immer nur ein VORTEIL! Weil es halt wirklich in diesem Beruf so ist, als Innenarchitekt bist du sowieso schon in der schwulen (.) Berufsauswahl, würde ich jetzt mal so sagen, wie Friseur oder Pfleger“
Wie lassen sich die generierten Ergebnisse (Gesundheitsressourcen) aus den Betroffeneninterviews mit der theoretischen Grundlage von Dahlgren & Whitehead, Mielck, und Antonovsky vergleichen bzw. übertragen?
Determinanten und Ressourcen der Queer Gesundheit (in Anlehnung an Determinanten der Gesundheit, Dahlgren & Whitehead)
Die Ergebnisse zeigen, wie nach dem Modell Determinanten der Gesundheit von Dahlgren und Whitehead, dass unterschiedliche Determinanten der allgemeinen Bedingungen, Faktoren individueller Lebensweisen, Unterstützende soziale und kommunale Netzwerke, Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie persönliche Faktoren, Einfluss auf die Gesundheit von Queer Menschen haben und sich sowohl positiv als auch negativ auf die Gesundheit auswirken können. Hierbei kann es für die Queer Gesundheit entscheidend sein, wie diskriminierend sich eine Gesellschaft in der jeweiligen Determinante zeigt. Das Robert Koch-Institut (RKI) stützt diese These zur Queer Gesundheit im Journal of Health Monitoring (vgl. RKI, Journal of Health Monitoring, Pöge, K. et.al., gesundheitliche Lage, 2020), indem es beschreibt, dass die Lebenslage und die gesundheitliche Situation von Queer Menschen davon abhängig ist, wie frei und selbstbestimmt sie innerhalb einer Gesellschaft leben können und welche Diskriminierungen, Teilhabechancen sowie gesellschaftlichen Ressourcen damit verbunden sind. Werden die generierten Ergebnisse (Gesundheitsressourcen) in das Modell der Determinanten übertragen, ergibt sich folgende Abbildung:
Determinanten und Ressourcen der Queer Gesundheit
Soziale und gesundheitliche Ungleichheiten aus Queer Perspektive (in Anlehnung an Zusammenhang soziale und gesundheitliche Ungleichheiten, Mielck)
Nach dem Modell von Mielck, der einen Zusammenhang zwischen sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit beschreibt, ist es entscheidend, welche Chancengleichheiten und Gesundheitsressourcen für Queer Menschen in einer überwiegend heteronormativ denkenden Gesellschaft bestehen. Das RKI (vgl. RKI, Journal of Health Monitoring, Pöge, K. et.al., gesundheitliche Lage, 2020) stützt diese These, indem es beschreibt, dass die heterosexuelle Ausrichtung einer Gesellschaft ein erhebliches Gesundheitsrisiko für Queer Menschen aufgrund der Vorstellung darstellt, dass es ausschließlich zwei biologisch und sozial übereinstimmende Geschlechter, Frauen und Männer gibt, die sich in ihrer sexuellen Orientierung zueinander hingezogen fühlen. Diese Vorstellungen und Erwartungshaltungen können Queer Menschen nicht einhalten und sind Diskriminierungen ausgesetzt, die sich bis zum Ausschluss aus bestimmten gesetzlichen Regelungen, der Forschung sowie der Gesundheitsversorgung ausweiten können. Des Weiteren können durch diese gesellschaftlichen Erwartungshaltungen und Vorstellungen Ungleichheiten entstehen, die für Betroffene Unterschiede in den gesundheitlichen Belastungen, Ressourcen und in der Versorgung darstellen. Die Unterschiede können sich als Barrieren, Stressoren oder Mangelversorgung zeigen, die wiederum das Gesundheits-, und Krankheitsverhalten beeinflussen können und gesundheitliche Ungleichheiten schaffen. Nach Mielck verstärken diese gesundheitlichen Ungleichheiten wiederum die soziale Ungleichheit. Gefördert wird soziale Ungleichheit beispielsweise durch den fehlenden Schutz durch das Grundgesetz (§ 3 Abs. 3) und mangelhafte Queer Inklusion in der Gesundheitsforschung, im Gesundheitssystem, in der Psychotherapie sowie im Bildungssystem. Soziale Ungleichheit kann einen direkten Einfluss auf die Gesundheit, durch entstehende Belastungen wie Stressoren durch Diskriminierung (Unterschiede in der gesundheitlichen Belastung) haben.
Zitat Interview (Gesetzesschutz, Grundgesetz): „dass die POLITIK SEHR SCHNELL ÄNDERN KANN! Und ja DER GEDANKE WAS MAN DANN MACHT? Also das man immer denkt okay was mache ich dann? Wo gehe ich hin? Das man immer so einen NOTFALLPLAN HAT! ODER FAST HABEN MUSS!“
Höhere Barrieren für Bewältigungsressourcen (Unterschiede in den Bewältigungsressourcen) durch beispielsweise diskriminierende Psychotherapie.
Zitat Interview (Bildung und Aufklärung im Setting, Curricular Psychotherapie): „Therapeutin hat darauf einfach ABSOLUT FEHLENDES VERSTÄNDNIS FÜR! (.) Für Queer sein offensichtlich generell! Weil sie mir Themen ja TOTAL ABERKANNT HAT! ALSO SIE HAT MIR THEMEN REGELRECHT ABGESPROCHEN!“
Mangelhafte Gesundheitsversorgung durch lückenhafte Gesundheitsforschung und ungenügende Inklusion in die Curricular der Gesundheitsberufe (Unterschiede in der Gesundheitsversorgung)
Zitat Interview (Queer Inklusion, Gesundheitsforschung): „die allgemeine Unwissenheit über meine Körperlichkeit oder über MEINE MEDIZINISCHE BESONDERHEIT (--) und das ist das eigentliche Problem!“
Diese Unterschiede können Einfluss auf das Gesundheits- und Krankheitsverhalten durch die Nutzungsmeidung aufgrund von Diskriminierung oder den diskriminierenden Ausschluss durch das Gesundheitssystem haben. (Unterschiede im Gesundheits- und Krankheitsverhalten)
Zitat Interview (Queer Inklusion, Diskriminierungsfreier Zugang Gesundheitsversorgung): „Und dann nach zehn Absagen gehst du halt nicht mehr hin! Dein Hausarzt sagt, aber du musst zu einem Spezialisten, weil da was ist, was untersucht werden muss und abgeklärt werden muss und behoben werden muss, aber es findet sich niemand!
Solche Diskrepanzen schaffen und verstärken gesundheitliche Ungleichheiten und das Risiko von körperlichen und/oder psychischen Erkrankungen (vgl. DIW, Kasprowski, D. et. al., Geringere Chancen, 2021) (vgl. Timmermanns, S. et. al., Wie geht‘s euch? 2022) sowie soziale Ungleichheit. Um in einer Gesellschaft eine soziale sowie gesundheitliche Chancengleichheit für Queer Menschen zu schaffen, lässt die interpretative Diskussion der Ergebnisse den Rückschluss zu, dass die Gesundheitsressourcen Gesetzesschutz durch das Grundgesetz (§ 3, Abs. 3) und Queer Inklusion in der Gesundheitsforschung, im Gesundheitssystem, in der Psychotherapie sowie im Bildungssystem eine elementare und nachhaltige Investition in eine gesündere Gesamtgesellschaft darstellen können. Einen Überblick gibt die folgende Abbildung:
Soziale und gesundheitliche Ungleichheiten aus Queer Perspektive
Salutogenese Modell der Queer Gesundheit (in Anlehnung an das Salutogenese Modell, Antonovsky)
Das Modell der Salutogenese nach Antonovsky, in dessen Mittelpunkt das Kohärenzgefühl steht und aus den Betroffeneninterviews als Gesundheitsressource hervorgeht, beschreibt Stressoren und Spannungszustände als Mechanismen der Krankheitsentstehung bzw. Gesunderhaltung. Ein anhaltender Spannungszustand, wie beispielsweise dauerhafte gesellschaftliche Diskriminierung, führt zu Krankheit, wie eine Studie des DIW (vgl. DIW, Kasprowski, D. et. al., Geringere Chancen, 2021) und die Studie zu psychosozialer Gesundheit und Wohlbefinden (vgl. Timmermanns, S. et. al., Wie geht‘s euch? 2022) belegt, sowie auch aus dieser Erhebung hervor geht. Und eine zeitnahe Spannungslösung durch die Gesundheitsressource Kohärenzgefühl eher zur Bewältigung des Stressors und zu Gesundheit führt. Antonovsky beschreibt außerdem, dass generalisierte Widerstandsressourcen auf individueller sowie sozialer Ebene die Gesundheit stärken können (vgl. Klemperer, D. et. al., Sozialmedizin Public Health, 2020). Eine Widerstandsressource auf individueller Ebene kann die durch die Betroffenen beschriebene Gesundheitsressource Eigenschutz darstellen. Auf sozialer Ebene kann die soziale Unterstützung durch die Familie, Freund:innen, Partner:in, Peers/Queer Community, unterstützende Menschen und Ansprechpersonen sowie Lehrende Widerstandsressourcen für die Queer Gesundheit sein. Des Weiteren beschreibt Antonovsky, dass ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl zur Bewältigung von Stressoren, wie beispielsweise gesellschaftliche Diskriminierung beitragen und das Leben, trotz intensiver Belastungen von Betroffenen als handhabbar, sinnhaft und verständlich wahrgenommen werden kann. Das Kohärenzgefühl stellt auf dieser theoretischen Grundlage, interpretativ einen starken persönlichen Schutzfaktor dar und kann im Rückschluss präventiv auf die Gesundheit von Betroffenen wirken. Zusammenfassend lässt die interpretative Diskussion den Rückschluss zu, dass sich kohärente Queer Menschen selbstbestimmter fühlen und Stressoren, wie gesellschaftliche Diskriminierungen, effektiver bewältigt werden können. Zur Stärkung eines gesundheitsförderlichen Kohärenzgefühls können die Ausprägung der Quellen generalisierter Widerstandsressourcen sowie generalisierte Widerstandsressourcen entscheidende Faktoren sein. Die aus den Betroffeneninterviews generierten Hauptressourcen Gesetzesschutz, Queer Inklusion, Aufklärung und Bildung im Setting, Sensibilisierung im Setting, Medien, soziale Unterstützung sowie Eigenschutz können diese Quellen und/oder Widerstandsressourcen darstellen und die Gesundheit von Queer Menschen nachhaltig stärken. Werden die generierten Ergebnisse aus den Betroffeneninterviews in das Modell der Salutogenese übertragen, ergibt sich folgende Abbildung:
Salutogenese Modellder Queer Gesundheit
Welche Erkenntnisse wurden im Forschungsverlauf deutlich?
Die Queer Gesundheit lässt sich zusammenfassend als ein gesellschaftlich relevantes Querschnittsthema betrachten, das auf mehrdimensionalen Ebenen beeinflusst werden kann, unterschiedliche Aspekte zu berücksichtigen sind und ein Zusammenspiel aus dem eigenen Verhalten der Queer Person selbst und den Verhältnissen der Umwelt darstellt. Um eine ganzheitliche sowie nachhaltige Queer Gesundheit in der Gesellschaft zu erreichen, die sich gesundheitsförderlich und präventiv auswirkt, sind die aus den Ergebnissen generierten Gesundheitsressourcen als Determinanten auf den unterschiedlichen Ebenen zu berücksichtigen und zu integrieren sowie soziale und gesundheitliche Ungleichheiten abzubauen, um Chancengleichheit zu schaffen. Des Weiteren sind Quellen generalisierter Widerstandsressourcen sowie generalisierte Widerstandsressourcen zur Stärkung von Gesundheit aufzubauen sowie Stressoren, wie die Queer Diskriminierung, abzubauen. Hierbei besteht die Chance, dass sich das gewünschte Wohlbefinden auf körperlicher, psychischer sowie sozialer Ebene für Queer Menschen innerhalb einer Gesellschaft entfaltet. Als besonders elementar für das Wohlbefinden in den Verhältnissen ist die soziale Unterstützung, der Gesetzesschutz, die Queer Inklusion, die Sensibilisierung sowie Bildung und Aufklärung in alle gesellschaftlich relevanten Settings, die Medien zu benennen. Hierbei bedarf es Unterstützung und Kraftanstrengung durch die gesamte Gesellschaft, aber auch durch jede einzelne Institution und Person, um historisch begründete, tief in der Gesellschaft verankerte, traditionelle Denkmuster zu lösen und den nötigen Raum zu öffnen. Das eigene Verhalten kann durch ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl durch die Queer Person selbst eine elementare Gesundheitsressource darstellen, um sich gegen gesellschaftliche Diskriminierung zu schützen und das Wohlbefinden zu steigern. Um die von den Betroffenen und Queer Bewegungen geforderten und die durch Institutionen erhobenen limitierten Handlungsbedarfe umsetzen zu können, ist die Förderung und der Ausbau der Datengrundlage ein entscheidender Faktor. Eine unabhängige sowie gezielte Förderung hat das große Potenzial, Limitierungen in der Studienlage entgegenzuwirken sowie die Erstellung, Umsetzung und Integration evidenzbasierter und bedarfsgerechter Handlungskonzepte für die jeweiligen Settings und in die Gesamtgesellschaft zu implementieren. Hierbei kann zukunftsperspektivisch der Public Health-Aufbau (Zukunftsforum Public Health, Stellungnahme, 2022, aktuelle Regierung, Koalitionsvereinbarung, „Aufbau eines Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit am Bundesministerium für Gesundheit“) sowie -Ausbau (schon vorhandene Public Health-Institutionen, z.B. RKI) inklusive der Dimension Queer eine Chance bieten, um Queer Gesundheit ganzheitlich zu verstehen, zu verankern und den Stressor gesellschaftliche Diskriminierungen nachhaltig abzubauen.
Literaturverzeichnis
Bruns, Wiebke, Gesundheitsförderung durch soziale Netzwerke, Möglichkeiten der Restriktionen, Wiesbaden: Springer VS, 2013
Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Bundeskriminalamt, Bundesweite Fallzahlen 2023, politisch motivierte Kriminalität, Herausgeberin: Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Berlin, 2024
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, DIW, Kasprowski, David, Fischer, Mirjam, Chen, Xiao, Vries, Lisa, Kroh, Martin, Kühne, Simone, Richter, David, Zindel, Zaza, Geringere Chancen auf ein gesundes Leben für LGBTQI*- Menschen, DIW Wochenbericht 6, 2021
Hinz, Arnold Psychologie der Sexualität, Eine Einführung für Studium und Praxis sozialer Berufe, 1. Auflage, Beltz Juventa Verlag Weinheim Basel, 2021
Ipsos, LGBT+ Pride 2023, A 30-Coutry Ipsos Global Advisor Survey, 2023
Klärer, Andreas Hrsg., Gamper, Markus, Keim-Klärner, Sylvia, Moor, Irene, von der Lippe, Holger, Vonneilich, Nico, Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten, Eine neue Perspektive für die Forschung, Springer Verlag Wiesbaden, 2020
Klemperer, David, Marmot, Michael, Rosenbrock, Rolf, Von Hirschhausen, Eckart, Kahane, Kitty, Sozialmedizin Public Health, Gesundheitswissenschaften, Lehrbuch für Gesundheits- und Sozialberufe, 4. Auflage, Verlag Hogrefe Bern, 2020
Mayring Philipp, Qualitative Inhaltsanalyse, Grundlagen und Techniken, 13., überarbeitete Auflage, Weinheim Basel: Beltz, 2022
Rheingold Institut, IKK Classic, Hambrock, Uwe, Urlings, Stephan, Vorurteile und Diskriminierung machen Krank, Eine Rheingold Grundlagenstudie zur Wirkung von Vorurteilen und Diskriminierung im Alltag, IKK Classic, Dresden, 2021
Robert Koch Institut, Journal of Health Monitoring, Pöge, Kathleen, Dennert, Gabriele, Koppe, Uwe, Güldenring, Annette, Matthigack, Ev B., Rommel, Alexander, Die gesundheitliche Lage von lesbischen, schwulen, bisexuellen sowie trans- und intergeschlechtlichen Menschen in Deutschland, Special Issue 5 (S1) DOI 10.25646/6448, Robert Koch-Institut Berlin, 2020
Rusch, Stefan, Stressmanagement, Ein Arbeitsbuch für die Aus- Fort- und Weiterbildung, 2. Auflage, Springer, 2019
Statista, Politik und Gesellschaft, LGBTQI*-Lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, queere und intersexuelle Menschen, 2023
Timmermanns, Stefan, Graf, Niels, Merz, Simon, Stöver, Heino, “Wie geht’s euch?“, Psychosoziale Gesundheit und Wohlbefinden von LSBTIQ*, Weinheim Basel: Beltz Juventa, 2022
Verband von Leben und Schwulen in der Psychologie, Steffens Melanie Caroline, Geisler Petra, Folgen internalisierter Homonegativität Fachtreffen Waldschlösschen, 2009
Internetquelle
Die Bundeswahlleiterin, Europawahlen 2024, https://www.bundeswahlleiterin.de/europawahlen/2024/ergebnisse/bund99.html, {Zugriff 2024-06-10}